15.02.06
NRW-Landtag und Landesregierung lehnen Vorgehen gegen Naziaufmärsche ab
Antifaschistischen Störern von Naziversammlungen mit Bestrafung gedroht
Der Oberbürgermeister von Dortmund, Dr. Gerhard Langemeyer, hatte den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder geraten, den Nazis bei ihren Aufmärschen keine Chance zu geben. Und Politiker wie Harald Schartau (SPD) erklärten, nun sei „die Politik“ am Zuge, etwas zu unternehmen. Doch die Politik versteht sich nicht als zuständig und sie gibt den Nazis jede Chance! Das bekam die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) zu spüren, die sich an den Landtag gewandt und ihn aufgefordert hatte, nicht nur etwas gegen Naziaufmärsche zu unternehmen, sondern auch die organisierenden Veranstalter dieser Provokationen zu verbieten.
Der Petitionsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages teilte der VVN-BdA mit, Verbote rechtsextremer Gruppierungen und ihrer Veranstaltungen seien nur auf der Grundlage des geltenden Rechts möglich. Ohne selbst Stellung zu nehmen, etwa zu der Anregung der VVN-BdA, doch die Strafbarkeit der Schaffung von Nachfolgeorganisationen zu beachten, sandte der Landtagsausschuss der VVN-BdA die Stellungnahme des Innenministeriums zu der Petition zu. In dieser Stellungnahme wird behauptet, man könne gegen die die Aufmärsche veranstaltenden „Kameradschaften“ nichts unternehmen, weil diese „neue, lose strukturierte Organisationsformen“ seien, deren „neonazistische Grundhaltung“ nicht zu übersehen sei; „jedoch sind sie nicht körperschaftlich organisiert“. Die Möglichkeit für Vereinsverbote würden regelmäßig geprüft.
Zudem droht das Innenministerium antifaschistische Demonstranten Bestrafung an. Wer die verfassungsmäßige Ordnung schützen und verteidigen wolle, müsse sich an diese Ordnung auch bei Protesten im Rahmen des „Aufstands der Anständigen“ halten. Wer „grobe Störungen“ von nicht verbotenen Versammlungen vornehme, müsse mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe rechnen.
Zur Vorgeschichte: Berlin, Celle, Dortmund, Karlsruhe, Lüneburg und Stuttgart waren ursprüngliche Ziele von Aufmärschen der Neonazis für den 27./28. Januar, den Tag der Befreiung des KZ Auschwitz. Doch nach Verboten durch die Polizeipräsidenten in diesen Städten oder nach taktischen Wendungen der Nazis konzentrierten sich diese auf Stuttgart, Lüneburg und Dortmund. Dort konnten die Nazis dann ihre Aufmärsche mit Genehmigung des Bundesverfassungsgerichts durchführen, die sich ausdrücklich gegen den Paragraphen richteten, der die Volksverhetzung verbietet.
In Nordrhein-Westfalen hat das schon Tradition. Dort werden Antifaschisten bestraft, wenn sie am 9. November einen Kranz für die Opfer der Reichspogromnacht niederlegen und dabei unangemeldet durch öffentliches Gelände gehen. Zugleich dürfen Neonazis rufen: „Die schönsten Nächte sind die Nächte aus Kristall.“ Oder sie dürfen gegen den Neubau einer Synagoge in Bochum einen antisemitischen Aufmarsch starten, den ersten dieser Art seit 1945, wie sie stolz verkünden. Wer sich den Nazis in den Weg stellt, wird nach Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes, der „Störungen“ verbietet, bestraft. Die Behörden gehen auch nicht gegen die Veranstalter der Neonaziprovokationen vor, die "freien nationalen Kameradschaften", die allesamt verbotswürdige Nachfolgeorganisationen aufgelöster Nazíformationen darstellen. Aus diesem Grunde wurde nun der Landtag angerufen – ohne Erfolg, siehe oben.
Wortlaut der Antworten:
Inge Howe MdL
Verfassungsrecht
Ihre Eingabe vom 10.11.2005, eingegangen am 16.11.2005
Sehr geehrter Herr Angenfort,
der Petitionsausschuss wird Ihr Vorbringen im Rahmen seiner Möglichkeiten und Befugnisse sorgfältig prüfen. Grundsätzlich wird dies bei der Vielzahl der vorliegenden Petitionen einige Zeit in Anspruch nehmen. Ich bitte Sie, dafür Verständnis zu haben und sich zunächst zu gedulden.
Ihr Anliegen wird vom Petitionsausschuss beraten und das Beratungsergebnis in einem Beschluss zusammengefasst, das Ihnen übersandt wird.
Da die Bearbeitung der Petitionen in der Regel die Einsichtnahme von Akten und sonstigen Unterlagen erforderlich macht, die möglicherweise dem Datenschutz unterliegen, gehe ich davon aus, dass Sie mit der Einsichtnahme in die entsprechenden Vorgänge einverstanden sind.
Vorsorglich weise ich Sie darauf hin, dass Rechtsmittel und Rechtsbehelfe (z.B. Klagen, Einspruch, Widerspruch) durch das Einreichen einer Petition nicht ersetzt werden. Sie müssen daher selbst entscheiden, ob Sie von möglichen Rechtsmitteln oder Rechtsbehelfen Gebrauch machen wollen.
Sollte sich Ihre Anschrift ändern oder sollte sich Ihr Anliegen inzwischen erledigen, wäre ich Ihnen für eine kurze Mitteilung dankbar.
Mit freundlichen Grüßen
Howe
Die Präsidentin des Landtags Nordrhein-Westfalen
Ihre Eingabe vom 10.11.2005, eingegangen am 16.11.2005
Verfassungsrecht
Sehr geehrter Herr Angenfort,
der Petitionsausschuss hat in seiner Sitzung vom 23.01.2006 ihr Vorbringen beraten und hierüber folgenden Beschluss gefasst:
Der Petitionsausschuss hat sich über die Sach- und Rechtslage informiert.
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus besitzt in Nordrhein Westfalen hohe Priorität. Polizei und Verfassungsschutz beobachten die Aktivitäten rechtsextremistischer Gruppierungen mit besonderer Aufmerksamkeit. Verbote dieser Gruppierungen sind allerdings nur auf der Grundlage des geltenden Rechts, und zwar des Vereinsgesetzes, möglich. Verbote von Versammlungen und von Aufzügen rechtsextremistischer Art sind nur im Einzelfall auf der Grundlage des geltenden Versammlungsrechts möglich. § 15 Abs. 1 des Versammlungsgesetzes (VersG) lässt das Verbot einer Versammlung oder eines Aufzugs nur zu, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzugs unmittelbar gefährdet ist. Eine Änderung dieser Rechtslage hat sich auch nicht durch den angesprochenen neu gefassten § 15 Abs. 2 VersG ergeben.
Der Petent erhält eine Fotokopie der Stellungnahme des Innenministeriums vom 22.12.2005.
Die Bearbeitung Ihrer Petition hat längere Zeit in Anspruch genommen. Bei der großen Zahl von Bitten und Beschwerden ließ sich die Verzögerung leider nicht vermeiden.
Mit freundlichen Grüßen
Allen
Innenministerium des Landes Nordrhein Westfalen
Petition der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, Gathe 55, 42107 Wuppertal
Schreiben vom 24.11.2005 1.3/14 P 2005 01424 00
Die Petition thematisiert ein Verbot freier nazistischer Kameradschaften" und das Veranstalten von Versammlungen dieser Gruppierungen in Nordrhein Westfalen. Gefordert werden Maßnahmen auf der Grundlage des Vereinsgesetzes und des Versammlungsgesetzes. Zur Petition nehme ich wie folgt Stellung:
Die Bekämpfung des Rechtsextremismus besitzt in Nordrhein Westfalen hohe Priorität. Polizei und Verfassungsschutz beobachten die Aktivitäten rechtsextremistischer Aktivitäten mit besonderer Aufmerksamkeit. Verbote dieser Gruppierungen sind allerdings nur auf der Grundlage des geltenden Rechts, und zwar des Vereinsgesetzes, möglich. Bei den in Nordrhein Westfalen aktiven Kameradschaften liegen indes keine verbotsfähigen Strukturen im Sinne dieses Gesetzes vor. Dies ist nicht zuletzt auf die zahlreichen Verbote neonazistischer Vereine seit Anfang der 90 er zurückzuführen, die die wichtigsten Strukturen des Szene zerstört haben. Um wieder aktions und mobilisierungsfähig zu werden, suchten diese Gruppierungen nach neuen, lose strukturierten Organisationsformen, die sich "Kameradschaften" nennen. Den in Nordrhein Westfalen ansässigen Kameradschaften ist zwar eine neonazistische Grundhaltung gemeinsam, jedoch sind sie nicht körperschaftlich organisiert; d.h. es gibt keine formelle Mitgliedschaft, keine Satzung und keine Organe im rechtlichen Sinn.
Gleichwohl legen Polizei und Verfassungsschutz weiterhin ein besonderes Augenmerk auf die Aktivitäten dieser Szene. Hierzu gehören regelmäßig auch Überlegungen, ob und inwieweit rechtliche Möglichkeiten für Vereinsverbote bestehen. Dies habe ich der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bereits mit meinem Schreiben vom 8.8.2005 mitgeteilt.
Versammlungsrechtlich stellt sich die Rechtslage wie folgt dar:
Verbote von Versammlungen und von Aufzügen rechtsextremistischer Art sind nur im Einzelfall auf der Grundlage des geltenden Versammlungsrechts möglich.
§ 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz (VersG) lässt das Verbot einer Versammlung oder eines Aufzuges nur zu, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist. Damit scheiden generelle
Versammlungsverbote aus, es sei denn, den Betroffenen steht kein Recht zur Teilnahme oder Durchführung einer Versammlung zu.
Eine Änderung dieser Rechtslage hat sich auch nicht durch den vom Petenten angesprochenen neugefassten § 15 Abs. 2 VersG ergeben. Auch nach dieser Vorschrift dürfen nur im Einzelfall Versammlungen an bestimmten Gedenkstätten verboten werden, und zwar, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu besorgen ist, dass durch die Versammlung oder den Aufzug die Würde der Opfer beeinträchtigt wird.
Mit dem Schlagwort Aufstand der Anständigen" ist ein Verhalten gemeint, das durch den Protest gegen rechtsextremistische Versammlungen die verfassungsmäßige Ordnung schützen und verteidigen will. Wer sich nicht in die Gefahr des Selbstwiderspruchs begeben will, muss seinen derart motivierten Protest dann auch in den gesetzlich vorgesehenen Schranken halten. Diese werden u.a. durch § 21 VersG gezogen.
Dort ist vorgeschrieben, dass grobe Störungen in der Absicht nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werden. Die Strafverfolgungsbehörden sind verpflichtet, dem Verdacht solcher Straftaten nachzugehen. Insofern kann nicht per se von der Klärung entsprechender Verdachtsmomente abgesehen werden.
01.02.06
Politiker zum Handeln gegen Neonazis aufgefordert
VVN-BdA richtet Petition an den Landtag und Beschwerde an den
Generalstaatsanwalt
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