04.02.03
Offener Brief an Michael Bertrams,
Präsident des Oberverwaltungsgerichts NRW
VVN Bund der Antifaschisten NRW . Gathe 55 . 42107 Wuppertal
Herrn
Michael Bertrams
Oberverwaltungsgericht Münster
Aegidiikirchplatz 5
48143 Münster
Veröffentlicht aus Anlaß des 30. Januar
Sehr geehrter Herr Präsident Bertrams,
ich möchte Ihnen hiermit Kopien des Briefwechsels mit Landtag und
Landesregierung in Sachen „Vorgehen gegen Neonazis“ in NRW übergeben.
Es handelt sich um die Behandlung zweier Petitionen.
Der Landtagsausschuß hat sich darin zu dem von Ihnen bevorzugten
Vorgehen bekannt. Der Beschluß des Oberverwaltungsgerichts Münster
vom 2.3.01 wurde vom Petitionsausschuß ebenso begrüßt, wie er
auf die umfangreiche Rechtssprechung des Gerichts zustimmend
verweist, nach der sich eine rechtsextremistische Ideologie auch
nicht mit den Mitteln des Demonstrationsrechts legitimieren lässt
(Beschluß des OVG NRW vom 30. 4. 01, Az 5 B B 585/01).
Über diese Ihre
Rechtssprechung waren wir, die Opfer des NS-Regimes und ihre
Hinterbliebenen, sehr beruhigt. Verbittert sind wir hingegen über
die fortgesetzten Bemühungen dreier Karlsruher
Verfassungsrichter, unter Vermeidung einer endgültigen
Entscheidung den Neonazis in Eilentscheidungen immer wieder das
Demonstrationsrecht zu genehmigen. Die drei Richter bescheinigen
den Neonazis, „eine missliebige Meinung“ zu haben, die zu
dulden sei. Die Gegendemonstranten, die unter der Losung
„Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ gehen,
werden immer wieder behindert. Der historische wie aktuelle
Faschismus wird damit verharmlost, die von ihm ausgehenden
Gefahren werden verniedlicht.
Es hat uns
gefreut, dass Sie gegen diese zweifelhafte Haltung der drei
Karlsruher Juristen öffentlich Stellung bezogen haben (z.B. FR
vom 16. Juli 02).
Wir hatten nun den Wunsch geäußert, der Innenminister von NRW
würde es Ihnen und dem Landtagsausschuß gleichtun. Dies erschien uns
notwendig, da sich eine Resignation breit macht: Münster kann entscheiden,
was es will, Karlsruhe hebt es wieder auf. Es wird bereits im
Vorfeld fast jeder Naziprovokation der Versuch unterlassen, mit
den Mitteln des Verbots gegen die Nazis vorzugehen. Es habe keinen
Zweck, sagen Polizeipräsidenten und Landräte. Sie haben leider
erfahren, dass der Innenminister sie im Stich lässt. Anders als
die OVG-Rechtssprechung und Landtagsmeinung behauptet der
Innenminister in einem Schreiben an uns: „Entscheidungen des
BverfG sind unanfechtbar. An seine Rechtssprechung sind alle übrigen
Staatsorgane gebunden. Insoweit steht es dem Innenministerium
Nordrhein-Westfalen nicht zu, Entscheidungen des
Bundesverfassungsgerichts zu werten.“
Wir bitten Sie,
derartiges nicht im Raum stehen zu lassen. Als Staatsorgan haben
Sie durchaus die Kammer des BverfG kritisiert, denn diese handelt
skandalös. Wenn dann noch Bürgerinnen und Bürger mittels
Karlsruher Hilfestellungen an der Wahrnehmung ihrer Grundrechte
gehindert werden und der Innenminister sie im Stich lässt, dann
fordern wir, dass endlich alle Juristinnen und Juristen, die
unsere Verfassung ernst nehmen, dagegen auf den Plan treten.
Wir erinnern uns
noch sehr gut wie bayerische Landesregierungen gegen Urteile des
Bundesverfassungsgerichtes - Urteile und keine Eilentscheidungen
dreier Herren! – das Volk auf die Straße riefen. Die Verfassung
muß ernst genommen werden, auch von Innenministern und
Verfassungsrichtern.
Doch leider
nimmt unser Innenminister in Sachen Neonazis nicht mal seine
eigenen Entscheidungen ernst. Von 1992 bis 1995 wurden einige
rechte Gruppierungen durch die Innenminister, auch durch den
NRW-Innenminister verboten. Doch die Führer dieser verbotenen
Gruppen stellen sich an die Spitze von offenkundigen
Nachfolgeorganisationen – und sie können ungehindert von der
Polizei agieren. Das nennt der Innenminister "konsequente
Durchsetzung der Verbote ANS, NO und FAP" Es lägen keine
Erkenntnisse vor, dass Strukturen dieser rechtsextremistischen
Vereine existieren. Doch diese Strukturen sind Woche für Woche in
diesem Lande zu besichtigen.
Wir bitten Sie,
in Ihrer Rechtssprechung die Nachfolgestrukturen der
Neonazigruppen zu erkennen und zu verbieten. Wir bitten Sie
zugleich, konsequent an ihrer Rechtssprechung, dass Nazismus nach
unserer Verfassung von vornherein illegal ist, festzuhalten und in
diesem Sinne mit anderen OVG in der Bundesrepublik
zusammenzuarbeiten. Selbst wenn die Dreier-Kammer von Karlsruhe
dann gegen Sie entscheidet, so wäre dies immer noch besser, als
eine weitere Resignation der Demokraten zuzulassen.
Am kommenden
Samstag werden wir in Dortmund gemeinsam mit vielen
antifaschistischen Gruppen und Organisationen über das weitere
Vorgehen beraten. Bitte nehmen Sie dazu die beigefügte
Information entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
– Ulrich Sander –
Landessprecher der VVN-BdA NRW
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