23.09.03
"Furchtbare Juristen"?
Geldstrafen wegen Störung eines
Nazi-Aufmarsches gegen zwei Antifaschisten
Keine normale Verhandlung ist das am 22. September vor dem
Münchener Amtsgericht: "Es ist der Saal so voll wie selten am Amtsgericht, und Richter Max
Boxleitner lässt sogar zu, dass Zuhörer stehen. Für niemanden hier ist das eine
normale Verhandlung – denn würde bei einer normalen Verhandlung der Angeklagte die
Zuhörer draußen mit einer kleinen Ansprache begrüßen? Würde sich bei einer
normalen Verhandlung ein Besucher das Buch „Furchtbare Juristen“ solange vor
den Bauch halten, bis sich der Richter das verbittet? Und würde bei einer
normalen Verhandlung der Angeklagte zu Beginn ein Manifest verlesen, das anhebt
mit den Worten „Dies ist ein politischer Prozess“? Den Prozess hat der
Angeklagte gewollt, gegen einen Strafbefehl über 1.500 Euro Einspruch
eingelegt", schreibt die Süddeutsche Zeitung am 23.
September über diesen Prozess.
Die Angeklagten, die hatten am 30.11.2002 gegen den
Nazi-Aufmarsch gegen die damals in München gastierende
Wehrmachtsausstellung protestiert. Die Nazi-Demo hatten Christian
Worch und Martin Wiese angemeldet. Letzterer gehört zu der
inzwischen verhafteten Neonazi-Truppe, die mehrere Kilo
Sprengstoff gehortet zwecks Durchführung von Anschlägen auf
jüdische, griechische und islamische Einrichtungen - darunter
auch die feierliche Grundsteinlegung für das Neuen Jüdischen Gemeinde- und
Kulturzentrum - hatten.
Hier stehen aber nun Antifaschisten vor Gericht: Der Maschinenschlosser Christiaan
B. hat bei der Demonstration gegen den Neonazi-Aufmarsch Stadtpläne verteilt, auf denen
die Route der Rechten eingezeichnet war. Das erfülle den
Tatbestand der Störung einer genehmigten Versammlung, so die
Staatsanwaltschaft München. Später wird gegen den ehemaligen
KZ-Häftling Martin Löwenberg, Mitglied im bayerischen
VVN-Landesvorstand und aufgrund seines politischen Engagements vom Oberbürgermeister mit der Medaille "München leuchtet" ausgezeichnet,
verhandelt: Er soll den Gegendemonstranten zugerufen haben: „Es ist legitim, ja
legal, sich den Totengräbern der Demokratie entgegenzustellen.“
Ihm wird derselbe Vorwurf gemacht. In den Augen des Gerichts war dies der Aufruf zu einer strafbaren Blockade des genehmigten Naziaufmarsches..
Martin Löwenberg hatte sein Verhalten so begründetet: „Die Nazi-Diktatur war nicht über Deutschland hereingebrochen, sie war keine unverhinderbare Katastrophe, sie ist von Menschen gemacht worden und kann auch daher von Menschen verhindert werden.“ Diese Lehre aus der Geschichte habe sich im Grundgesetz niedergeschlagen, das weit höher zu bewerten sei, als die Versammlungsfreiheit von Neonazis.
„Rechtswidrig, wenn auch ohne Erfolg“ nennt der Richter die Taten:
Die Blockade des Nazi-Aufmarsches gelang schließlich nicht.
Verurteilt wurden beide - wegen Störung einer genehmigten
Versammlung und Aufruf zu strafbaren Handlungen: Christiaan B. zu
900 Euro, Martin Löwenberg zu 300 Euro.
"Ich schäme mich für den Rechtsstaat, dass ich hier stehen muss, um diesen Mann zu verteidigen",
hatte Rechtsanwältin Angelika Lex in ihrem Schlussplädoyer verkündet. Antifaschistisches Engagement der Bürger sei
schließlich notwendig zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung,
wenn Polizei wie Justiz hierzu offensichtlich nicht in der Lage seien. Im Polizeiprotokoll über Löwenbergs Rede sei beispielsweise von einer
"KZ-Häftlingskleidung" die Rede gewesen. Ebenso habe
Löwenberg über die "Reichspogromnacht" am 9. November 1938
geredet. Offensichtlich habe weder der Staatsschutz, noch der Staatsanwalt oder der Richter dies gelesen. "Wie kann ich einem Staat bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus vertrauen, wenn die dafür zuständigen Beamten nicht einmal die geschichtlichen Grundbegriffe aus dem Unterricht der 3. Klasse kennen",
so die Verteidigerin.
Mit Rufen wie "Nicht in meinem Namen" protestierten die
antifaschistischen Zuschauer gegen dieses Urteil. Mehrere, darunter
auch der Fraktionschef der Münchner Grünen, Siegfried Benker, wurden daraufhin vom Richter des Saales verwiesen. Am
6. Oktober steht Stadtrat Benker selber vor Gericht. Auch er hatte
im vergangenen Jahr dazu aufgerufen, den Naziaufmarsch zu verhindern.
Das Buch "Furchtbare Juristen" hatte einer der
Angeklagten in der Verhandlung hochgehalten. Ja, man fragt sich
wirklich, ob diese Richter, die Antifaschisten verurteilen und
gegen Rechte Milde walten lassen, nicht auch unter diesem Titel zu
fassen sind???
Jan Große Nobis
VVN/BdA Münster
Siehe dazu auch die Pressemitteilung der Bundesvereinigung der
VVN/BdA:
Ehemaliges NS-Opfer wegen Aktivitäten gegen Neonazis verurteilt
Engagement gegen Neonazis gehört belobigt und nicht bestraft
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