"Erinnern für die Zukunft – Für ein
Europa ohne Faschismus und Rassismus"
Jupp Angenfort
Referat auf der
Landesdelegiertenkonferenz der VVN-BdA am 26. August 2000 in
Bochum
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
Kaum ein Tag vergeht derzeit ohne Nazianschläge und
rassistischen Terror. Aber es vergeht auch kein Tag, da nicht alle
Welt jene Aktionen und Positionen verlangt, denen wir uns als
VVN-BdA seit 55 Jahren verschrieben haben und für die Ältesten
von uns ihr Leben gewagt haben: Schluß mit Gewalt, Völkerhetze,
Rassenwahn, verteidigt die Demokratie und die Freiheit, erkämpft
die Menschenrechte. Wir freuen uns über die Aufwertung des
Antirassismus und des Antifaschismus in der Öffentlichkeit. Wir
hoffen, daß dies keine Eintagsfliege ist. Wir hoffen zudem, daß
die Regierung endlich die Diffamierungen des Antifaschismus und
der Friedensbewegung in den Verfassungsschutzberichten einstellt.
Denn der Feind steht rechts! Stellen wir uns ihm entgegen und tun
wir es mit allen Demokraten gemeinsam.
Der Berichtszeitraum seit der letzten
Landesdelegiertenkonferenz 1998 unserer nordrhein-westfälischen
VVN-BdA war voller Herausforderungen, denen wir uns gestellt
haben, und dies auch mit Erfolg. Wir setzten uns ein für die
überlebenden Opfer des NS-Regimes, für die Zwangsarbeiterinnen
und Zwangsarbeiter, für die nun endlich ein Stück Gerechtigkeit
erkämpft wurde. Wir traten der Umwidmung der Gedenkstätten in
"antitotalitäre" Schlußstricheinrichtungen entgegen.
Wir nahmen teil an der antifaschistischen politischen Bildung und
Erinnerungsarbeit unter Schülern und Jugendlichen. Wir waren vor
allem in der Friedensbewegung gefordert.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
in der Charta der Vereinten Nationen heißt es: "Die
Völker der Vereinten Nationen sind fest entschlossen, künftige
Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren ...
Bedingungen zu schaffen, unter denen Gerechtigkeit und Achtung vor
den Verpflichtungen aus den Verträgen des Völkerrechts gewahrt
werden können ... Die Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden zu
wahren."
Das ist unsere Position. Sie zu verwirklichen, setzen wir all
unsere Kräfte ein.
Wir zitieren oft den Kerngedanken des Schwurs der Häftlinge
von Buchenwald "Nie wieder Faschismus, nie wieder
Krieg!". Wenn wir das vor einigen Jahren taten, schauten uns
viele Leute etwas ungläubig an und in ihren Gesichtern stand die
Frage geschrieben: "Wo ist denn der Krieg, in den Deutschland
verwickelt werden könnte?" Und dann geschah am 24. März
1999 das scheinbar Unglaubliche. Der souveräne Staat Jugoslawien,
Mitglied der Vereinten Nationen, wurde überfallen. Gemeinsam mit
anderen NATO-Staaten bombardierten deutsche Flieger fast drei
Monate lang Belgrad und andere Städte. Viele Tausende Menschen
wurden getötet. Das Land wurde wirtschaftlich auf den Stand vor
dem 1. Weltkrieg zurück gebombt. Und alles geschah unter Bruch
des Grundgesetzes und des Völkerrechtes.
Ich möchte dem Innenminister unseres Landes
Nordrhein-Westfalen, der ja in erster Linie Verfassungsminister
ist und über die Wahrung des Grundgesetzes und der
Landesverfassung wachen soll, eine Frage stellen: Wo war Ihre
Stimme, Herr Innenminister, als die Bomben auf Jugoslawien fielen,
als Grundgesetz und Völkerrecht von der Bundesregierung mit
Füßen getreten wurden? Sie haben geschwiegen, aus welchen
Gründen auch immer. Die Stimme der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten aber
war da, als es galt, den Frieden, Grundgesetz und Völkerrecht zu
verteidigen.
Sofort am 24. März, noch bevor die ersten Bomben fielen, habe
ich im Namen unserer Landesorganisation ein Fax an das
Bundeskanzleramt geschickt. Es hatte folgenden Wortlaut:
"Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, in Artikel 26 des
Grundgesetzes wird schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges
für verfassungswidrig erklärt. Antifaschisten haben seinerzeit
dafür gewirkt, dass dieser Gedanke ins Grundgesetz aufgenommen
wurde. Dieser Artikel des Grundgesetzes wird durch die Beteiligung
der Bundesrepublik Deutschland am Angriff auf den souveränen
Staat Jugoslawien, Mitglied der UNO, gebrochen. Wie ein
militärisches Abenteuer begonnen hat, weiß man, welche Ausmaße
es annimmt und wie es endet, weiß man nicht. Ich fordere die
Achtung des Grundgesetzes. Ich fordere die Einstellung der
Beteiligung am Krieg gegen Jugoslawien."
Als einige Tage später der Vorsitzende des DGB, Schulte, die
Handlungsweise der Bundesregierung unterstützte, erhielt er von
mir im Namen der Landesorganisation der VVN-BdA folgendes
Eilschreiben: "Werter Kollege Schulte, laut Presse hast Du
nach der Erklärung des Kanzlers über die Beteiligung deutschen
Militärs an den Bombenschlägen gegen Jugoslawien erklärt, dass
Du die Entscheidungssituation der Koalition würdigst und ihr die
Unterstützung des DGB zusicherst. Dazu hast Du, Kollege Schulte,
kein Recht. Kein Gremium des DGB hat Dich dazu bevollmächtigt. Du
verstößt gegen Beschlüsse des DGB. Die Bombardierung
Jugoslawiens ist ein Bruch des Völkerrechts und des
Grundgesetzes. Schreckt Dich nicht, Kollege Schulte, die Tatsache,
dass nach 1941 nun erneut deutsche Flugzeuge Belgrad bombardieren?
Bomben sind keine humanitäre Hilfe, sie bringen Tod und
Verderben. Der Krieg löst keine Probleme, er schafft sie."
Aber, liebe Kameradinnen und Kameraden, wir haben nicht nur
unsere Stimme erhoben für Frieden, Grundgesetz und Völkerrecht.
Auch die Tat, das Handeln war da. Die Landesorganisation, die
Kreisorganisationen und Mitglieder haben sich an vielen Aktionen,
Kundgebungen und Demonstrationen gegen den Völkerrechtsbruch,
gegen den Überfall auf Jugoslawien beteiligt. Ich danke allen
Kameradinnen und Kameraden, die an Infotischen waren, Flugblätter
verteilt und gemeinsam mit anderen Demokraten bei den
Ostermärschen demonstriert haben.
Menschenrechte und Völkerrecht sind für uns zwei Seiten einer
Medaille. Unsere Forderung bleibt: Das Grundgesetz mit seiner
Verpflichtung, Völkerrecht einzuhalten, das Grundgesetz mit
seiner Friedenspflicht und dem Verbot von Angriffskriegen muss
wieder gelten. Es muss Maßstab des Handelns sein.
Wir erleben zur Zeit, wie Militärs, Rüstungsindustrie und
Bundesregierung Schlussfolgerungen aus dem Krieg gegen Jugoslawien
ziehen. Schlimme Schlussfolgerungen: Die Bundeswehr wird als
Eingreif- und Angriffsarmee ausgebaut. Damit wird, dem Wesen der
Sache nach, wieder das Grundgesetz verletzt. Es heißt deswegen in
einem unserer Flugblätter: "Das Grundgesetz erlaubt die
Aufstellung einer Bundeswehr zur Verteidigung des Landes wie des
Bündnisses. Sollte die Notwendigkeit der Landesverteidigung
entfallen, so ist die Bundeswehr aufzulösen. Sie mangels eines
verfassungsmäßigen Auftrages als Kriegsführungstruppe mit
Auslandseinsätzen zu beschäftigen und an einer teuren
Hochrüstung festzuhalten, muss den entschiedenen Widerspruch
aller an Frieden, an sozialen Reformen und besserer
Bildungspolitik interessierten Menschen auslösen." Und noch
einen Gedanken nennt dieses Flugblatt: Wenn die Militärs und
Minister Scharping von einer Veränderung in Struktur und
Bewaffnung reden, die einer Neuschaffung der Bundeswehr ähnelt,
dann sollte auch der Widerstand dagegen dem Protest jener Zeit der
Remilitarisierung, der Schaffung der Bundeswehr entsprechen. Wir
rufen alle demokratischen Kräfte dazu auf, in diesem Sinne die
Friedensbewegung zu stärken.
Die Militärs, Minister Scharping und die Bundesregierung haben
eine weitere Schlussfolgerung gezogen, die der Rüstungsindustrie
das Herz höher schlagen lässt. Es soll aufgerüstet werden!
Transportflugzeuge für die Eingreiftruppe sollen angeschafft
werden. Kostenpunkt pro Stück: 120 Millionen DM. Insgesamt sollen
sie 25 Milliarden DM kosten. Die Rüstungsindustrie hat ferner
ganz nüchtern mitgeteilt, dass die 180
Eurofighter-Kampfflugzeuge, die die Bundeswehr bestellt hat, um
sechs Milliarden teurer werden. Sie sollen statt 23 Milliarden DM
nunmehr 29 Milliarden kosten. Ermöglicht werden die steigenden
Kosten durch sogenannte Preisvorbehalts-Klauseln in den Verträgen
des Ministeriums mit der Rüstungsindustrie. Mit Hilfe derartiger
Vertragsregelungen können Firmen die Festpreise für langfristige
Rüstungsvorhaben nachträglich aufstocken. Hier wird die Kumpanei
zwischen Militärs, Rüstungsindustrie und
Verteidigungsministerium deutlich. Es sei die Frage gestattet:
Wieviel Millionen DM mögen geflossen sein, damit solch eine
wunderbare Preisvorbehaltsklausel in die Verträge aufgenommen
wurde? Wer soll diese Rüstungskosten bezahlen? Aufgrund unserer
Erfahrungen können wir eine Voraussage treffen: Demnächst werden
wir erneut hören, dass die Sozialausgaben wieder einmal
beschnitten werden sollen. Und spätestens nach der Bundestagswahl
im Jahre 2002 wird man uns mitteilen, dass die Mehrwertsteuer -
eine reine Verbrauchersteuer - "angepasst", das heißt
erhöht werden müsse.
Wir haben eine andere Auffassung. Wir fordern statt Erhöhung
der Rüstungsausgaben eine erhebliche Rüstungsminderung und die
Verwendung der frei werdenden Mittel für soziale, kulturelle und
ökologische Belange. Das wäre sozial gehandelt. Und zugleich
wären das Maßnahmen, die dazu beitragen, Neonazismus und extrem
rechten Kräften Nährboden zu entziehen.
Es gibt noch eine weitere Schlussfolgerung, die die Militärs
und Minister Scharping aus dem Krieg gegen Jugoslawien und aus der
Zielstellung, die Bundeswehr in eine Angriffsarmee umzuwandeln,
gezogen haben. Scharping und die Militärs haben sich
entschlossen, weiter Nazi-Traditionen zuzulassen. Hier ist eine
Tatsache: Anlässlich des 60. Jahrestages der Bombardierung der
baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor hatte
der Bundestag 1998 die Regierung beauftragt,
Bundeswehr-Namensgebungen zu überprüfen und bereits erfolgte
Kasernenbenennungen nach Mitglieder der Legion aufzuheben. Das ist
vom Tisch! Zum Beispiel soll die Kaserne, die nach Werner Mölders
benannt ist, ihren Namen behalten. Wer war Werner Mölders?
Mölders war Flieger-Offizier in der Legion Condor, im Auftrage
Hitlers, die an der Seite des spanischen Faschisten Franco die
Republik in Spanien bekämpfte. Beim Überfall auf die Sowjetunion
kommandierte Mölders ein Geschwader. Er erhielt dafür die
höchste Auszeichnung der Wehrmacht. Mölders war ein Nazi-Idol.
Für Scharping aber liegen, wie er sagen ließ, keine Erkenntnisse
vor, die die Entfernung des Kasernennamens auf Initiative des
Minister rechtfertigen würde.
Wir sind da ganz anderer Meinung. Wir stehen auf dem
Standpunkt, dass sich aus den Erfahrungen des letzten Weltkrieges
und auch aus den antifaschistischen Leitgedanken unseres
Grundgesetzes ergibt, dass mit allen Nazi-Traditionen Schluss
gemacht werden muss. Das sind wir den 50 Millionen Toten, die der
von Hitlerdeutschland angezettelte 2. Weltkrieg verursacht hat,
schuldig. Also, weg mit dem Namen "Mölders-Kaserne"!
Und weg mit dem Namen "Lettow-Vorbeck-Kaserne", um ein
weiteres Beispiel zu nennen. Lettow-Vorbeck war einer der
führenden Köpfe des Kapp-Putsches, mit dem Generale versuchten,
die Weimarer Republik durch eine Militärdiktatur zu ersetzen. Und
weg mit dem Namen "Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne"
in Augustdorf bei Bielefeld. Rommel war kein Mann des
Widerstandes. Ganz im Gegenteil. Rommel nannte - im Jahre 1943 -
in einem Befehl reguläre italienische Truppen, die auf Anordnung
ihrer Regierung nicht mehr an der Seite Hitlerdeutschlands,
sondern an der Seite der westlichen Alliierten kämpften,
Gesindel, das jedes Anrecht auf Schonung verloren hätte.
Furchtbare Greueltaten wurden durch diesen Befehl gefördert.
Ja, wir müssen auch in der kommenden Arbeitsperiode weiterhin
die Auseinandersetzung mit dem Militarismus führen. Dazu gehört
auch, dass unsere Neofa-Kommission dankenswerterweise schon für
den 9. und 10. Dezember d. J. zu einem Wochenendseminar in
Leverkusen einlädt. Dieses Seminar hat zum Inhalt: "Wie
kommt der Militarismus in die Köpfe?" Wir bitten, sich jetzt
schon auf dieses Seminar einzustellen. Wir bitten um rege
Beteiligung.
In einigen Tagen, am Samstag, dem 2. September, ist die
Antikriegsveranstaltung in Stukenbrock bei Bielefeld, die unter
dem Motto "Blumen für Stukenbrock" der sechzigtausend
russischen Kriegsgefangenen gedenkt, die dort in Massengräbern
ruhen. Wir sollten dazu beitragen, dass diese
Antikriegsveranstaltung zu einem eindrucksvollen Ereignis wird.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
schon seit längerer Zeit weist unsere Organisation darauf hin,
dass die Neonazis, die extrem rechten Kräfte, in vieler Hinsicht
aktiver, vor allem aber aggressiver, geworden sind, dass die
Bereitschaft zur Gewalt, zum Terror bei ihnen wächst. Ich will an
zwei Ereignissen in unserem Land erinnern.
Am Samstag, dem 9. Juli, überfiel eine Gruppe von 15 Neonazis,
vermummt mit Sturmmasken, bewaffnet mit Gummiknüppeln,
Reizgassprühern und Schlagringen die Teilnehmer einer
Gedenkveranstaltung am Mahnmal des ehemaligen KZ Kemna in
Wuppertal. Organisiert wurde der Überfall, nach den bisherigen
Ermittlungen, von drei Mitgliedern der NPD. Unter ihnen befand
sich Thorsten Crämer, Ratsherr der NPD im Rat der Stadt Schwelm.
Crämer ist Mitglied des Landesvorstandes der NPD und des
Landesvorstandes der "Junge Nationaldemokraten."
Wann dämmert es den Behörden endlich, dass die NPD und ihre
Jugendorganisation – dem Wesen der Sache nach - neonazistische
und kriminelle Vereinigungen sind, gegen die entsprechend
vorgegangen werden muss?
Am 27. Juli war der terroristische Bombenanschlag in
Düsseldorf. Zehn Menschen wurden, zum Teil schwer, verletzt.
Einer schwangeren jungen Frau wurde das Kind im Mutterleib
getötet. Alle 10 Verletzten stammen aus Ländern der früheren
Sowjetunion. Sechs von ihnen sind jüdischen Glaubens. Über den
oder die Verursacher des Verbrechens kann man auf jeden Fall
sagen: Hier waren Rassisten am Werk. Hier machen Rassisten
deutlich, was sie unter der Losung "Ausländer raus!"
verstehen.
Uns und alle Demokraten muss beunruhigen, dass in besonderem
Masse die fremdenfeindlichen Aktivitäten der extrem rechten
Kräfte zugenommen haben. Gerade auf diesem Gebiet zeigt sich
immer wieder eine Vernetzung zwischen Mitte, Rechts und
Ultrarechts. Es ist die Aufgabe der Antifaschisten, dieses Netz zu
zerstören.
Ich erinnere: Es war der CSU-Politiker Stoiber, der im Jargon
der Neonazis vor einer "durchrassten Gesellschaft"
warnte. Die Parole "Kinder statt Inder" stammt vom
CDU-Politiker Rüttgers, der jetzt Fraktionsvorsitzender der CDU
im Landtag von NRW ist. Die Rep`s griffen die Parole auf und
gestaltete im Landtagswahlkampf mit diesem Spruch ein Plakat. Sie
fügte den Satz hinzu: "Wir tun, was andere
versprechen".
Der CDU/CSU Fraktionsvorsitzende Friedrich März erklärte:
"Wir brauchen in Zukunft die Zuwanderung von Menschen, die
wir haben wollen. Aber das setzt voraus, dass wir sagen, wen wir
nicht haben wollen."
Ist denn nicht klar, dass die objektiv fremdenfeindlichen
Parolen führender Politiker rassistische Kräfte stärken und
letztendlich zu Gewalttaten ermuntern?
In einer Stellungnahme der VVN-Bund der Antifaschisten,
Landesvereinigung NRW zum Bombenanschlag in Düsseldorf,
brandmarken wir diese Tatsache, verurteilen jeglichen Rassismus
und fordern: Macht Schluß mit der Ausländerfeindlichkeit auch in
der offiziellen Politik!
Das Verhältnis zu den Ausländern, man kann auch sagen, zu den
Fremden, hat sich zum Schlüssel der Entwicklung nach Rechts
erwiesen. Bundespräsident Rau hat in seiner Rede mit dem Titel
"Ohne Angst und Träumereien. Gemeinsam in Deutschland
leben" folgendes gesagt: "Für Rassismus und
rassistische Gewalt gibt es Gründe und Erklärungen, aber nichts
kann sie rechtfertigen. Wer Gewalt anwendet, gehört bestraft. Wir
sind es uns in erster Linie selber schuldig, dass
Fremdenfeindlichkeit geächtet wird." Ich möchte
Bundespräsident Rau für diese Worte Dank sagen. Es sollten nun
aber auch die Taten folgen. Eben deswegen fordern wir, dass
Schluss gemacht wird mit den Bestrebungen, das Grundgesetz, zum
Beispiel beim Asylrecht, weiter auszuhöhlen.
Wir fordern, dass das Grundrecht auf Asyl wiederhergestellt
wird. Mehr noch: Wenn der extremen Rechtsentwicklung der
Nährboden entzogen werden soll, dann ist es erforderlich, für
alle Menschen, die in Deutschland leben, die gleichen politischen
und sozialen Rechte durchzusetzen. In einer auf tatsächlicher
Gleichheit der Rechte beruhenden Demokratie ist für Neofaschisten
kein Raum.
Ich möchte auch auf die Gefahr aufmerksam machen, die von den
Landsmannschaften kommt. Sie erheben nach wie vor revanchistische
Forderungen. Sie verbreiten Nationalismus. Ihr Wirken ermuntert
die Neonazis. Wir fordern von der Landesregierung: Keinen Pfennig
Unterstützung mehr für die Landsmannschaften und ähnliche
Revanchistenorganisationen! Wir werden einen entsprechenden Antrag
erneut an den Landtag richten. Es kommt darauf an, dass alle
demokratischen Kräfte zu einem gesellschaftlichen Klima
beitragen, in dem sich Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit,
Revanchismus und Nationalismus nicht entwickeln können.
Die Bedeutung der antifaschistischen Aufklärungsarbeit
wächst. Unsere Landesorganisation hat auf diesem Gebiet wichtige
Arbeit geleistet. Dank den Kameradinnen und Kameraden für ihre
Arbeit bei Schulbesuchen, bei antifaschistischen Stadtrundfahrten,
bei Führungen in Gedenkstätten, bei der Gestaltung von
Ausstellungen, für ihr Wirken an Infoständen. Wir danken der
Bundesorganisation für ihre Schriftenreihe "Neofaschismus in
der Bundesrepublik". Mitglieder unserer Neofa-Kommission
haben aktiv an dieser Schriftenreihe mitgearbeitet. Ich möchte
auch dem Kameraden Ulli Sander Dank sagen, der in seiner
Tätigkeit in der Landesorganisation und auch als einer der
Bundessprecher gerade auf diesem Gebiet aktiv tätig war. Von ihm
stammt unter anderem die Broschüre "Die Bundeswehr im
Kriegseinsatz. Der dritte Feldzug gegen Serbien"! Mitglieder
unserer Organisation aus Dortmund und Oberhausen sind Mitautoren
der Broschüre "Gerechtigkeit für die Überlebenden der
NS-Zwangsarbeit".
Unsere Landesorganisation hat die landesweiten Konferenzen
antifaschistischer Organisationen und Gruppierungen aktiv
unterstützt. Auf diesen Konferenzen wird Wissen vermittelt,
werden Erfahrungen ausgetauscht, werden Anregungen gegeben und
neue Kontakte vermittelt. Auch in Bezug auf die landesweiten
Konferenzen möchte ich der Neofa-Kommission unseres Landes
danken. Sie hat diesen Konferenzen viel Kraft und Ideen gegeben.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
die NPD und vor allem die "Junge Nationaldemokraten"
(JN) haben sich, neben anderen Aktivitäten, zu einem Sammelbecken
für militante Nazis entwickelt. In einer Reihe von Städten hat
es gegen die NPD und ihr Treiben - bei aktiver Mitarbeit der
VVN-BdA - in Gemeinsamkeit vieler demokratischer Kräfte
kraftvolle Demonstrationen gegeben. Ich nenne aus einer größeren
Zahl von Orten Köln, Essen, aber auch einen kleineren Ort wie
Sprockhövel. Wir begrüßen es, dass, um ein weiteres Beispiel zu
nennen, in Oberhausen für den Oktober dieses Jahres die
"Oberhausener Antifaschistischen Aktionstage 2000"
vorbereitet werden. An der Vorbereitung sind neben VVN-BdA viele
Organisationen und Gruppierungen einschließlich Evangelischem
Kirchenkreis und Katholischem Bildungswerk beteiligt.
Ja, wir treten für breite antifaschistische Bündnisse oder,
wenn man es anders sagen will, für weitgestecktes gemeinsames
Handeln ein. Es ist unser Wunsch, mit den jüdischen und
christlichen Organisationen in Deutschland gut zusammenzuarbeiten.
Wir sind für gemeinsames oder paralleles Handeln über
weltanschauliche und viele politische Unterschiede hinweg. Darauf
orientieren wir uns und wollen dazu unseren Beitrag leisten. Wir
treten für antifaschistische Bündnisse ein, aus denen niemand
ausgegrenzt wird. Es gibt kein Monopol auf Antifaschismus. Jede
Lebenserfahrung, jede Überzeugung, die zu antifaschistischem
Handeln führt, verdient Respekt. Wir fühlen uns auch solidarisch
mit antifaschistischen Jugendbewegungen und Jugendgruppierungen,
die es in ihrer Besorgnis über bedrohliche Rechtsentwicklung
nicht bei verbalen Betroffenheitserklärungen belassen, sondern
ihren Antifaschismus auf die Straße tragen. Wir sind bereit - und
das gewaltfrei -, mit allen Kräften zusammen zu arbeiten, die
bereit sind, im Sinne des Schwurs der Häftlinge von Buchenwald
tätig zu sein.
Wir sind nach wie vor für das Verbot aller neonazistischen
Organisationen und Gruppierungen. Verbot und Auflösung – und
natürlich auch der Nachfolgeorganisationen - sind erforderlich
entsprechend dem Artikel 139 des Grundgesetzes, in dem es heißt,
dass die alliierten und deutschen Bestimmungen gegen den
Nationalsozialismus Bestandteil des Grundgesetzes sind. Als die
Bundesrepublik Deutschland Mitglied der UNO werden wollte und die
UNO vorher danach fragte, wie man es denn mit dem Neonazismus und
neonazistischen Organisationen halte, hat die damalige
Bundesregierung vor der UNO folgendes erklärt: "Das
ausdrückliche Verbot von neonazistischen Organisationen und
gleichfalls die Vorbeugung gegenüber neonazistischen Tendenzen
folgen aus dem Grundgesetz mit der Wirkung, dass die von den
alliierten und deutschen Stellen erlassene Gesetzgebung zur
Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und
Militarismus weiterhin in Kraft ist." Wir fordern die
Einlösung dieser Zusage an die UNO!
Wir fordern auch eine Strafrechtsverschärfung gegen
NS-Verherrlichung, zum Beispiel bei Verherrlichung verbotener
nationalsozialistischer Organisationen. Parolen wie "Ruhm und
Ehre der Waffen-SS", die zum Beispiel auf Demonstrationen der
NPD gerufen wurden, sind von den Staatsanwaltschaften bisher,
trotz zahlreicher Proteste in der Öffentlichkeit und trotz vieler
Strafanzeigen, nicht verfolgt worden. Die Neonazis fühlen sich
dadurch ermuntert und bestätigt.
Es wird uns manchmal gesagt, staatliche Maßnahmen, wie wir sie
fordern, seien eine Beeinträchtigung des Grundrechts auf
Meinungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit der Neonazis.
Aber Artikel 139 des Grundgesetzes bedeutet eben, dass die
Grundrechte nicht für die Ausübung nazistischer Aktivitäten
gelten. Faschismus und seine Verherrlichung sind ein Verbrechen
und kein schützenswertes Grundrecht.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
in unserem Statut haben wir als wichtige Aufgabe die Fürsorge
für die Opfer des Faschismus verankert. Seit vielen Jahren ist
ein Schwerpunkt unserer Arbeit das Wirken dafür, dass die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter des Nazireiches endlich
wenigstens eine Teilentschädigung erhalten. Jetzt steht sie auf
der Tagesordnung. Unsere Organisation hat großen Anteil daran. Es
ist nicht möglich, alle Initiativen und Aktionen zu nennen, die
die Landesorganisation der VVN-BdA unternommen hat oder an denen
sie beteiligt war. Ich will mich auf einige wenige Beispiele
beschränken.
In Leverkusen hat unser Kamerad Manfred Demmer einen
Bürgerantrag mit Forderungen für die Zwangsarbeiter eingebracht.
Es wurde eine Demonstration für die Entschädigung der
Zwangsarbeiter bei Bayer organisiert. In Herten hat die
Volkshochschule Recklinghausen eine Ausstellung zum Thema
Zwangsarbeiter gestaltet. Unsere Kameraden haben mitgearbeitet bei
der Zusammenstellung der Hertener Tafeln. Sie haben Führungen
durch die Ausstellungen veranstaltet. An den Rat der Stadt haben
sie einen Bürgerantrag gerichtet, der Agnes-Miegel-Straße -
Miegel war eine Schriftstellerin, die den Nazis sehr nahe stand -
den Namen einer Zwangsarbeiterin zu geben, die auf einer Zeche in
der Nähe geschuftet hat. Über eben diese Straße mussten in der
Nazizeit die Zwangsarbeiter täglich ihren Weg vom Lager zur
Arbeitsstelle gehen. Die Kreisvereinigung Mülheim hat - auch mit
Hilfe ihres Infos "Gegendruck" - unter Nennung von
Mülheimer Firmennamen eine eindrucksvolle Kampagne für die
Entschädigung geführt. In Oberhausen wurde die gerichtliche
Klage eines Zwangsarbeiters unterstützt und eine Ausstellung zum
Zwangsarbeiterproblem gestaltet. In Bochum hat unsere Organisation
dazu beigetragen, dass sich eine Bürgerinitiative mit dem Namen
"Entschädigung jetzt" gebildet hat. Sie hat u. a. vor
ehemaligen Zwangsarbeiterbetrieben demonstriert. Man könnte noch
viele solcher Beispiele aufzählen, zum Beispiel aus Dortmund,
Aachen, Köln und anderen Orten. Am 9. November 1999, dem
Jahrestag der Reichspogromnacht, begann eine landesweite
Unterschriftensammlung der VVN-BdA für Bürgeranträge zur
Entschädigung der Zwangsarbeiter durch die Städte und Gemeinden
und für die Beratung für die NS-Opfer durch die Behörden.
Die VVN-BdA-Bundesorganisation hat u. a. 2.500 heute noch
existierende Sklavenhalterfirmen in das Internet gesetzt und damit
eine anhaltende Welle von Medienaktivität vor Ort ausgelöst.
Wir haben der "Bundesvereinigung Information und Beratung
für NS-Opfer" - auch die VVN-BdA unseres Landes ist Mitglied
dieser Organisation - Dank für ihr Wirken in Sachen
Zwangsarbeiter abzustatten. Mit Recht hat die Vereinigung den
Demokratiepreis der "Blätter für deutsche und
internationale Politik" erhalten. Die Vereinigung hat
inzwischen einen Sitz im Kuratorium der Bundesstiftung.
Einen besonderen Dank müssen wir Frau Dr. Gabriele Lotfi
aussprechen. Sie hat durch ihre Forschungsarbeit aufgedeckt, dass
die deutsche Industrie in 200 sogenannten Arbeitserziehungslagern,
die in Komplizenschaft mit örtlichen SS- und Gestapo-Stellen
geschaffen wurden, während der Kriegszeit ständig 40.000
Arbeiterinnen und Arbeiter eingepfercht und ausgebeutet hat. Frau
Dr. Lotfi hat ihre Forschungsergebnisse in ihrem Buch "KZ der
Gestapo" (dva-Verlag Stuttgart) dargelegt. Sie weist hier
nach, dass die Initiative zur Errichtung der Strafarbeitslager,
denn das waren die sogenannten Zwangserziehungslager, die sich
schließlich über das gesamte Reichsgebiet verteilten, von den
Industrieunternehmen selbst ausgingen.
Wir erheben die Forderung, dass für die Opfer der
Arbeitserziehungslager ein Mahnmal errichtet wird. Wir schlagen
ferner vor, dass in der Gedenkstätte "Alte Synagoge" in
Essen eine Ausstellung eingerichtet wird, die das Schicksal der
Menschen im Arbeitserziehungslager dokumentiert. Auf dem
Flughafengelände Essen-Mülheim gab es ein solches Lager.
Die deutsche Wirtschaft hat - nicht nur an den Zwangsarbeitern,
wie wir alle wissen - in der Nazizeit furchtbare Verbrechen
begangen. Wir unterstützen die von den Kameraden Ulli Sander und
Dr. Ulrich Schneider (Hessen) entwickelte Idee, ein Projekt
"Die Verbrechen der deutschen Wirtschaft 1933 bis 1945"
in die Wege zu leiten. Zunächst als Buch und dann auch als
Ausstellung.
Jetzt kommt es darauf an, dass die Gelder für die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schnell ausgezahlt werden.
Das muss unbürokratisch geschehen, denn von den hoch betagten
Menschen sterben täglich Hunderte. Wenn die deutsche Industrie
mit der Bereitstellung ihres vollen Geldanteils noch immer, um die
Opfer zu erpressen, zögert, dann muss der Bund in Vorkasse
treten. Er kann sich das Geld dann von der Industrie holen. Die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter können nicht länger
warten.
Wir schlagen dem Landtag vor, eine Erklärung zur
Zwangsarbeiterproblematik abzugeben. Darin sollte von der
Wirtschaft gefordert werden, schnell und vollständig zu zahlen.
Es sollte die Forderung erhoben werden, sofort und unbürokratisch
mit der Auszahlung zu beginnen. An die Städte und Gemeinden
sollte appelliert werden, alles zu tun, damit die
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter schnell ihre Bestätigungen
für ihre Sklavenarbeit erhalten.
Wir müssen jetzt den Zwangsarbeitern bei der Glaubhaftmachung
ihrer Ansprüche helfen. Wir müssen in den Kommunen u. a.
fordern, dass die Betriebsarchive geöffnet werden, dass mit Hilfe
der Stadtarchive und Einwohnermeldeämter und Krankenkassen
geforscht wird. Alle Instanzen der Kommunen müssen beim
Zusammentragen der Informationen helfen. Die Kommunen müssen die
entsprechenden zusätzlichen Arbeitskräfte zur Verfügung
stellen, eventuell über ABM-Kräfte.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
unsere Landesvereinigung hat sich für die Opfer des deutschen
Faschismus in Griechenland engagiert. Wir haben in Dortmund,
gemeinsam mit Bürgern der betroffenen griechischen Orte, eine
Solidaritätsveranstaltung durchgeführt. Wir haben entsprechende
Forderungen erhoben, zum Beispiel für die Opfer des von der SS
angerichteten Massakers in Distomo, wo am 10. Juni 1944 218
Menschen, unter ihnen viele Frauen und Kinder, umgebracht wurden.
Jetzt hat das oberste Gericht Griechenlands das Urteil des
Landgerichts Livadia bestätigt, dass von der deutschen
Bundesregierung für die Opfer rund 50 Millionen DM gezahlt werden
müssen. Wir fordern, dass das nun endlich und schnell geschieht.
Wir haben uns auch für die Opfer des Kalten Krieges engagiert.
Wir stellen erneut die Frage: Was ist mit den Frauen und Männern,
die in den Jahren nach 1950 bis weit in die 60er Jahre hinein
inhaftiert und verurteilt wurden, weil sie beispielsweise als
Mitglieder der KPD, der FDJ, der Vereinigung Frohe Ferien für
alle Kinder oder als Mitglieder anderer Organisationen gegen die
Remilitarisierung, für eine Vereinigung Deutschlands eingetreten
waren? Wir fordern erneut ihre Rehabilitierung und Entschädigung.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
aus unseren Lebenserfahrungen und auch aus der Satzung unserer
Landesvereinigung ergibt sich, dass wir die demokratischen Rechte
und Freiheiten, die im Grundgesetz und in der Landesverfassung
verankert sind, verteidigen. Wir nehmen das ganz ernst. Wir treten
zum Beispiel dagegen auf, dass wirtschaftliche Macht missbraucht
wird, dass Politiker gekauft werden.
Wir alle erlebten und erleben den Finanzskandal um den
CDU-Politiker Kohl. Erinnern wir uns an eine Tatsache: Da wollte
der Thyssen-Konzern Panzer exportieren. Er wandte sich an einen
Herrn Schreiber. Der füllte die Kasse der CDU. Und - oh Wunder -
die Regierung Kohl gab Exporterlaubnis.
Die Konzernnamen Thyssen und Krupp sind seit Jahrzehnten mit
Politikerkauf verknüpft. Diese und andere Konzerne finanzierten
Hitler. Konzernchef Thyssen bekannte das in einem Buch mit dem
Titel: "I paid Hitler" – "Ich bezahlte
Hitler". Die Konzerne gehörten zu den "Freundeskreisen
Himmler und Göring". Sie schmierten schon damals Politiker.
Und das setzte sich fort bis heute. Wie lange soll das noch so
weiter gehen?
Im Artikel 15 des Grundgesetzes heißt es: "Eigentum
verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der
Allgemeinheit dienen." Seit wann dient der Kauf von
Politikern dem Gemeinwohl? Im Artikel 27 unserer Landesverfassung
steht: "Zusammenschlüsse, die ihre wirtschaftliche Macht
missbrauchen, sind zu verbieten." Wann handelt endlich der
Landtag, wann handelt endlich die Landesregierung entsprechend?
Alle Regierungsmitglieder und Landtagsabgeordneten haben doch auf
die Landesverfassung ihren Eid geleistet! Nehmen sie ihn nicht
ernst?
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
auch in diesem Zusammenhang möchte ich den "Kritischen
Aktionären" für ihr allseitiges Wirken gegen den Missbrauch
wirtschaftlicher Macht danken. Wir sollten mit ihnen weiterhin
wirkungsvoll zusammen arbeiten.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
wir haben Anlass, gegen Bespitzelung durch den sogenannten
Verfassungsschutz zu protestieren. Ich greife einen Fall heraus.
Ein Mitglied unserer Landesvereinigung aus Aachen hat vom Amt für
Verfassungsschutz eine Auskunft über personengespeicherte Daten
erhalten. Ich habe diese Daten zum Anlass genommen, an den Herrn
Innenminister einen Brief zu schreiben. In diesem Brief steht:
"Ich bin über die Zusammenstellung empört. Als Beispiel
nehme ich eine Tatsache heraus. Es heißt im Schreiben (des
Verfassungsschutzes): ,Im Mai 1997 moderierten Sie die
Feierlichkeiten des VVN-BdA-Kreisverbandes Aachen aus Anlass des
50jährigen Bestehens des Verbandes.’ Auf dieser Veranstaltung
habe ich gesprochen. Ich bin Landesvorsitzender der VVN-BdA.
Anwesend war auch der Kreisvorsitzende des DGB Aachen, Willi
Jentgens. Er hielt eine Grußansprache. Ist unser Wirken dort nun
auch in unserer Akte beim Verfassungsschutz aufgenommen? Was soll
die ganze Schnüffelei? Die VVN-BdA ist eine demokratische
Organisation der Verfolgten des Naziregimes und ihrer
Angehörigen. Sie ist ein Bund der Antifaschisten. Die VVN-BdA ist
als gemeinnützige Körperschaft anerkannt.
Etwa zu dem Zeitpunkt, als die Veranstaltung in Aachen
stattfand, schickte der damalige Ministerpräsident des Landes und
heutige Bundespräsident, Johannes Rau, der Landesorganisation der
VVN-BdA einen Brief, in dem es u. a. heißt: ,Was die
Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus anbetrifft, hat die
"VVN-Bund der Antifaschisten" seit ihrer Gründung vor
50 Jahren einen wichtigen Beitrag geleistet, den ich schätze und
der nicht klein geredet werden darf.’
Macht sich mit diesem Brief im Verständnis des
Verfassungsschutzes Herr Johannes Rau ebenfalls verdächtig? Wird
nicht deutlich, dass diese Praxis des Amtes für Verfassungsschutz
nicht nur absurd, sondern geradezu verfassungswidrig ist? Ich
fordere, sehr geehrter Herr Minister, dass mit dieser Praxis
Schluss gemacht wird. Die beste Lösung wäre, das ganze Amt für
Verfassungsschutz aufzulösen und die frei werdenden Mittel für
soziale und kulturelle Zwecke zu verwenden." So weit der
Brief.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
wir stehen auf dem Standpunkt, dass die Verfassung nicht vom
Geheimdienst, sondern durch Demokraten geschützt werden sollte.
Wir machen dem Landtag erneut folgenden Vorschlag: Es wird ein
Gremium des Landtages für Verfassungsschutz geschaffen. Denn es
erscheint als dringend an der Zeit, dass das Parlament die Sache
des Verfassungsschutzes in die eigenen Hände nimmt. Die
Verfassungen in Bund und Land wurden - zum Teil in Verbindung mit
Volksabstimmungen - von den vom Volk gewählten Körperschaften
geschaffen. Es ist nun an diesen, auch über die Einhaltung der
Verfassung zu wachen und dies nicht Geheimdiensten zu überlassen,
die sich als völlig ungeeignet und anmaßend erwiesen, als Hüter
der Verfassung tätig zu sein. Dies auch mit dem Ziel, dass die
Abteilung für Verfassungsschutz im Innenministerium aufgelöst
wird. Ein entsprechendes Gremium des Landtages muss sich streng an
den Schutz von Grundgesetz und Landesverfassung orientieren.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
es entwickelt sich zur Zeit eine Diskussion über die Schaffung
einer Grundrechte-Charta der Europäischen Union. Sie soll
Grundlage einer späteren EU-Verfassung werden. Es ist unsere
Aufgabe, uns an dieser Diskussion zu beteiligen. Ich erinnere
daran: Nach 1945 haben die Antifaschisten dafür gewirkt, dass als
Schlussfolgerung aus der Zeit des Faschismus demokratische Rechte
und Freiheiten und demokratische Grundsätze in den Verfassungen
verankert wurden.
Ich denke zum Beispiel an den Artikel 1 des Grundgesetzes
"Die Würde des Menschen ist unantastbar". Die Würde
aller Menschen, nicht nur der Deutschen. Die Beleidigung von
Fremden, die Gewalttaten gegen sie, die an der Tagesordnung sind,
unterstreichen, wie wichtig dieses Grundrecht ist.
Ich nenne den Artikel 139 des Grundgesetzes, der in seinem
Wesensgehalt besagt, dass jede faschistische oder neofaschistische
Tätigkeit einschließlich der Verbreitung faschistischer
Ideologie verfassungswidrig ist.
Und ich nenne den Artikel 24 unserer Landesverfassung, in dem
es heißt: "Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das
Wohl des Menschen. Der Schutz seiner Arbeitskraft hat den Vorrang
vor dem Schutz materiellen Besitzes. Jedermann hat ein Recht auf
Arbeit." Der Mensch geht also vor Profit. Wir fragen: Wann
wird dieses Prinzip endlich verwirklicht? Wir treten dafür ein!
Ich meine, liebe Kameradinnen und Kameraden, dass die von mir
genannten und andere Grundrechte unserer Verfassung und auch der
Landesverfassung in ihrem Wesensgehalt in die europäische
Grundrechte-Charta aufgenommen werden müssen. Und was eine
europäische Verfassung anbetrifft, so meine ich: sie muss eine
antifaschistische Verfassung sein! Alle Völker Europas haben
unter dem Faschismus gelitten. Die Lehren aus dem Faschismus haben
für alle Völker Europas Bedeutung.
Wir haben die Vorschläge der VVN-BdA in einem Material mit dem
Titel "Europas Verfassung ... aber bitte nur eine
antifaschistische!" zusammengefasst. Ihr habt dieses
Material. Wir haben nun die Aufgabe, diese unsere Vorschläge in
die demokratische Öffentlichkeit zu tragen. Wir, die VVN-BdA,
sind eine Menschenrechtsorganisation. Für uns sind die
Grundrechte und Grundfreiheiten, die heute so oft missachtet und
mit Füßen getreten werden, unverzichtbar. Wir sollten eine
Kampagne "Verwirklicht die Grundrechte" entwickeln. Die
Grundrechte der Verfassungen in Bund und Land müssen Maßstab des
Handelns und Verpflichtung sein. Wir sollten auch der
Bundesorganisation vorschlagen, den Gedanken einer solchen
Kampagne aufzugreifen.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
zur Vermittlung der Erfahrungen und Lehren der Geschichte, zum
Erinnern für die Zukunft gehört in besonderem Maße die
Würdigung derer, die dem Faschismus getrotzt haben, die
Widerstand geleistet haben, die Würdigung derer, die in der Zeit
des Faschismus Menschlichkeit bewiesen haben. Es gab dazu in der
Berichtsperiode ein besonderes Ereignis. Der Staat Israel, seine
Gedenkstätte Yad Vachem haben Walter Krämer postum den Titel
"Gerechter unter den Völkern" verliehen. Wer war Walter
Krämer? Darüber gibt eine Gedenktafel Auskunft, die nach vielen
Bemühungen demokratischer Kräfte im Januar 1999 am Geburtshaus
Krämers in der Siegener Charlottenstraße angebracht wurde. Ihre
Inschrift lautet: "In diesem Haus kam am 21. Juni 1892 der
Siegener Bürger Walter Krämer zur Welt. Nach der Ausbildung zum
Schlosser und der Dienstzeit bei der Kriegsmarine kehrte er 1918
nach Siegen zurück, wo er sich sogleich im Siegener Arbeiter- und
Soldatenrat engagierte. Als Parteisekretär der KPD und ab 1932
auch als Mitglied des Preußischen Landtages wurde Walter Krämer
nach dem Reichstagsbrand 1933 verhaftet und von der NS-Justiz 1934
wegen Hochverrats zu einer zweijährigen Gefängnisstrafe
verurteilt. Am Tage seiner Entlassung übernahm ihn die Gestapo
und überstellte Krämer 1937 ohne Urteil in das KZ Buchenwald.
Dort eignete er sich im Selbststudium rasch medizinische
Grundkenntnisse an, organisierte die Krankenversorgung und führte
sogar schwierige Operationen durch. Ohne Ansehen der Person half
der ,Arzt von Buchenwald’ jedem, der Hilfe benötigte und
rettete damit einer Vielzahl von Häftlingen das Leben. Der SS
zunehmend ein Dorn im Auge, wurde Walter Krämer am 6. November
1941 im Außenlager Goslar ermordet."
Wir danken den Kameradinnen und Kameraden im Raum Siegen, den
"Falken", der "Gesellschaft für
christlich-jüdische Zusammenarbeit", in Siegen, dem AStA der
Gesamthochschule der Stadt dafür, dass sie sich für ein
würdiges Gedenken an Walter Krämer eingesetzt haben. Wir haben
nun die Frage an den Rat der Stadt Siegen: Wann wird endlich ein
Platz oder das Kreiskrankenhaus in Siegen nach Walter Krämer
benannt? Seit Jahren drängen demokratische Kräfte darauf.
Unsere Landesvereinigung hat vieles für die antifaschistische
Geschichtsarbeit getan. Ich danke den Kameradinnen und Kameraden,
die in die Schulen gehen, die alternative Stadtrundfahrten
durchführen. Unsere Kreisvereinigung Bochum, um ein Beispiel zu
nennen, hat gemeinsam mit vielen Organisationen und Gruppierungen
einer "Initiative 8. Mai" eine ganze geschichtsbezogene
Veranstaltungsreihe durchgeführt. Ich danke den Kameradinnen und
Kameraden in Duisburg und an anderen Orten, die viel Kraft in ihre
hervorragenden antifaschistischen Ausstellungen stecken. Ich danke
den Aachener Kameradinnen und Kameraden, die besonders aktiv für
den Beschluss des Europaparlaments wirken, "jede
willkürliche Verquickung zwischen der Realität der
nationalsozialistischen Lager und ihrer etwaigen Nutzung nach dem
Kriege" zurückzuweisen. Dafür haben sie in Buchenwald
Aktionen durchgeführt.
Ich möchte noch einen Gedanken nennen. Während der Nazizeit
waren in den Emslandlagern, vor allem in Papenburg, besonders
viele Antifaschisten aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen
inhaftiert. Unsere Landesorganisation ist Mitglied des
Fördervereins Emslandlager-Gemeinschaft. Ich möchte vorschlagen,
dass wir unsere Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Papenburg
ausbauen und einmal eine Fahrt dorthin organisieren - wenn
möglich, gemeinsam mit den Gewerkschaften.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
wir haben Erfolge erzielt, aber wir haben auch ein großes
Problem. Das ist unsere Mitgliederentwicklung. Wir haben in
unserer Landesorganisation zur Zeit 1200 Bezieher der
Antifaschistischen Rundschau. Das sind, von seltenen Ausnahmen
abgesehen, unsere Mitglieder. Hinzu kommen Mitglieder, die aus
verständlichen Gründen keine eigene Antifaschistische Rundschau
beziehen, Ehepartner zum Beispiel. Diese Zahl ist aber begrenzt.
Ihr wisst, liebe Kameradinnen und Kameraden, dass, bedingt auch
durch historische Gründe, die Zahl der älteren Mitglieder recht
hoch ist. Leider haben wir durch Tod viele ältere Mitglieder
verloren. Das ist natürlich nicht nur ein statistisches Problem.
Dahinter stehen Schicksale von Menschen, die viel Kraft, Mut und
Erfahrung in die Arbeit unserer Organisation eingebracht haben.
Die Schlussfolgerung ist: Wir müssen verstärkt neue Mitglieder
werben und müssen versuchen, dabei vor allem auch junge Menschen
zu erreichen. Der Staffelstab unserer Arbeit muss weitergegeben
werden. Ein jeder Tag beweist, dass unsere antifaschistische
Organisation auch in Zukunft gebraucht wird.
Die Erfahrungen zeigen, dass junge Mitglieder vornehmlich dort
gewonnen werden konnten, wo unsere Organisation, wo Mitglieder
unserer Organisation in Aktionen tätig waren, in der
Öffentlichkeit aufgetreten sind. Das wurde auch beim ersten
Jugend-Workshop, bei einem antifaschistischen Jungen Forum
deutlich, das im März dieses Jahres in Leverkusen durchgeführt
wurde. Wir danken den Kameraden Karlheinz Berger Frerich, Volkmar
Nellen und Horst Vermöhlen, die dort viel Kraft und Ideen
investiert haben. Wir wollen erneut ein solches Junges Forum
vorbereiten und bitten - wenn es soweit ist - die
Kreisorganisationen darum, junge Mitglieder oder auch
Sympathisierende für dieses Forum zu gewinnen.
Wir haben einen schönen Fortschritt zu verzeichnen. In
Münster und im Ennepe-Ruhrkreis konnten die Kreisorganisationen
der VVN-BdA neu konstituiert werden. In Bonn hat man einen Beginn
gemacht. Wir hoffen, dass er weiter entwickelt werden kann. In
Radevormwald steht die Neukonstituierung bevor. Dank allen
Kameradinnen und Kameraden, die dazu die Initiative ergriffen
haben.
Ich möchte noch auf einen Fortschritt hinweisen. Die
Zusammenarbeit mit unseren Partnerorganisationen in den
sogenannten neuen Bundesländern ist voran gekommen. Man kann
davon ausgehen, dass es in absehbarer Zeit gelingen wird, eine
gemeinsame bundesweite Organisation zu bilden. Wir werden diese
Entwicklung aktiv unterstützen. Die Zeit ist überreif dazu.
Liebe Kameradinnen und Kameraden,
sicherlich sind wir mit vielem in unserer Tätigkeit nicht
zufrieden. Und trotzdem haben wir Grund, mit Stolz auf unsere
Arbeit zurückzublicken. Unsere Organisation ist ein politischer
Faktor. Sie gibt Anstöße für die Verteidigung von Frieden und
Demokratie. Sie arbeitet dafür, dass die Opfer des Faschismus
nicht vergessen werden. Sie setzt allen Versuchen, die Geschichte
zu fälschen, die Verbrechen des Faschismus zu verharmlosen,
Widerstand entgegen. Sie tritt gegen das Vergessen ein, weil nur
so neue Gefahren erkannt und abgewendet werden können. Unsere
Organisation hat die Menschenwürde verteidigt, überall da, wo
sie missachtet oder verletzt wurde. Wir werden weiter so handeln.
Nie wieder Faschismus!
Nie wieder Krieg!
(Redeentwurf vom 23. August 2000, aktuelle Änderungen
vorbehalten.)
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