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06.12.02

Vor der Ausarbeitung neuer „Verteidigungspolitischer Richtlinien“

Nazi-Veteranen und Reservisten wollen ein Wort mitreden

Einleitung

gestern, am 5.12.2002, hat MONITOR über die Gebirgstruppe und ihre Verbrechen berichtet. Es wurde an Stoiber die Forderung gerichtet, sich endlich zu diesen Verbrechen zu äußern, denn er ist prominentestes Mitglied des Veteranen- und Reservistenvereins Gebirgstruppe. Diese Forderung ist natürlich sehr unterstützenswert.

Wie aber ebenfalls gestern berichtet wurde – in ND –, hat die bayerische Staatsregierung wenigstens ihren hinhaltenden Widerstand gegen die öffentliche Anklage wider die Wehrmachtsverbrechen aufgegeben: Lautstarke Kritiker an den Gebirgstruppen wurden außer Strafverfolgung gestellt, Staatsanwälte in München und Ludwigsburg können mit den Enthüllungen jetzt arbeiten, die diese Kritiker und jetzt auch MONITOR vorgelegt haben (und die gestern im ND angedeutet, aber leider nicht mit Roß und Reiter benannt wurden, obwohl der Redaktion Namen und z.T. Adressen vorlagen). Nun gilt es, den Staatsanwälten auf die Finger zu sehen...

Damit jetzt endlich die Naziverbrecher doch noch vor die „Richter der Völker“ kommen, wie es im Schwur von Buchenwald heißt, ist die öffentliche Warnung und Mahnung nötig. Das wollen z.B. die VVN-BdA und andere antifaschistische Gruppen anpacken. Nicht zuletzt das nächste Pfingsttreffen der „Kameraden unterm Edelweiß“ – und unterm Hakenkreuz, muß hinzugefügt werden – aber auch die Wehrmachtsausstellung in Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und NRW im nächsten Jahr werden Schauplatz öffentlicher Verurteilungen und echter Vergangenheitsbewältigungen werden.

Und wichtig ist noch dies: Wenn wir endlich die Lehren aus Krieg und Kaltem Krieg ziehen wollen, in denen Nazioffiziere und -soldaten Verbrechen begingen und dann bemäntelten, aber auch noch in der Politik mitbestimmten, dann müssen solche Veranstaltungen wie kürzlich in Weilheim beachtet werden, über die im folgenden Artikel berichtet wird.

Ulli Sander

Vor der Ausarbeitung neuer „Verteidigungspolitischer Richtlinien“

Nazi-Veteranen und Reservisten wollen ein Wort mitreden

Von Ulrich Sander

Bundeswehrminister Peter Struck hat fürs Frühjahr neue Verteidigungspolitische Richtlinien angekündigt. Sie sollen den „neuen Entwicklungen der Sicherheitslage und den neuen Herausforderungen an die Bundeswehr angepasst seien“, erfuhren wir Ende November. Wenn die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien so ähnlich auf den Weg gebracht werden, wie jene unter Minister Volker Rühe im Herbst 1992, dann dürften die höchsten Militärs und ihre Zirkel, wie etwa die Clausewitz-Gesellschaft unter Generalinspekteur a.D. Klaus Naumann, wieder ein maßgebliches Wort mitreden.

Reaktionärste Vertreter der Militärkaste stimmen sich derzeit ab, um ihre Forderungen zu formulieren und anzumelden. So berichtet in diesen Tagen das Blatt „Die Gebirgstruppe“ Nr. 5/02 über eine „richtungsweisende“ sicherheitspolitische Tagung des Deutschen Reservistenverbandes und des „Kameradenkreises“ der Gebirgstruppe – und damit sind die Veteranen aus Wehrmacht und die Reservisten wie Aktiven aus der Bundeswehr gemeint. Sie forderten unmissverständlich: „Mehr Geld für die Innere und Äußere Sicherheit“. So ähnlich klingt es auch, wenn sich höchste Industriellenkreise treffen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) machte vor der Wahl Druck und forderte "eine Erhöhung der Rüstungsausgaben um drei Mrd. Euro pro Jahr zur Modernisierung der Bundeswehr". Der BDI-Präsident Michael Rogowski mischte sich persönlich ein: "Es muss deutlich mehr investiert werden". Zwei Mrd. Euro sollten durch Umschichtungen im Verteidigungshaushalt des Bundes zusammenkommen. Eine Milliarde Euro müsse "zusätzlich oben drauf gepackt werden", verlangt Rogowski. Er forderte bei Auftragsvergaben vorrangig deutsche Unternehmen zu berücksichtigen.

Die deutsche wehrtechnische Industrie sei "unverzichtbarer Bestandteil der europäischen Industrie und Rüstungsbasis." Ohne eine starke Rüstungsindustrie werde es "Deutschland schwer haben, seinen Stimme zu erheben", wenn es um internationale Entscheidungen gehe", monierte der BDI-Präsident. Und sein Wille ist der Regierung Gesetz. Ungeachtet Haushaltsdefizit und Sparpaket: Beim Kriegsgerät wird nicht gespart. Allen verwirrenden Medienüberschriften wie „Die Bundeswehr muss drastisch sparen“ (Westfälische Rundschau, 2.12.02) zum Trotz: Es wird nicht etwa aus dem Militärhaushalt in den Sozialhaushalt umgeschichtet, sondern allenfalls einige Rüstungsprogramme werden gestreckt. Die Expertin Anne Rieger hat in „Ossietzky“ kürzlich vorgerechnet:

Dem Rüstungsetat 2003 stehen wie geplant 24,4 Mrd. Euro zur Verfügung. Das ist ein Zuwachs von 767 Mio Euro im Einzelplan gegenüber der bisherigen Finanzplanung. Darüber hinaus können für Investitionen in die Modernisierung der Bundeswehr Mehreinnahmen bis zu einer Höhe von 614 Mio.Euro jährlich aus der Veräußerung überschüssigen Materials sowie aus Grundstücksverkäufen, Vermietung und Verpachtung eingesetzt werden. Das sind über 25 Mrd. Euro. „Mit diesen Mitteln sowie Ausgabeersparnissen aus der Umstrukturierung und Effizienzsteigerung, die in voller Höhe dem Verteidigungshaushalt verbleiben, können die notwendigen Reformen, insbesondere die Stärkung der Strukturinvestitionen ... bewältigt werden“, so die Bundesregierung in einer Pressemitteilung vom 20.11.2002. Weiter: „Für Operationen zur Terrorbekämpfung sowie für sonstige Auslandseinsätze sind in den Jahren 2003 bis 2006 jeweils insgesamt 1.153 Mio.Euro veranschlagt, die bei Bedarf über Haushaltsvermerke verstärkt werden können. Damit ist in genügender Weise Vorsorge für internationale Einsätze der Bundeswehr getroffen“. Den Forderungen des Herrn Rogowski kommt die Regierung also sehr nahe.

Die Militaristen und ihre Verbände legen noch nach. Auch künftig wollen sie, so der Reservistenverband und der Kameradenkreis auf ihrer Tagung in Weilheim, nicht abseits stehen, wenn es um das Wohl und Wehe deutscher Soldaten geht. Gefordert werden immer neue Auslandseinsätze der Truppe und auch Einsätze im Innern. Und das kostet.

"Die Bundeswehr und die Herausforderungen beim Kampf gegen den internationalen Terrorismus" war das Thema der prominent besetzten Podiumsdiskussion im Rahmen der Tagung, deren Resultate in der „Gebirgstruppe“ breit gestreut werden. Neben dem bayerischen Innenminister Günter Beckstein und Kurt Rossmanith, Obmann für Sicherheits- und Verteidigungspolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, fand sich auch General a.D. Dr. Klaus Reinhardt ein. Es gelte, sich von den „Zwängen der Sparpolitik“ zu befreien, wurde verlangt. Die Herren beriefen sich auf General Harald Kujau, höchster deutscher Vertreter bei der NATO und ehemaliger Generalinspekteur, der gewarnt hatte, daß die eingeleitete Bundeswehrreform ohne deutliche Mittelaufstockung nicht mehr machbar sei. Sein Chef, NATO-Boß und US-General George Robertson, hatte Druck gemacht: Statt 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes müssten 2 Prozent für die „Verteidigung“ ausgegeben werden; das sind weit über 30 Milliarden Euro allein in Deutschland.

General a.D. Klaus Reinhardt erklärte: Es würden „weitreichende Transportmittel, um entfernt liegende Einsatzorte überhaupt erst erreichen zu können,“ benötigt. Mit Blick auf die neuen Aufgaben – die in neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien zu formulieren wären – stellte Reinhardt die rhetorische Frage, „ob unsere Bundeswehr, die traditionell auf Bündnis- und Landesverteidigung angelegt war, mit ihrer weitgehend überholten technischen Ausrüstung von gestern überhaupt noch in der Lage ist, den Gefahren von heute und morgen angemessen zu begegnen.“

Der ehemalige KFOR-Oberbefehlshaber und prominente Gebirgsjäger Reinhardt wies noch auf eine weitere Frage hin, die in den ebenfalls sehr aggressiv formulierten Verteidigungspolitischen Richtlinien von 1992 – Rohstoffquellen und Handelswege sollte die Bundeswehr militärisch freikämpfen - noch offen blieb: Warum man denn die Bundeswehr nicht zu Hause einsetze. Schließlich sei es doch die zentrale Aufgabe der KFOR und anderer internationaler Eingreiftruppen gewesen, für "innere Sicherheit" zu sorgen. “ Die Berufung auf die Geschichte ist nicht mehr zeitgemäß", sagte Günther Beckstein, CSU-Innenminister, dem General zustimmend, zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren und attestierte denjenigen "ideologische Scheuklappen", die nicht über das Thema reden wollten. "Es wäre unerträglich, wenn wir unter den zivilisierten Ländern beim Kampf gegen den Terror abseits stehen würden." Wenn ein entführtes Flugzeug im Anflug auf das Münchner Oktoberfest sei, brauche man da nicht die Bundeswehr, fragte Beckstein und verschwieg, daß Bundeswehrflugzeuge für solche Fälle sich ständig in der Luft befinden. Kurz nach dem 11. September 2001 waren CSU-Sprecher noch deutlicher: Bei den Millionenmassen von Muslimen in Deutschland brauche man vermutlich Militär zu ihrer Disziplinierung.

Beim sich anbahnenden US-Krieg gegen den Irak sollen Deutschland und Europa ebenfalls auf jeden Fall ein Wort mitreden, so Beckstein aus dem CSU-Kompetenzteam. Und weiter: "Die Freiheit wurde dadurch gesichert, nicht eingeschränkt," so lobt Beckstein seine und Schilys „Sicherheitspakete“.

Prof. Dr. Steinkamm, Jurist von der Bundeswehrhochschule und Oberst der Reserve, wünscht sich wie auch Beckstein weitere Gesetze, so ein „Bundeswehraufgabengesetz“, ja sogar eine Grundgesetzänderung: Dringend erforderlich sei diese, um es beispielsweise der Bundeswehr zu ermöglichen, die Polizei beim Schutz auch ziviler Objekte „auch im Heimatland“ einzusetzen, „eine Aufgabe, welche die deutschen Soldaten derzeit im Ausland mit anerkanntem Erfolg wahrnehmen.“

Junge und alte Ultrarechte können derartiges alle zwei Monate im Blatt "Gebirgstruppe" lesen. Es ermahnt seine Leser, nicht "vorbehaltlos einem verordneten und von einer Gedankenpolizei ideologisch gelenkten und kontrollierten Meinungsklischee zu folgen.“ Erwünscht ist offenbar die Übernahme auch dieser Gedankenpolizei durch die Bundeswehr – im Inneren wie im Äußeren.