Vor 60 Jahren verhaftet
Der Hübener-Kreis und andere
jugendliche „Vierergruppen"
In diesem Jahr ist es 60 Jahre her, da der deutsche Faschismus
sich sehr junger Menschen entledigte, die sich gegen Krieg und
Diktatur auflehnten. Der Umgang mit diesen Widerstandsgruppen, die
sich dadurch auszeichneten, den Widerstand ohne Bezug zur
demokratischen Kultur der Zeit vor 1933, ihrer frühen Kindheit,
aufzunehmen und zwar ungeachtet des Siegesrausches, in dem sich
Hitler und die meisten Volksgenossen noch befanden, war in
Deutschland und Österreich ähnlich geprägt: Konnte die
Nachkriegsgesellschaft an Anne Frank und Weißer Rose nicht
vorbeikommen, deren sich „das Ausland" schon lange
angenommen hatten, so wurden die Jugendgruppen um Helmuth Hübener
(Hamburg), Walter Klingenbeck (München) und Josef Landgraf (Wien)
nicht den nachwachsenden Generationen zum Vorbild gegeben. Zu
leicht hätte die Frage aufkommen können: Wenn diese jungen Leute
wussten und handelten, warum dann nicht die Menschen gleichen und
höheren Alters, die nach 1945 die Nachkriegsgesellschaften
politisch und kulturell anführten? Grund genug, endlich die drei
Gruppen den jungen Menschen von heute bekannt zu machen.
Der Historiker Jürgen Zarusky vom Münchner Institut für
Zeitgeschichte hat außer über den Hübener-Kreis über die zwei
weiteren ähnlichen christlichen Gruppen junger Männer geforscht.
Im „Lexikon des Deutschen Widerstandes" (Fischer-Verlag
1994) berichtet er:
1941 entstanden in Hamburg, München und Wien unabhängig und
ohne Kenntnis voneinander kleine oppositionelle Jugendgruppen, die
in Flugblättern und Wandparolen für den Sturz des NS-Regimes
agitierten. Es handelte sich jeweils um Vierergruppen männlicher
Jugendlicher im Alter zwischen 16 und 18 Jahren mit einem sich
deutlich abhebenden, aktivistischen und frühreifen Anführer. In
Hamburg war dies Helmuth Hübener, in München Walter Klingenbeck,
in Wien Josef Landgraf. Die Mitglieder aller drei Gruppen kamen
vorwiegend aus christlich geprägten Familien der Unter- und
unteren Mittelschicht. Bei allen spielte das Abhören sogenannter
„Feindsender", insbesondere der Programme der BBC, eine
entscheidende Rolle. Über eine ausformulierte politische
Programmatik verfügte keine der drei Gruppen, jedoch setzten sie
alle mehr oder weniger entschieden auf einen Sieg der westlichen
Kriegsgegner.
Der Hamburger Verwaltungslehrling Helmuth Hübener war durch
Kontakte zu Jugendlichen aus kommunistischen Elternhäusern zum
Abhören der deutschsprachigen Programme der BBC und anderer
Sender angeregt worden. Seit Ende April 1941 verfügte er über
ein eigenes Empfangsgerät. Im Sommer 1941 lud Hübener jeweils
einzeln, ohne daß sie voneinander wussten, seine Freunde
Karl-Heinz Schnibbe und Rudi Wobbe zum Hören der Auslandssender
ein. Schnibbe und Wobbe gehörten ebenso wie Hübener der
Hamburger Gemeinde der Mormonen an.
Die Mormonen verstanden es im Gegensatz zu den meisten anderen
christlichen Sekten relativ gut, sich mit dem NS-Regime zu
arrangieren. Durch Schnibbes Bitte, Nachrichten von Sendungen, die
er versäumte, für ihn mitzustenographieren, scheint Hübener
dazu angeregt worden zu sein, das Gehörte zu Flugblättern zu
verarbeiten, die er heimlich auf einer Schreibmaschine der
Mormonengemeinde schrieb. Anfang August 1941 bewog er Schnibbe und
Wobbe dazu, bei der Verteilung der Flugblätter in Briefkästen,
Telephonzellen und Hausgängen der Hamburger Ortsteile Hammerbrook
und Rothenburgsort zu helfen. Anfang 1942 gewann er auch seinen
Arbeitskollegen Gerhard Düwer dafür. Die von Hübener
hergestellten Flugblätter – insgesamt rund 60 mit einer Auflage
zwischen drei und fünf Stück - kontrastierten unter anderem die
amtlichen Wehrmachtberichte mit Nachrichten aus den Programmen der
„Feindsender", wandten sich gegen antireligiöse
NS-Propaganda, kritisierten den als Jugendstrafe eingeführten „Wochenendkarzer"
oder brachten Spottverse auf Joseph Goebbels. In dem wegen seiner
Verhaftung nicht mehr fertiggestellten Flugblatt „Wer hetzt
wen?" hob Hübener die defensiven Motive des amerikanischen
Kriegseintritts hervor.
Anfang Februar 1942 wurde Hübener von seinem Vorgesetzten
denunziert, der beobachtet hatte, wie er erfolglos einen
Mitlehrling dafür gewinnen wollte, ein Flugblatt zur Verbreitung
an Fremdarbeiter ins Französische zu übersetzen. Am 11. August
1942 wurde Hübener in Berlin vom Volksgerichtshof wegen
Vorbereitung zum Hochverrat und anderer Delikte zum Tode
verurteilt. Seine drei Mitangeklagten Schnibbe, Wobbe und Düwer
erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und zehn Jahren. Am 27.
Oktober 1942 wurde Hübener in Berlin-Plötzensee enthauptet.
Walter Klingenbeck aus München entwickelte unter dem Eindruck
der Sendungen von Radio Vatikan, die er bis Kriegsbeginn gemeinsam
mit seinem Vater hörte, und der zwangsweisen Auflösung seiner
katholischen Jugendgruppe schon sehr frühzeitig eine kritische
Einstellung zum NS-Regime. Obwohl das Abhören von Auslandssendern
im September 1939 verboten und mit drakonischen Strafen bedroht
wurde, hörte Klingenbeck weiter Radio Vatikan, den
deutschsprachigen Dienst der BBC und andere „Feindsender".
Im Frühjahr und Sommer 1941 erzählte er seinen Freunden Hans
Haberl und Daniel von Recklinghausen von diesen Sendungen und lud
sie zum gemeinsamen Abhören ein.
Klingenberg griff im Sommer 1941 den Appell der BBC auf, das
V-Zeichen als Symbol des Sieges der Alliierten zu verbreiten, und
brachte, unterstützt durch Recklinghausen, dieses Zeichen groß
mit Lackfarbe an etwa 40 Gebäuden in München an. Er plante die
Verbreitung von Flugblättern mit dem Motto „Hitler kann den
Krieg nicht gewinnen, sondern nur verlängern" und arbeitete
zusammen mit seinen Freunden, die nicht nur denselben katholischen
Hintergrund hatten wie er, sondern auch seine
Radiobastelleidenschaft teilten, am Bau eines eigenen Senders zur
Ausstrahlung antinazistischer Propaganda.
Am 26. Januar 1942 wurde Klingenbeck, nachdem er sich
leichtsinnigerweise mit der V-Aktion gebrüstet hatte, denunziert
und verhaftet, kurz darauf auch Habers und von Recklinghausen. Der
Volksgerichtshof verurteilte die drei am 24. September 1942 zum
Tode, einen vierten, am Rande beteiligten Jugendlichen zu acht
Jahren Zuchthaus. Während Haberl und von Recklinghausen am 2.
August 1943 zu acht Jahren Zuchthaus begnadigt wurden, wurde
Klingenbeck am 5. August 1943 in München-Stadelheim hingerichtet.
Der Wiener Gymnasiast Josef Landgraf hörte seit Kriegsbeginn
Sendungen der BBC, aber auch den von sozialistischen Emigranten
geprägten Sender der Europäischen Revolution. Anfang September
1941 begann er, das Gehörte zu Flugblättern zu verarbeiten.
Obwohl er bereits nach drei Wochen denunziert und festgenommen
wurde, produzierte er auf der Schreibmaschine seines Vaters nicht
weniger als 70 Flugschriften von einer halben bis zu einer Seite
Umfang sowie etwa dieselbe Anzahl von Flug- und Klebezetteln.
Ähnlich wie Hübener hielt er der deutschen Kriegspropaganda
die BBC-Meldungen über deutsche Verluste entgegen und verurteilte
die antireligiösen Aktivitäten der NSDAP. Wie Klingenbeck nahm
auch Landgraf die V-Aktion auf und proklamierte in einem seiner
Flugblätter: „Die V-Armee hat lediglich die Befreiung von
Hitler und seinem Krieg zum Ziel." Bei der Herstellung und
Verbreitung der Flugblätter halfen Landgraf in allerdings eher
geringem Ausmaß seine Schulkameraden Ludwig Igalffy, Friedrich
Fexer und Anton Brunner.
Landgraf und Brunner wurden am 23. August 1942 vom
Volksgerichtshof zum Tode verurteilt, die anderen beiden
Angeklagten zu acht bzw. sechs Jahren Gefängnis. Landgraf wurde
ein Jahr später zu sieben Jahren Gefängnis begnadigt, Brunner
erhielt in der Wiederaufnahme seines Verfahrens fünf Jahre
Gefängnis.
Weitere Literatur:
- Jürgen Zarusky, „... nur eine Wachstumskrankheit"?
Jugendwiderstand in Hamburg und München, in: Dachauer Hefte,
7 (1991)
- Widerstand und Verfolgung in Wien, Bd. 2, Wien 1975
|