03.05.03
Ein Bescheid gegen ehemalige sowjetische Kriegsgefangene
Am 28. Febr. 2003 hat das Verwaltungsgericht Berlin einen einstweiligen Rechtsschutzantrag gegen die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesstiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" zurückgewiesen: Zwei ehemalige sowjetische Kriegsgefangene, - vertreten durch den Rechtsanwalt Stefan Taschjian - hatten Rechtsansprüche auf Entschädigung geltend gemacht.
Die Kläger sind heute 82 und 79 Jahre alt, mussten schwere Zwangsarbeit leisten und leben heute in großer Armut. "Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens", heißt es im Ablehnungsbescheid des Verwaltungsgerichts.
Obwohl im Partnerschaftsvertrag zwischen der Bundesstiftung und der russischen "Stiftung für Verständigung und Aussöhnung" festgelegt wurde, dass "schnellstmögliche Gewährung von Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter und an von anderem Unrecht aus der Zeit des Nationalsozialismus Betroffene zu erfüllen" sind, wird das Unrecht an den heute schätzungsweise noch 45.000 lebenden ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen weder mit einer "humanitären Geste" entgolten noch haben sie irgendwelche Rechtsansprüche gegenüber der Bundesregierung. Dies hat nun das Verwaltungsgericht Berlin bestätigt. In der Begründung heißt es unter anderem: "Gemäß § 11 Abs. 3 StiftG begründet Kriegsgefangenschaft keine Leistungsberechtigung". Das Gericht relativiert diese Aussage mit dem Zitat des Beschlusses der Bundesstiftung vom August 2001, "dass Kriegsgefangene, die in ein KZ verbracht worden seien, der Kriegsgefangenenstatus nicht entgegengehalten werden könne, da hier besonders NS-ideologisch motivierte Diskriminierung und Misshandlungen ausschlaggebend gewesen seien." Dagegen an anderer Stelle: "Eine Entschädigung der Kriegsgefangenen hätte die Einzelleistungen aus der Gesamtsumme (von 10 Mrd. DM für Zwangsarbeiter) erheblich geschmälert. Zudem hätte sie die Frage nach Entschädigung deutscher Zwangsarbeit in der Sowjetunion aufgeworfen, was nicht erwünscht gewesen sei."
Damit wird keine Antwort gegeben auf die begründete Feststellung der Kläger, dass für sowjetische Soldaten nicht der Status der Kriegsgefangenschaft gegolten, sondern die NS-ideologisch motivierte Vernichtung im Vordergrund gestanden habe. Ihre Haftbedingungen entsprachen der KZ-Haft. Das buchhalterische Argument der Schmälerung von Leistungen an zivile Zwangsarbeiter im Falle von Auszahlungen an ehemalige Kriegsgefangene widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz für NS-Opfer. Die Begründung schließlich, dass man offensichtlich keine Ansprüche ehemaliger Wehrmachtsagehöriger wecken wolle, die beim Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion mitwirkten, widerspricht allen moralischen Grundsätzen, die bisher den Entschädigungsleistungen für NS-Opfer zu Grunde lagen.
Prof. Dr. Klaus Meyer
Stellvertretender Vorsitzender von KONTAKTE-KOHTAKTbl e.V.,
ehemaliger Kriegsgefangener in der Sowjetunion
Eberhard Radczuweit
Projektleiter von KONTAKTE-KOHTAKTbl e.V.
Einen ablehnenden Bescheid des Verwaltungsgerichts erhielt heute auch ein
Anwalt italienischer Kriegsgefangener, die als Opfer des NS-Regime von der
Bundesregierung ebenfalls ignoriert werden.
Zuwendungen an ehemalige sowjetische Kriegsgefangene werden von
KONTAKTE-KOHTAKTbl e.V. in Zusammenarbeit mit RA Stefan Taschjian und Prof.
Pavel Poljan weitergeleitet: Spendenkonto: 306 55 99 006, Berliner
Volksbank, BLZ 10090000, Kennwort: KRIEGSGEFANGENE
Dazu eine erster Protestbrief
aus Armenien:
Zu meiner Autobiografie vom 1. 05. 2001, die dem Anwalt Stepan Tastschjian
übergeben wurde, kann ich für Ihren Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e. V. das
unten Folgende ergänzen:
Ich, der ehemalige Kriegsgefangene Pekrtschjan, Garusch Arugjunowitsch, den
die Wehrmacht hinter Stacheldraht warf und zu Zwangsarbeit unter unmenschlichen Bedingungen verurteilte, die ich bei den Deutschen erlitt und
Invalidität der 1. Stufe davontrug, bin zutiefst empört über die
Ungerechtigkeit der deutschen Regierung. Seit 20 Jahren bin ich ans Bett
gefesselt. Dies ist die Einschätzung der deutschen Regierung: Ich bin
einfach erschüttert, dass die deutsche Regierung ein "Gesetz" über
Entschädigung nur für Gefangene der Konzentrationslager erlassen hat. Die
deutsche Regierung will ihre Schuld nur in Bezug auf die Kriegsgefangenen in
den Konzentrationslagern begleichen. Es ist ungerecht, sogar schändlich,
dass ein nicht durchdachtes Gesetz erlassen wurde. Wenige Deutsche wissen
eben davon, vom Krieg, unschuldige Menschen sind spurlos umgekommen.
Die deutsche Regierung muss ihr "Gesetz" vom 2. August 2000 über die
Gründung des Fonds "Erinnerung und Zukunft" verändern oder ergänzen. Ihre
Schulden für alle Territorien der Welt begleichen, wo durch die Schuld
Deutschlands Millionen Menschen ihr Leben spurlos verloren haben, und die
Lebenden waren in Gefangenschaft, leisteten Zwangsarbeit für den Deutschen.
Deutschland muss seine Schulden an alle bezahlen, die während des Krieges
gelitten haben.
Ich, der ehemalige Kriegsgefangene Pekrtschjan, Garusch Arugjunowitsch, bin
nach meiner Geburtsurkunde Jahrgang 1906, tatsächlich bin ich aber am 20.
Januar 1898 geboren, so dass ich 104 Lebensjahre vollendet habe. In diesen
Jahren habe ich sehr viel erlebt und erlitten. 1949 wurde ich mit meiner
Familie zur Spezial-Ansiedlung für sechs Jahre nach Sibirien verbannt, weil
ich in Gefangenschaft war und für den Deutschen in Deutschland gearbeitet
habe. Ich verlor meine ganze Wirtschaft, das Haus, mein Hab und Gut, alles,
was ich durch meine Arbeit geschaffen hatte, wurde vom Staat konfisziert.
Bis auf den heutigen Tag wurde nichts zurückerstattet.
Daran ist Deutschland schuld, denn der Initiator des Krieges war
Deutschland. Ich trug die Invalidität 1. Stufe davon. Mich und viele, viele
Kriegsgefangene peinigten sie, schlugen uns mit Eichenknüppeln, verhöhnten
uns über die Maßen. Die deutschen Offiziere taten den gefangenen Männern
Gewalt an, darunter auch mir. Ihr Verlangen nach Gewalt befriedigten sie an
uns Kriegsgefangenen, und wer sich weigerte, ihnen nachzugeben, den
erschossen sie an Ort und Stelle. Die Nazis peinigten uns nicht nur
physisch, sondern auch moralisch. Deutschland muss nicht nur für die
Konzentrationslager sühnen und zahlen, sondern auch für die moralischen
Abgründe, die die Nazis uns antaten.
Ich bin ein Greis, 104 Jahre alt, und habe nur noch wenig zu leben. Ich kann
nicht den ganzen Krieg seit meiner Gefangennahme beschreiben, es wäre ein
schreckliches Schauspiel. Ich schreibe kurz, damit Ihr Verein die Möglichkeit erhält, der deutschen Regierung das Schicksal der ehemaligen
sowjetischen Kriegsgefangenen zur Kenntnis zu geben.
Meine gegenwärtige soziale Situation:
Invalide der 1. Stufe, was ich während der Kriegsgefangenschaft davontrug.
Wir leben sehr elend. Seit 20 Jahren bin ich ans Bett gefesselt, Mittel habe
ich für nichts. Meine 98jährige Frau leidet an Arteriosklerose. Unsere Rente beträgt 12 amerikanische Dollar. Das reicht gerade für trocken
Brot.
Kein Geld für Arzneimittel, für Ernährung, für alle anderen menschlichen
Bedürfnisse, zum Leben. Mit einem Wort, wir sind sehr arm. Niemand besucht
uns oder hat uns mit irgend etwas geholfen.
Meine Hoffnung war, von der deutschen Regierung Entschädigungszahlungen zu
erhalten, aber am 3. April erhielt ich von Anwalt Stepan Taschjian einen
Brief, dass mir keine Entschädigung für Kriegsgefangene zustehe, da das im
"Gesetz" Deutschlands für Gefangene nicht vorgesehen sei.
Deutschland hat Millionen Leben Unschuldiger hinweggefegt. Es muss seine
Schuld vor allen Opfern begleichen, die in Gefangenschaft waren und die
spurlos umgekommen sind, denn der Initiator des Krieges war Deutschland.
Ich bereite eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland
vor. Über den "Schutz der Menschenrechte" alles ausführlich aufschreiben.
Von Deutschland für den moralischen Schaden und die Entschädigungszahlungen
fordern, die Deutschland uns schuldet.
Herr Eberhard Radczuweit, wenn Ihr Verein die Möglichkeit hat, bitte ich Sie
inständig, helfen Sie meiner Familie mit Finanzen, unterstützen Sie meine
Existenz bis zum Ende meines Lebens. Ich bitte sehr darum, ich bitte
inständig um Hilfe.
Ich schicke Ihnen mein Foto und den Brief, in dem nicht alles beschrieben
ist.
Meine Adresse:
Armenien
Araratskaja Gubernija (Gouvernement Ararat)
Stadt Masis n/ul. 16/4, kw. (Wohnung) 39
Pekrtschjan, Garusch Arugjunowitsch
Nachtrag vom Verein KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V.
Wir haben bisher lediglich 1200 Eur an sechs besonders bedürftige ehemalige
Kriegsgefangene in Armenien auszahlen können und möchten unsere Solidaritätskampagne erweitern.
Wer sich beteiligen will, Nachricht an kontakte@snafu.de.
Wer Herrn Pekrtschjan helfen will, hier
nocheinmal unsere Konto-Nr.:
KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V.
Berliner Volksbank,
BLZ: 10090000,
Kto.-Nr.: 306 55
99 006
Kennwort: KRIEGSGEFANGENE
Spenden werden von Taschjians Anwaltsbüro in Eriwan übermittelt.
E.R.
http://www.kontakte-kontakty.de/rahmen.html
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