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Ein Heimatverein kümmert sich um frühere fremde Mitbewohner

Gedanken zur Erforschung der Zwangsarbeit in der Provinz

Ulrich Sander

Im Mai 2000 hat der Heimatverein Lüdenscheid eine Arbeitsstelle zur Erforschung der Zwangsarbeit im NS-Regime eingerichtet. Es ging ihm darum, möglichst die Namen und weiteren Angaben aller Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, die während des Krieges auf dem heutigen Stadtgebiet von Lüdenscheid arbeiten mußten, zu dokumentieren und Nachweise im Interesse der ehemaligen Zwangsarbeiter zu erbringen, die diese für die Beantragung der Entschädigungszahlung benötigen.

Die Bürgerinnen und Bürger Lüdenscheids wurden vom Heimatverein wiederholt aufgerufen, Namen und Schicksale von ehemaligen Zwangsarbeiterinnnen und Zwangsarbeitern zu benennen. Die Hilfsbereitschaft der Lüdenscheiderinnen und Lüdenscheider, die ihr Wissen für das Projekt zur Verfügung stellten, war beachtlich. Anders war es bei „der Wirtschaft“. Auch die Firmen in der Region waren vom Heimatverein und in einer Resolution des Rates auch von der Stadt aufgerufen worden, bei der Erforschung der Schicksale der Zwangsarbeiter zu helfen. Doch die Kontakte aus den Firmenbüros waren bisher eher zaghaft. Betriebliche Namenslisten der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter dürften in den Firmen noch vorhanden sein, wie Besucher der Forschungsstelle berichteten. Doch nur spärlich tröpfeln die Informationen aus dieser Quelle.

Karteikarten erzählen

Die Karteikarten aus der Zeit bis 1945 sind grün, weiß, rot, einige in bräunlichem Ton. Sie stammen aus der Zeit seit 1925 etwa. Wir wissen, was die Hierarchiestrukturen jener Zeit bedeuteten und erfahren es aus den Karteikarten erneut: „der Pole“ steht tief unten, „der Russe“ noch weiter darunter. Wer zwar aus der Sowjetunion oder Polen kam, aber auf eine baltische, „nichtpolnische“, ukrainische, galizische, weißruthenische oder weißrussische, volksdeutsche oder goralische Herkunft verweisen konnte, bekam in der Kartei einen besonderen Vermerk: „Kein Ostarbeiter“, „kein polnischer Zivilarbeiter„. Eine jüdische Herkunft geht aus den Unterlagen nicht hervor. Karten mit „jd„ (jüdisch) statt „ev„ (evangelisch) oder „rk„ (römisch-katholisch) oder „grk„ (orthodox-katholisch) sind schon aussortiert worden, bevor die Deportationen zur Zwangsarbeit begannen. Ich denke: So hat dereinst einer da gesessen und die Karten durchsucht. Wo „jd.„ drauf stand, hat er sie beiseite gelegt...

Immer wieder der Vermerk „früher Kriegsgefangener“. Während die Kriegsgefangenen ja keine Zwangsarbeiterentschädigung bekommen sollen, wird man solche Vermerke zu den in Zivilarbeiter umgewandelten ehemaligen Kriegsgefangenen zu beachten haben. Auch der Hilfsarbeiter Camille Michel aus Frankreich hat den Vermerk: „Beurlaubter Kriegsgefangener. 15. 4. 45 nach Küps, Oberfranken. Abmeldung bei Landrat am 19. 2. 45“.

Nach der Kartei zu urteilen, haben die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zumeist keinen erlernten Beruf – oder ob sie wirklich fast alle „Hilfsarbeiter“ zu Hause gelernt haben?

In Gefangenschaft

Die bekannten Forschungsergebnisse hinsichtlich der Lebensbedingungen der Zwangsarbeiter werden mit den vorgefundenen Unterlagen aus dem Rathaus Lüdenscheid bestätigt. Zu erkennen ist mittels der Kartei: Die Repression erfolgte auch durch das Arbeitsamt. Die Landarbeiterin Ulice Danez aus der Ukraine, der Wohnort hieß Pankna, kam als 39jährige 1943 an, wurde nach einem Vierteljahr am 29.7.43 „verhaftet“. Am 11.10.43 wird vermerkt: „Vom Arbeitsamt nach außerhalb verpflichtet, zuletzt bei B.-J. tätig gewesen.“ Auf vielen Karten steht der Stempel: „Inhaber ist nur zum Zwecke der Arbeitsverrichtung zum Verlassen der Unterkunft berechtigt“. So steht es auch bei Maria Maschina aus der Sowjetunion, die mit 23 Jahren 1942 angekommen war.

Besonders tragisch das Schicksal der nach Freiheit strebenden katholischen 20jährigen Landarbeiterin und Schneiderin namens Josefa Czekaj aus Tropiszow/Polen. Sie floh im August 1942 vom Arbeitgeber B. an der Versetalsperre, um dann am 21.10.42 durch die Gestapo zurückgeführt zu werden – und am 19.11.42, nach vier Wochen Behandlung durch die Gestapo, im Städtischen Krankenhaus in Lüdenscheid zu sterben.

Auskünfte von Besuchern der Forschungsstelle – darunter einer, der den Briefwechsel zahlreicher Firmen mit einer Großküche übergab, in der für die Zwangsarbeiter Essen zubereitet wurde – ergaben zur Verpflegungsfrage folgendes: Die Großküche arbeitete im Auftrag des Reiches und gab gegen Bezahlung das Essen an die Firmen. Diese waren oft unzufrieden mit dem Essen und kauften Lebensmittel hinzu, um sie an die Zwangsarbeiter zusätzlich auszugeben, damit überhaupt die gewünschten Arbeitsleistungen erbracht werden konnten. Dem Küchenbetrieb mußten die Firmen Arbeitskräfte zur Verfügung stellen, deren Leistung berechnet wurde. So schrieb die Metallwarenfabrik von E. A. Sch. am 4. Juni 1943 an die Gaststätte Friedrich G.: „Falls Sie diesen Monat unsere Russenmädchen noch in Anspruch nehmen, werden wir Ihnen den Lohn für die Tage in Rechnung stellen und zwar pro Tag 10 Std. á -,50 RM.“

Über die allgemeine Versorgungslage der Zwangsarbeiter gibt ein Brief der Fa. Jul. K., Schloß- und Beschlägefabrik, vom 6. August 1943 an die Großküche G. Auskunft: „Im Anfang war das von Ihrer Küche gelieferte Essen zufriedenstellend, während sich dasselbe in letzter Zeit sehr verschlechtert hat und zu Klagen Anlaß gibt. Insbesondere ist die Sauberkeit zu rügen (Sand im Essen usw.). In den letzten Tagen sind mir schon 8 Ostarbeiter entflohen und mir ist zu Ohren gekommen, daß noch mehr Leute die Flucht beabsichtigen, falls sich das Essen nicht wieder bessert.“

„Vom Heimaturlaub nicht zurückgekehrt ...“. Das steht auf so manchen Karteikarten derer aus dem Westen und Süden. „Flüchtig ...“ steht auf anderen aus dem Osten. Gar nicht mal so selten. Was wurde aus ihnen? Mit „P“ für Pole oder „O“ für russische Ostarbeiter auf dem einem Judenstern ähnelnden Abzeichen an der Kleidung - wie weit kam so einer da? Manche Zeitzeugen sagen, viele „Ostarbeiter“ flohen nur in ein anderes Lager und wurden von den dortigen Firmen stillschweigend eingesetzt.

Oder sie wurden zur Strafe versetzt: Mieszyslaw Tomaszewski aus Posen war, als er kam, 15 Jahre alt. Er war Elektrikerlehrling und dann war er landwirtschaftlicher Arbeiter, wie es heißt, und zwar bei Wilh. L. am Ossenberg 92, dann bei Eugen N., Vogelberg 148. Die Karte besagt: Er spricht deutsch. „Am 28. 2. 42 unerlaubt die Arbeitsstelle verlassen, um nach Polen zurückzukehren.“ Dann: „Am 14. 3. 42 wieder nach Vogelberg zugezogen“. Schließlich: „Am 7. 12. 42 vermittelt für den Bergbau, Zeche Deilmann, Dortmund-Kurl.“ Versetzungen in die Dortmund-Kurler Zeche waren häufig.

Überhaupt gab es immer wieder regionale Besonderheiten: Die „Lüdenscheider„ Zwangsarbeiter kamen oft aus der ukrainischen und russischen Gegend am Asowschen Meer (Mariupol oder Taganrog), wurden über Soest „verteilt“ und gingen bei „Bedarf“ in Hagen in Haft oder in Dortmund-Kurl in den Untertagebau. Überzählige Zwangsarbeiter aus dem Raum um Trier und Jülich wurden des öfteren nach Lüdenscheid versetzt.

Der Weg mancher verliert sich unbemerkt. Ferdinand Wiatrak, ebenfalls aus Polen – Prokocim war sein Heimatort – war gerade 15, als er im Mai 1940 bei E. D. in Brake ankam. Als Landwirtschafts-Arbeiter sollte er helfen. Das Lichtbild zeigt ein hübsches Kindergesicht, das über einen Anzug mit Hemd und Krawatte hervorlugt. Am Revers schon das „P“. Die Karte weist aus, daß W. laut Bescheinigung des Regierungspräsidenten „nicht Pol. Volkszugehöriger ist.“ Am 4. 10. 44 „zum Schanzen“, Abmeldung an den „Herrn Landrat 21. 12. 44“. Letzte Eintragung am 22. 3. 45: „flüchtig“.

Die Jüngsten und die Ältesten

Ein 17jähriger, der aus dem Hunswinkel-Gestapo-„Arbeitslager“ kam, und ein 12-jähriger (!) russischer Zwangsarbeiter sowie seine 14jährige Schwester – das sind mit die schlimmsten Entdeckungen, die die Kartei bietet. Sollten die beiden Russen, Iwan und Nadja, überlebt haben, wie mag es ihnen heute ergehen? Sie müßten nun 69 und 71 Jahre alt sein.

Der jüngste Zwangsarbeiter der Kartei: Miroslaw Boretzka aus der UdSSR, geboren am 13. 10. 31 in Tarasch, gekommen mit Mutter Stanislawa und vier Geschwistern, ist 11 Jahre bei der Ankunft im August 1943. Die Familie geriet später nach Wittingen bei Hannover.

Aus der Karte für den jüngsten Russen, der nur 3 Wochen lebte, geht hervor: Viktor Taranin geb. 5.9.44 starb am 26. 9. 44. Seine Eltern Feodor und Nadeschda kamen aus Plodowito. Sie waren im Lager Altenaerstr. 38 d untergebracht. Vorher waren sie im Durchgangslager Wuppertal-Sonnborn.

Der jüngste Tote unter den Arbeitern war der 18jährige Alexander Bazmann, der 1942 16jährig aus der Sowjetunion angekommen war. Untergebracht in der Kerksikstraße 3, starb er am 30.1.45.

Zu den ganz alten Verschleppten gehört Ljubow Pawlowitsch, 80jährige Hilfsarbeiterin aus Barnakowskaja/UdSSR, die am 6.10.44 mit 81 Jahren verstarb. Und die Älteste kam aus Zabore/UdSSR; als sie, sie hieß Antonina Soltanowa, ankam, war sie schon 100 Jahre alt, sie starb am 22. April 1945 102jährig kurz nach der Befreiung durch die US-Truppen. (Aus den Unterlagen geht nicht hervor, ob sie Begleitung hatte, als sie aus Rudnja am 2. 9. 43 ankam.)

Was sind IMI-Lager? Immer wieder taucht dieser Begriff im Rahmen der Forschungsarbeit auf, und zwar in Zusammenhang mit den Italienern, die nach Lüdenscheid gebracht worden sind. Zum Beispiel: 4. 9. 44 Franco Molteni, 22 Jahre, aus Como. „... ist zugezogen von IMI Lager Nr. 89469.“ Dazu heißt es in „Das nationalsozialistische Lagersystem“ (Vorwort der Herausgeber zum Nachdruck der Lagerliste des Internationalen Roten Kreuzes) auf Seite XXIII: „Nachdem Mussolini am 25. 7. 1943 gestürzt worden war und der neue Ministerpräsident Badoglio am 3. 9. 1943 mit den Alliierten einen Waffenstillstand geschlossen hatte, entwaffnete die Wehrmacht schlagartig die Soldaten des ehemals verbündeten italienischen Heers. Die übergroße Mehrheit der 725.000 von den Deutschen gefangenen italienischen Militärs weigerte sich, in die Wehrmacht, die Waffen-SS oder in das neue Heer der faschistischen ‚Republica Soziale Italiana‘ von Salo einzutreten; die nichtkooperationswilligen Mannschaften wurden sofort zur Zwangsarbeit ins Reich gebracht, überwiegend in Betriebe der Rüstungsindustrie und in Bergwerke. – Die sogenannten Italienischen Militärinternierten (IMI) wurden als ehemalige Bündnispartner, die zu ‚Verrätern‘ geworden waren, besonders hart behandelt. Auch die Bevölkerung war voller Ressentiments gegen die ‚Imis‘ oder ‚Badoglios‘. – Nach einiger Zeit wurden sie in den Status von Zivilarbeitern versetzt, trotzdem kamen wegen der Schwerstarbeit, Unterernährung und Mangel an warmer Kleidung 40 000 – 50 000 italienische Kriegsgefangene ums Leben.“

Der 55jährige so genannte polnische Zivilarbeiter namens Nikolai Tyrsczuk, er stammt aus Wladimir-Wolinski, arbeitete beim Bauern Ferd. Sp., Kreis Altena in Heerwiese 25. Im Vermerk erfahren wir: Das Arbeitsamt hatte ihn vorgeladen, weil er noch nicht gemeldet war. Wörtlich: „Dabei ergab sich, daß er arbeitsunwillig war. Das Arbeitsamt übergab ihn der Geh. Staatspolizei in Lü., wo er inhaftiert wurde, am 10.8.42.“ Danach erfährt man nichts mehr..

Spuren der Gestapo

Und dann ist da Viktor Petrenko, Arbeiter aus Wesolojew, 25 Jahre alt, verheiratet, keine Kinder. Er wird nach Lüdenscheid gebracht, ins Lager Altenaerstr. 38 d – direkt am 29. 2. 44 (Schaltjahr) aus dem „Arbeitslager Hunswinkel“ kommend. 34 Tage später war er tot. Das Arbeitserziehungslager Hunswinkel auf dem Gebiet der damaligen Gemeinde Lüdenscheid-Land war ein KZ der Gestapo. Die Arbeitserziehungslager werden bei Gabriele Lotfi „KZ der Gestapo“ (München 2000) und im Buch „NS-Lagersystem“ als besonders grausam beschrieben. Bei unzureichender „Arbeitsleistung, Aufsässigkeit und Arbeitsbummelei“ erfolgten Verhaftungen und „Schutzhaft“ im Polizeigefängnis, sodann Einlieferungen in das Arbeitserziehungslager. Es häuften sich Berichte über Fluchtversuche. Die Flucht endete vielfach mit der „Ablieferung“ bei der Gestapo. Aufgegriffene Ostarbeiter wurden ab September 1943 nicht an ihren Arbeitsplatz zurückgebracht, sondern in das Arbeitserziehungslager Hunswinkel bei Lüdenscheid eingeliefert. In Hunswinkel mußte schwerste Arbeit verrichtet werden, die Verpflegung reichte nicht aus, Toiletten und Waschgelegenheiten waren zu wenig vorhanden, die Häftlinge wurden vom Wachpersonal mißhandelt.

Aus Gabriele Lotfis Buch erfahren wir viel Neues aus dem Wirtschaftssystem im Nazideutschland. Die deutsche Industrie habe sich in der Nazizeit schwerster Verbrechen an in- und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeitern schuldig gemacht. In 200 Arbeitserziehungslagern und anderen Folterstätten, die in Komplizenschaft mit örtlichen SS- und Gestapostellen geschaffen wurden, hat „die deutsche Wirtschaft“ während der Kriegszeit ständig rund 40.000 Arbeiter unter grausamsten Bedingungen für viele Wochen eingepfercht. Tausende Opfer wurden ermordet, besonders viele Tote wurden in den letzten Kriegsmonaten gezählt, da die Gestapo einen Arbeiteraufstand und „einen Dolchstoß“ befürchtete. Vorläufer der Terror-Einrichtungen entstanden als „Schutzhaft“ bereits vor dem Krieg in Zuständigkeit der Industrie und der Gestapo in vielen Regionen des Reiches.

Die Hermann Bolte-Akte - eine Kopie der Ermittlungsakte habe ich von Mitarbeitern des Internationalen Rombergparkkomitees Dortmund e.V. und der Friedensinitiative Kierspe-Meinerzhagen erhalten - schildert einen leitenden Gestapo-Mann aus Lüdenscheid, der für die betrieblichen Zwangsarbeitslager in und um Lüdenscheid verantwortlich war. Ihm wurden nach 1945 – insbesondere in Meinerzhagen - Denunziationen zur Last gelegt, die zum Tod von Zwangsarbeitern führten, ermordet von Gestapo-Beamten im Zuge der sogenannten Karfreitagmorde 1945 kurz vor Kriegsende in Dortmund- Rombergpark und Dortmund-Bittermark. Er war bis Ende der 50er Jahre im Polizeidienst tätig und hatte nur eine Geldstrafe zu bezahlen. Ca. 18 Monate, bis 1947, war er interniert. Die Firma F. aus Meinerzhagen bescheinigte Hermann Bolte, „daß er stets bemüht geblieben ist, die ihm gestellten Aufgaben in großzügiger und menschlich gerechter Weise zu erfüllen.“ Kein einziger Fremdarbeiter habe sich über Bolte beschwert. Bolte selbst sagte über sich, er habe das Zwangsarbeitsprogramm der Nazis nicht gekannt, er habe nur Fremdarbeiter zu betreuen gehabt, die froh waren, im Reich zu sein.

Zu den Stichworten Gestapo und Hunswinkel findet sich auch folgende bestürzende Merkwürdigkeit. Da gab es Feodosi F. (Staatsbürgerschaft: U.d.S.S.R. „Weißruthenien“), er wurde 1914 in Smolensk geboren. Er hat seine Frau Alexandra (26) und seine Kinder Tamara (8) und Valeri (5) dabei, außerdem gemeldet: Marije (55) aus Smolensk, Mutter des F.; Wohnung seit 5. März 1945 in Hunswinkel, Lager. Zugezogen ist er von der Stapo Köln. Beschäftigt bisher bei Geh. Staatspolizei, Köln (jetzt Hunswinkel).

Abgemeldet wird er nicht. Weil er als Beruf „im Dienst der Stapo, Köln“ angab? Solche wie Feodosi sind privilegiert, haben Familie dabei. Warum sind ihre Opfer aus Köln, auch Russen, nicht registriert? Sollten Spuren verwischt werden? Fizulin und andere gehören zu den rund 30 in der Gesamtliste aufgeführten Personen, die die Berufsbezeichnung „im Dienste der Stapo Köln“ führen. Allesamt kamen sie im März 1945 nach Hunswinkel, um – wie Gabriele Lotfi schreibt – dort die aus Köln mitgeführten Gefangenen zu drangsalieren, ja um sie zu ermorden „im Dienste der Stapo“.

Die Firmen

Die Forschungsstelle hat nicht die Aufgabe, die Firmen herauszufinden, die Zwangsarbeiter beschäftigt haben. Dennoch gab es immer wieder Anfragen, die mit Firmen zusammenhingen.

Frau Anna Elmiger, eine Erbin der Fa. B. in Lüdenscheid, rief aus Brandenburg an. Sie sucht nach Anastasia und Raisa, die ihr als Kinder nahestanden; die Nachnamen weiß sie nicht. Sie kamen aus der Ukraine. Die Unterkunft in Lüdenscheid ist bekannt. Auch Frau Elmigers Schwester ist an der Suche nach den beiden Ukrainerinnen interessiert. Geplant ist Wiedergutmachung, der aber Elmigers Bruder bisher nicht zustimmt.

Ich faxte an Frau Elmiger die Angaben über Anastasia Tschmyrewa, geb. 28.09.24 in Stalino, und Raisa Podstawka, geb. 12.01.23 in Kamischewatskaja. Sie wird es mir mitteilen, wenn sie die beiden gefunden hat. Ihr Bruder ist mit der Fa. B. nicht in die Stiftungsinitiative eingetreten. Ich sage ihr, daß ich bisher 24 Namen gefunden habe von Zwangsarbeitern aus der Unterkunft der Firma B. und damit aus der Firma ihres Bruders.

Einmal rief mich der Geschäftsführer einer Firma an. Die Partei der Bündnisgrünen in Lüdenscheid hatte gerade in einer Lüdenscheider Lokalzeitung eine Liste der nicht zahlungswilligen ehemaligen „Arbeitgeber“ von Zwangsarbeitern veröffentlicht. „Wir stehen auf der Liste der Grünen. Wir haben wirklich Zwangsarbeiter gehabt. Was ist zu tun?“ Ich: „Treten Sie doch der Stiftungsinitiative bei. Die Kammer weiß Bescheid und ruft dazu auf.“ Er: „Ich soll mich also an die Industrie- und Handelskammer wenden?“ Ich: „Unbedingt, die wissen Bescheid.“ – „Auch wieviel zu zahlen ist?“ – „Es heißt, Sie haben ein bis zwei Promille vom Jahresumsatz zu zahlen.“ – Der Geschäftsführer wörtlich: „Und dafür stellen sich alle so an?“

Hier muss etwas über die August Enders AG, einer ehemaligen Firma aus Oberrahmede (seit 1969 Stadtteil von Lüdenscheid) gesagt werden: Die erbat ein eigenes KZ. Es liegt ein Brief vor, in dem es heißt: „An die Landgemeinde Lüdenscheid-Land: Wir haben z. Zt. für unseren Rüstungsbetrieb noch erheblichen Bedarf an Arbeitskräften, speziell auch an männl. Kräften, den das Arbeitsamt z. Zt. nicht decken kann. So wären wir unter Umständen am Einsatz einer Gruppe aus Juden interessiert, wenn die Frage der Unterbringung in einem KZ-Lager gelöst werden könnte. Da es nicht angängig wäre, für unseren Betriebsbereich allein ein KZ-Lager einzurichten, fragen wir bei Ihnen an, ob nicht seitens der Gemeinde der Gedanke der Errichtung eines solchen KZ-Lagers für einen größeren Kreis interessierter Unternehmungen aufgegriffen werden könnte.“ (26. Sept. 1942)

Was sagen die Lüdenscheider Bürger?

Beispiele von Kontakten mit Bürgerinnen und Bürgern, die aufgrund der Medienberichte über die Forschungsstelle zustande kamen:

Herr Walter Balz war am Telefon und erkundigte sich nach zwei Zwangsarbeitern aus Taganrog, die er gut kennt: „Ob die denn auch berücksichtigt werden.“ Herr Balz hat Kontakt zu den Ex-Zwangsarbeitern Alexej Lasarew und Maria Kodnjanskaja (muß wohl Wodnjanskaja heißen). Herr Balz möchte zurückgeben, was er an Hilfe von Russen im Kriege erfahren hat. Später trifft ein Brief von ihm ein. Er war als Angehöriger einer deutschen Panzerdivision in Taganrog. Beeindruckt von den Menschen dort schreibt er: „Diese damals, als junger Freiwilliger, erlebte Gastfreundschaft im fernen Osten veranlaßte mich, dann bei sich nun bietender Gelegenheit, endlich ein wenig an Menschen zurückzuzahlen, die zu jenen Zeiten, als ihre Heimat durch uns zerstört wurde, in unseren Rüstungsbetrieben Waffen und Munition herstellen mußten!“

Herr Trachte, Werdohlerstraße, bat mich, bei ihm wegen seiner Kontakte zu russischen Zwangsarbeitern vorbeizuschauen. Er ist 80, schwerbehindert, früher Raumgestaltermeister. Seine Kundin war Frau C., die eine kleine Firma nahe dem heutigen Kreishaus besaß. Als er sie kennenlernte, hatte sie schon die Firma verkauft, die Firma existiert nicht mehr. Die Kundin nahm Herrn Trachtes Hilfe an, um Zwangsarbeiter zu unterstützen, die bei ihr beschäftigt waren und aus Rostow kamen. Herr Trachte war interessiert an dem Thema, weil er im Krieg in Rostow eine Zeitlang „lag“. Für Frau C. wurde der Kontakt zu Leonid Lewtschenko hergestellt, der mit der inzwischen verstorbenen Zwangsarbeiterin Raisa, geb. Lotoschka, in erster Ehe verheiratet war. Sie war bei Frau C. Haushaltsgehilfin. Frau C. schenkte Herrn Lewtschenko 1000 Mark. Zu einer richtigen Entschädigung kam es nicht, weil dies der Steuerberater F. und offenbar die Erben, die Frau C.s Willen nicht ausführten, verhinderten, sagte Herr Trachte, der um Nennung seines Namens bei Veröffentlichungen bat.

Herr Peter Kalle kam ins Stadtarchiv, dem Sitz der Forschungsstelle des Heimatvereins. Er brachte eine Einladung zum Gedenken an die toten Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus dem Arbeitserziehungslager Hunswinkel am 3.9.2000 auf dem sogenannten Russenfriedhof in Hühnersiepen. Seit vielen Jahren veranstaltet die VVN-BdA Lüdenscheid an jedem ersten Sonntag im September dieses Gedenken zum Antikriegstag. Sie hat damit Pionierarbeit geleistet.

Die Aufgaben der Städte und Gemeinden

In einem Rundbrief des Deutschen Städtetages, eingetroffen im Dezember 2000, heißt es: „Die Stiftung ‘Erinnerung, Verantwortung und Zukunft’ ist inzwischen gegründet und hat unter der Adresse 10117 Berlin, Mauerstr. 39-40, ihre Arbeit aufgenommen. Sie hat sich der Hauptgeschäftsstelle mit dem ... ‘Merkblatt zu Leistungen an ehemalige Zwangsarbeiter’ vorgestellt. In diesem Merkblatt werden der Kreis der Leistungsberechtigten und das Verfahren zur Geltendmachung von Entschädigungen näher behandelt. Für die Mitgliedsstädte wird dabei von besonderem Interesse der Hinweis der Stiftung sein, dass nicht etwa die einzelnen Leistungsberechtigten bei deutschen Stellen, insbesondere Städten, Auskünfte zum Nachweis der Leistungsberechtigung einholen sollen, sondern die im Ausland eingerichteten Partnerorganisationen.“ Diese Auskunft trifft nicht zu. Hier liegt eine Bevormundung der überlebenden Opfer der NS-Zwangsarbeit vor. Erst wurde ihnen das Klagerecht verweigert und nun soll ihnen auch das Recht genommen werden, sich von den Städten und Gemeinden, in denen sie arbeiten mußten, helfen und beraten zu lassen.

Auch in der Süddeutschen Zeitung vom 24. November 2000 stand ein Beitrag über Merkwürdigkeiten bei der Behandlung der Opfer durch die Länderstiftungen, genannt Partnerorganisationen. Es ging um einen Ukrainer, dem seine Entschädigung verweigert wurde – und zwar von der ukrainischen Partnerorganisation. Er sei „freiwillig“ zur Zwangsarbeit gegangen. Das uralte Märchen, mit dem die „Kollaborateure“ in Frankreich, aber auch die angeblichen in der Sowjetunion Stalins bestraft wurden, ist immer noch nicht überwunden. Jetzt greifen Partnerorganisationen der deutschen Stiftungsinitiative wieder danach, - um Geld zu sparen?

Derzeit wird unter den Opferverbänden diskutiert, wie eine Kontrollstelle in Deutschland geschaffen wird, die gegen Mißbrauch der Partnerorganisationen vornehmlich in Osteuropa zu Lasten der Opfer vorgeht. Eine Gruppe von Historikern und Stadtarchivaren will nicht hinnehmen, daß allein die Partnerorganisationen und der Internationale Suchdienst in Arolsen für die Glaubhaftmachung zuständig sein sollen, zumal die Stelle in Arolsen viel zu schwerfällig und langfristig arbeitet, so daß die Fristen nicht einzuhalten sind. Die Kommunen und Landkreise in Deutschland, die schneller und exakter als Arolsen Auskünfte geben können, dürften nicht ausgeschaltet werden. Sie sollten in direktem Kontakt zu den Opfern bleiben, um diesen zu helfen. Dies liegt im Sinne der Opfer.

Obiger Beitrag entstand aus Anlaß der Ausstellung über Zwangsarbeit im Märkischen Kreis, die bis September 2001 im Drahtmuseum von Altena in Südwestfalen zu sehen ist. Diese einzigartige Dokumentation über das nazistische Verbrechen der Zwangsarbeit in einem Landkreis soll in elf weiteren Städten gezeigt werden. Dokumente der Ausstellung und der komplette Katalog lassen sich im Internet herunterladen unter www.maerkischer-kreis.de.