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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Nazis raus aus dem Internet

 

25.07.04

Reinhard Junge: Wenner muss weg

Redebeitrag auf einer Kundgebung vor dem Bochumer Polizeipräsidium am 20. Juli 2004 - als Vertreter der VVN/Bund der Antifaschisten, Kreisverband Bochum

"Dieser Polizeieinsatz war äußerst erfolgreich. Dank unseres taktischen Konzeptes ist es uns gelungen, ein problematisches Aufeinandertreffen gegnerischer Gruppierungen zu verhindern. Gleichwohl konnten zahlreiche Bochumer ihren Unmut äußern und friedlich ihren Protest erklären."

Das ist der Kernsatz einer Pressemitteilung, die Bochums Polizei am 26.06.2004 um 17.38 h in die Welt schickte. Detailliert listete man die "Vorkommnisse" auf:

  • 26 Nazis sei der Zutritt zur Auftaktkundgebung verwehrt worden,
  • 210 Teilnehmer seien durch den Westen Bochums gezogen,
  • 1 Mann sei in Gewahrsam genommen worden, weil er eine Schale Kir-schen gegen Nazis geworfen habe,
  • je 3 Personen des "rechten und des linken Spektrums" seien vorläufig festgenommen,
  • bei den Anhängern der NPD seien Stahlruten und Pfefferspray gefunden worden,
  • es habe eine Anzeige wg. Verwendung von Kennzeichen verfassungswid-riger Organisationen gegeben,
  • 2 männliche Personen seien wg. versuchter gefährlicher Körperverlet-zung festgenommen …

Nur eine Auskunft erteilt die Pressemitteilung nicht: Ob man an den Hauptzweck des Polizeieinsatzes gedacht habe, nämlich antisemitische Parolen zu verhindern. Dann hätte man eine Pleite gestehen müssen. 

Und so titelte ein paar Tage später die "nationale" Website http://abnd.davidduke.com voller Häme: "Linke immer noch erschüttert über Bochum-Demo vom 26. Juni."

Klar doch: Wir sind erschüttert.

Das Versagen der Polizei am 26..6.

In einer Dokumentation hat www.bo-alternativ.de/ zusammengestellt, welche Dinge die Bochumer Polizei am 26. Juni bei einer Nazi-Demonstration akzeptiert hat, ohne die Demonstration aufzulösen. Die Dokumentation finden Sie/findest Du hier.

Mehrfach haben Nazis gegen Auflagen verstoßen. "Hopp, hopp, hopp - Synagoge Stopp", haben sie bereits beim Abmarsch am S-Bahnhof Bochum-Ehrenfeld skandiert, Transparente des "Kampfbundes Nationaler Sozialisten" sowie uniformähnliche schwarze Blousons sind auf zahlreichen Fotos zu sehen.

Allein das hätte angesichts der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zur Auflösung der Demo führen müssen. Polizeipräsident PP Wenner sieht das anders: Zwei Staatsanwälte hätten die Polizeiaktionen begleitet und nichts zu bemängeln gehabt. Also hörte auch "die Polizei" weg. Bei diesem Verhalten fällt mir nur ein Ausspruch des Rechtsanwalts Friedrich Karl Kaul aus den Siebziger Jahren ein: Wenn die Justiz der BRD gegen Nazis vorgehen solle, gleiche sie einem Jagdhund, der zum Fuchsbau getragen werden müsse.

Auch in Bochum hat solch ein Vorgehen eine lange Tradition. Die hiesige Polizeiführung hatte immer eine eigene Auffassung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dazu gehören die Polizeiskandale in den 70ern unter dem Polizeipräsidenten Graf von Hardenberg: Bei der Jagd auf die RAF wurden mehrfach Verdächtige kurzerhand niedergeschossen. Von aufgeputschten, hypermotivierten, überforderten Beamten. Und am Thomaszentrum in Steinkuhl nahmen sich der Einfachheit halber zwei Streifenwagenbesatzungen gegenseitig unter Feuer: die eine von der Girondelle aus, die andere von der Markstraße. Ein Glück für die Beamten, dass sie so schlecht schießen konnten.

Nach dem Aristokraten Hardenberg kam mit PP Berndt ein Abteilungsleiter aus dem Innenministerium nach Bochum, und nach dem Verfassungsschutzmann der ehemalige Juso Wenner. Wurde jetzt alles besser?

Jain. Das Klima war anders. Die Colts saßen nicht mehr so locker. Denn es ging jetzt nicht mehr gegen die RAF, die hochrangige Manager und Politiker mit Bomben und Panzerfäusten jagte. Sondern nur um Neonazis, die namenslose Asylbewerber mit Brandflaschen attackierten. Wenn es keine Toten gab, konnte man die Sache gemütlicher angehen.

Außerdem setzte Innenminister Schnoor bei vielen Gelegenheiten eine Strategie der De-Eskalation durch: Für ihn war der Polizeiknüppel nicht mehr das Haupteinsatzmittel. Aber kaum war Schnoor weg, eskalierten die Einsätze wieder: Bürgerkriegsübung am atomaren Zwischenlager Ahaus, Polizeikessel in Dortmund. Und Bochum?

Ende der 90er fand die Polizei einen neuen Gegner: An jedem ersten Samstag im Monat trafen sich in der City die Punks. Prompt beschwerte sich "die Geschäftswelt" darüber, dass die Happenings die Umsätze schmälerten - und Wenner gehorchte. Martialisch bewaffnete Einsatzhundertschaften rückten gegen die Jugendlichen vor und räumten sie ab - meist mit der Begründung, sie hätten öffentlich Alkohol getrunken. So auch im September 97 auf dem Husemannplatz - als gleichzeitig das Bochumer Weinfest lief und an Dutzenden Buden Alk ausgeschenkt wurde.

Bezeichnend auch die Auseinandersetzungen um die Nazikneipen an der Brüderstraße. Als die ersten Protestdemonstranten auftauchten, stellte ein Großaufgebot der Polizei wieder die "Ordnung" her. Die "Staatsschützer" vom Polizeibüro zwei zeigten den uniformierten Beamten, wen sie aus der Menge herausfischen sollten - und im Polizeigewahrsam landeten ausschließlich Linke, die man gefahrlos in eine Sammelzelle sperren konnte. Strafanzeigen gegen Linke folgten.

Skandale erster Ordnung waren die Nazi-Demos vor und nach der Jahreswende 2003/2004. Polizeiführung und Naziführer handelten die Modalitäten in Geheimsitzungen aus, und die Öffentlichkeit erfuhr erst so spät von den Nazi-Aufmärschen, dass kaum noch Zeit blieb für die Organisierung des Widerstandes. Die Nazi-Parolen blieben weiter ungestraft - aber Bochumer Staatsanwälte ermittelten gegen einen Demonstrationsaufruf, der die Comic-Figur Emily zeigte, ein kleines Mädchen mit einer (leeren) Zwille: Aufruf zur Gewalt?

Wenners Feldzüge galten dann den in Bochum lebenden Muslimen. Anonyme, nicht näher definierte "Hinweise" reichten aus, um bei zwei Groß-Aktionen Hunderte von Moschee-Besuchern zu überprüfen: Eine ganze Religionsgemeinschaft stand unter Wenners Generalverdacht. Terroristen wurden keine gefunden. Aber der NRW-Innenminister lobte Wenner: Man habe viele neue Erkenntnisse gewonnen. Das hatte die Öffentlichkeit auch: über den Rassismus der Polizeiführung.

Und nun die Demonstrationen gegen den geplanten Wiederaufbau der Synagoge. Warum griff Wenner diesmal zum Verbot? Man kann nur spekulieren. Einmal wurde damit von den Nazis eine weitere Schamgrenze überschritten. Zum zweiten scheint es bisweilen so, als missbrauche die Bochumer Rathausspitze das Gedenken an den Holocaust als antifaschistisches Alibi: Als auf einer dieser Gedenkveranstaltungen daran erinnert wurde, dass es auch politisch Verfolgte und politisch motivierten Widerstand gegen die Nazis gegeben habe, soll OB Stüber hinter dem Rednerpult vor Wut geschäumt haben. Auf einer Gedenkveranstaltung für ermordete Widerstandskämpfer war er noch nie. Stattdessen besucht er umso eifriger am "Tag der Heimat" die Bochumer Vertriebenenverbände.

Wie auch immer: Diesmal verbot Wenner endlich einen dieser unerträglichen Nazi-Aufmärsche. Das übliche Spiel durch die Gerichtsinstanzen begann - und endete mit einer Überraschung: Vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterten die Neonazis endgültig. Schön?

Nein, ein Pyrrhus-Sieg. Denn das Bundesverfassungsgericht gab den Nazis eine Menge guter Tipps, wie sie ein Verbot solcher Demonstrationen vermeiden könnten.

Dieses Nachhilfeurteil des Bundesverfassungsgerichts brachte den Nazis das ersehnte Erfolgserlebnis. Die zweite Demo wurde letztlich genehmigt, denn diesmal hatten die Anmelder angeblich gar nichts mehr gegen den Wiederaufbau der von ihren geistigen Großvätern angesteckten Synagoge - sondern "nur" dagegen, dass dafür Steuergelder verwendet wurden.

Und es kam, was kommen musste: Nach 50 Metern Marsch erschallte zum ersten Mal der Slogan mit dem "Synagogen-Stopp" - und keiner der Polizisten hörte etwas.

Um eines klarzustellen: Es gibt Dutzende von Situationen, in denen ich froh und erleichtert bin, wenn eine hilfsbereite, kompetente, engagierte und höfliche Streifenwagenbesatzung auftaucht. Aber wenn der Polizeiapparat und Leute wie Wenner ihre Einsatzhundertschaften und Sondereinsatzkommandos loslassen, um ihr eigenwilliges Verständnis von Recht und Ordnung durchzusetzen, dann wird mir angst und bange.

Deshalb muss die gesamte Polizeibehörde, muss auch Bochums Polizeiführung unter eine schärfere öffentliche, demokratische Kontrolle gestellt werden. Die Forderung nach einer Art Wächterrat lehnte Wenner rundweg ab: Er brauche keine Nachtwächter, er sei Demokrat.

Wie feinfühlig er als Demokrat ist, hat er schon vor 10 Jahren bewiesen, als Neonazis auf der Internetseite "Einblick" rund 250 Antifaschisten vorstellten und sie den "nationalen" Kräften zum Abschuss freigaben. Den rund 15 Betroffenen aus Bochum stellte Wenner einen erfahrenen Berater zur Verfügung: Kriminalhauptkommissar Butterwegge, damals noch beim Polizeibüro II. Dort (und noch beim alten 14. Kommissariat, der Politpolizei) hatte Butterwegge mehrere Jahrzehnte die Bespitzelung der Bochumer Linken geleitet. Wahrlich ein Fachmann …

Ja, wir brauchen einen Wächterrat. Aber wir brauchen keinen Wenner als Polizeipräsidenten. Ein Mann mit seinem Demokratieverständnis muss abgelöst werden. Wenner muss weg!

Siehe auch:

"Als wüssten sie nicht, wohin damals die Judenhassparolen der Braunhemden geführt haben?"

Peter Gingold auf der Protestkundgebung vor dem Polizeipräsidium in Bochum am 20. Juli 2004