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21.05.03

ver.di-Landeskonferenz begründet breite "Bewegung für den sozialen Frieden"

Eine breite "Bewegung für den sozialen Frieden" haben heute zum Abschluss der ver.di-Landesbezirkskonferenz in Castrop-Rauxel nordrhein-westfälische Vertreterinnen und Vertreter von Gewerkschaften, Parteien, Institutionen und Verbänden begründet. Zu den Erstunterzeichnenden gehören der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm ebenso wie die Grünen-Fraktionsmitglieder im NRW-Landtag Barbara Steffens, Marianne Hürten und Rüdiger Sagel, der DGB-Bezirksvorsitzende NRW Walter Haas, der Landesvorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) der CDU Ralf Lindemann, der Schriftsteller Günter Wallraff, das Netzwerk attac, der Sozialverband Deutschland, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, das Frauenbündnis NRW, der Ruhrgebietsschauspieler Willi Thomczyk, der Kabarettist Volker Pispers und über 300 Delegierte der ver.di-Landesbezirkskonferenz. 

In der "Castroper Erklärung" appellieren die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner an die Bundesregierung, "eine deutliche Kurskorrektur vorzunehmen". Das Land brauche "mutige Reformen, aber keinen Sozialabbau". In Nordrhein-Westfalen kämen auf 905.000 Arbeitslosen ganze 74.000 offene Stellen. Gleichzeitig wachse die Armut und viele Kommunen seien pleite. In dieser Situation brauche man Arbeits- und Ausbildungsplätze und öffentliche Investitionen für Arbeit, Bildung und Umwelt. "Schon ein Prozent Vermögenssteuer würde 16 Milliarden Euro bringen", heißt es in der Erklärung. Starke Schultern müssten in der schwierigen Situation, in der sich Deutschland befinde, mehr tragen als schwache. 

Die Auseinandersetzung über die Zukunft des Landes müsse "über Partei- und Verbandsgrenzen hinaus" geführt werden. Würden die Vorschläge der "Agenda 2010" 1:1 umgesetzt, "wäre unser Land bald nicht mehr wieder zu erkennen", heißt es in der "Castroper Erklärung". Sozialabbau und Kostensenkungen schafften keinen einzigen Arbeitsplatz. Dagegen würde "die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer, die soziale Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, es droht eine große gesellschaftliche Kälte." Es gelte nun, die Grundwerte unseres Gemeinwesens zu erhalten.

Mit der "Castroper Erklärung" will die Initiative "die Grundlage für eine breite Diskussion in den Betrieben, Dienststellen und der Öffentlichkeit schaffen". Über gemeinsame Veranstaltungen beraten die Erstunterzeichner in Kürze.

Anlage: 

Castroper Erklärung

Eine starke Bewegung für den sozialen Frieden

Die ökonomischen und sozialen Probleme in Deutschland spitzen sich zu. Während das Wachstum ausbleibt, steigt die Massenarbeitslosigkeit weiter an. 4,6 Millionen Menschen sind ohne Arbeit, zehntausende von Jugendlichen sind ohne Ausbildungsplatz. In Nordrhein-Westfalen kommen auf 905.000 Arbeitslose ganze 74.000 offene Stellen. Die öffentlichen Kassen sind leer, viele Kommunen sind pleite, immer mehr soziale Einrichtungen werden geschlossen. Die Armut wächst.

In dieser schwierigen Situation werden uns tagtäglich neue "Konzepte" vorgelegt, mit denen angeblich die Krise überwunden werden kann: Massive Leistungskürzungen für Arbeitslose, Verschlechterung des Kündigungsschutzes, Privatisierung des Krankengeldes und, und, und. Die "Melodie" ist immer die gleiche: 

  • Wenn es der Wirtschaft besser geht, geht es allen gut.
  • Je geringer die Leistungen, je größer der Druck auf die Arbeitslosen, desto stärker der Arbeitsanreiz, desto weniger Arbeitslose. 

Auf gefährlichem Kurs

Die Politik greift immer stärker zu den "Rezepten" der neoliberalen Wirtschaftslehre. Kostensenkung und Sozialabbau sollen die Wende auf dem Arbeitsmarkt bringen. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik wurden auf einen Schlag so viele und tiefgreifende Einschnitte geplant wie heute. Würden diese Vorschläge 1:1 umgesetzt, dann wäre unser Land bald nicht mehr wiederzuerkennen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer größer, die soziale Gerechtigkeit bleibt auf der Strecke, es droht eine große gesellschaftliche Kälte.

Der falsche Weg!

Durch Sozialabbau und Kostensenkungen wird kein einziger Arbeitplatz geschaffen. Im Gegenteil! Durch die geplanten Einsparungen würde die Binnennachfrage zusätzlich geschwächt! Dieser Weg ist falsch, denn er zerstört die soziale Symmetrie: 

  • während Kranken, Behinderten, Arbeitslosen, ArbeitnehmerInnen und RentnerInnen erhebliche Opfer zugemutet werden, 
  • erhalten Besserverdienende, Unternehmen und Superreiche massive Steuergeschenke.

Dazu sagen wir "Nein": Soziale Gerechtigkeit und Solidarität als Grundpfeiler unserer Gesellschaft dürfen nicht dem Zeitgeist geopfert werden. Eine Politik nach dem Motto: "Den Armen nehmen - den Reichen geben" kann unsere Zustimmung nicht finden. Dagegen wollen wir gemeinsam ein Zeichen setzen.

Sozialstaat geht alle an!

Wir stehen vor einer entscheidenden Weichenstellung: 

  • Soll die Gesellschaft immer weiter in Arm und Reich auseinanderdriften oder ge-lingt es, Solidarität und soziale Gerechtigkeit als Grundwerte unseres Gemein-wesens zu erhalten! 

Diese Auseinandersetzung geht uns alle an, über Partei- und Verbandsgrenzen hinaus. Auch wir sind für Reformen. Diese dürfen aber nicht einseitig zu Lasten der Schwachen in der Gesellschaft gehen. Reform darf nicht mit Sozialabbau gleichgesetzt werden. Die Reformen müssen sozial gerecht sein! 

Wir wollen, dass die Lasten solidarisch verteilt werden. Starke Schultern müssen mehr tragen als schwache! Wir wollen ein modernes Deutschland, in dem soziale Gerechtigkeit groß geschrieben wird. 

Deutschland ist ein reiches Land!

Allein das Geldvermögen beträgt 3,8 Billionen Euro. Ein Viertel davon teilt sich ein halbes Prozent der Bevölkerung. Wir meinen, dass diejenigen, die viel und sehr viel haben, mehr als bisher zur Finanzierung des Sozialstaates beitragen können und sollen. Schon 1% Vermögenssteuer würde 16 Mrd. Euro bringen. Das macht die Reichen nicht arm und würde dem Gemeinwesen sehr helfen!

Ein Zeichen gegen Sozialabbau

Wir appellieren an die Bundesregierung, eine deutliche Kurskorrektur vorzunehmen: 

  • Wir wollen nicht zulassen, dass Arbeitslose und Schwache immer mehr an den Rand gedrängt werden.

  • Wir wollen nicht zulassen, dass unser Land immer mehr in Arme und Reiche auseinander fällt. 

  • Wir wollen nicht zulassen, dass bewährte Schutzrechte über Bord geworfen werden.

Wir brauchen mutige Reformen, aber keinen Sozialabbau! 

Wir brauchen Arbeits- und Ausbildungsplätze jetzt!

Wir brauchen öffentliche Investitionen für Arbeit, Bildung und Umwelt!

Das geht auch ohne Sozialabbau. Dafür treten wir ein. Wir wollen mit dieser Erklärung ein Zeichen setzen. Ein Zeichen gegen Ausgrenzung, zunehmende Armut und Sozialstaatsdemontage. Ein Zeichen für Arbeit und soziale Gerechtigkeit. Ein Zeichen für den sozialen Frieden in diesem Land.

Mit unserer Initiative soll die Grundlage für eine breite Diskussion in den Betrieben, Dienststellen und der Öffentlichkeit geschaffen werden. Wir fordern die Menschen in Nordrhein-Westfalen auf, diese Erklärung zu unterstützen und mit uns gemeinsam die Debatte um die Zukunft unseres Landes zu führen.

Castrop-Rauxel/ 20. Mai 2003