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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

 

 

 

 

 

 

Nazis raus aus dem Internet

 

18.10.04

"Niemals vergessen wir, dass es ein Auschwitz gegeben hat...!"

"...weder tolerieren noch totschweigen dürfen wir neonazistische Aktionen!"

Trotz des Verbots der für den 9. November in Essen angekündigten Nazi-Demo, das diesmal nicht aufgehoben worden war, veranstalteten antifaschistische Gruppen eine  Kundgebung mit "Rock und Comedy gegen Rechts" in Essen-Steele. Auch die VVN/BdA Essen war dabei. Im folgenden dokumentieren wir die Rede von Alice Czyborra (VVN/BdA Essen):

Ich spreche im Namen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten und als Angehörige einer jüdischen Familie, die 1933 in die Emigration ging. Wir Kinder meiner Familie konnten der Deportation entgehen, da mutige französische Menschen uns bis zur Befreiung Frankreichs vom deutschen Faschismus versteckt hielten.

Seit 30 Jahren wohne ich in Steele. Ein Steinwurf entfernt vom Steeler S-Bahnhof, dem geplanten Treffpunkt von Neonazis, stand am Isinger Tor die Synagoge. In der Reichspogromnacht am 09. November 1938 wurde sie von Nazihorden niedergebrannt. Wenige Schritte vom S-Bahnhof entfernt in die andere Richtung war das Sammellager Holbeckshof. Von dort aus wurden 1942 über 350 Essener jüdische Bürger in die Vernichtungslager abtransportiert. Mehr als 1200 Juden aus Essen wurden in die Todeslager deportiert. Zuerst brannten die Synagogen, dann die Menschen.

Wir sind heute zusammengekommen, weil wir nicht zulassen, dass 62 Jahre danach Neonazis diesen Ort zu ihrem Treffpunkt machen. Wir lassen nicht zu, dass sie durch Steeler/Krayer Straßen marschieren oder auch anderswo, dass sie rassistische, volksverhetzende Parolen skandieren. Diejenigen von uns, die sich beim ersten Bündnistreffen im Grend getroffen hatten, mussten erleben, wie eine Gruppe von Neonazis sich in SA-Manier vor dem Grend mit Baseballschlägern postierte. Die Entscheidung des Polizeipräsidenten Schenkelberg, den Aufmarsch zu verbieten, war richtig. Unsere Befürchtung bis zuletzt, dass das Verbot in nächster Instanz wieder aufgehoben würde, war begründet.

Begründet deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht als letzte Instanz immer wieder Aufmärsche von NPD und anderen rechtsradikalen Organisationen zulässt, sie polizeilich schützt. So auch ein erklärt antisemitischer Aufmarsch vor vier Monaten in Bochum gegen den Bau einer Synagoge.

Die historische Antwort des Grundgesetzes auf die Zeit der Barbarei in unserem Land, hat das Oberverwaltungsgericht Münster gegeben. Da heißt es: Rassismus, Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit sind mit grundgesetzlichen Wertvorstellungen unvereinbar. Sie lassen sich nicht als „politisch unerwünscht“ oder „missliebig“ bagatellisieren und wie jede andere Ausübung eines für die Demokratie konstituierenden Freiheitsrechts einstufen. Dies bestätigt unsere Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“

Das Problem ist ja nicht allein, dass es Neonazis gibt. Das Problem ist, dass sie einen Nährboden finden in unserem Land. In unserer unsäglichen Geschichte waren es die Juden, die an allem Schuld hatten, an der Krise, an der Arbeitslosigkeit, an der Armut. Dann haben 12 Millionen Hitler gewählt, dann die Rassengesetze. Und dann die Todesfabriken von Maidanek, Treblinka, Auschwitz.

Wir leben in einer Zeit, in der Arbeitslosigkeit und Existenzängste zunehmen, in der wir die bisher härtesten Einschnitte in der sozialen Gesetzgebung der Bundesrepublik erfahren. Sie treiben mehr und mehr Menschen in die Armut. Wir erleben Jugendliche, die nach ich weiß nicht wie viele Absagen auf Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz für sich keine Zukunft sehen.

Über viele Jahre lenken in verantwortungsloser Weise führende Politiker von den eigentlichen Ursachen ab. Ich denke an die Asyldebatte, an Sprüche wie Ausländer, die uns nützen und die uns benützen, an Roland Koch, der in Hessen mit seiner Kampagne gegen den Doppelpass die Wahl gewann. In dem Buch „Megagroße Anfrage“, ein Projekt der Erich-Kästner Gesamtschule von 1998, kann man die Antwort des damalige CDU-Bundestagsabgeordneten Heinrich Lummer nachlesen. Er schrieb einer 11jährigen Schülerin afghanischer Herkunft: „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in Deutschland inzwischen zu viele Ausländer haben.“ Und weiter: „Am liebsten sind mir die Ausländer natürlich, wenn sie im Ausland – sprich in ihrer Heimat sind.“

Wir brauchen uns dann nicht über Stimmengewinne rechtsradikaler Parteien zu wundern. Mehr noch, mit solchen Aussagen betreiben Politiker geistige Brandstiftung. Sie ermutigen Rechtsradikale, Gewalt auszuüben, regelrechte Jagd auf Andersaussehende, politisch Andersdenkende zu machen. Nicht nur im Osten, sondern auch im Westen, auch in Essen. Ich erinnere an Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln. Über 120 Menschen wurden seit Anfang der 90er Jahre in der Bundesrepublik durch Rechtsradikale ermordet.

Weder tolerieren noch totschweigen dürfen wir neonazistische Aktionen. Niemals vergessen wir, dass es ein Auschwitz gegeben hat. Wir vergessen nicht, wie es dazu kommen konnte. Deshalb sind wir hier, deshalb stellen wir uns den Neonazis entgegen. Keinen Fußbreit Boden den Faschisten!

Siehe auch:

"Essen stellt sich quer - Nazi-Aufmarsch verhindern"

Aufruf für antifaschistische Aktivitäten am 9. Oktober in Essen