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Zahlungen an Zwangsarbeiter 56 Jahre nach Kriegsende

Späte Genugtuung für die Entschädigungsexperten der VVN

"In den sechziger und siebziger Jahren waren Themen wie Zwangsarbeiter tabu. Wer sich um die Rolle der Unternehmen im Nationalsozialismus kümmerte, wurde kommunistischer Sympathien verdächtigt." Diese Feststellung traf Ende August 1998 der "Spiegel". Danach kamen SPD und Grüne an die Regierung, - und sie konnten am Basta Helmut Kohls nicht festhalten, das lautete: „Die Wiedergutmachungskasse bleibt geschlossen.“ Warum kamen die deutschen Konzerne erst so spät als Sklavenausbeuter der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, als Mitschuldige am Tod vieler ins Gerede und warum war ihnen das nach so vielen Jahren unangenehm?

Einer, der darüber Auskunft geben kann, ist Werner Stertzenbach. Gemeinsam mit seiner 1996 verstorbenen Frau Alice – beide jüdische Kommunisten und Widerstandskämpfer - hat er seit der Befreiung vom Faschismus unermüdlich für die Aufklärung über die Täter und für die Entschädigung der Opfer gewirkt. Der heute 92jährige Journalist aus Düsseldorf und seine Frau waren an dem Thema dran, als es noch „tabu“ war. Werner von 1960 bis 1973 als Chefredakteur der "Tat", der antifaschistischen Wochenzeitung der BRD, und Alice als unermüdliche Leiterin der Sozialkommission des VVN-Präsidiums, wo sie gemeinsam mit Alfred Hausser tätig war, der heute Ehrenvorsitzender der VVN-BdA ist. Hausser war Ende der achtziger Jahre Mitbegründer des Bundesverbandes Information und Beratung für NS-Verfolgte in Köln.

In jener Zeit haben sich die Opfer weltweit zu Wort gemeldet. Sie haben in USA die deutschen Konzerne und Banken angeprangert und in Sammelklagen vor Gericht gestellt, um deren Image auf dem Weltmarkt anzugreifen. Das ist der Hauptgrund, warum sich die Konzerne bewegt haben. So sagt Alfred Hausser, selbst ehedem Zwangsarbeiter bei Bosch und 1986 Gründer der Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter.

Seit 1953 und 1956, seit Verabschiedung des ersten und zweiten Bundesentschädigungsgesetzes engagierte sich die VVN für die Öffnung und Erweiterung des Gesetzes, hin zur Entschädigung auch der „vergessenen“ Opfer. Vergessen und verdrängt bis zum Tag der Wiedervereinigung waren auch die Deserteure und Zwangsarbeiter. Doch Bonn änderte das Gesetz nur, um die kommunistischen Widerstandskämpfer von der Entschädigung auszuschließen, weil sie gegen die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" verstoßen hätten. Das Wirken der VVN wurde gar mit dem Versuch von 1960 bekämpft, sie zu verbieten. Osteuropäer erhielten nichts nach dem BEG. Die Entschädigungspolitik a la Adenauer, Globke und Abs – sie war immer auch Waffe im Kalten Krieg.

Weil die "Tat" den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer als Nazimörder entlarvte, wurde 1960 gar diese Zeitung zeitweilig verboten. Doch nach Jahren setzte die VVN sich gegen Oberländer durch, er mußte als Minister gehen. Zuletzt, kurz vor seinem Tode wurde sogar gegen ihn von Seiten der Staatsanwaltschaft ermittelt.

Viele Nazis im Amt hat die VVN angegriffen. Das offizielle Bonn, auch die SPD-Opposition, nannte dies Propaganda aus dem Osten. Die Botschaft der "Tat" wurde mißachtet. Später konnte man sie nicht länger mißachten: Staatssekretär Prof. Vialon, Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, Landesministerpräsident Hans Filbinger und vor allem Kanzleramtsstaatssekretär Hans Globke, alle als Nazi-Täter enttarnt, ihre Fälle standen in der "Tat", bis sie dann auch außerhalb der Kreise des deutschen Widerstandes Empörung auslösten.

Wenn heute gesagt wird, man habe lange geglaubt, den Konzernen seien die Zwangsarbeiter von der SS aufgezwungen worden, aber erst neue Dokumente, die jetzt auftauchten, hätten die Wahrheit ans Licht gebracht, dann finden Experten aus der VVN diese Behauptung völlig unerträglich. Werner Stertzenbach: "Die Wirtschaft forderte die Sklavenarbeiter an. Die Verbindung von Kapital und Faschismus, die Nutznießerschaft von Banken und Industrieellen, wie auch die Rolle vieler dieser Leute als Wegbereiter des deutschen Faschismus haben wir immer wieder nachgewiesen."

Im Hartmut-Meyer-Archiv der VVN von Nordrhein-Westfalen sind vergilbte Ausgaben der „Tat“ zu finden, so vom April 1961: "Die Judenverfolgung wurde von den Nazis organisiert, ihre Hauptnutznießer aber waren die deutschen Großindustriellen," heißt es darin. Erinnert wird an die "Arisierung" des jüdischen Besitzes durch deutsche Banken und Konzerne. Diese haben die SS auf die Möglichkeit, ihnen Sklavenarbeiter aus den Lagern zuzuführen, überhaupt erst aufmerksam gemacht. Wir finden in der Zeitung den Brief des SS-Obergruppenführers Pohl vom 30. April 1942 an den Reichsführer SS Heinrich Himmler. Pohl war Leiter des Wirtschaftsverwaltungsamtes der SS. Er schrieb: "Die Verwahrung von Häftlingen nur aus Sicherheits-, erzieherischen und vorbeugenden Gründen allein steht nicht mehr im Vordergrund. Das Schwergewicht hat sich nach der wirtschaftlichen Seite hin verlagert. Die Mobilisierung aller Häftlingsarbeitskräfte zunächst für Kriegsaufgaben (Rüstungssteigerung) schiebt sich immer mehr in den Vordergrund." Wer als Häftling bei der Arbeit nicht mehr mitkam, wurde getötet.

Wir fragen Werner Stertzenbach nach seiner Frau Alice. "Sie hat große Arbeit als Entschädigungsreferentin der VVN geleistet, aber schon zu ihrer Zeit mußte man erkennen: Wir haben diesen Kampf damals weitgehend verloren. Das Bundesentschädigungsgesetz grenzte zu viele aus. Die Kommunisten, die vor und nach 1945 einsaßen, wurden nach § 6 ausgegrenzt. Heute leben davon nur noch wenige Betroffene. Sie wurden nicht rehabilitiert." Allerdings wurde mit der jetzigen Entschädigungsregelung für Zwangsarbeiter auch die Entschädigung der Zwangsarbeit von deutschen KZ-Häftlingen geregelt: Bis zu 15.000 DM erhalten sie. Auch die kommunistischen Opfer.

Schon in Nürnberg beim Hauptkriegsverbrechertribunal wurde die Schuld der Konzerne nachgewiesen - nicht nur die Schuld der SS und des NS-Staates, kommt Werner Stertzenbach auf die aktuellen Fragen zurück. "Weil die hohen NS-Wehrwirtschaftsführer sich so lange auf der Kommandobrücke von Wirtschaft und Politik in Westdeutschland halten konnten, sorgten sie dafür, daß man die Konzerne nicht zur Bezahlung für die Sklavenarbeit heranzog. Daß sie die Sklavenarbeiter anforderten, wurde schon in Nürnberg nachgewiesen und dann fünfzig Jahre lang 'vergessen'. Doch dann kam es durch die Klagen der Überlebenden in USA gegen die deutschen Banken, Versicherungen und Konzerne wieder auf den Tisch. Es hat lange gedauert, aber ich bin froh, daß ich es noch erleben kann."

Doch es gab auch Enthüllungen, mit denen die VVN in diesem Land schon früh das Schweigen durchbrach. Werner Stertzenbach: "Eines Tages las ich eine lokale Notiz in einer Oberhausener Zeitung, daß ein Herr Dr. Heinrich Bütefisch zum Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen worden war. Der Name kam mir bekannt vor. Bütefisch war im IG Farben-Prozeß verurteilt worden. Ich rief in Bonn an: Wie kommen Sie auf Bütefisch, das ist doch ein verurteilter Verbrecher aus der Spitze der IG Farben. Man sagte: Die Wirtschaft habe ihn vorgeschlagen."

Auch die Sache mit DEGESCH und DEGUSSA hat die VVN enthüllt. DEGESCH gehörte zur IG Farben und zu Degussa. "Daß die Wertsachen und das Zahngold von der SS an DEGUSSA geliefert wurden, um dann zu Barren geschmolzen zu werden, die die Banken aufkauften, um die Kriegskasse der Nazis zu füllen und die Banken noch reicher zu machen. Das haben wir in der 'Tat' immer wieder dargestellt. Und die Tochterfirma DEGESCH von IG Farben und Degussa nebst ihren Lieferfirmen haben das Zyklon B geliefert, mit dem viele Millionen Menschen umgebracht wurden."

Kommt die Entschädigung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht zu spät? Die alten Aktivisten aus der VVN sagen: Besser spät als nie. Die Freisprechung des deutschen Kapitels von seiner Nazivergangenheit kann nun nicht mehr aufrechterhalten werden. Und die Opfer bekommen eine – wenn auch kleine - materielle Hilfe, die sie dringen benötigen. Das ist doch schon ein wichtiger Aspekt, meint auch Alfred Hausser. Er verweist auf eine Formulierung in der Präambel des Gesetzes vom Sommer 2000 zur Zwangsarbeiterentschädigung, eine Formulierung, die er gemeinsam mit Christoph Jetter von der Interessengemeinschaft vorschlug, die von der PDS und dann vom Bundestag aufgegriffen wurde. Sie lautet:

„In Anerkennung, daß der nationalsozialistische Staat Sklaven- und Zwangsarbeitern durch Deportation, Inhaftierung, Ausbeutung bis hin zur Vernichtung durch Arbeit und durch eine Vielzahl weiterer Menschenrechtsverletzungen schweres Unrecht zugefügt hat, deutsche Unternehmen, die an dem nationalsozialistischen Unrecht beteiligt waren, historische Verantwortung tragen und ihr gerecht werden müssen, ... bekennt sich der deutsche Bundestag zur politischen und moralischen Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus und will die Erinnerung an das ihnen zugefügte Unrecht auch für kommende Generationen wach halten.“

Uwe Sommer