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Nazis raus aus dem Internet

 

21.08.03

Veranstaltung:

Der Nazikriegsverbrecher Herbertus Bikker vor Gericht!

Es referieren:

  • Werner Schmitz, „Stern“, Journalist
  • Jack Koistra, Friesische Dagblat, Leuwarden (angefragt)

Anti-Kriegstag 1. September 19.00 Uhr in Hagen, Lutherkirche (nähe Hbf)

VeranstalterInnen: Aktion Friedenszeichen, VVN-BDA, Verdi, DGB Kreis Südmark, Antifaschismus-Referat Bergische Universität Wuppertal, Antifa Hagen, DJU u.a.

Am 8. September soll der Prozeß gegen den holländischen SS-Mann Herbertus Bikker vor dem Landgericht in Hagen eröffnet werden. Ihm wird die Ermordung des holländischen Widerstandskämpfers Jan Hotmann vorgeworfen. Zur Anklage kam es erst durch die journalistische Arbeit der Stern-Redakteure Werner Schmitz und Albert Eikenaar. Sie stießen 1997 auf den Fall Bikker, weil deutsche und holländischer AntifaschistInnen bereits 1995 vor dem Haus von Bikker in Hagen demonstrierten und von der Justiz wegen „nicht angemeldeter Demonstration“ zu Geldstrafen verurteilt wurden. Sie machten sich auf die Suche nach Überlebenden der holländischen Widerstandsbewegung, sprachen mit Zeitzeugen und Angehörigen und recherchierten die Geschichte von Herbertus Bikker. Schließlich konfrontierte Werner Schmitz den „Schlächter von Ommen“ in einem Gespräch mit seiner Vergangenheit. Als es um Jan Houtmann ging, rutschte dem 87 jährigen Waffen-SSler ein Satz heraus, der die Staatsanwaltschaft Dortmund auf den Plan rief: „ Und dann hab ik ihm de Gnadenschuss gegeben“ Oberstaatsanwalt Maaß nahm die Ermittlungen wieder auf, hörte Zeugen und ermittelte sechs lange Jahre, bis er endlich Anklage gegen Bikker erhob. Die Frau von Jan Houtmann, Aaltje Houtmann konnte den Prozess gegen den Mörder ihres Mannes nicht mehr erleben, sie starb vor drei Jahren. Wenn die deutsche Justiz weiter in diesem langsamen Tempo gegen noch lebende Kriegsverbrecher ermittelt, wird der Hagener Prozess der letzte NS-Kriegsverbrecher in Deutschland sein.

Vorgeschichte:

Vor knapp 10 Jahren spürte der holländische Simon Wiesenthal, der Gerichtsreporter Jack Koistra, Herbertus Bikker in der Dickenbruchstraße in Hagen auf. Die Fernsehanstalten in den Niederlanden berichteten ausführlich, das Justizministerium in Den Haag verlangte die sofortige Auslieferung Bikkers. Ohne Erfolg. 

4. November 1995. Ein klappriger Reisebus mit holländischen Kennzeichen stoppt an einer Bundesstraße in der westfälischen Stadt Hagen. Ihm entsteigen junge AntifaschistInnen aus Nijmegen, Rotterdam und Amsterdam. Um die Ecke wartet bereits eine andere Gruppe. Vor allem jüngere AntifaschistInnen, aber auch einige wenige ehemalige Widerstandskämpfer, schließen sich dem schweigenden Zug an, der sie in die Hagener Dickenbruchstraße führt. Vor dem Haus mit der Nummer 77 wird es plötzlich laut: "Herbertus Bikker ist ein Mörder" hallt es dort durch die Nacht. Scheinwerfer gehen an, ein holländischen Fernsehteam taucht die Demonstranten in grelles Licht. Farbbeutel fliegen in Richtung Bikker´s Haus. Nach mehr als fünfzig Jahren kehrt die Geschichte zurück vor die Haustür des "Henkers von Ommen." 

Herbertus Bikker mußte aus keinem Versteck gezerrt werden. Sein Name stand in jedem Telefonbuch, seine Verbrechen sind in den Niederlanden einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Bikker mußte sich 1949 vor einem holländischen Gericht wegen zweifachen Mordes und unzähligen Mißhandlungen verantworten. Er wurde damals zum Tode, nach Begnadigung zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Bikker war Mitglied der Waffen-SS und Wächter des Lagers Erika in Ommen in den Niederlanden. Das Lager war von September 1944 bis April 1945 unter der Ordnungspolizei, zu deren Mitgliedern auch Bikker zählte, ein Straflager. Hier wurden laut Augenzeugenberichten ungefähr 450 Menschen eingesperrt. Z.T. hatten die Menschen sich dem Arbeitseinsatz in Deutschland wiedersetzt, z.T. waren es Menschen, die im Verdacht standen illegal zu arbeiten, jüdische Menschen zu verstecken u.a.m. Im Lager gab es eine sogenannte Schlägertruppe, die aus ca. 15, besonders ausgesuchten Wächtern des Lagers bestand. Hierzu gehörte Bikker. Tag und Nacht war die Truppe in der Umgebung von Ommen unterwegs, machte Razzien in den Wohnhäusern, nahm die Verdächtigen mit, bedrohte deren Verwandte mit dem Tod, plünderte die Wohnhäuser und mißhandelte und tötete die Gefangenen. Der "Henker von Ommen", so nannten ihn die Häftlinge des Lagers, tat sich bei der Jagd nach "Onderduikers", in den Untergrund abgetauchten Menschen mit besonderer Brutalität hervor. Zwei Morde konnten ihm direkt angelastet werden: "Auf der Flucht" erschoß er den Widerstandskämpfer Houtmann und tötete den untergetauchten Meijer. 

Was den verurteilten Mörder bis heute vor der Strafe bewahrt hat, ist seine deutsche Staatsangehörigkeit, die er automatisch aufgrund des Führer-Erlasses vom Mai 1943 als Mitglied der Waffen-SS bekam und daß er gute und einflußreiche Freunde besaß. Die Geschichte des Henkers von Ommen findet ihre Fortsetzung am zweiten Weihnachtstag 1952. Zusammen mit sechs anderen verurteilten Kriegsverbrechern, die alle zur holländischen Waffen-SS oder zur Sicherheitspolizei gehörten, gelang Bikker die Flucht aus dem Gefängnis in Breda. Am gleichen Tag meldeten sich die Verbrecher bei einem Polizeirevier in einer kleinen deutsch-holländischen Grenzstadt. Dort wurden sie von einem Polizisten, selbst ehemaliges Mitglied der Waffen-SS freundlich aufgenommen und durften sogar in der Polizeiwache übernachten. Unter Zahlung von 10 DM Bußgeld wegen illegalem Grenzübertritts konnten sie ungehindert ihre Flucht fortsetzen. Hilfe fanden die Flüchtigen bei ehemaligen SS-Angehörigen, die damals schon wieder in einflußreichen Positionen saßen und durch die Organisation "die schwarze Tulpe", dem Interessenverband der vertriebenen Holland-Deutschen. Herbertus Bikker betrat am letzten Tag des Jahres 1952 das Sozialamt in Hagen. Er wollte dreisterweise Sozialfürsorge beantragen, was ihm eine kurzzeitige Verhaftung einbrachte. Aber er war bald wieder frei. Auf höchster Ebene wurde verfügt, daß die Gruppe von holländischen Angehörigen der Waffen-SS nicht an Holland ausgeliefert werden dürfe. 

In den Aachener Nachrichten hieß es damals: "Die sieben Niederländer fühlen sich nicht schuldig. (..) Sie sind allein aus politischen Gründen verurteilt. Sie haben während des Krieges ihre niederländische Nationalität verloren und die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, da sie Mitglied der Waffen-SS waren". Deutsche Bürger dürfen nicht ausgeliefert werden, hieß es ein Jahr später in einem höchstrichterlichen Urteil. Um zumindest einen Schein von Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, "strengte" die zuständige Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen des "Verdachts von Kriegsverbrechen" an, daß jedoch nur wenige Monate später wegen "Mangels an Beweisen" eingestellt wurde.

Das könnte sich im Jahre 2003 ändern. Es gibt Tatzeugen, die den Mord an Jan Houtmann gesehen haben, es existiert das Geständnis von Bikker. Jetzt kann den agilen Kleingärtner von Hagen-Haspe nur noch die Haftunfähigkeit vor dem Prozess retten.