24.07.03
Ulrich Sander
Verbotener Antifaschismus
Antifaschistische
Veranstaltungen zur Wehrmachtsausstellung im Dortmunder Rathaus
verboten
veröffentlicht in: Ossietzky, Nr.
15, 26.07.03
Seit dem Karlsruher Quasi-Freispruch für die NPD ist offenbar die Hauptsorge von Verfassungsschutzämtern, Polizei und Strafverfolgungsbehörden auf den störungsfreien Ablauf von Neonazi-Aktionen gerichtet. Wenn Antifaschisten protestieren, gilt das nach dem Desaster von Karlsruhe als verfassungsfeindliche Infragestellung von Bürgerrechten der politischen Konkurrenz. Der Schutz der Nazis erhält geradezu Verfassungsrang. Die größte Nachfolgeorganisation der verbrecherischen NSDAP, die NPD, darf zusammen mit anderen Alt- und Neonazis an fast jedem Wochenende mit ihren widerlichen Parolen durch irgendeine Stadt unseres Landes marschieren und kann mit staatlich bezahlten V-Leuten ihre Kaderbestände auffüllen. Auch die sogenannten "Kameradschaften", unmittelbare Nachfolgeorganisationen der in den neunziger Jahren verbotenen Neonazigruppen, agieren nahezu ungehindert. Mittels ihrer Aufmärsche gelang es ihnen schon in vielen Städten, neue Ortsgruppen zu rekrutieren.
Andererseits wurden Jugendliche, die gegen die Nazis demonstrierten, von der Polizei in Kesseln zusammengepfercht; niemand aus den großen Kesseln von Düsseldorf und Dortmund wurde bisher rehabilitiert. Nicht einmal Versammlungen mit dem Präsidenten des Zentralrates der Juden konnten in Nordrhein-Westfalen ohne Aufmärsche der Antisemiten stattfinden. In Hagen tat sich die Polizeipräsidentin mit dem Aufruf hervor, nicht gegen die Nazis zu demonstrieren, auf jeden Fall aber auf die Verwendung von Trillerpfeifen zu verzichten, weil dies eine Störung einer genehmigten Veranstaltung darstelle; eine solche Störung werde mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft. In Wuppertal stehen derzeit 70 Jugendliche vor Gericht, weil sie - ohne Trillerpfeifen - Naziversammlungen störten. Die Pfeife von Staatsanwalt ließ sich mit einem besonders überzeugungskräftigen Argument vernehmen: Er ermahnte die Angeklagten, indem er sie mit den Nazis auf eine Stufe stellte: "Was Du nicht willst, daß man dir tu, das füg auch keinen andern zu..."
Im Aachener Raum reagierten Strafverfolgungsbehörden auf Beleidigungsklagen der Neonazis, indem sie Antinazis nicht nur verhörten, sondern auch fotografierten und ihre Wohnungen durchsuchten. So schanzten sie den Neonazis Material für deren Anti-Antifa-Terror zu. Gleichzeitig blieben Gesetzesverstöße der Neonazis ohne Strafverfolgung.
Daß jetzt dem Linken Bündnis aus PDS und DKP im Dortmunder Rathaus Begleitveranstaltungen zur Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht verboten wurden, ist eine ganz besondere Streicheleinheit für die Braunen, die Proteste gegen die Ausstellung angekündigt haben, ohne daß die Stadt bisher reagierte. Im offiziellen Programmheft zur Ausstellung ist zwar das Rathaus als einer der Veranstaltungsorte genannt. Aber nun will Oberbürgermeister Gerhard Langemeyer (SPD) davon nichts mehr wissen, und er sperrte sogar Professor Kurt Pätzold aus Berlin aus, einen Experten von Graden
(und gelegentlich Ossietzky-Autor).
Dies erinnert an München im Jahre 1997. Die Ausstellung wurde dort von Neonazis und Teilen der CSU heftig angegriffen. Doch anders als Langemeyer hielt der dortige Oberbürgermeister Christian Ude stand. Die Ausstellung und die Begleitveranstaltungen fanden statt - und zwar im Rathaus am Marienplatz. Will die Stadt Dortmund in vorauseilendem Gehorsam den Forderungen der Rechten Folge leisten?
Antifaschisten schrieben an die Stadtverwaltung, sie vermissten bisher eine entschiedene, möglichst einstimmige Absage des Rates der Stadt an die geplanten Naziprovokationen gegen die Ausstellung. Die VVN-BdA wies darauf hin, daß ausgerechnet zum 20. September, wenn sich mehrere Massaker von Wehrmachtsangehörigen an Zivilisten und Kriegsgefangenen zum sechzigsten Mal jährten, Neonazis unter der verlogenen Losung, es habe keine Wehrmachtsverbrechen gegeben, einen Aufmarsch gegen die Ausstellung planten. In der Zeit vom 17. bis 22. September 1943 hatten deutsche Wehrmachtssoldaten über 5000 wehrlose italienische Kriegsgefangene ermordet. Das Verbrechen geschah auf der griechischen Insel Kephalonia. Unschuldige griechische Zivilisten - Frauen, Kinder, alte Leute - wurden im Herbst 1943 zu Tausenden in Lyngiades und rund 30 weiteren griechischen Orten von Wehrmachtseinheiten ermordet. Viele dieser Orte wurden niedergebrannt, im Nazi-Jargon "ausgemerzt".
Deutsche Gerichte haben bisher nahezu alle Verfahren gegen Wehrmachtsangehörige eingestellt. Auch die Ausstellung zeigt mutmaßliche Täter in Wehrmachtsuniform nur dann, wenn diese nicht mehr unter den Lebenden sind. Die VVN-BdA und die Arbeitsgruppe "Angreifbare Traditionspflege" haben hingegen rund 200 noch lebende Täter ausgemacht. Der Dortmunder "Zentralstelle im Lande NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" wurden über hundert Namen allein zum Fall "Kephalonia" zugeleitet. Der Massenmord der Wehrmacht von Kephalonia wird derzeit von dieser Zentralstelle untersucht, eine Anklage gegen zahlreiche mutmaßliche Täter steht bevor.
Von der Landesregierung, dem Dortmunder Oberbürgermeister und dem Polizeipräsidenten haben die Antifaschisten in ihrem Brief gefordert, die geplante Neonaziprovokation gegen die Wehrmachtsausstellung und die Dortmunder Zentralstelle zu unterbinden. Und auch das Aussperren des Linken Bündnisses aus dem Rathaus zu unterlassen.
http://www.sopos.org/ossietzky/
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