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Nazis raus aus dem Internet

 

25.05.04

Zwischen den Zeilen im Verfassungsschutzbericht gelesen

Wir brauchen eine starke Bewegung für Demokratie und gegen Faschismus

Von Ulrich Sander

Ein Politiker dieses Landes hat willkürliche Verhaftungen verdächtiger Ausländer und die Tötung vermutlicher potentieller Verbrecher verlangt; junge Leute will er in einen allgemeinen Arbeitsdienst stecken. Wer sich erinnert, was derartiges in der Geschichte unseres Landes bedeutete, der müsste eigentlich vermuten, dass der besagte Politiker abgesetzt und vor Gericht gestellt wurde. Zumindest sollte er in dem „Verfassungsschutzbericht“ angeprangert werden, verfassungsfeindlich, gewaltbereit und rassistisch wie er sich gibt.

Nicht so in unserem Land. Denn der das sagte, ist Herausgeber des nämlichen Berichtes und Bundesinnenminister. In seinem Verfassungsschutzbericht 2003 werden wirkliche Verfassungsbrecher kaum so benannt, allerdings werden Tausende neue Linksextremisten, z.B. bei attac, ausgemacht, die eine „totalitäre sozialistisch/kommunistische Gesellschaft“ etablieren wollten. Ein Polizeistaat steht nicht auf der Liste abzulehnender Staats- und Gesellschaftsmodelle des VS-Berichtes 2003. Im Gegenteil: Schily will den starken Staat, weil nur der den Terrorismus bewältigen könne. Doch immer mehr Beobachter der Entwicklung im Lande kommen zu dem Schluß: Im „Anti-Terrorkampf“ versagen Kontrollmechanismen der Demokratie, ohne dass eine terroristische Gefahr abnimmt.

Andererseits vernachlässigen die Linken nur zu oft die Verteidigung demokratischer Positionen und Grundrechte – und damit nebenbei auch die Verteidigung ihrer Kampfbedingungen. Die Ostermarschbewegung nannte sich einst „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“. Das war zu Zeiten der Opposition gegen die Notstandsgesetze, gegen den Vietnamkrieg und gegen den kalten Krieg. Die Notstandsgesetz waren harmlos gegen das, was uns heute an Militarisierung im Innern und an Polizeistaat blüht.

Die drohende Grund- und Menschenrechtsvernichtung, die nahezu widerspruchslos propagiert wird – die Folterdrohungen aus Frankfurt/Main und München, die drohende Einweisung in Lager, die Aberkennung von rechtsstaatlichen Normen, die Drohung mit Sicherungshaft und die Einführung von Regelüberprüfungen durch den Verfassungsschutz, die Aberkennung von Sozialhilfe aus politischen Gründen -, sie wird hingenommen, weil sie „nur“ den Menschen ohne deutschen Paß droht. Das betrifft mich nicht, denkt der deutsche Kollege.

Andererseits breitet sich der Neofaschismus unter Duldung, ja Mithilfe der Behörden aus. Im neuen Verfassungsschutzbericht wird der V-Mann-Skandal, die Affäre, die zum pauschalen Freispruch für die NPD und zur freien Entfaltung für Nazis führte und den Rechtsextremen eine Legion amtlich bezahlter Helfer zubilligte, nur in einer Fußnote erwähnt. Die Zahl der Rechtsextremisten und ihrer Gewalttaten sei zurückgegangen. Aussteigerprogramme für enttarnte V-Leute, so was gibt es ja auch, und die geschönten Statistiken wirken sich also aus. Jedoch bei der „politisch motivierten Ausländerkriminalität“ weist die Statistik aus denselben Quellen nach oben. Nun soll das Bundesverfassungsschutzgesetz geändert werden, um den Zugriff der Zentrale auf alle Datenbänke zu verbessern „im Kampf gegen den Terror“ – Terror der Ausländer, versteht sich, nicht der deutschen Rechten.

Dabei ist das bestehende Verfassungsschutzgesetz schon derartig gestaltet, dass es für jeden erfassten „Linksextremisten“ im Handumdrehen die Beseitigung der Grundrechte bringen kann – die normalerweise nach Artikel 18 des Grundgesetzes einen Karlsruher Spruch erfordert und äußerst schwierig zu erlangen ist.

Wer den Verfassungsschutzbericht – der sogar weiter an der perfiden „linksextremistischen“ Einordnung der VVN-BdA, ja des Antifaschismus festhält – genau studiert, der kann nur entsetzt sein, über die Leichtfertigkeit, mit der darin alarmierende Fakten zum Neofaschismus mit entwarnenden Schlussfolgerungen präsentiert werden. Der VS-Bericht unterscheidet zwischen Rechtsextremen und Neonazis, und letztere seien um 15 Prozent mehr geworden. Auch die Zahl der „rechtsextremistischen Organisationen und Personenzusammenschlüsse“ sei seit 2002 um 23 auf 169 angewachsen. „Ebenfalls gestiegen ist der Organisationsgrad in der Neonazi-Szene: 95 (2002: 72) Gruppierungen ließen ein Mindestmaß an organisatorischen Strukturen erkennen.“ Weniger gefährlich werden die rund 160 „Kameradschaften“ mit rund 3000 Mitgliedern eingeschätzt, als seien die keine organisierten „Personenzusammenschlüsse“. Sodann wird behauptet: „Neonazis lehnen überwiegend militante Aktionen ab.“ Ihre „Anti-Antifa“-Aktionen gegen linke Gegner werden verniedlicht. Wird doch allgemein damit zu Gewalt gegen den politischen Feind aufgerufen, ohne dass die Auftraggeber bekannt werden. Doch der Verfassungs- und Staatsschutz hält an seiner Verharmlosung des „Anti-Antifa“-Terrors fest, und es ist bekannt, dass V-Leute an der Beschaffung von Informationen für die „Anti-Antifa“ beteiligt waren und sind; diese Beschaffung wird von den Agentenführern als zulässig angesehen.

So ist Claus Dümde vom „Neuen Deutschland“ zuzustimmen, der seine Analyse des VS-Berichtes zusammenfasst mit den Worten „Kein Anlaß zu Entwarnung bei rechtsextremistischen Gewalttaten.“ Überhaupt besteht kein Anlaß zu Entwarnungen gegenüber dem Demokratieabbau der Rechtsentwicklung im Lande.

Siehe auch:

Antifaschismus gehört nicht in den VS-Bericht!

V-Leute-Schutzamt abschaffen