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Nazis raus aus dem Internet

 

16.07.03

Zum Tode von Werner Stertzenbach

Den Opfern ein Helfer, den Nazis ein Verfolger

Unser Freund Werner Stertzenbach ist 94-jährig am 10. Juli gestorben. Am 4. April 1909 in Essen als Sohn einer jüdischen Handwerkerfamilie geboren, kam Werner, schon früh in proletarischen Kulturorganisationen aktiv, so bei den Arbeiterstenografen, Arbeiterfotografen und Arbeiteresperantisten. 1929 wurde er Mitglied der KPD. Die Nazis zwangen ihn zur Flucht nach den Niederlanden, die eine zweite Heimat für ihn wurden und wo er auch seine Frau Alice kennen lernte, seine Gefährtin bis zum Tode, die die unvergessene Entschädigungsexpertin der VVN-BdA wurde. Nach dem Überfall Hitlerdeutschlands auch auf die Niederlande wurde Werner Stertzenbach 1940 verhaftet und in das Judenlager Westerbork gebracht. Von dort wurden über 100.000 Menschen in die Vernichtungslager deportiert. Ihm gelang mit Hilfe von Widerstandskämpfern 1943 die Flucht.

Als einer der wenigen seiner Familie, die den faschistischen Terror überlebt hatten, setzte Werner Stertzenbach nach 1945 seine schon in den 20er Jahren begonnene journalistische und politische Arbeit fort - in den vielfältigsten Funktionen, z.B. von 1960 bis 1972 als Chefredakteur der antifaschistischen Wochenzeitung "Die Tat", später als Landessekretär der VVN-BdA NRW. Wie vielen seiner von den Nazis verfolgten Genossen wurde auch dem Kommunisten Werner Stertzenbach unter Adenauer die Entschädigungsrente entzogen. Dennoch blieb er der "Nazijäger", allerdings war er viel zu bescheiden, um sich diesen Titel zu genehmigen.

Weil die "Tat" den Bundesvertriebenenminister Theodor Oberländer als Nazimörder entlarvte, wurde 1960 gar Stertzenbachs Zeitung beschlagnahmt, zeitweilig verboten. Doch nach Jahren setzten sich die Antifaschisten gegen Oberländer durch, er mußte als Minister gehen. Viele Nazis im Amt haben Werner Stertzenbach und die "Tat" angegriffen. Das offizielle Bonn, auch die SPD-Opposition, nannte dies "Propaganda aus dem Osten". Die Botschaft der "Tat" wurde mißachtet. Später konnte man sie nicht länger mißachten: Staatssekretär Prof. Vialon, Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, Landesministerpräsident Hans Filbinger und vor allem Kanzleramtsstaatssekretär Hans Globke, alle als Nazi-Täter enttarnt, ihre Fälle standen in der "Tat", bis sie dann auch außerhalb der Kreise des deutschen Widerstandes Empörung auslösten.

An vielen Prozessen hat Werner Stertzenbach als Pressebeobachter teilgenommen: Auschwitz-Prozeß, Maidanek-Prozeß, es begann mit dem Eichmann-Prozeß in Jerusalem. Als Werner Stertzenbach dorthin als Sonderkorrespondent fuhr, titelte die "Tat": "Sensation im Eichmannprozeß". Das war als Anreißer zu der Frage gedacht, ob der Leiter des SS-Judenreferats und Organisator des millionenfachen Mordes, Adolf Eichmann, der sich immer als "kleines Rädchen" schilderte, über jene sprechen würde, die die Rädchen bedienten. So über Adenauers Staatssekretär Hans Globke. Doch Eichmann schwieg über seine Helfershelfer, Komplicen und Anstifter. Westdeutsche Behörden, hatten über Eichmanns Anwalt Kontakt zu ihm aufgenommen und zur Disziplin und Zurückhaltung ermahnt.

Ich fragte einmal Werner Stertzenbach nach seiner verstorbenen Frau Alice. "Sie hat große Arbeit als Entschädigungsreferentin der VVN geleistet, aber schon zu ihrer Zeit mußte man erkennen: Wir haben diesen Prozeß verloren. Das Bundesentschädigungsgesetz grenzte zu viele aus. Die Kommunisten, die vor und nach 1945 einsaßen, wurden nach § 6 ausgegrenzt. Heute leben davon nur noch wenige Betroffene. Sie wurden nicht rehabilitiert."

Schon in Nürnberg beim Hauptkriegsverbrechertribunal wurde die Schuld der Konzerne nachgewiesen - nicht nur die Schuld der SS, kam Werner Stertzenbach auf sehr aktuelle Fragen zu sprechen. "Weil die hohen NS-Wehrwirtschaftsführer sich so lange auf der Kommandobrücke von Wirtschaft und Politik in Westdeutschland halten konnten, sorgten sie dafür, daß man die Konzerne nicht zur Bezahlung für die Sklavenarbeit heranzog. Daß sie die Sklavenarbeiter anforderten, wurde schon in Nürnberg nachgewiesen und dann fünfzig Jahre lang 'vergessen'." Nur ganz unzureichend wurden die Zwangsarbeiter dann ab 2002 entschädigt. Dennoch freute sich Werner über dises späte Ergebnis auch seiner Arbeit.

Der alte antifaschistische Journalist erinnerte sich: "Eines Tages las ich eine lokale Notiz in einer Oberhausener Zeitung, daß ein Herr Dr. Heinrich Bütefisch zum Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen worden war. Der Name kam mir bekannt vor. Bütefisch war im IG Farben-Prozeß verurteilt worden. Ich rief in Bonn an: Wie kommen Sie auf Bütefisch, das ist doch ein verurteilter Verbrecher aus der Spitze der IG Farben. Man sagte: Die Wirtschaft habe ihn vorgeschlagen."

Werner Sterzenbach, so schrieben seine Freunde in einer Zeitungsanzeige, werde ihnen sehr fehlen: "Das Beispiel seines Lebens jedoch ist uns Ansporn und Verpflichtung, das von ihm mitbegonnene Werk wie Werner als 'brave Soldaten im Befreiungskampf der Menschheit' (Heinrich Heine) fortzuführen. Salut, lieber Werner!"

Ulrich Sander

Dieser Artikel ist gekürzt in der "jungen welt" erschienen.