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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

 

 

 

 

 

 

Nazis raus aus dem Internet

 

 

 

 

 

"Erinnern für die Zukunft – Für ein Europa ohne Faschismus und Rassismus"

Jupp Angenfort

Referat auf der Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA am 26. August 2000 in Bochum

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Nazianschläge und rassistischen Terror. Aber es vergeht auch kein Tag, da nicht alle Welt jene Aktionen und Positionen verlangt, denen wir uns als VVN-BdA seit 55 Jahren verschrieben haben und für die Ältesten von uns ihr Leben gewagt haben: Schluß mit Gewalt, Völkerhetze, Rassenwahn, verteidigt die Demokratie und die Freiheit, erkämpft die Menschenrechte. Wir freuen uns über die Aufwertung des Antirassismus und des Antifaschismus in der Öffentlichkeit. Wir hoffen, daß dies keine Eintagsfliege ist. Wir hoffen zudem, daß die Regierung endlich die Diffamierungen des Antifaschismus und der Friedensbewegung in den Verfassungsschutzberichten einstellt. Denn der Feind steht rechts! Stellen wir uns ihm entgegen und tun wir es mit allen Demokraten gemeinsam.

Der Berichtszeitraum seit der letzten Landesdelegiertenkonferenz 1998 unserer nordrhein-westfälischen VVN-BdA war voller Herausforderungen, denen wir uns gestellt haben, und dies auch mit Erfolg. Wir setzten uns ein für die überlebenden Opfer des NS-Regimes, für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, für die nun endlich ein Stück Gerechtigkeit erkämpft wurde. Wir traten der Umwidmung der Gedenkstätten in "antitotalitäre" Schlußstricheinrichtungen entgegen. Wir nahmen teil an der antifaschistischen politischen Bildung und Erinnerungsarbeit unter Schülern und Jugendlichen. Wir waren vor allem in der Friedensbewegung gefordert.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

in der Charta der Vereinten Nationen heißt es: "Die Völker der Vereinten Nationen sind fest entschlossen, künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren ... Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und Achtung vor den Verpflichtungen aus den Verträgen des Völkerrechts gewahrt werden können ... Die Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden zu wahren."

Das ist unsere Position. Sie zu verwirklichen, setzen wir all unsere Kräfte ein.

Wir zitieren oft den Kerngedanken des Schwurs der Häftlinge von Buchenwald "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!". Wenn wir das vor einigen Jahren taten, schauten uns viele Leute etwas ungläubig an und in ihren Gesichtern stand die Frage geschrieben: "Wo ist denn der Krieg, in den Deutschland verwickelt werden könnte?" Und dann geschah am 24. März 1999 das scheinbar Unglaubliche. Der souveräne Staat Jugoslawien, Mitglied der Vereinten Nationen, wurde überfallen. Gemeinsam mit anderen NATO-Staaten bombardierten deutsche Flieger fast drei Monate lang Belgrad und andere Städte. Viele Tausende Menschen wurden getötet. Das Land wurde wirtschaftlich auf den Stand vor dem 1. Weltkrieg zurück gebombt. Und alles geschah unter Bruch des Grundgesetzes und des Völkerrechtes.

Ich möchte dem Innenminister unseres Landes Nordrhein-Westfalen, der ja in erster Linie Verfassungsminister ist und über die Wahrung des Grundgesetzes und der Landesverfassung wachen soll, eine Frage stellen: Wo war Ihre Stimme, Herr Innenminister, als die Bomben auf Jugoslawien fielen, als Grundgesetz und Völkerrecht von der Bundesregierung mit Füßen getreten wurden? Sie haben geschwiegen, aus welchen Gründen auch immer. Die Stimme der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten aber war da, als es galt, den Frieden, Grundgesetz und Völkerrecht zu verteidigen.

Sofort am 24. März, noch bevor die ersten Bomben fielen, habe ich im Namen unserer Landesorganisation ein Fax an das Bundeskanzleramt geschickt. Es hatte folgenden Wortlaut: "Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, in Artikel 26 des Grundgesetzes wird schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges für verfassungswidrig erklärt. Antifaschisten haben seinerzeit dafür gewirkt, dass dieser Gedanke ins Grundgesetz aufgenommen wurde. Dieser Artikel des Grundgesetzes wird durch die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland am Angriff auf den souveränen Staat Jugoslawien, Mitglied der UNO, gebrochen. Wie ein militärisches Abenteuer begonnen hat, weiß man, welche Ausmaße es annimmt und wie es endet, weiß man nicht. Ich fordere die Achtung des Grundgesetzes. Ich fordere die Einstellung der Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien."

Als einige Tage später der Vorsitzende des DGB, Schulte, die Handlungsweise der Bundesregierung unterstützte, erhielt er von mir im Namen der Landesorganisation der VVN-BdA folgendes Eilschreiben: "Werter Kollege Schulte, laut Presse hast Du nach der Erklärung des Kanzlers über die Beteiligung deutschen Militärs an den Bombenschlägen gegen Jugoslawien erklärt, dass Du die Entscheidungssituation der Koalition würdigst und ihr die Unterstützung des DGB zusicherst. Dazu hast Du, Kollege Schulte, kein Recht. Kein Gremium des DGB hat Dich dazu bevollmächtigt. Du verstößt gegen Beschlüsse des DGB. Die Bombardierung Jugoslawiens ist ein Bruch des Völkerrechts und des Grundgesetzes. Schreckt Dich nicht, Kollege Schulte, die Tatsache, dass nach 1941 nun erneut deutsche Flugzeuge Belgrad bombardieren? Bomben sind keine humanitäre Hilfe, sie bringen Tod und Verderben. Der Krieg löst keine Probleme, er schafft sie."

Aber, liebe Kameradinnen und Kameraden, wir haben nicht nur unsere Stimme erhoben für Frieden, Grundgesetz und Völkerrecht. Auch die Tat, das Handeln war da. Die Landesorganisation, die Kreisorganisationen und Mitglieder haben sich an vielen Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen gegen den Völkerrechtsbruch, gegen den Überfall auf Jugoslawien beteiligt. Ich danke allen Kameradinnen und Kameraden, die an Infotischen waren, Flugblätter verteilt und gemeinsam mit anderen Demokraten bei den Ostermärschen demonstriert haben.

Menschenrechte und Völkerrecht sind für uns zwei Seiten einer Medaille. Unsere Forderung bleibt: Das Grundgesetz mit seiner Verpflichtung, Völkerrecht einzuhalten, das Grundgesetz mit seiner Friedenspflicht und dem Verbot von Angriffskriegen muss wieder gelten. Es muss Maßstab des Handelns sein.

Wir erleben zur Zeit, wie Militärs, Rüstungsindustrie und Bundesregierung Schlussfolgerungen aus dem Krieg gegen Jugoslawien ziehen. Schlimme Schlussfolgerungen: Die Bundeswehr wird als Eingreif- und Angriffsarmee ausgebaut. Damit wird, dem Wesen der Sache nach, wieder das Grundgesetz verletzt. Es heißt deswegen in einem unserer Flugblätter: "Das Grundgesetz erlaubt die Aufstellung einer Bundeswehr zur Verteidigung des Landes wie des Bündnisses. Sollte die Notwendigkeit der Landesverteidigung entfallen, so ist die Bundeswehr aufzulösen. Sie mangels eines verfassungsmäßigen Auftrages als Kriegsführungstruppe mit Auslandseinsätzen zu beschäftigen und an einer teuren Hochrüstung festzuhalten, muss den entschiedenen Widerspruch aller an Frieden, an sozialen Reformen und besserer Bildungspolitik interessierten Menschen auslösen." Und noch einen Gedanken nennt dieses Flugblatt: Wenn die Militärs und Minister Scharping von einer Veränderung in Struktur und Bewaffnung reden, die einer Neuschaffung der Bundeswehr ähnelt, dann sollte auch der Widerstand dagegen dem Protest jener Zeit der Remilitarisierung, der Schaffung der Bundeswehr entsprechen. Wir rufen alle demokratischen Kräfte dazu auf, in diesem Sinne die Friedensbewegung zu stärken.

Die Militärs, Minister Scharping und die Bundesregierung haben eine weitere Schlussfolgerung gezogen, die der Rüstungsindustrie das Herz höher schlagen lässt. Es soll aufgerüstet werden! Transportflugzeuge für die Eingreiftruppe sollen angeschafft werden. Kostenpunkt pro Stück: 120 Millionen DM. Insgesamt sollen sie 25 Milliarden DM kosten. Die Rüstungsindustrie hat ferner ganz nüchtern mitgeteilt, dass die 180 Eurofighter-Kampfflugzeuge, die die Bundeswehr bestellt hat, um sechs Milliarden teurer werden. Sie sollen statt 23 Milliarden DM nunmehr 29 Milliarden kosten. Ermöglicht werden die steigenden Kosten durch sogenannte Preisvorbehalts-Klauseln in den Verträgen des Ministeriums mit der Rüstungsindustrie. Mit Hilfe derartiger Vertragsregelungen können Firmen die Festpreise für langfristige Rüstungsvorhaben nachträglich aufstocken. Hier wird die Kumpanei zwischen Militärs, Rüstungsindustrie und Verteidigungsministerium deutlich. Es sei die Frage gestattet: Wieviel Millionen DM mögen geflossen sein, damit solch eine wunderbare Preisvorbehaltsklausel in die Verträge aufgenommen wurde? Wer soll diese Rüstungskosten bezahlen? Aufgrund unserer Erfahrungen können wir eine Voraussage treffen: Demnächst werden wir erneut hören, dass die Sozialausgaben wieder einmal beschnitten werden sollen. Und spätestens nach der Bundestagswahl im Jahre 2002 wird man uns mitteilen, dass die Mehrwertsteuer - eine reine Verbrauchersteuer - "angepasst", das heißt erhöht werden müsse.

Wir haben eine andere Auffassung. Wir fordern statt Erhöhung der Rüstungsausgaben eine erhebliche Rüstungsminderung und die Verwendung der frei werdenden Mittel für soziale, kulturelle und ökologische Belange. Das wäre sozial gehandelt. Und zugleich wären das Maßnahmen, die dazu beitragen, Neonazismus und extrem rechten Kräften Nährboden zu entziehen.

Es gibt noch eine weitere Schlussfolgerung, die die Militärs und Minister Scharping aus dem Krieg gegen Jugoslawien und aus der Zielstellung, die Bundeswehr in eine Angriffsarmee umzuwandeln, gezogen haben. Scharping und die Militärs haben sich entschlossen, weiter Nazi-Traditionen zuzulassen. Hier ist eine Tatsache: Anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor hatte der Bundestag 1998 die Regierung beauftragt, Bundeswehr-Namensgebungen zu überprüfen und bereits erfolgte Kasernenbenennungen nach Mitglieder der Legion aufzuheben. Das ist vom Tisch! Zum Beispiel soll die Kaserne, die nach Werner Mölders benannt ist, ihren Namen behalten. Wer war Werner Mölders? Mölders war Flieger-Offizier in der Legion Condor, im Auftrage Hitlers, die an der Seite des spanischen Faschisten Franco die Republik in Spanien bekämpfte. Beim Überfall auf die Sowjetunion kommandierte Mölders ein Geschwader. Er erhielt dafür die höchste Auszeichnung der Wehrmacht. Mölders war ein Nazi-Idol. Für Scharping aber liegen, wie er sagen ließ, keine Erkenntnisse vor, die die Entfernung des Kasernennamens auf Initiative des Minister rechtfertigen würde.

Wir sind da ganz anderer Meinung. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass sich aus den Erfahrungen des letzten Weltkrieges und auch aus den antifaschistischen Leitgedanken unseres Grundgesetzes ergibt, dass mit allen Nazi-Traditionen Schluss gemacht werden muss. Das sind wir den 50 Millionen Toten, die der von Hitlerdeutschland angezettelte 2. Weltkrieg verursacht hat, schuldig. Also, weg mit dem Namen "Mölders-Kaserne"! Und weg mit dem Namen "Lettow-Vorbeck-Kaserne", um ein weiteres Beispiel zu nennen. Lettow-Vorbeck war einer der führenden Köpfe des Kapp-Putsches, mit dem Generale versuchten, die Weimarer Republik durch eine Militärdiktatur zu ersetzen. Und weg mit dem Namen "Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne" in Augustdorf bei Bielefeld. Rommel war kein Mann des Widerstandes. Ganz im Gegenteil. Rommel nannte - im Jahre 1943 - in einem Befehl reguläre italienische Truppen, die auf Anordnung ihrer Regierung nicht mehr an der Seite Hitlerdeutschlands, sondern an der Seite der westlichen Alliierten kämpften, Gesindel, das jedes Anrecht auf Schonung verloren hätte. Furchtbare Greueltaten wurden durch diesen Befehl gefördert.

Ja, wir müssen auch in der kommenden Arbeitsperiode weiterhin die Auseinandersetzung mit dem Militarismus führen. Dazu gehört auch, dass unsere Neofa-Kommission dankenswerterweise schon für den 9. und 10. Dezember d. J. zu einem Wochenendseminar in Leverkusen einlädt. Dieses Seminar hat zum Inhalt: "Wie kommt der Militarismus in die Köpfe?" Wir bitten, sich jetzt schon auf dieses Seminar einzustellen. Wir bitten um rege Beteiligung.

In einigen Tagen, am Samstag, dem 2. September, ist die Antikriegsveranstaltung in Stukenbrock bei Bielefeld, die unter dem Motto "Blumen für Stukenbrock" der sechzigtausend russischen Kriegsgefangenen gedenkt, die dort in Massengräbern ruhen. Wir sollten dazu beitragen, dass diese Antikriegsveranstaltung zu einem eindrucksvollen Ereignis wird.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

schon seit längerer Zeit weist unsere Organisation darauf hin, dass die Neonazis, die extrem rechten Kräfte, in vieler Hinsicht aktiver, vor allem aber aggressiver, geworden sind, dass die Bereitschaft zur Gewalt, zum Terror bei ihnen wächst. Ich will an zwei Ereignissen in unserem Land erinnern.

Am Samstag, dem 9. Juli, überfiel eine Gruppe von 15 Neonazis, vermummt mit Sturmmasken, bewaffnet mit Gummiknüppeln, Reizgassprühern und Schlagringen die Teilnehmer einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal des ehemaligen KZ Kemna in Wuppertal. Organisiert wurde der Überfall, nach den bisherigen Ermittlungen, von drei Mitgliedern der NPD. Unter ihnen befand sich Thorsten Crämer, Ratsherr der NPD im Rat der Stadt Schwelm. Crämer ist Mitglied des Landesvorstandes der NPD und des Landesvorstandes der "Junge Nationaldemokraten."

Wann dämmert es den Behörden endlich, dass die NPD und ihre Jugendorganisation – dem Wesen der Sache nach - neonazistische und kriminelle Vereinigungen sind, gegen die entsprechend vorgegangen werden muss?

Am 27. Juli war der terroristische Bombenanschlag in Düsseldorf. Zehn Menschen wurden, zum Teil schwer, verletzt. Einer schwangeren jungen Frau wurde das Kind im Mutterleib getötet. Alle 10 Verletzten stammen aus Ländern der früheren Sowjetunion. Sechs von ihnen sind jüdischen Glaubens. Über den oder die Verursacher des Verbrechens kann man auf jeden Fall sagen: Hier waren Rassisten am Werk. Hier machen Rassisten deutlich, was sie unter der Losung "Ausländer raus!" verstehen.

Uns und alle Demokraten muss beunruhigen, dass in besonderem Masse die fremdenfeindlichen Aktivitäten der extrem rechten Kräfte zugenommen haben. Gerade auf diesem Gebiet zeigt sich immer wieder eine Vernetzung zwischen Mitte, Rechts und Ultrarechts. Es ist die Aufgabe der Antifaschisten, dieses Netz zu zerstören.

Ich erinnere: Es war der CSU-Politiker Stoiber, der im Jargon der Neonazis vor einer "durchrassten Gesellschaft" warnte. Die Parole "Kinder statt Inder" stammt vom CDU-Politiker Rüttgers, der jetzt Fraktionsvorsitzender der CDU im Landtag von NRW ist. Die Rep`s griffen die Parole auf und gestaltete im Landtagswahlkampf mit diesem Spruch ein Plakat. Sie fügte den Satz hinzu: "Wir tun, was andere versprechen".

Der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Friedrich März erklärte: "Wir brauchen in Zukunft die Zuwanderung von Menschen, die wir haben wollen. Aber das setzt voraus, dass wir sagen, wen wir nicht haben wollen."

Ist denn nicht klar, dass die objektiv fremdenfeindlichen Parolen führender Politiker rassistische Kräfte stärken und letztendlich zu Gewalttaten ermuntern?

In einer Stellungnahme der VVN-Bund der Antifaschisten, Landesvereinigung NRW zum Bombenanschlag in Düsseldorf, brandmarken wir diese Tatsache, verurteilen jeglichen Rassismus und fordern: Macht Schluß mit der Ausländerfeindlichkeit auch in der offiziellen Politik!

Das Verhältnis zu den Ausländern, man kann auch sagen, zu den Fremden, hat sich zum Schlüssel der Entwicklung nach Rechts erwiesen. Bundespräsident Rau hat in seiner Rede mit dem Titel "Ohne Angst und Träumereien. Gemeinsam in Deutschland leben" folgendes gesagt: "Für Rassismus und rassistische Gewalt gibt es Gründe und Erklärungen, aber nichts kann sie rechtfertigen. Wer Gewalt anwendet, gehört bestraft. Wir sind es uns in erster Linie selber schuldig, dass Fremdenfeindlichkeit geächtet wird." Ich möchte Bundespräsident Rau für diese Worte Dank sagen. Es sollten nun aber auch die Taten folgen. Eben deswegen fordern wir, dass Schluss gemacht wird mit den Bestrebungen, das Grundgesetz, zum Beispiel beim Asylrecht, weiter auszuhöhlen.

Wir fordern, dass das Grundrecht auf Asyl wiederhergestellt wird. Mehr noch: Wenn der extremen Rechtsentwicklung der Nährboden entzogen werden soll, dann ist es erforderlich, für alle Menschen, die in Deutschland leben, die gleichen politischen und sozialen Rechte durchzusetzen. In einer auf tatsächlicher Gleichheit der Rechte beruhenden Demokratie ist für Neofaschisten kein Raum.

Ich möchte auch auf die Gefahr aufmerksam machen, die von den Landsmannschaften kommt. Sie erheben nach wie vor revanchistische Forderungen. Sie verbreiten Nationalismus. Ihr Wirken ermuntert die Neonazis. Wir fordern von der Landesregierung: Keinen Pfennig Unterstützung mehr für die Landsmannschaften und ähnliche Revanchistenorganisationen! Wir werden einen entsprechenden Antrag erneut an den Landtag richten. Es kommt darauf an, dass alle demokratischen Kräfte zu einem gesellschaftlichen Klima beitragen, in dem sich Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Revanchismus und Nationalismus nicht entwickeln können.

Die Bedeutung der antifaschistischen Aufklärungsarbeit wächst. Unsere Landesorganisation hat auf diesem Gebiet wichtige Arbeit geleistet. Dank den Kameradinnen und Kameraden für ihre Arbeit bei Schulbesuchen, bei antifaschistischen Stadtrundfahrten, bei Führungen in Gedenkstätten, bei der Gestaltung von Ausstellungen, für ihr Wirken an Infoständen. Wir danken der Bundesorganisation für ihre Schriftenreihe "Neofaschismus in der Bundesrepublik". Mitglieder unserer Neofa-Kommission haben aktiv an dieser Schriftenreihe mitgearbeitet. Ich möchte auch dem Kameraden Ulli Sander Dank sagen, der in seiner Tätigkeit in der Landesorganisation und auch als einer der Bundessprecher gerade auf diesem Gebiet aktiv tätig war. Von ihm stammt unter anderem die Broschüre "Die Bundeswehr im Kriegseinsatz. Der dritte Feldzug gegen Serbien"! Mitglieder unserer Organisation aus Dortmund und Oberhausen sind Mitautoren der Broschüre "Gerechtigkeit für die Überlebenden der NS-Zwangsarbeit".

Unsere Landesorganisation hat die landesweiten Konferenzen antifaschistischer Organisationen und Gruppierungen aktiv unterstützt. Auf diesen Konferenzen wird Wissen vermittelt, werden Erfahrungen ausgetauscht, werden Anregungen gegeben und neue Kontakte vermittelt. Auch in Bezug auf die landesweiten Konferenzen möchte ich der Neofa-Kommission unseres Landes danken. Sie hat diesen Konferenzen viel Kraft und Ideen gegeben.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

die NPD und vor allem die "Junge Nationaldemokraten" (JN) haben sich, neben anderen Aktivitäten, zu einem Sammelbecken für militante Nazis entwickelt. In einer Reihe von Städten hat es gegen die NPD und ihr Treiben - bei aktiver Mitarbeit der VVN-BdA - in Gemeinsamkeit vieler demokratischer Kräfte kraftvolle Demonstrationen gegeben. Ich nenne aus einer größeren Zahl von Orten Köln, Essen, aber auch einen kleineren Ort wie Sprockhövel. Wir begrüßen es, dass, um ein weiteres Beispiel zu nennen, in Oberhausen für den Oktober dieses Jahres die "Oberhausener Antifaschistischen Aktionstage 2000" vorbereitet werden. An der Vorbereitung sind neben VVN-BdA viele Organisationen und Gruppierungen einschließlich Evangelischem Kirchenkreis und Katholischem Bildungswerk beteiligt.

Ja, wir treten für breite antifaschistische Bündnisse oder, wenn man es anders sagen will, für weitgestecktes gemeinsames Handeln ein. Es ist unser Wunsch, mit den jüdischen und christlichen Organisationen in Deutschland gut zusammenzuarbeiten. Wir sind für gemeinsames oder paralleles Handeln über weltanschauliche und viele politische Unterschiede hinweg. Darauf orientieren wir uns und wollen dazu unseren Beitrag leisten. Wir treten für antifaschistische Bündnisse ein, aus denen niemand ausgegrenzt wird. Es gibt kein Monopol auf Antifaschismus. Jede Lebenserfahrung, jede Überzeugung, die zu antifaschistischem Handeln führt, verdient Respekt. Wir fühlen uns auch solidarisch mit antifaschistischen Jugendbewegungen und Jugendgruppierungen, die es in ihrer Besorgnis über bedrohliche Rechtsentwicklung nicht bei verbalen Betroffenheitserklärungen belassen, sondern ihren Antifaschismus auf die Straße tragen. Wir sind bereit - und das gewaltfrei -, mit allen Kräften zusammen zu arbeiten, die bereit sind, im Sinne des Schwurs der Häftlinge von Buchenwald tätig zu sein.

Wir sind nach wie vor für das Verbot aller neonazistischen Organisationen und Gruppierungen. Verbot und Auflösung – und natürlich auch der Nachfolgeorganisationen - sind erforderlich entsprechend dem Artikel 139 des Grundgesetzes, in dem es heißt, dass die alliierten und deutschen Bestimmungen gegen den Nationalsozialismus Bestandteil des Grundgesetzes sind. Als die Bundesrepublik Deutschland Mitglied der UNO werden wollte und die UNO vorher danach fragte, wie man es denn mit dem Neonazismus und neonazistischen Organisationen halte, hat die damalige Bundesregierung vor der UNO folgendes erklärt: "Das ausdrückliche Verbot von neonazistischen Organisationen und gleichfalls die Vorbeugung gegenüber neonazistischen Tendenzen folgen aus dem Grundgesetz mit der Wirkung, dass die von den alliierten und deutschen Stellen erlassene Gesetzgebung zur Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus weiterhin in Kraft ist." Wir fordern die Einlösung dieser Zusage an die UNO!

Wir fordern auch eine Strafrechtsverschärfung gegen NS-Verherrlichung, zum Beispiel bei Verherrlichung verbotener nationalsozialistischer Organisationen. Parolen wie "Ruhm und Ehre der Waffen-SS", die zum Beispiel auf Demonstrationen der NPD gerufen wurden, sind von den Staatsanwaltschaften bisher, trotz zahlreicher Proteste in der Öffentlichkeit und trotz vieler Strafanzeigen, nicht verfolgt worden. Die Neonazis fühlen sich dadurch ermuntert und bestätigt.

Es wird uns manchmal gesagt, staatliche Maßnahmen, wie wir sie fordern, seien eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf Meinungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit der Neonazis. Aber Artikel 139 des Grundgesetzes bedeutet eben, dass die Grundrechte nicht für die Ausübung nazistischer Aktivitäten gelten. Faschismus und seine Verherrlichung sind ein Verbrechen und kein schützenswertes Grundrecht.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

in unserem Statut haben wir als wichtige Aufgabe die Fürsorge für die Opfer des Faschismus verankert. Seit vielen Jahren ist ein Schwerpunkt unserer Arbeit das Wirken dafür, dass die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Nazireiches endlich wenigstens eine Teilentschädigung erhalten. Jetzt steht sie auf der Tagesordnung. Unsere Organisation hat großen Anteil daran. Es ist nicht möglich, alle Initiativen und Aktionen zu nennen, die die Landesorganisation der VVN-BdA unternommen hat oder an denen sie beteiligt war. Ich will mich auf einige wenige Beispiele beschränken.

In Leverkusen hat unser Kamerad Manfred Demmer einen Bürgerantrag mit Forderungen für die Zwangsarbeiter eingebracht. Es wurde eine Demonstration für die Entschädigung der Zwangsarbeiter bei Bayer organisiert. In Herten hat die Volkshochschule Recklinghausen eine Ausstellung zum Thema Zwangsarbeiter gestaltet. Unsere Kameraden haben mitgearbeitet bei der Zusammenstellung der Hertener Tafeln. Sie haben Führungen durch die Ausstellungen veranstaltet. An den Rat der Stadt haben sie einen Bürgerantrag gerichtet, der Agnes-Miegel-Straße - Miegel war eine Schriftstellerin, die den Nazis sehr nahe stand - den Namen einer Zwangsarbeiterin zu geben, die auf einer Zeche in der Nähe geschuftet hat. Über eben diese Straße mussten in der Nazizeit die Zwangsarbeiter täglich ihren Weg vom Lager zur Arbeitsstelle gehen. Die Kreisvereinigung Mülheim hat - auch mit Hilfe ihres Infos "Gegendruck" - unter Nennung von Mülheimer Firmennamen eine eindrucksvolle Kampagne für die Entschädigung geführt. In Oberhausen wurde die gerichtliche Klage eines Zwangsarbeiters unterstützt und eine Ausstellung zum Zwangsarbeiterproblem gestaltet. In Bochum hat unsere Organisation dazu beigetragen, dass sich eine Bürgerinitiative mit dem Namen "Entschädigung jetzt" gebildet hat. Sie hat u. a. vor ehemaligen Zwangsarbeiterbetrieben demonstriert. Man könnte noch viele solcher Beispiele aufzählen, zum Beispiel aus Dortmund, Aachen, Köln und anderen Orten. Am 9. November 1999, dem Jahrestag der Reichspogromnacht, begann eine landesweite Unterschriftensammlung der VVN-BdA für Bürgeranträge zur Entschädigung der Zwangsarbeiter durch die Städte und Gemeinden und für die Beratung für die NS-Opfer durch die Behörden.

Die VVN-BdA-Bundesorganisation hat u. a. 2.500 heute noch existierende Sklavenhalterfirmen in das Internet gesetzt und damit eine anhaltende Welle von Medienaktivität vor Ort ausgelöst.

Wir haben der "Bundesvereinigung Information und Beratung für NS-Opfer" - auch die VVN-BdA unseres Landes ist Mitglied dieser Organisation - Dank für ihr Wirken in Sachen Zwangsarbeiter abzustatten. Mit Recht hat die Vereinigung den Demokratiepreis der "Blätter für deutsche und internationale Politik" erhalten. Die Vereinigung hat inzwischen einen Sitz im Kuratorium der Bundesstiftung.

Einen besonderen Dank müssen wir Frau Dr. Gabriele Lotfi aussprechen. Sie hat durch ihre Forschungsarbeit aufgedeckt, dass die deutsche Industrie in 200 sogenannten Arbeitserziehungslagern, die in Komplizenschaft mit örtlichen SS- und Gestapo-Stellen geschaffen wurden, während der Kriegszeit ständig 40.000 Arbeiterinnen und Arbeiter eingepfercht und ausgebeutet hat. Frau Dr. Lotfi hat ihre Forschungsergebnisse in ihrem Buch "KZ der Gestapo" (dva-Verlag Stuttgart) dargelegt. Sie weist hier nach, dass die Initiative zur Errichtung der Strafarbeitslager, denn das waren die sogenannten Zwangserziehungslager, die sich schließlich über das gesamte Reichsgebiet verteilten, von den Industrieunternehmen selbst ausgingen.

Wir erheben die Forderung, dass für die Opfer der Arbeitserziehungslager ein Mahnmal errichtet wird. Wir schlagen ferner vor, dass in der Gedenkstätte "Alte Synagoge" in Essen eine Ausstellung eingerichtet wird, die das Schicksal der Menschen im Arbeitserziehungslager dokumentiert. Auf dem Flughafengelände Essen-Mülheim gab es ein solches Lager.

Die deutsche Wirtschaft hat - nicht nur an den Zwangsarbeitern, wie wir alle wissen - in der Nazizeit furchtbare Verbrechen begangen. Wir unterstützen die von den Kameraden Ulli Sander und Dr. Ulrich Schneider (Hessen) entwickelte Idee, ein Projekt "Die Verbrechen der deutschen Wirtschaft 1933 bis 1945" in die Wege zu leiten. Zunächst als Buch und dann auch als Ausstellung.

Jetzt kommt es darauf an, dass die Gelder für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schnell ausgezahlt werden. Das muss unbürokratisch geschehen, denn von den hoch betagten Menschen sterben täglich Hunderte. Wenn die deutsche Industrie mit der Bereitstellung ihres vollen Geldanteils noch immer, um die Opfer zu erpressen, zögert, dann muss der Bund in Vorkasse treten. Er kann sich das Geld dann von der Industrie holen. Die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter können nicht länger warten.

Wir schlagen dem Landtag vor, eine Erklärung zur Zwangsarbeiterproblematik abzugeben. Darin sollte von der Wirtschaft gefordert werden, schnell und vollständig zu zahlen. Es sollte die Forderung erhoben werden, sofort und unbürokratisch mit der Auszahlung zu beginnen. An die Städte und Gemeinden sollte appelliert werden, alles zu tun, damit die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schnell ihre Bestätigungen für ihre Sklavenarbeit erhalten.

Wir müssen jetzt den Zwangsarbeitern bei der Glaubhaftmachung ihrer Ansprüche helfen. Wir müssen in den Kommunen u. a. fordern, dass die Betriebsarchive geöffnet werden, dass mit Hilfe der Stadtarchive und Einwohnermeldeämter und Krankenkassen geforscht wird. Alle Instanzen der Kommunen müssen beim Zusammentragen der Informationen helfen. Die Kommunen müssen die entsprechenden zusätzlichen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen, eventuell über ABM-Kräfte.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

unsere Landesvereinigung hat sich für die Opfer des deutschen Faschismus in Griechenland engagiert. Wir haben in Dortmund, gemeinsam mit Bürgern der betroffenen griechischen Orte, eine Solidaritätsveranstaltung durchgeführt. Wir haben entsprechende Forderungen erhoben, zum Beispiel für die Opfer des von der SS angerichteten Massakers in Distomo, wo am 10. Juni 1944 218 Menschen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, umgebracht wurden. Jetzt hat das oberste Gericht Griechenlands das Urteil des Landgerichts Livadia bestätigt, dass von der deutschen Bundesregierung für die Opfer rund 50 Millionen DM gezahlt werden müssen. Wir fordern, dass das nun endlich und schnell geschieht.

Wir haben uns auch für die Opfer des Kalten Krieges engagiert. Wir stellen erneut die Frage: Was ist mit den Frauen und Männern, die in den Jahren nach 1950 bis weit in die 60er Jahre hinein inhaftiert und verurteilt wurden, weil sie beispielsweise als Mitglieder der KPD, der FDJ, der Vereinigung Frohe Ferien für alle Kinder oder als Mitglieder anderer Organisationen gegen die Remilitarisierung, für eine Vereinigung Deutschlands eingetreten waren? Wir fordern erneut ihre Rehabilitierung und Entschädigung.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

aus unseren Lebenserfahrungen und auch aus der Satzung unserer Landesvereinigung ergibt sich, dass wir die demokratischen Rechte und Freiheiten, die im Grundgesetz und in der Landesverfassung verankert sind, verteidigen. Wir nehmen das ganz ernst. Wir treten zum Beispiel dagegen auf, dass wirtschaftliche Macht missbraucht wird, dass Politiker gekauft werden.

Wir alle erlebten und erleben den Finanzskandal um den CDU-Politiker Kohl. Erinnern wir uns an eine Tatsache: Da wollte der Thyssen-Konzern Panzer exportieren. Er wandte sich an einen Herrn Schreiber. Der füllte die Kasse der CDU. Und - oh Wunder - die Regierung Kohl gab Exporterlaubnis.

Die Konzernnamen Thyssen und Krupp sind seit Jahrzehnten mit Politikerkauf verknüpft. Diese und andere Konzerne finanzierten Hitler. Konzernchef Thyssen bekannte das in einem Buch mit dem Titel: "I paid Hitler" – "Ich bezahlte Hitler". Die Konzerne gehörten zu den "Freundeskreisen Himmler und Göring". Sie schmierten schon damals Politiker. Und das setzte sich fort bis heute. Wie lange soll das noch so weiter gehen?

Im Artikel 15 des Grundgesetzes heißt es: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen." Seit wann dient der Kauf von Politikern dem Gemeinwohl? Im Artikel 27 unserer Landesverfassung steht: "Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht missbrauchen, sind zu verbieten." Wann handelt endlich der Landtag, wann handelt endlich die Landesregierung entsprechend? Alle Regierungsmitglieder und Landtagsabgeordneten haben doch auf die Landesverfassung ihren Eid geleistet! Nehmen sie ihn nicht ernst?

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

auch in diesem Zusammenhang möchte ich den "Kritischen Aktionären" für ihr allseitiges Wirken gegen den Missbrauch wirtschaftlicher Macht danken. Wir sollten mit ihnen weiterhin wirkungsvoll zusammen arbeiten.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

wir haben Anlass, gegen Bespitzelung durch den sogenannten Verfassungsschutz zu protestieren. Ich greife einen Fall heraus. Ein Mitglied unserer Landesvereinigung aus Aachen hat vom Amt für Verfassungsschutz eine Auskunft über personengespeicherte Daten erhalten. Ich habe diese Daten zum Anlass genommen, an den Herrn Innenminister einen Brief zu schreiben. In diesem Brief steht: "Ich bin über die Zusammenstellung empört. Als Beispiel nehme ich eine Tatsache heraus. Es heißt im Schreiben (des Verfassungsschutzes): ,Im Mai 1997 moderierten Sie die Feierlichkeiten des VVN-BdA-Kreisverbandes Aachen aus Anlass des 50jährigen Bestehens des Verbandes.’ Auf dieser Veranstaltung habe ich gesprochen. Ich bin Landesvorsitzender der VVN-BdA. Anwesend war auch der Kreisvorsitzende des DGB Aachen, Willi Jentgens. Er hielt eine Grußansprache. Ist unser Wirken dort nun auch in unserer Akte beim Verfassungsschutz aufgenommen? Was soll die ganze Schnüffelei? Die VVN-BdA ist eine demokratische Organisation der Verfolgten des Naziregimes und ihrer Angehörigen. Sie ist ein Bund der Antifaschisten. Die VVN-BdA ist als gemeinnützige Körperschaft anerkannt.

Etwa zu dem Zeitpunkt, als die Veranstaltung in Aachen stattfand, schickte der damalige Ministerpräsident des Landes und heutige Bundespräsident, Johannes Rau, der Landesorganisation der VVN-BdA einen Brief, in dem es u. a. heißt: ,Was die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus anbetrifft, hat die "VVN-Bund der Antifaschisten" seit ihrer Gründung vor 50 Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet, den ich schätze und der nicht klein geredet werden darf.’

Macht sich mit diesem Brief im Verständnis des Verfassungsschutzes Herr Johannes Rau ebenfalls verdächtig? Wird nicht deutlich, dass diese Praxis des Amtes für Verfassungsschutz nicht nur absurd, sondern geradezu verfassungswidrig ist? Ich fordere, sehr geehrter Herr Minister, dass mit dieser Praxis Schluss gemacht wird. Die beste Lösung wäre, das ganze Amt für Verfassungsschutz aufzulösen und die frei werdenden Mittel für soziale und kulturelle Zwecke zu verwenden." So weit der Brief.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Verfassung nicht vom Geheimdienst, sondern durch Demokraten geschützt werden sollte. Wir machen dem Landtag erneut folgenden Vorschlag: Es wird ein Gremium des Landtages für Verfassungsschutz geschaffen. Denn es erscheint als dringend an der Zeit, dass das Parlament die Sache des Verfassungsschutzes in die eigenen Hände nimmt. Die Verfassungen in Bund und Land wurden - zum Teil in Verbindung mit Volksabstimmungen - von den vom Volk gewählten Körperschaften geschaffen. Es ist nun an diesen, auch über die Einhaltung der Verfassung zu wachen und dies nicht Geheimdiensten zu überlassen, die sich als völlig ungeeignet und anmaßend erwiesen, als Hüter der Verfassung tätig zu sein. Dies auch mit dem Ziel, dass die Abteilung für Verfassungsschutz im Innenministerium aufgelöst wird. Ein entsprechendes Gremium des Landtages muss sich streng an den Schutz von Grundgesetz und Landesverfassung orientieren.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

es entwickelt sich zur Zeit eine Diskussion über die Schaffung einer Grundrechte-Charta der Europäischen Union. Sie soll Grundlage einer späteren EU-Verfassung werden. Es ist unsere Aufgabe, uns an dieser Diskussion zu beteiligen. Ich erinnere daran: Nach 1945 haben die Antifaschisten dafür gewirkt, dass als Schlussfolgerung aus der Zeit des Faschismus demokratische Rechte und Freiheiten und demokratische Grundsätze in den Verfassungen verankert wurden.

Ich denke zum Beispiel an den Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar". Die Würde aller Menschen, nicht nur der Deutschen. Die Beleidigung von Fremden, die Gewalttaten gegen sie, die an der Tagesordnung sind, unterstreichen, wie wichtig dieses Grundrecht ist.

Ich nenne den Artikel 139 des Grundgesetzes, der in seinem Wesensgehalt besagt, dass jede faschistische oder neofaschistische Tätigkeit einschließlich der Verbreitung faschistischer Ideologie verfassungswidrig ist.

Und ich nenne den Artikel 24 unserer Landesverfassung, in dem es heißt: "Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf Arbeit." Der Mensch geht also vor Profit. Wir fragen: Wann wird dieses Prinzip endlich verwirklicht? Wir treten dafür ein!

Ich meine, liebe Kameradinnen und Kameraden, dass die von mir genannten und andere Grundrechte unserer Verfassung und auch der Landesverfassung in ihrem Wesensgehalt in die europäische Grundrechte-Charta aufgenommen werden müssen. Und was eine europäische Verfassung anbetrifft, so meine ich: sie muss eine antifaschistische Verfassung sein! Alle Völker Europas haben unter dem Faschismus gelitten. Die Lehren aus dem Faschismus haben für alle Völker Europas Bedeutung.

Wir haben die Vorschläge der VVN-BdA in einem Material mit dem Titel "Europas Verfassung ... aber bitte nur eine antifaschistische!" zusammengefasst. Ihr habt dieses Material. Wir haben nun die Aufgabe, diese unsere Vorschläge in die demokratische Öffentlichkeit zu tragen. Wir, die VVN-BdA, sind eine Menschenrechtsorganisation. Für uns sind die Grundrechte und Grundfreiheiten, die heute so oft missachtet und mit Füßen getreten werden, unverzichtbar. Wir sollten eine Kampagne "Verwirklicht die Grundrechte" entwickeln. Die Grundrechte der Verfassungen in Bund und Land müssen Maßstab des Handelns und Verpflichtung sein. Wir sollten auch der Bundesorganisation vorschlagen, den Gedanken einer solchen Kampagne aufzugreifen.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

zur Vermittlung der Erfahrungen und Lehren der Geschichte, zum Erinnern für die Zukunft gehört in besonderem Maße die Würdigung derer, die dem Faschismus getrotzt haben, die Widerstand geleistet haben, die Würdigung derer, die in der Zeit des Faschismus Menschlichkeit bewiesen haben. Es gab dazu in der Berichtsperiode ein besonderes Ereignis. Der Staat Israel, seine Gedenkstätte Yad Vachem haben Walter Krämer postum den Titel "Gerechter unter den Völkern" verliehen. Wer war Walter Krämer? Darüber gibt eine Gedenktafel Auskunft, die nach vielen Bemühungen demokratischer Kräfte im Januar 1999 am Geburtshaus Krämers in der Siegener Charlottenstraße angebracht wurde. Ihre Inschrift lautet: "In diesem Haus kam am 21. Juni 1892 der Siegener Bürger Walter Krämer zur Welt. Nach der Ausbildung zum Schlosser und der Dienstzeit bei der Kriegsmarine kehrte er 1918 nach Siegen zurück, wo er sich sogleich im Siegener Arbeiter- und Soldatenrat engagierte. Als Parteisekretär der KPD und ab 1932 auch als Mitglied des Preußischen Landtages wurde Walter Krämer nach dem Reichstagsbrand 1933 verhaftet und von der NS-Justiz 1934 wegen Hochverrats zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Am Tage seiner Entlassung übernahm ihn die Gestapo und überstellte Krämer 1937 ohne Urteil in das KZ Buchenwald. Dort eignete er sich im Selbststudium rasch medizinische Grundkenntnisse an, organisierte die Krankenversorgung und führte sogar schwierige Operationen durch. Ohne Ansehen der Person half der ,Arzt von Buchenwald’ jedem, der Hilfe benötigte und rettete damit einer Vielzahl von Häftlingen das Leben. Der SS zunehmend ein Dorn im Auge, wurde Walter Krämer am 6. November 1941 im Außenlager Goslar ermordet."

Wir danken den Kameradinnen und Kameraden im Raum Siegen, den "Falken", der "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit", in Siegen, dem AStA der Gesamthochschule der Stadt dafür, dass sie sich für ein würdiges Gedenken an Walter Krämer eingesetzt haben. Wir haben nun die Frage an den Rat der Stadt Siegen: Wann wird endlich ein Platz oder das Kreiskrankenhaus in Siegen nach Walter Krämer benannt? Seit Jahren drängen demokratische Kräfte darauf.

Unsere Landesvereinigung hat vieles für die antifaschistische Geschichtsarbeit getan. Ich danke den Kameradinnen und Kameraden, die in die Schulen gehen, die alternative Stadtrundfahrten durchführen. Unsere Kreisvereinigung Bochum, um ein Beispiel zu nennen, hat gemeinsam mit vielen Organisationen und Gruppierungen einer "Initiative 8. Mai" eine ganze geschichtsbezogene Veranstaltungsreihe durchgeführt. Ich danke den Kameradinnen und Kameraden in Duisburg und an anderen Orten, die viel Kraft in ihre hervorragenden antifaschistischen Ausstellungen stecken. Ich danke den Aachener Kameradinnen und Kameraden, die besonders aktiv für den Beschluss des Europaparlaments wirken, "jede willkürliche Verquickung zwischen der Realität der nationalsozialistischen Lager und ihrer etwaigen Nutzung nach dem Kriege" zurückzuweisen. Dafür haben sie in Buchenwald Aktionen durchgeführt.

Ich möchte noch einen Gedanken nennen. Während der Nazizeit waren in den Emslandlagern, vor allem in Papenburg, besonders viele Antifaschisten aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen inhaftiert. Unsere Landesorganisation ist Mitglied des Fördervereins Emslandlager-Gemeinschaft. Ich möchte vorschlagen, dass wir unsere Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Papenburg ausbauen und einmal eine Fahrt dorthin organisieren - wenn möglich, gemeinsam mit den Gewerkschaften.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

wir haben Erfolge erzielt, aber wir haben auch ein großes Problem. Das ist unsere Mitgliederentwicklung. Wir haben in unserer Landesorganisation zur Zeit 1200 Bezieher der Antifaschistischen Rundschau. Das sind, von seltenen Ausnahmen abgesehen, unsere Mitglieder. Hinzu kommen Mitglieder, die aus verständlichen Gründen keine eigene Antifaschistische Rundschau beziehen, Ehepartner zum Beispiel. Diese Zahl ist aber begrenzt.

Ihr wisst, liebe Kameradinnen und Kameraden, dass, bedingt auch durch historische Gründe, die Zahl der älteren Mitglieder recht hoch ist. Leider haben wir durch Tod viele ältere Mitglieder verloren. Das ist natürlich nicht nur ein statistisches Problem. Dahinter stehen Schicksale von Menschen, die viel Kraft, Mut und Erfahrung in die Arbeit unserer Organisation eingebracht haben. Die Schlussfolgerung ist: Wir müssen verstärkt neue Mitglieder werben und müssen versuchen, dabei vor allem auch junge Menschen zu erreichen. Der Staffelstab unserer Arbeit muss weitergegeben werden. Ein jeder Tag beweist, dass unsere antifaschistische Organisation auch in Zukunft gebraucht wird.

Die Erfahrungen zeigen, dass junge Mitglieder vornehmlich dort gewonnen werden konnten, wo unsere Organisation, wo Mitglieder unserer Organisation in Aktionen tätig waren, in der Öffentlichkeit aufgetreten sind. Das wurde auch beim ersten Jugend-Workshop, bei einem antifaschistischen Jungen Forum deutlich, das im März dieses Jahres in Leverkusen durchgeführt wurde. Wir danken den Kameraden Karlheinz Berger Frerich, Volkmar Nellen und Horst Vermöhlen, die dort viel Kraft und Ideen investiert haben. Wir wollen erneut ein solches Junges Forum vorbereiten und bitten - wenn es soweit ist - die Kreisorganisationen darum, junge Mitglieder oder auch Sympathisierende für dieses Forum zu gewinnen.

Wir haben einen schönen Fortschritt zu verzeichnen. In Münster und im Ennepe-Ruhrkreis konnten die Kreisorganisationen der VVN-BdA neu konstituiert werden. In Bonn hat man einen Beginn gemacht. Wir hoffen, dass er weiter entwickelt werden kann. In Radevormwald steht die Neukonstituierung bevor. Dank allen Kameradinnen und Kameraden, die dazu die Initiative ergriffen haben.

Ich möchte noch auf einen Fortschritt hinweisen. Die Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen in den sogenannten neuen Bundesländern ist voran gekommen. Man kann davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit gelingen wird, eine gemeinsame bundesweite Organisation zu bilden. Wir werden diese Entwicklung aktiv unterstützen. Die Zeit ist überreif dazu.

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

sicherlich sind wir mit vielem in unserer Tätigkeit nicht zufrieden. Und trotzdem haben wir Grund, mit Stolz auf unsere Arbeit zurückzublicken. Unsere Organisation ist ein politischer Faktor. Sie gibt Anstöße für die Verteidigung von Frieden und Demokratie. Sie arbeitet dafür, dass die Opfer des Faschismus nicht vergessen werden. Sie setzt allen Versuchen, die Geschichte zu fälschen, die Verbrechen des Faschismus zu verharmlosen, Widerstand entgegen. Sie tritt gegen das Vergessen ein, weil nur so neue Gefahren erkannt und abgewendet werden können. Unsere Organisation hat die Menschenwürde verteidigt, überall da, wo sie missachtet oder verletzt wurde. Wir werden weiter so handeln.

Nie wieder Faschismus!

Nie wieder Krieg!

(Redeentwurf vom 23. August 2000, aktuelle Änderungen vorbehalten.)