Unser antifaschistischer Dortmunder Herbst
Ein Tagebuch von Ulrich Sander
Seit langer Zeit verfolgen die Nazis in Deutschland das Ziel,
mit Terror das Land zu destabilisieren und es zur
"Volkserhebung" für die "deutsche nationale
Identität" zu führen, um es "national zu
befreien". Ausländer und "Ausländerfreunde"
sollen aus dem Land getrieben oder "ausgeschaltet"
werden. Nordrhein-Westfalen, einst in den 80ern Hochburg
rechtsterroristischer Gruppen wie der FAP, wurde jetzt erneut zu
einem rechten Schwerpunkt gemacht. In Dortmund und im Kreis
Recklinghausen hat im Juni 2000 ein Mitglied der
"Kameradschaft Dortmund" in einer Selbstmordaktion drei
Polizeibeamte erschossen, nachdem Polizisten zuvor zweimal in der
Dortmunder Nordstadt gegen Nazis vorgegangen waren und unter
Zustimmung der Medien Ausländer geschützt hatten. In Wuppertal
überfiel im Sommer 2000 eine Gruppe Skinheads mit NPD-Parteibuch
die Teilnehmer einer antifaschistischen Gedenkveranstaltung am
ehemaligen KZ Kemna, um das Gelände für die Nazis und Rassisten
zu erobern. Und dann das immer noch nicht aufgeklärte
Bombenattentat von Düsseldorf Ende Juli 2000, das nach
AntiAntifa-Muster ablief. In Düsseldorf warfen zuvor Skinheads
zwei Ausländer auf die S-Bahn-Schienen. In allen drei Städten
und auch andernorts wurden Waffenlager gefunden, die im Besitz von
Neonazis waren.
Ausgerechnet am Karfreitag 2000, an dem wieder die
traditionelle alljährliche antifaschistische Gedenkveranstaltung
der Stadt Dortmund und der antifaschistischen Kräfte wie dem
VVN-nahen Rombergparkkomitee stattgefunden hatte, waren rund
hundert Nazis nach einer Hitler-Geburtstagsfeier grölend und
prügelnd durch die Innenstadt-Nord gezogen. Daraufhin wurde ein
breites Bündnis gegen die Nazis geschaffen. Mit diesem Bündnis
"Dortmund gegen Rechts", das sich am 1. Mai mit einer
Protestdemonstration gegen die wieder in Dortmund agierenden
Neonazis konstituierte und im Oktober die Initiative zu einem
20.000köpfigen Massenprotest erfolgreich startete, existiert ein
wohl in Deutschland bisher einmalig breites und starkes
antifaschistisches und antirassistisches Bündnis.1)
Wenn es um das antifaschistische wie auch faschistische
Potential Dortmunds geht, wird dennoch Ende des Jahres 2000 fast
nur über die brutale quasi anti-antifaschistische Polizei und
über die mit ihrer Hilfe möglich gewordenen Erfolge der
nazistischen Worch-Borchardt-Bande gesprochen, die zweimal - im
Oktober und Dezember - mit bundesweit organisierten Aufmärschen
die Revierstadt belästigte. Im folgenden sollen dennoch vor allem
Erfahrungen des Bündnisses "Dortmund gegen Rechts"
erläutert und eingeschätzt werden. Denn das Bündnis hat erste
Prüfungen bestanden und es steht vor großen Herausforderungen,
nachdem der "Aufstand der Anständigen" von seinen
Erfindern auch in Dortmund abgeblasen wurde und er immer mehr
diffusen Warnungen vor "Hysterie" und "Chaos"
sowie dem Ratschlag weicht, die Nazis nicht zu beachten, denn mit
einer Strategie "der leeren Straße" (Wolfgang Clement)
erledige sich das Problem von allein.
Aus dem Tagebuch
15. Juni 2000. Abends spreche ich eine Gedenkrede am Denkmal
für die NS-Opfer in Iserlohn – zur Eröffnung des
Friedensfestes. Ich beschränke mich fast ganz auf das
Zwangsarbeiterthema. Zur Meldung, daß die PDS von außerhalb
Iserlohns gemeinsam mit Autonomen eine zusätzliche Antifa-Demo in
Iserlohn am Sonntag angesetzt habe und die Iserlohner
Friedensbewegung verbal angreife, weil sie nicht so etwas mache,
sage ich dem Päule (Org-Leiter): Das ist nicht mein Ding. Die
VVN-BdA ist der Meinung, die örtlichen Kräfte müßten tun, was
richtig ist. Der Antifaschismus ist genügend mit der
Gedenkveranstaltung vertreten und mit dem Friedensfest selbst.
Päule und die anderen sind zufrieden. Einige verlangen eine
Distanzierung von den angereisten der PDS und den anderen,
darunter VVN Hagen. Doch die Mehrheit will das nicht. Man einigt
sich: Die Iserlohner Friedensleute müssen selbst wissen, was zu
tun ist, die "Auswärtigen" wolle man nichtöffentlich
zur Rede stellen.
16. Juni 2000. Noch immer stehen die Zeitungen voll vom
dreifachen Polizistenmord vom letzten Dienstag. Die Lüdenscheider
Nachrichten vom Donnerstag haben Meldungen verbreitet, daß der
Staatsschutz gewußt habe vom Waffenlager des NPD- und
DVU-Aktivisten Michael Berger, des Täters. Die WAZ berichtet
heute: Das wird vom Dortmunder Polizeipräsidenten Schulze
dementiert.
28. Juli 2000. Freitag. Mit Jupp mache ich eine Erklärung zum
Bomben-Anschlag auf die neun deutsch-russisch-jüdischen Menschen
in Düsseldorf-Werhan.
9. August. Dienstag. Das Düsseldorfer Attentat vom 27. Juli
hat vieles verändert. Wohl jeder hielt es für möglich, daß die
Neonazis die Täter sind, auch wenn bisher noch kein Beweis
erbracht wurde. Daß man es für möglich hielt, ist das
Erschütternde. Hoffentlich legt sich die Erregung nicht so
schnell.
Dienstag 19. September. Friedensforum und VVN-BdA in Dortmund
erfahren von der Absicht der Nazis, am 21. 10. gegen den
"Medienterror" in Dortmund zu provozieren und zu
demonstrieren. Für die VVN-BdA und das Friedensforum schreiben
Willi Hoffmeister und ich in Absprache mit dem Sprecher des
Bündnisses "Dortmund gegen Rechts", Mark Rudolff, den
Betriebsräten der Medien und schlagen ihnen eine Menschenkette
zwischen den Verlagshäusern vor. Dabei ging es zunächst darum,
den Nazis wenig Platz für ihre Kundgebung zu lassen. In dem Brief
an die Medien-Gewerkschafter kommt zum Ausdruck: Es wurde von uns
"eine ganztägige antirassistische Menschenkette für Frieden
und Antifaschismus angemeldet. Sie umfaßt die Redaktionsgebäude
der drei Dortmunder Tageszeitungen. Sie haben, wie auch Radio
Dortmund 91/2 und WDR, wichtige Beiträge zur Entlarvung der
Neonazis und zur Zurückweisung jeglicher Art von
Ausländerfeindlichkeit und rassistischer Gewalt geleistet. ...
Sollten Gruppen der Rechten sich einbilden, gegen die Dortmunder
Journalistinnen und Journalisten in der Nähe ihrer Arbeitsplätze
demonstrieren zu dürfen - leider werden sie von Teilen des
Bundesverfassungsgerichts unter Leitung des CDU-Mannes Prof.
Papier neuerdings ständig in dieser verfassungswidrigen
Einbildung bestärkt - so werden sie keinen Platz für ihre
dreisten Provokationen vorfinden."
Mittwoch 20. September. Die WAZ veröffentlicht zustimmend den
Menschenkettenplan. Daraufhin bitten VVN-BdA und Friedensforum die
anderen Medien, ebenfalls über den Vorschlag zu berichten, was
auch geschieht.
Donnerstag 21. September. Der Rat der Stadt stimmt dem
Menschenkettenplan auf Antrag der Abgeordneten Astrid Keller vom
"Linken Bündnis" (bestehend aus PDS, DKP und
parteilosen Linken) zu. Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeyer
(SPD) kündigt namens des gesamten Rates eine zusätzliche eigene
Großkundgebung auf einem großen zentralen Platz unter dem Motto
"Fremde sind Freunde" an. 2)
Mittwoch 25. September. Der Menschenkettenplan wird von der
VVN-BdA zum Demonstrationszug modifiziert, der sich auf der
Strecke der angemeldeten Punkte bewegen soll. Das Bündnis
"Dortmund gegen Rechts" wird gebeten, die Aktion zu
seiner eigenen Sache zu machen. Mit einem eigenem Aufruf des
Bündnisses und mit der Bündnis-Demonstration soll die Kundgebung
der Stadt, die keine eigene Demonstration vorsieht, unterstützt
werden. An diesem Tag wurde bekannt: Ohne daß die Dortmunder
Antifaschisten dazu gehört wurden, legt ein anonymes landesweites
Bündnis einen Aufruf zu einer von außen nach Dortmund
exportierten Demo den Medien vor, der Aufruf 3) enthält Aussagen
gegen die Polizei, die ein "Desaster" erleben werde.
Freitag, 29. September. Das Bündnis "Dortmund gegen
Rechts" tagt und macht sich den Plan von VVN-BdA,
Friedensforum und Freunden aus der DKP zur Menschenketten-Demo zu
eigen. Die Antifa Dortmund Nord legt eine Presseerklärung vor,
mit der für die anonyme landesweite Aktion "Wir stellen uns
quer" aufgerufen wird, die den Nazis den Weg versperren
solle. Zum ersten Mal wird der Zielkonflikt erkennbar: Einen
Massenprotest zur Isolierung der Nazis zu erreichen oder eine
Aktion besonders entschlossener Kräfte, um den Nazis den Weg zu
verstellen. Zusätzlich wird deutlich, das die Autonomen - wie im
Juni in Iserlohn - ohne Absprache mit örtlichen Kräften ihre
Pläne durchsetzen. (Die Autonomen tun dies, seit sie mal in
Wurzen/Sachen damit Aufsehen erregten, wo die örtlichen Kräfte
gelähmt waren. Doch Dortmund ist nicht Wurzen.)
Das Konzept Querstellen wird zugunsten des Konzepts
Massenprotest nicht vom Bündnis "Dortmund gegen Rechts"
übernommen. Es werden zahlreiche Kundgebungsorte genannt, die
angemeldet werden sollen, um den Nazis keinen Platz zu lassen. Nur
unter diesem Gesichtspunkt wird auch die Anmeldung von Plätzen
durch "Wir stellen uns quer" begrüßt. Eberhard Weber
(DGB-Vorsitzender von Dortmund) legt eine Erklärung zugunsten der
Aktion Menschenketten-Demo vor und spricht sich für die Teilnahme
auf dem Hansaplatz aus, dort soll die Manifestation "Fremde
sind Freunde" nun stattfinden. Ähnliche Erklärungen liegen
von dem SPD-Unterbezirksvorsitzenden Günter Wegmann, von der IG
Medien und von vielen Mitgliedsgruppen des Bündnisses
"Dortmund gegen Rechts" vor. Eberhard Weber lehnt jede
Konfrontation mit der Polizei als kontraproduktiv ab. Bis auf
Antifa Nord sprechen sich alle Anwesenden für die Demo auf der
angemeldeten Strecke aus. Es wird berichtet, daß Dieter
Dieckerhoff, Beauftragter des Oberbürgermeisters, für den Rat
der Stadt, dem Bündnis die Zusammenarbeit angeboten hat. Man
solle sich gut abstimmen. Eine Rednerin oder ein Redner des
Bündnisses sollten auf der Kundgebung der Stadt sprechen, auf der
auch Ministerpräsident Wolfgang Clement und OB Langemeyer sowie
der Borussia-Präsident und Vertreter vieler gesellschaftlicher
Kräfte reden würden.
Montag 2. Oktober. Für die VVN-BdA schreibe ich an den Runden
Tisch, den OB Langemeyer im September gebildet hat. Die VVN-BdA
bedankt sich für die Informationen, die sie erhalten hat und für
die Entschuldigung, die von Langemeyer ausgesprochen worden war,
nachdem die VVN-BdA und das Bündnis am 7. September nicht zum
Runden Tisch eingeladen worden sind. Für die VVN-BdA werden
Vorschläge zur Arbeit des Runden Tisches gemacht:
"Vor allem die Schaffung eines Antidiskriminierungsbüros
liegt auch uns am Herzen. Wenn wir das Motto ‘Fremde sind
Freunde’ ernst nehmen, dann sollte es - so meinen wir - nicht
allein um das Ansehen unserer Stadt und um ökonomische
Standortfaktoren gehen. Gegen Faschismus, Rassismus und
Fremdenfeindlichkeit wenden sich die Mitglieder unserer
Organisation seit ihrer Gründung im Jahr 1946 im Interesse der
Menschenwürde, des Friedens und der Demokratie. Faschismus und
Rassismus hatten unser Land und Europa in den Krieg geführt, der
über 50 Millionen Menschen das Leben kostete. Freundschaft unter
den Völkern zu pflegen, war für unsere Organisation eine
wichtige Voraussetzung, um Krieg, Völkermord und Unterdrückung
künftig zu verhindern. Wenn wir heute wieder betonen, Fremde sind
Freunde, so denken wir auch an die Fremden, denen vor einem Jahr
NATO-Bomben auf die Häuser geworfen wurden, und zwar auch mit
Hilfe der Bundeswehr. Ein Teil der Losung von 1945 "Nie
wieder Krieg - Nie wieder Faschismus" ging in einem
völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Angriffskrieg unter. Die
Dortmunder sollten ihre Hilfe für die Kriegsopfer auf dem Balkan
verstärken."
Und weiter: "Schließlich erinnern wir an das notwendige
Eintreten für die vom deutschen Faschismus schwer betroffenen
griechischen Gemeinden und für die Zwangsarbeiterinnen und
Zwangsarbeiter. Für die sehr alten Fremden, die auch Freunde sein
sollten, haben wir uns in Anträgen an den Rat der Stadt von 1998
(Solidarität mit den griechischen Naziopfern und Partnerschaft
Dortmunds mit einer griechischen Opfergemeinde) und 1999 (Hilfe
für die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Dortmund)
verwendet. Da diese Anträge noch immer ihrer Verwirklichung
harren, erneuern und aktualisieren wir sie hiermit."
Mittwoch 4. Oktober. Eine Arbeitsgruppe des Bündnisses
"Dortmund gegen Rechts" berät über den 21. Oktober,
dem Tag der Manifestation auf dem Hansaplatz und der
Menschenketten-Demo hin zum Hansaplatz. Es soll ein Aufruf
erscheinen. Plakate und Flugblätter werden vorbereitet.
Montag 9. Oktober. Es trifft eine Zeitung des "Linken
Bündnisses" (LB) ein, darin rufen das Dortmunder LB sowie
PDS und DKP der Stadt zur landesweiten Demo Querstellen auf. Den
Verantwortlichen der Menschenketten-Demo des Bündnisses
"Dortmund gegen Rechts", die sich bestürzt über den
einseitigen Schwerpunkt der Kommunisten und Sozialisten äußern,
wird signalisiert, daß sich "Stellt sich quer" auf den
letzten Metern der "Dortmund gegen Rechts"-Demo
anschließen wolle.
Dienstag, 10. Oktober. Die VVN-BdA bestätigt einen Brief an
die 16 Dortmunder Schwarze-Listen-Bedrohten. Was hat es damit auf
sich? Von Anfang an wurden die Behörden von den Dortmunder
Antifaschisten aufgefordert, die für Oktober geplante Provokation
des Faschisten Christian Worch und seiner Bande auf dem gesamten
Stadtgebiet zu verbieten, denn Worch ist einer der Führer der
SA-ähnlichen AntiAntifa, die u.a. mit ihrer Schwarzen Liste
"Einblick" nachhaltig zum Terror und zur Gewalt gegen
Antifaschisten, besonders gegen demokratische Journalisten,
aufruft.4) Ich hatte den Dortmunder Schwarze-Listen-Bedrohten
einen Brief an den Oberbürgermeister zur Kenntnis gegeben, in dem
es heißt.
"Worch und seine Bande sind offenbar beunruhigt, daß die
Medien an Rhein und Ruhr aufgehört haben, die Abwiegelungen und
Einzeltäterthesen der Polizei kritiklos zu befolgen. Die Medien
haben gründlicher analysiert, und nun werden sie von rechts
terrorisiert. Wie andere Dortmunder Journalisten werde ich schon
seit sieben Jahren von Christian Worch und seiner terroristischen
AntiAntifa bedroht. Damals setzte er Dortmunder Antifaschisten,
ausländische Mitbürger, antirassistische Pädagogen,
Betriebsräte, Historiker und Publizisten auf die Schwarze Liste
"Einblick", die von Jahr zu Jahr ergänzt wurde.
Mindestens sechs Tote (die Fälle Lemke und Berger, die jedoch von
Polizei und Justiz verharmlost wurden, belegen es) sind seit
Beginn dieser AntiAntifa zu beklagen. In der Öffentlichkeit wird
die Frage erörtert: Folgt der RAF die BAF, die Braune
Armeefraktion? Doch brauner Terror ist seit Jahren vorhanden,
allerdings nicht im gezielten Kommandostil. Ende 1993 wurde mit
der schon genannten Schwarzen Anti-Antifa-Liste
"Einblick" nicht das Kommando an eine bestimmte
Nazigruppe erteilt, zu töten. Es wurde vielmehr zur allgemeinen
Lynchjustiz, zur "endgültigen Ausschaltung der politischen
Gegner" aufgerufen: "Jeder von uns muß selbst wissen,
wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir
hoffen nur, ihr geht damit um!" Das schrieben Worch und seine
Leute, zumindest stimmte Worch dem im Fernsehen zu. ... Der Drang
nach Fürsorge für Naziterroristen war auf Seiten von Behörden
leider jahrelang erheblich. Die örtlichen Staatsschutzbehörden
bekamen seinerzeit 1993 vom Bundeskriminalamt den Hinweis, den
"Einblick" nicht so ernst zu nehmen: Dies sei die
verständliche Antwort der Nazis auf die Anarchisten und Roten.
Die "Einblick"-Macher waren bekannt, wurden aber nicht
bestraft. In Dortmund half der Oberbürgermeister den "Einblick"-Betroffenen;
dafür sei ihm Dank ausgesprochen."
Mittwoch 11. Oktober. Es wird ein Aufruf des Bündnisses
"Dortmund gegen Rechts" beschlossen und verbreitet.
Plakate gehen in Umlauf. Die politischen Inhalte der Aussagen des
Bündnisses gehen weit über die "Fremde sind Freunde"-
und "Aufstand der Anständigen"-Texte der etablierten
Kräfte hinaus.
Montag 16. Oktober. Neues Treffen einer Arbeitsgruppe von
"Dortmund gegen Rechts", um eine große Aktionsberatung
des Bündnisses vorzubereiten. Antifa-Nord ist vertreten, ohne
Anträge zu stellen. Mark Rudolff wird beauftragt, die Rede
gemeinsam mit Willi Hoffmeister (DKP, Friedensforum und Linkes
Bündnis) und mit mir vorzubereiten und dann auf dem Hansaplatz zu
halten. Es wird beschlossen, die Menschenkettenaktion nach Lage
der Dinge durchzuführen. In jedem Fall will man vom Platz von
Leeds zur Westdeutschen Allgemeinen und zur Westfälischen
Rundschau gehen. Später dann auch zum Ruhrnachrichten-Haus.
Dienstag 17. Oktober. Pressekonferenz von "Dortmund gegen
Rechts" für den 21. 10. und Begegnung mit Amtsleiter Dieter
Dieckerhoff vom Rat der Stadt zur Absprache zwischen dem Bündnis
"Dortmund gegen Rechts" und der Stadt hinsichtlich des
21. 10. Es wird uns der Aufruf des Oberbürgermeisters übergeben,
der allen Haushalten in Dortmund und im Landkreis Unna per
Postwurfsendung zugestellt wird. Der Aufruf hat den Wortlaut:
"Liebe Dortmunderinnen und Dortmunder, in unserer Stadt leben
78.000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger aus insgesamt
160 Nationen. Sie machen Dortmund zu einer liebenswerten und
internationalen Metropole. Deshalb dürfen wir es nicht zulassen,
daß unsere Stadt am 21. Oktober zum Aufmarschplatz der
Rechtsextremen wird. Der Rat der Stadt Dortmund hat entschieden,
an diesem Tag auf dem Hansaplatz eine Großkundgebung unter dem
Motto "Fremde sind Freunde" zu veranstalten. Ich rufe
Sie auf, diesen Aufstand der Anständigen" durch Ihre
Teilnahme zu unterstützen. Handeln ist wichtiger als Reden:
Zeigen wir gemeinsam Flagge im Bemühen um Weltoffenheit und
Toleranz!"
Mittwoch 18. Oktober. Aktionsberatung von "Dortmund gegen
Rechts". Ich berichte vom Gespräch mit Dieckerhoff (der
übrigens in Vertretung des in Urlaub weilenden
Oberbürgermeisters handelt). Viele Diskussionsredner gehen von
der Genehmigung der Nazidemo aus, nachdem der Polizeipräsident
das Verbot der Nazidemo betreibt, jedoch damit vor dem
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen scheiterte, weil das Argument
nicht greift, Sicherheit und Ordnung seien mit dem Naziaufmarsch
gefährdet, da er in einer Stadt stattfinde, deren Polizei und
Bevölkerung nach dem Mord an drei Polizisten durch einen Neonazi
zutiefst beunruhigt seien. Es wird mitgeteilt, daß die Stadt ihre
Manifestation auf dem Hansaplatz möglichst solange ablaufen
lassen will, bis die Nazis die Stadt verlassen haben. Das Bündnis
"Wir stellen uns quer" teilt mit, es werde am
Hauptbahnhof losmarschieren, seine Demonstration werde sich mit
der des Bündnisses auf dem Platz von Leeds vereinigen und dann
zum Hansaplatz mitgehen, da weitergehende Demostrecken nicht
genehmigt wurden. Was nicht gesagt wird: Im Internet zieht diese
zumeist Autonomenbündnis genannte Bewegung ihren Aufruf, mit zum
Hansaplatz zu gehen, zurück, um eine Polemik gegen die
Hansaplatzmanifestation zu beginnen. In der Diskussion fordern
"Wir stellen uns quer", PDS und Antifa Nord, Mark
Rudolff, Vertreter der Grünen und Sprecher von "Dortmund
gegen Rechts", solle in seiner Rede zum Verlassen des
Hansaplatzes und zur spontanen Demo aufrufen, um den Nazis den Weg
zu versperren. Die Demoverantwortlichen des Bündnisses
Hoffmeister und Sander stellen klar, daß sie dafür nicht als
Demoleiter zur Verfügung stünden. Wenn das Bündnis per
Abstimmung etwas beschließe, was wichtige Partner nicht mittragen
könnten, sei das Bündnis zu Ende. Dennoch besteht Antifa-Nord
auf einer Abstimmung, die Mark Rudolff binden soll. Die
DGB-Vertreterin und die der SPD kündigen den Auszug des DGB und
anderer Kräfte an, wenn es im Bündnis so weiter gehe. Willi
Hoffmeister und ich erklären als Demoleiter von Bündnis
"Dortmund gegen Rechts", wir würden nach Rudolffs Rede
eine Menschenkette zu bilden versuchen, jedoch es jedem selbst
überlassen, an die Polizeiketten heranzugehen. Die Mehrheit
beharrt darauf, daß Mark Rudolff - obgleich sie wissen, daß er
damit das Bündnis gefährdet - zum "Querlegen" aufruft.
Nach dieser Kontroverse kommt es überraschend zu einer
konstruktiven Diskussion und Einigung zu Mark Rudolffs Rede! Darin
ist nicht mehr vom Aufruf zum Querstellen die Rede. Die Rede hat
den Wortlaut:
Ich spreche hier für das Bündnis Dortmund gegen Rechts, einem
Bündnis aus über 70 öffentlichen Institutionen, Parteien,
Gewerkschaften, Sozialverbänden, Kirchen, Initiativen und
engagierten Einzelpersonen. Wir fordern ‘Setz Dich ein für ein
solidarisches, gewaltfreies und respektvolles Miteinander’. In
dem Sinne, dass Handeln wichtiger ist als Reden, wünschen wir
uns, dass dem, was hier gesprochen wurde und noch wird, wirklich
Taten folgen werden.
Wir haben uns auf diesem Platz versammelt, weil wir in einer
Gesellschaft leben wollen, in der Menschen nicht bedroht, gejagt
und terrorisiert werden. Hierher sind Leute gekommen, die rechte
Hetze nicht einfach hinnehmen. Es sind Menschen dabei, die denen
helfen, die hier Asyl suchen. Damit Fremde, die Zuflucht suchen,
Freunde werden können, gehören sie raus aus dem Abschiebeknast.
Hier demonstrieren Menschen, die entsetzt sind über Politiker,
die den angeblichen Volkswillen umsetzen, indem sie mit der
Einteilung von Menschen in ‘nützlich’ und ‘unnütz’ auf
Stimmenfang gehen. Hier sind Menschen, die nicht nur, wenn es der
Regierung und Unternehmern zum Standort-Image paßt, Gesicht und
Zivilcourage zeigen.
Hier sind Leute, die schon in der Nazizeit gegen den Faschismus
und in den Jahren danach gegen den Neonazismus gekämpft haben.
Sie haben am eigenen Leib erfahren, dass Faschismus keine Meinung,
sondern ein Verbrechen ist. Sie wissen, warum sie festhalten an
der Losung: ‘Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus’.
Hier sind Menschen, die mit den Zwangsarbeitern solidarisch
sind, die noch immer auf ihre Entschädigung von derselben
deutschen Industrie warten, die heute um den Imageschaden im
Ausland durch rechte Gewalt fürchtet. Diskriminierung und Gewalt
gehen nicht nur von jenen aus, die nur wenige hundert Meter von
hier aufmarschieren wollen. Sie findet sich auch im Handeln der
Parteien, Regierungen und Behörden in diesem Lande wieder. Die
vorsätzliche Stimmungsmache mit Themen wie Flucht und Zuwanderung
trägt zu einem Klima bei, in dem die Ausgrenzung und
Diskriminierung von Minderheiten gedeiht.
Den Boden für die rechtsextreme Gewalt bereitet eine
Propaganda, in der ein Bewußtsein von Blut und Boden, Volk und
Vaterland vermittelt wird, eine Propaganda, die die Gier nach
Macht und Besitz zu einem Recht des Stärkeren, zum Naturgesetz
erklärt. Die Zahl und die Brutalität der Verbrechen in diesem
Land, die vor dem Hintergrund solcher Wertvorstellungen begangen
werden, haben zugenommen. Die Polizistenmorde und das aggressive
Auftreten von Schlägern, die sich Kameraden nennen, zeugen auch
in Dortmund davon.
Die Rechten mit ihrem geschlossenen, rassistischen, und
demokratiefeindlichen Weltbild können jedoch erst dann eine Rolle
spielen, wenn wir ihnen nichts entgegensetzen und die
populistischen Stimmungsmacher auszählen.
‘Setz Dich ein für ein solidarisches, gewaltfreies, und
respektvolles Miteinander’ heißt die Aufforderung des
Bündnisses Dortmund gegen Rechts. Unser Ziel ist die Vermittlung
und Einforderung von Werten, die unsere gemeinsame Basis für eine
demokratische und freie Gesellschaft sind. Die Voraussetzung für
gesellschaftliche Teilhabe sind gleiche Rechte für alle Menschen.
Zivilcourage läßt sich nicht staatlich verordnen. Sie kann
nur aus der Gewißheit entstehen, das Solidarität, Toleranz, und
Respekt gesellschaftliche Werte sind, für die wir einstehen. Wenn
Journalisten für ihre Aufklärung über die Verbrechen und
Strukturen der Rechten angegriffen werden, dann müssen wir uns
solidarisch erklären.
Wir rufen alle auf, die gemeinsam mit uns demonstrieren wollen:
Aufstehen gegen rechts! Wartet nicht auf einen Aufruf der
Regierenden zu einem ‘Aufstand der Anständigen’, sondern
lasst das Aufstehen gegen Rechts unsere beständige Aufgabe
sein." Soweit der Redetext. 5)
Samstag 21. Oktober, Tag der Naziprovokation und der
Gegenaktionen gegen die Neonazis. Es läuft in etwa so, wie am
Mittwoch zuvor beschlossen. In der Nacht vor diesem Samstag hat
das höchste Verwaltungsgericht von Nordrhein-Westfalen den
Naziaufmarsch genehmigt und dabei die Argumente des
Polizeipräsidenten mißachtet, der auf den illegalen Status der
Demoleitung der Nazis hinwies, die eine Fortsetzungstätigkeit der
verbotenen FAP erwarten lasse. (Das Oberste Verwaltungsgericht in
Münster tagte unter der Leitung eines Juristen, der der
CDU-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund angehört!) Willi
Hoffmeister erklärt dazu: "Warum unternimmt der
Polizeipräsident nichts gegen das Urteil des
Oberverwaltungsgerichts von Münster, das den Nazis freie Bahn
gab? Hatte er doch nachgewiesen, daß es sich am 21. 10. um die
Fortsetzung der verbotenen FAP handelt. Das Gericht von Münster
gibt einen Vorgeschmack auf die Zeit nach einem NPD-Verbot: Es
wird nichts passieren, Nachfolgeorganisationen dürfen unter
anderem Namen mit denselben Leuten ihren Terror fortsetzen. Wir
verlangen die Auflösung der Naziorganisationen nach Artikel 139
des Grundgesetzes. Dieser Artikel verbietet nicht nur
NSDAP-Nachfolger, sondern auch ihre Propaganda.
Was ist das für ein Gericht, das da den Faschisten die Straße
frei gibt? Es ist das selbe Oberverwaltungsgericht Münster, das
den Studentinnen und Studenten immer wieder verboten hat, sich
politisch zu äußern. Es ist dasselbe Gericht, das 1995 am 8.
Mai, dem Tag der Befreiung von Krieg und Faschismus, dem
Vizepräsidenten des Buchenwaldkomitees und Überlebenden des
Holocaust Emil Carlebach verboten hat, an der Universität
Münster auf Einladung des Allgemeinen Studentenausschusses zu
sprechen."
Nach Willi Hoffmeister rede ich als Bundessprecher der VVN-BdA
auf der Eröffnungskundgebung auf dem Platz von Leeds. Ich lese
einen Brief an den Ministerpräsidenten Wolfgang Clement vor, der
diesem zur gleichen Zeit auf dem Hansaplatz überreicht wird:
"Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Sie werden hier heute
zu dem Thema ‘Fremde sind Freunde’ sprechen. Wir möchten Sie
daher dringend ersuchen, die Anweisung aufzuheben, die besagt: ‘Die
Landesregierung appelliert an die Städte und Gemeinden soweit
irgendmöglich, in den von ihnen betriebenen Unterkünften zum
Unterbringen von Asylbewerbern und DeFacto-Flüchtlingen ebenfalls
für einen abschreckenden Effekt durch die Art der Unterbringung
zu sorgen.’ (Aus einem Protokoll des NRW-Städte- und
Gemeindetages vom 20. 10. 1990, zit. nach: Westdeutsche Zeitung,
Krefeld, 19. 6. 2000) Fremde sind Freunde – Freunde gehören
weder in den Abschiebeknast, noch in eine Unterbringung mit ‘abschreckendem
Effekt’.
Fremde sind Freunde – doch fremde wie auch bekannte Nazis
sind keine Freunde, sondern entschieden abzulehnen. Wenden Sie,
Herr Ministerpräsident, den Artikel 139 des Grundgesetzes an. Er
besagt, daß die zur Befreiung des deutschen Volkes von
Militarismus und Nationalsozialismus nach dem Krieg geschaffenen
Rechtsvorschriften noch immer gültig sind. Willy Brandt
bekräftigte 1973 beim Beitritt der Bundesrepublik zur UNO diesen
Artikel und wandte ihn auf die Neonazis an. Nazismus und
Neonazismus sind verfassungswidrig. Die entsprechenden
Organisationen sind aufzulösen. Vor allem ist ihre Propaganda zu
verbieten.
In der Landesverfassung heißt es: ‘Vereinigungen und
Personen, die es unternehmen, die staatsbürgerlichen Freiheiten
zu unterdrücken oder gegen das Volk, Land oder Verfassung Gewalt
anzuwenden, dürfen sich an Wahlen und Abstimmungen nicht
beteiligen.’ (Artikel 32, Absatz 1) Verbieten Sie die
Naziorganisationen und lassen Sie diese nie wieder an Wahlen
teilnehmen, Herr Ministerpräsident. Verhindern Sie die Gewalt der
Nazis und ihre Aufmärsche.
Fremde sind Freunde. Ihnen wirft man keine Bomben auf den Kopf.
Doch das ist vor einem Jahr durch deutsche Hand geschehen. Sie,
Herr Ministerpräsident, haben vorgestern 4000 deutsche Soldaten
auf den Balkan zum Kriegseinsatz entsandt. Doch das Grundgesetz
kennt allenfalls den Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung, es
verbietet die Vorbereitung und Führung eines Angriffskrieges wie
die Auslandseinsätze (GG-Artikel 25/26). Beteiligen Sie sich
nicht länger am Verfassungsbruch der Bundesregierung, Herr
Ministerpräsident. Stellen Sie stattdessen die Verfassung wieder
her." Soweit mein Brief an Clement. 6)
Sodann beginnt die Demonstration. Sie führt rund 2.000
Menschen um die Verlagshäuser der WAZ und WR herum zum Platz von
Leeds zurück. Zahlreiche Betriebsräte, Gewerkschafter,
Jugendgruppen, Schülervereinigungen, Gemeinden und Initiativen
hatten zu dieser Demo aufgerufen. Nachdem mit Verspätung auch der
Demonstrationszug "Wir stellen uns quer" herangekommen
war, zog der Bündniszug auf den Hansaplatz, wo allerdings das
Quer-Bündnis mit ca. 2000 Teilnehmern zumeist nicht den Platz
betrat, sondern zum Platz von Leeds zurückkehrte, um später sich
aufzulösen und in kleinen Gruppen an die Polizeiketten
heranzugehen.
Der Ministerpräsident, der Oberbürgermeister, der
Bündnissprecher Mark Rudolff und viele andere sprechen auf dem
Hansaplatz. Es findet ein antifaschistisches Kulturprogramm statt.
Die Kirchenvertreter rufen zum Gebet. Politiker, Gewerkschafter,
Unternehmer, Schülervertreter, Journalisten, Wissenschaftler,
Ausländerbeiräte und der Präsident von Borussia Dortmund - es
ist drei Tage vor dem Börsengang des Vereins - sagen aus, was die
Menschen auf dem Platz vereint - aber auch, was sie unterscheidet.
Siehe die Rede von Mark Rudolff. Er ruft heute zusätzlich nur zur
anschließenden Menschenkettenaktion auf. Für das Herangehen an
Polizei und Nazis gibt es nur Werbung in Form eines anonymen
Flugblattes. Über 20.000 Teilnehmer - soviel wie seit über 15
Jahren nicht mehr bei einer politischen Veranstaltung in Dortmund
- sind zunächst auf dem Hansaplatz versammelt. Im Verlauf der
Kundgebung lichtet sich der Platz. Dies jedoch nicht, weil die
Zigtausende an die Polizeikette herangehen, sondern weil sie nicht
von 11 bis 16 Uhr ausharren wollen. Der Hansaplatz ist ungefähr
genauso weit von dem Neonaziaufmarsch entfernt wie die rund 4000
Antifaschisten, die an die Polizeiketten herangehen, und die nicht
weiter vordringen können. Dennoch werden manche Linke und
Autonome schon am selben Abend unfreundlich über jene auf dem
Hansaplatz sprechen, die sich nicht "querlegten". Sie
werden dem Reporter der "Jungen Welt" den Unsinn
erzählen, der Sprecher des Bündnisses "Dortmund gegen
rechts" habe gesagt, nicht jene auf dem Hansaplatz zeigten
Zivilcourage, sondern nur jene an der Polizeikette.
Es kommt zu den bekannten Abläufen: Die Nazis dürfen
demonstrieren, werden von der Justiz und der Polizei geschützt,
die über 300 Demonstranten festnimmt, nachdem sie vorher
stundenlang in einen Kessel gesperrt werden. Vor allem junge
Leute, die das überall in Politikerreden geforderte "Gesicht
zeigen" ernst nehmen und erstmals auf einer Demo zu sehen
sind, waren in dem Polizeikessel eingepfercht, stundenlang bewacht
und dann in das Polizeipräsidium gebracht worden. Erst spät in
der Nacht werden sie wieder ihren Eltern übergeben, und zwar
nachdem sie erkennungsdienstlich behandelt wurden. Was wird mit
ihren Daten geschehen? Was dachten sich die Polizisten und ihre
Führer dabei? Warum schützten sie die Komplizen der Mörder
ihrer Kollegen, die im Juni vom Neonazi Berger, dem Freund der NPD
und der "Kameradschaft Dortmund", dem Verwalter eines
neonazistischen Waffenlagers, umgebracht wurden?
Repräsentanten des Bündnisses "Dortmund gegen
Rechts" werden bis abends spät zu Konfliktorten gerufen. Sie
und Grüne wie Linkes-Bündnis-Politiker intervenieren bei der
Polizei gegen die brutalen Attacken der Polizei und gegen die
Provokationen von Nazigruppen, die noch Stunden lang durch
Dortmund ziehen, dann in Züge gesetzt werden, ohne daß die
Polizei Vorkehrungen zum Schutz friedlicher Bahnpassagiere trifft.
Dann am Mittwoch 25. Oktober: Antifaschistische Telefonkette
gegen die Borchardt-Bande im Norden. 40 Nazis randalieren vor dem
Kulturzentrum "Langer August". Die Polizei läßt sie
unbehelligt abziehen.
Freitag 27. Oktober. Auswertungstreffen von Bündnis
"Dortmund gegen Rechts". Mark Rudolff bewertet den 21.
10. positiv, viele Redner folgen ihm. Rüdiger Raguse, Betriebsrat
bei Thyssen Krupp AG, kündigt eine künftige eigene Aktion
älterer Menschen zum Schutze der Kids an. Er erhebt schwere
Vorwürfe gegen die Sozialdemokratie und ihren
Polizeipräsidenten, was Reinhold Giese (Stadtrat und
SPD-Vertreter im Bündnis) zum Verlassen des Gremiums veranlaßt.
Sprecher des "Linken Bündnis" und von "Wir stellen
uns quer" verlangen Auskunft, warum auf dem Hansaplatz nicht
aufgerufen wurde, sich gegen die Nazis zustellen. Ein
ausländischer Kollege behauptet, "Dortmund gegen
Rechts" habe die Leute verraten, die dann in den Kessel
gerieten. Die Bündnissprecher verbitten sich diese Frechheit. Es
wird zusammengefaßt, daß man sich hinsichtlich der Beurteilung
des positiven Resultats der Mobilisierung vom 21. 10. einig sei,
daß das Bündnis weiter machen wolle und sich als nächstes der
Nachbarschaftshilfe für die Angegriffenen vom 25. 10. annehmen
werde, ferner des 9.11., Jahrestag der Reichspogromnacht, und
einer Aktion gegen die Verbreitung von Nazi-Zeitungen durch die
öffentlichen Kioske. Später stellt sich heraus, daß niemand aus
dem Bündnis ausgetreten ist. 7)
Ein Sprung zum 16. Dezember in Dortmund: Wieder kamen die
Neonazis zu einer Demonstration. Das Verhalten der Polizei und
Justiz hat sie ermuntert. Der Dortmunder Oberbürgermeister lehnte
es ab, zu Protesten aufzurufen, denn er wolle sich nicht von
Rechtsextremisten vorschreiben lassen, wann er demonstriert und
wann nicht. Vor allem wollte er offenbar dem Handel mit seinem
bedrohten Weihnachtsgeschäft nicht neben Nazi- auch Antinazidemos
zumuten, die nur die Straßen verstopfen. So rief dann das
Bündnis "Dortmund gegen Rechts" zu einem Protestmarsch
auf. Es kommen 2000 Menschen, die sich auf einer von der Polizei
verkürzten Strecke bewegen. Das Bündnis "Wir stellen uns
quer" besteht auf einer eigenen Demo, die absichtsvoll gar
nicht stattfindet. Einige hundert Teilnehmer verlassen den
Stellplatz, nachdem die Quer-Demo sofort vom Veranstalter
aufgelöst wurde, auf daß die Teilnehmer sich zu den Nazis
durchschlagen. Sie kommen dort nie an.
Auf der Kundgebung von "Dortmund gegen Rechts"
spricht u.a. in Angesicht der Steinwache Heinz Junge, der dort von
der Gestapo inhaftiert wurde und einen jahrelangen Leidensweg
durch die KZ antreten mußte. Heinz Junge erinnerte daran, daß
auch 1932 die Polizei den Nazis den Weg für ihre Demonstrationen
bereitete - zunächst den Weg der Demo, dann seitens der politisch
und ökonomisch Mächtigen den Weg an die Macht.
600 Demonstranten werden, nachdem die Antifademos längst
beendet sind, später von der Polizei eingekesselt, drangsaliert,
der Freiheit beraubt. Das Verhängnis vom 21. Oktober wiederholt
sich.
Aber auch dies geschieht nach Abschluß der Demonstrationen der
Nazis und der Demokraten: Der DGB geht mit dem Gerät der
Stadtreinigung den Nazi-Demoweg nach unter dem Motto vor: Putzt
ihn weg, den braunen Dreck. Und nicht vergessen werden darf die
Aktion einer Naturfreunde-Gruppe um die Stahl-Betriebsräte
Rüdiger Raguse und Norbert Bömer, die sich früh morgens auf den
Kundgebungsplatz der Nazis am Südbad gewissermaßen hat
"einschließen" lassen, um dann mit einem Megaphon und
trotz des Polizeischutzes für den Nazizug diesen unmittelbar und
lautstark zu begleiten.
Montag, 18. Dezember: Ulrich Sander, Bundessprecher der
VVN-BdA, erklärte zu den Ereignissen des 16. 12.: "Wenn der
Polizeipräsident von Dortmund am vergangenen Samstag 3000
Polizisten einsetzt und von 1400 Demonstranten gegen den erneuten
Naziaufmarsch 600 festnimmt, dann ist die Botschaft klar: Diese
Stadt soll zu einem Stück Polizeistaat gemacht werden, in dem
Nazis sich unter dem Schutz von Behörden und Justiz und entgegen
Grundgesetzartikel 139 und 1 entfalten dürfen. Antifaschisten
sollen entmutigt werden, ihre Grundrechte wahrzunehmen.
In Gestalt der Worch-Borchardt-Bande fand zum zweiten Mal ein
Aufmarsch der verbotenen FAP statt. Doch Polizei und Justiz
unternehmen nichts dagegen. Sie geben einen Eindruck davon, was
der oberste Polizeichef von Nordrhein-Westfalen, der angeblich das
NPD-Verbot betreibende Innenminister Behrens, unter Maßnahmen
gegen Rechtsextremismus versteht. Der Verbotsantrag von Bund und
Ländern gegen die Nazis ist das Papier nicht wert, auf dem er
geschrieben wird. Auch nach einem Verbot dürfen sich Naziparteien
unter anderem Namen - und nur ein wenig mit staatlich angeordnetem
Uniformverbot verbrämt - betätigen. Das zeigte sich in Dortmund.
Während der dortigen Nazidemonstration setzte die Polizei nicht
einmal ihre eigenen Anordnungen durch: Es wurde gegen Teile der
Bevölkerung - wie Antinazis unter den Polizisten wie auch gegen
Ausländer in Ostdeutschland und gegen Israel gehetzt und der
Führer der verbotenen FAP demonstrativ begrüßt, es wurden
verbotene Parolen gerufen.
Wir fordern die Landesregierung und den Landtag in Düsseldorf
auf, dem Treiben der Nazis und der Polizei in Dortmund nicht
länger tatenlos zuzuschauen. Tausende Bürgerinnen und Bürger
haben in den letzten Tagen an den Polizeipräsidenten eine
Postkarte der SPD gerichtet, auf der stand: "Ich erwarte von
Ihnen, daß sie ausdauernd aktiv werden und Demonstrationen
gewaltbereiter rechter Organisationen und Gruppierungen in
Dortmund grundsätzlich verbieten." Diese Forderung richten
wir nun an die sich rot-grün nennende Landesregierung und das
Landesparlament. Wir fordern ferner die Durchsetzung des Artikels
139 des Grundgesetzes, der die Fortsetzung des seit 1945
verbotenen Nationalsozialismus untersagt." (Die Erklärung
wird u.a. von afp und Süddeutscher Zeitung verbreitet.)
Der Dortmunder Polizeipräsident, an den die
SPD-Postkartenaktion gerichtet war, heißt Hans Schulze. Einer
seiner Vorgänger vor langer Zeit hieß Karl Zörgiebel. 8) Hans
Schulze darf nicht verwechselt werden mit seinem unmittelbaren
Vorgänger Wolfgang Schulz, der viel zu früh verstarb und der
niemals eine Nazikundgebung oder -demonstration in Dortmund
zugelassen hat. Wolfgang Schulz teilte den Kundgebungsorte
begehrenden Nazis stets mit, der gewünschte Termin und Ort sei
belegt, um dann bei demokratischen Organisationen eine Anmeldung
anzufordern, mit der die Neonazis nachhaltig abgeblockt wurden.
Hans Schulze sind solche Aktionen fremd, eher neigt er denen von
Karl Zörgiebel zu, wenn auch bisher noch keine Schußwaffen gegen
Arbeiter und Demokraten in Dortmund eingesetzt wurden. Es muß
aber mit allem gerechnet werden, fürchte ich.
Samstag 23. Dezember: Zwei Dortmunder fassen in einem
Leserbrief an die Westfälische Rundschau das Geschehen vom 16.
12. und das Echo darauf sehr gut zusammen: "Wir haben seit
dem 16. 12. 2000 zahlreiche Fernsehberichte auf Video aufgenommen,
täglich vier verschiedene Tageszeitungen, zig Internetseiten und
den Polizeibericht sehr sorgfältig studiert, und unser Entsetzen
ist mit jedem Tag größer geworden.
Wenn es stimmt, daß die Situation in der Gutenbergstraße eine
Maßnahme wie diese Einkesselung nicht zwingend notwendig gemacht
hat, daß aus der eingekesselten Menge heraus keine Straftaten
begangen wurden, daß Polizistinnen und Polizisten vor Ort keine
Bedrohung durch ‘diesen Kindergarten’ wahrgenommen haben, daß
die Polizeiführung die Anfangsbegründung ‘Strafverfolgung’
für ihr Vorgehen am frühen Nachmittag fallen lassen mußte, dann
aber am Abend wieder neu konstruiert hat, daß keinerlei konkrete
Anhaltspunkte für die zu erwartenden Straftaten von Personen im
Kessel genannt werden können, daß Personen, die sich abseits des
bereits geschlossenen Kessels aufhielten, unter Gewaltanwendung
oder -androhung durch die Polizei in den Kessel hineingezwungen
wurden, daß Menschen egal welchen Alters im Polizeigewahrsam wie
Vieh in Käfige eingepfercht worden sind, daß einzelne besorgte
Eltern belogen, beleidigt oder gar bedroht worden sind, daß die
Neonazis gerichtlich verfügte Auflagen ohne Einschreiten der
Polizei mißachtet haben, daß die Polizeiführung etwaige
durchaus nachvollziehbare und verständliche Fehleinschätzungen
nicht eingestehen will, daß die Polizeiführung nun polarisierend
mauert, sich selbst einkesselt und tatsächlich 595 Strafanzeigen
wegen Landfriedensbruch stellen will, wenn auch nur wenige dieser
von uns in Erfahrung gebrachten Verdachtsmomente sich als
zutreffend erweisen sollten, dann sollte Herr Dr. Langemeyer sein
Lob für diesen Polizeieinsatz noch einmal gründlich überdenken,
im Interesse all derer, die in Vereinen, Kirchengemeinden,
Schulen, Betrieben, Initiativen etc. alltäglich für Zivilcourage
gegen Rechts werben und Mitmenschen ermutigen, gegenüber
Rassismus ‘Gesicht zu zeigen’.
Denn dann würde seine Äußerung, die Polizeiführung habe
sich ‘flexibel auf die einzelnen Demonstrationen eingerichtet’
in einem ganz anderen Licht erscheinen. Dann dürfte all denen,
die der Rede des Herrn Dr. Langemeyer am 21. 10. 2000 heftig
applaudiert haben, so wie wird dies taten, in Zukunft wohl ein
eisiger Wind ins Gesicht wehen. Dann würde es in Dortmund so
langsam mit rechten Dingen zugehen. Würde sich Dortmund daran
gewöhnen? Bettina Coors und Heinz Schroeder, Dortmund."
Schlußbemerkung:
Nicht ausführlich diskutiert wurde im Bündnis "Dortmund
gegen Rechts" ein Papier, das vom Linken Bündnis nach der
Demonstration vom 21. 10. vorgelegt wurde. Es nennt sich
"Offener Brief an Politik und Medien". Diesem Offenen
Brief zufolge kann das Linke Bündnis keinen Erfolg in der
Massenmobilisation vom 21. 10. erkennen. Es kann offenbar nicht
mit der neuen Entwicklung klarkommen, da auch etablierte Kräfte
sich gegen die Nazis regen. So wird dann dem Runden Tisch unter
der Führung von Oberbürgermeister Langemeyer sowie dem Bündnis
"Dortmund gegen Rechts" vorgeworfen, "eine
politisch falsche Idee und eine ablenkende Inszenierung" in
die Welt gesetzt, die Leute auf dem Hansaplatz festgehalten und
sich an Sonntagsreden beteiligt zu haben.
20.000 Menschen haben sich also nicht gegen die Nazis gestellt,
sondern irgendwie den "Spuk am Südbad" toleriert? Ich
frage in meiner Antwort auf den Offenen Brief: Reden wir so über
Menschen, die wir gewinnen wollen und mit denen allein wir dem
Nazispuk nachhaltig beenden können? Über Menschen, die ihre
Kinder mitbrachten, sich und ihre Familie nicht den Nazi- und
Polizeiattacken aussetzen wollten, die einfach nur ihr
"Nein" ausdrücken wollten zum Nazispuk? Die erstmals im
Leben auf die Straße gingen? "Dortmund gegen Rechts"
teilte die berechtigte Empörung hinsichtlich des sich anbahnenden
Polizeieinsatzes zugunsten der Nazis. Daß es Menschen geben
würde, die in eigener Verantwortung an die Polizeiketten
herangehen würden, haben die meisten im Bündnis "Dortmund
gegen Rechts" begrüßt. Sie haben jedoch dazu nicht
aufgerufen, es fand sich auch bei "Dortmund stellt sich
quer" niemand, der oder die dazu aufrief.
VVN-BdA, Friedensforum und "Dortmund gegen Rechts"
haben Schilder getragen, Reden gehalten, Flugblätter verbreitet,
eigene Aktionen durchgeführt, die sich samt und sonders von jenen
Politikern abhoben, die auch auf dem Hansaplatz sprachen, aber
beim Nein zur Gewalt von Rechts stehen blieben und die Gewalt der
Abschiebeknäste, des NATO-Krieges, der Polizeiführung und
rechtsextremen Richter, die Gewalt gegen Zwangsarbeiter, die
Gewalt der rassistischen Leitkultur ausblendeten.
Meine Antwort schließt mit den Worten: Wir sollten weiterhin
dort eingreifen, wo gegen Rechts und Gewalt und nicht allein
"gegen Gewalt von Rechts" protestiert wird. Endlich
entwickelt sich eine zarte Pflanze antifaschistischen
Massenprotestes. Das ist etwas neues nach zehn Jahren Kahlschlag.
Wenn wir daran mitwirken konnten, wenn wir versuchen, diese
Pflanze zu pflegen und viele neue Pflanzen zu setzen, dann ist das
ein großer Erfolg. Wir müssen jetzt weitermachen. Daß deutsche
Richter und Polizisten mit viel "Leitkultur" weiterhin
gegen die Verfassung handeln - immerhin demonstrierte am 21. 10.
in Dortmund die verbotene FAP -, stellt die antifaschistischen
Bündnissee ebenso vor große Aufgaben im demokratischen Protest,
wie der Abschiebungsterror, den die Clement-Regierung am Tag nach
der großen
Düsseldorfer Demo gegen Rechts vom 28. 10. praktizierte. Ich
hoffe, wir lernen noch umfassender als bisher aus dem Jahr 1933.
Und ich hoffe und wirke dafür, daß das Bündnis Dortmund
gegen Rechts weitermacht.
Nachtrag zu der Schlußbemerkung
Zunächst ein Brief:
Liebe Redaktion der UZ,
Am 16. Dezember in Dortmund, da "wurde alles aufgehalten
und festgesetzt, was sich bewegte - mit Ausnahme der
Neonazis". Es sind Sätze wie dieser in der UZ vom 22. 12.
00, die einen antifaschistischen Leser zur Verzweiflung treiben
können. Wenn der Satz stimmt, bleibt nur das Auswandern. Wenn er
anzuzweifeln ist, dann ist auch an der sozialistischen
Wochenzeitung zu verzweifeln, denn er stellt den Satz Kurt
Bachmanns auf den Kopf, daß Kommunisten in allen Lagen kämpfen
können und sollen. Und sie haben es am 16. Dezember auch getan.
Und zwar indem sie sich an einer beachtlichen, aber von der UZ
nicht beachteten Demonstration des Bündnisses "Dortmund
gegen Rechts" beteiligten, die von der Gedenkstätte
Steinwache zum Theatergebäude mit seinem Vorplatz "Platz der
alten Synagoge" führte. Bei stärkster Beachtung der
brutalen quasi anti-antifaschistischen Polizei, sollten zwei Dinge
nicht vergessen werden: Der Anteil der Justiz und der
Landespolitiker an der entstandenen Situation sowie die
Fortsetzung des antifaschistischen Kampfes in breiten Bündnissen,
die sich ja nicht abgemeldet haben. Auch nicht am 16. Dezember in
Dortmund:
Und nun mein Artikel, den ich der Zeitung anbot:
Für wen wird die "leere Straße" verlangt?
Über den Umgang der Regierenden mit den Nazis und über die
Aufgaben der Antifaschisten
Bei stärkster Verurteilung der brutalen quasi
anti-antifaschistischen Polizei mit ihrer Einkesselung von
demonstrierenden Kindern und Jugendlichen in Dortmund und
Düsseldorf, sollten zwei Dinge nicht vergessen werden: Der Anteil
der Justiz und der Landespolitiker an der entstandenen, für die
Neonazis günstigen Situation sowie die Fortsetzung des
antifaschistischen Kampfes in breiten Bündnissen, die sich ja
nicht abgemeldet haben. Auch nicht am 16. Dezember in Dortmund:
Auf der Kundgebung von "Dortmund gegen Rechts" sprach
u.a. in Angesicht der Steinwache der 86jährige Heinz Junge, der
dort einst von der Gestapo inhaftiert wurde und einen jahrelangen
Leidensweg durch die KZ antreten mußte, ohne den Kampf je
aufgegeben zu haben. Er klagte die Polizeiführung an, die aus dem
Jahr 1932 offenbar nichts gelernt hat, da sie den Nazis die
Straßen freimachte. Er fragte, was aus den angefertigten Akten
der Eingekesselten wird, ob damit nicht, wie ein 14jähriges
Mädchen schon besorgt öffentlich anfragte, die beruflichen
Perspektiven junger Menschen zerstört würden, die nun
kriminalisiert seien.
Teile des Bundesverfassungsgerichts unter Leitung des
CDU-Mannes Prof. Papier - das ist der, der mit seiner Kommission
jahrelang versuchte, der PDS den Garaus zu machen - stärken seit
Beginn des Aufschwungs antifaschistischer Auseinandersetzungen vom
Sommer 2000 den Neonazis den Rücken. Und die Verwaltungsgerichte
folgen brav dem Karlsruher Pfad.
Im Oktober hatte Hans Schulze, der Polizeipräsident von
Dortmund, immerhin versucht, den Naziaufmarsch der Worch-Bande zu
verbieten. Nachdem der Polizeipräsident jedoch damit vor dem
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen zunächst scheiterte, weil das
Argument nicht griff, Sicherheit und Ordnung seien mit dem
Naziaufmarsch gefährdet, der in einer Stadt stattfinde, deren
Polizei und Bevölkerung nach dem Mord an drei Polizisten durch
einen Neonazi zutiefst beunruhigt seien, setzte er dann ein Verbot
durch, das auf das Organisationsverbot gegen die nazistische FAP
basierte. In der Nacht vor dem 21. Oktober, dem Tag der Nazidemo
und der Manifestationen u.a. des Bündnisses "Dortmund gegen
Rechts", hat dann jedoch das höchste Verwaltungsgericht von
Nordrhein-Westfalen den Naziaufmarsch genehmigt und dabei die
Argumente des Polizeipräsidenten mißachtet, der auf den
illegalen Status der Demoleitung der Nazis hinwies. Das Oberste
Verwaltungsgericht in Münster tagte übrigens unter der Leitung
eines Juristen, der der CDU-Fraktion im Rat der Stadt Dortmund
angehört, einer Fraktion, die ohnehin dem Widerstand gegen die
Neonazis ablehnend gegenüberstand. Dieses Oberste
Verwaltungsgericht, das den Nazis freie Bahn bereitet und sogar
Organisationsverbote mißachtet - als Signal an die NPD: ein
Parteiverbot bewirkt nicht viel, sie muß nur unter anderem Namen
mit den denselben Leuten marschieren -, hat Antifaschisten oft
genug behindert. Es versagte den Studentenschaften des Landes NRW
politische antifaschistische Aktionen. Sogar eine Veranstaltung
zum Tag der Befreiung am 8. Mai 1995 mit Emil Carlebach,
langjähriger Buchenwaldhäftling, wurde von dem Gericht verboten.
Wahrheiten über den parteilichen ultrarechten Charakter von
deutschen Richtern werden auch von Linken nicht gern
ausgesprochen. Irgendwie werden Verfassungs- und
Verwaltungsgerichte als etwas überirdisches angesehen, obwohl sie
von ganz irdischen Parteipolitikern und nur auf Parteitickets
"der Mitte" in ihre Funktion gehievt werden. Das ist in
Deutschland so wie in den USA und vielen anderen Ländern. Die
VVN-BdA von NRW erklärte nun: "Wir fordern die
Landesregierung und den Landtag in Düsseldorf auf, dem Treiben
der Nazis und der Polizei in Dortmund nicht länger tatenlos
zuzuschauen." Die VVN-BdA meint, daß es nicht ausreicht, die
Dortmunder Polizeispitze zu kritisieren und ihr mit Prozessen -
vor dem Münsteraner Gericht auch noch, wie es die Grünen planen!
- zu drohen. Es müsse an die Verantwortung der Landesregierung
appelliert werden. Notwendig sei ein parlamentarischer
Untersuchungsausschuß. Notwendig sei die Absetzung des
Polizeipräsidenten von Dortmund durch seinen Dienstherren in
Düsseldorf.
Denn Polizeipräsident Hans Schulze und seine Polizei gingen
immerhin so weit, besorgte Eltern der insgesamt rund tausend
eingekesselten und inhaftierten Jugendlichen zu belügen, zu
betrügen oder gar zu bedrohen: "Wir stellen Euch an die
Wand." Nicht einmal die wenigen gegen die Nazis gerichtlich
verfügten Auflagen wurden eingehalten, dennoch schritt die
Polizei nicht ein. Andererseits will sie 595 Strafanzeigen wegen
Landfriedensbruch stellen.
Ministerpräsident Wolfgang Clement fällt zu all dem und zu
der Ankündigung der Worch-Bande, nun regelmäßig in Dortmund
oder im benachbarten Hagen zu provozieren, nichts weiter ein, als
zu einer Aktion des Wegguckens aufzurufen und die "leere
Straße" für die mit Nichtachtung zu strafenden Nazis zu
verlangen.
Was sind das für Leute, die da ein Abonnement auf
Dauerpräsenz in Dortmund erhalten sollen? Ihr Anführer Christian
Worch ist einer der Führer der SA-ähnlichen AntiAntifa, die u.a.
mit ihrer Schwarzen Liste "Einblick" nachhaltig zum
Terror und zur Gewalt gegen Antifaschisten, besonders gegen
demokratische Journalisten, aufruft. Ein weiterer ist Siegfried
Borchardt, früherer FAP-Anführer, wegen Körperverletzung und
anderer Delikte häufig vorbestraft.
Und nun soll Worch und seinen Leute in NRW sogar dauerhaft die
Straße freigemacht werden.. Das Bündnis "Dortmund gegen
Rechts" aus Grünen, SPD, PDS, DKP, Linkem Bündnis, Kirchen
und Gewerkschaften sowie zahlreichen weiteren Kräften will das
nicht hinnehmen. Am 27. Januar, dem Tag der Befreiung von
Auschwitz, soll eine entschiedene Antwort gegeben werden.
Anmerkungen
1) Im Bündnis Dortmund gegen Rechts wirken mit:
Arbeitsloseninitiative Alido; Antifa Nord; Ausländerbeirat;
Bündnis 90/Die Grünen im Rat und Fraktion Innenstadt Nord; Bund
Deutscher Pfadfinder; Caritasverband DO; Christinnen und Christen
f. d. Frieden; Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsv.; DFG-VK; DGB;
DGB-Jugend; Diakonisches Werk, Nordmarktprojekt; DIDF; DKP;
DO-Medienzentrum; Ev. Friedenskirchengem.; Förderkreis
Jugendbegegnungsz.; Frauenfriedensinitiative; Dortmunder
Friedensforum; Friedensgruppe Lütgendortmund; Gem. d. Griechen DO
u. Umgebung; GEW Betriebsgr. Anne-Frank- Gesamtschule; Grünbau;
Grüne Ortsv. Hombruch; Humanistischer Verband NRW; IG Metall; IG
Medien; Initiative Dortmunder Arbeitsloser; Jugendförderkreis DO;
Jugendring DO-Ag. DO-Jv; Jv. Rebell; Jugendwerk d. AWO; Jusos;
Kinder- und Jugendtheater; Kinderhilfe Chile; Komm@Pott;
Kontaktstelle Ev Jugend DO-Nord; KPD Bez. DO; Künstlerhaus;
Langer August Kulturzentrum; Linke Liste Uni DO, Linkes Bündnis
DO; Mieterverein DO; MLPD; NaturwissenschaftlerInnen Ini;
Nordstadtgrüne; Ostermarsch Ruhr Komitee; PDS; Planerladen;
Projektvb. Nordstadt; RAA; S:O:S: Rassismus NRW; SDAJ; SJD Die
Falken; SPD Unterbezirk DO; Schalom Gemeinde; Stadtelternschaft
DO; Stadtteilschule DO; St. Josef Gemeinde; Theater im Depot;
Treffpunkt Hannibal; Umbruch-Bildungswerk; Verein f. Medienarbeit;
Vereinigte Kirchenkreise; Verein Mieter und Pächter; Verein
Miteinander Leben; Vertrauenskörperleitung der Thyssen-Krupp AG;
Vive Zene; VVN -Bund der Antifaschistinnen u. Antifaschisten;
Weiße Rose DO; Weiterbildungsinstitut Ruhr; Werkstatt
Solidarität; Wissenschaftsladen DO u. a.
2) Siehe die Dortmunder Presse vom 22. 9. 00
3) Siehe Ruhrnachrichten 27.9.00 "Antifaschisten: Mit
aller Kraft gegen die Neonazis"
4) Am 7. September 2000 - zeitgleich mit der Tagung des
Runden Tisches "Fremde sind Freunde", zu der der OB
Langemeyer, der Borussia Dortmund-Präsident Gerd Nienbaum und der
Polizeipräsident Hans Schulze eine handverlesene Runde ohne die
Antifa-Bewegung der Stadt einluden - veröffentlichte die
Westfälische Rundschau eine ganze Seite mit Enthüllungen unter
der Überschrift: "Die rechte Szene in Dortmund: Jung,
gewaltbereit, bundesweit vernetzt und mit internationalen
Kontakten - Fragebogen forscht nach ‘genetischem Abfall’ -
Führend Neonazis pflegen seit Jahren enge Beziehungen zur
NPD-Jugend - Offener Aufruf zur Bewaffnung". Es wird von
Wehrsportübungen und der Tätigkeit des terroristischen
"Arischen Kämpferbundes" berichtet, ferner von der
Einbindung des Polizistenmörders Michael Berger in die Naziszene
und von der "radikalen Musik" made in Dortmund-Brechten.
5) Rede des Bündnis Dortmund gegen Rechts unter dem Motto
"Aufstehen gegen Rechts" am 21.10.2000 auf der
Großkundgebung der Stadt Dortmund. Vorgetragen von Mark Rudolff
für den SprecherInnenrat - als Manuskript gedruckt.
6) Der Brief wurde sogar beantwortet. Der Antwortbrief des
Chefs der Staatskanzlei des Landes NRW vom 1.12.00 im Auftrag des
Ministerpräsidenten hat folgenden Wortlaut: "In Ihrem
Schreiben sprechen Sie sich dafür aus, einen Appell der
Landesregierung aus dem Jahr 1990 zur Unterbringung von
Asylbewerbern und De-facto-Flüchtlingen aufzuheben. Die in dem
zitierten Appell gewählte Formulierung mag in der Tat, auch wenn
das Wort ‘abschreckend’ in Anfühungszeichen gesetzt war,
missverständlich erscheinen. Zum Hintergrund ist darauf zu
verweisen, daß der zitierte Appell aus einer Zeit stammt, in der
das Land und die Kommunen in Anbetracht der sprunghaft gestiegenen
Flüchtlingszahlen vor kaum zu bewältigenden Problemen
hinsichtlich der Versorgung und Unterbringung standen. Trotz
dieser Probleme war nach Auskunft des Innenministeriums zu jedem
Zeitpunkt eine menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge
gewährleistet. Der Appell ist heute tatsächlich wie rechtlich
als überholt und gegenstandslos anzusehen; einer Aufhebung bedarf
es deshalb nicht.
Ihre Forderung nach einem Verbot von Naziorganisationen
entspricht auch der Position der Landesregierung. Herr
Ministerpräsident Clement hat in der
Ministerpräsidentenkonferenz am 26. Oktober und im Bundesrat am
10. November mit allem Nachdruck einen Verbotsantrag gegen die NPD
befürwortet. Wie Sie sicherlich wissen, haben sich auch die
Bundesregierung und der Bundesrat inzwischen für einen solchen
Verbotsantrag ausgesprochen. Die Vorbereitungen dafür laufen nun
und Sie können sicher sein, daß die Landesregierung auch das
weitere Vorgehen gegen die NPD und andere rechtsextremistische
Organisationen aktiv unterstützen wird.
Die Landesregierung hat im Übrigen in der konsequenten
Bekämpfung des Rechtsextremismus und seiner Ursachen schon immer
eine zentrale politische Aufgabe gesehen und wird auch weiterhin
entschlossen und unnachsichtig gegen rechte Parolen und Gewalt
vorgehen. Sie wird dazu den Verfolgungsdruck auf rechte Straf- und
Gewalttäter unter Ausnutzung aller dem Rechtsstaat zu Gebote
stehenden Mittel erhöhen und zugleich die präventiv wirkenden
Maßnahmen - insbesondere der politischen und schulischen
Aufklärung sowie der Jugend- und Sozialarbeit - weiter
entwickeln. In diesem Sinne hat die Landesregierung ein
umfassendes Aktionsprogramm beschlossen und den Kommunen im
September für Projekte gegen Rechtsextremismus als
Sofortmaßnahme 21,1 Mio. DM aus Mitteln des
Gemeindefinanzierungsgesetzes zur Verfügung gestellt.
Ihren Vorwurf, Herr Ministerpräsident Clement beteilige
sich durch die Verabschiedung deutscher Soldaten auf den Balkan am
Verfassungsbruch der Bundesregierung, vermag ich schließlich
nicht nachzuvollziehen. Aber vielleicht ist das ja auch auf das
Mißverständnis zurückzuführen, daß diese Soldaten nicht zum
Kriegseinsatz, sondern zu einer von der UNO mandatierten
Friedensmission aus humanitären Gründen aufgebrochen sind. Mit
freundlichen Grüßen Im Auftrag Michael Bischoff"
7) Dies gilt jedenfalls bis zum Redaktionsschluß im
Dezember.
8) Karl Zörgiebel (SPD) war Polizeipräsident in Berlin und
Dortmund; in seiner Berliner Zeit sorgte er für
Demonstrationsfreiheit der Rechtsextremisten und für Verbote der
Demonstrationen von Antifaschisten. Das Verbot der
Maidemonstration 1929 setzte er mit der Schußwaffe durch, über
30 tote Arbeiter waren zu beklagen.
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