Erstveröffentlichung Ende
März 1999, als ganzseitige Anzeige ist dieser Text am 23.04.1999
in der Frankfurter Rundschau erschienen
Offener Brief an die Minister Fischer und
Scharping
Gegen eine neue Art der
Auschwitz-Lüge
Holocaust-Überlebende verurteilen
Äußerungen der Bundesregierung zu Parallelen Auschwitz / Kosovo
Die Auschwitz-Überlebenden Esther Bejerano, Kurt Goldstein und
der VVN-BdA-Bundessprecher Peter Gingold, der auch Mitglied des
Auschwitz-Komitees ist, haben sich gemeinsam mit weiteren
jüdischen Überlebenden des Holocaust gegen Stimmen gewandt,
zugunsten des Auftrages „Nie wieder Auschwitz“ dürfe auf das
Postulat „Nie wieder Krieg“ verzichtet werden. Die
Unterzeichner, die zahlreiche Familienmitglieder in Auschwitz
verloren, wiesen diesbezügliche Äußerungen von Außenminister
Joseph Fischer und Verteidigungsminister Rudolf Scharping zurück.
Sie schrieben folgenden Brief an die Minister:
Sehr geehrter Herr Außenminister!
Sehr geehrter Herr Verteidigungsminister!
Der Verteidigungsminister hatte bereits vor der
völkerrechtswidrigen Aggression der NATO gegen Jugoslawien, an
der die Bundeswehr in verfassungswidriger Weise teilnimmt, bei
einem Bundeswehrbesuch in Auschwitz gesagt: Um ein neues Auschwitz
zu verhindern, „ist die Bundeswehr in Bosnien“, und daß sie
darum „wohl auch in das Kosovo gehen“ wird. In Erklärungsnot
geraten, berief sich auch der Außenminister auf die neue Art der
Auschwitzlüge, um den verhängnisvollen Verstoß gegen die gerade
auf Grund der Lehren von faschistischem Krieg und Holocaust
geschaffene UN-Charta zu begründen.
Wir Überlebenden von Auschwitz und anderen
Massenvernichtungslagern verurteilen den Mißbrauch, den Sie und
andere Politiker mit den Toten von Auschwitz, mit dem von
Hitlerfaschisten im Namen der deutschen Herrenmenschen
vorbereiteten und begangenen Völkermord an Juden, Sinti und Roma
und Slawen betreiben. Was Sie tun, ist eine aus Argumentationsnot
für Ihre verhängnisvolle Politik geborene Verharmlosung des in
der bisherigen Menschheitsgeschichte einmaligen Verbrechens. Diese
Ihre Vorgehensweise soll offenbar einen schwerwiegenden und nicht
entschuldbaren Verstoß gegen die Charta der Vereinten Nationen
rechtfertigen. Die gegen Deutschland und Japan siegreichen Völker
haben sich diese Charta 1945 gegeben, um „künftige Geschlechter
vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren
Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat“ –
das bekanntlich von deutschem Boden ausging. Sie beschlossen, die
„Kräfte zu vereinen, um den Weltfrieden und die internationale
Sicherheit zu wahren“.
Weltfrieden und internationale Sicherheit werden jetzt
gefährdet, indem gegen ein Gründungsmitglied der UNO Krieg
geführt wird, Krieg von deutschem Boden aus, Krieg gegen ein
Land, das größte Opfer im Kampf gegen Hitler erbrachte und
Unschätzbares zur Befreiung Europas vom Faschismus leistete. Sich
als Begründung für einen solchen Krieg auf Auschwitz zu berufen,
ist infam.
Das Vorgehen der jugoslawischen Führung gegen albanische
Minderheiten verstößt gegen die Menschenrechte. Wir verurteilen
es. Wir verurteilen es, wie wir das Vorgehen der türkischen
Regierung gegen die Kurden verurteilen und das Vorgehen der
israelischen Führung gegen Palästinenser verurteilt haben. Stets
haben wir gefordert – und wir tun es auch jetzt -, daß dagegen
mit allen Mitteln vorgegangen wird, die der UNO zu Gebote stehen.
Wer die antifaschistische, den Menschenrechten verpflichtete Rolle
der UNO nicht nutzt, sondern die UNO ausschaltet und schwächt,
der hat jedes Recht verloren, sich auf antifaschistische Postulate
wie „Nie wieder Auschwitz“ zu beziehen, zumal er damit
zugleich das Recht zum Krieg begründet.Die Folgen eines solchen
Handelns werden ein Wiedererwachen der Kräfte sein, die 1945
entscheidend geschlagen zu sein schienen.
Sehr geehrte Herren Minister!
Wir fragen Sie angesichts Ihrer Verlautbarungen und politischen
Praxis:
Soll vergessen sein, daß in diesem Jahrhundert zweimal über
Serbien von deutschem Boden aus Vernichtung und Verwüstung
hinweggingen? Soll vergessen sein das Massaker an einer Million
Serben, begangen von deutschen Nazis im Zweiten Weltkrieg und
ihren in- und ausländischen willigen Vollstreckern? Nach den
Juden hatten die Slawen in Serbien – gemessen an ihrer
Gesamtbevölkerung – die meisten Opfer zu beklagen.
Soll vergessen sein, daß die Zerschlagung Serbiens von 1914
bis 1918 jenem Heeresgruppenbefehlshaber und Totenkopfhusaren
August von Mackensen übertragen war, der 1915 und dann immer
wieder das „rücksichtslose Vorgehen“ gegen die serbische
Bevölkerung befahl und der dann Hitler bis zuletzt als
Propagandist half – bis zum Aufruf zum Opfertod der Jugendlichen
als Volkssturm –, und nach dem die Bundeswehr noch immer eine
Kaserne in Hildesheim benennt?
Soll vergessen sein, daß nicht nur kaiserliches Heer,
Reichswehr und Wehrmacht erprobte Serbenschlächter in ihren
Reihen hatten, sondern auch die Bundeswehr? Wir verweisen auf
Wehrmachtsoberst Karl-Wilhelm Thilo, der in der Bundeswehr
höchster General und Kommandeur der 1. Gebirgsdivision – jener
Division, die nun wieder auf dem Balkan die deutsche Fahne
vertritt – sowie stellvertretender Heeresinspekteur wurde. Er
unterzeichnete Massenmordbefehle gegen Jugoslawen, und er schrieb
an Büchern, die in der Bundeswehr kursierten, um den Völkermord
zu preisen, so H. Lanz (Hg.) „Gebirgsjäger – Die 1.
Gebirgsjäger-Division 1935/1945“.
Soll vergessen sein, daß der Krieg der Bundeswehr gegen
Serbien eindeutig gegen das Völkerrecht verstößt, nicht nur
gegen die UN-Charta, sondern auch gegen den NATO-Vertrag, die
Schlußakte von Helsinki, gegen das Grundgesetz und den
Zwei-plus-vier-Vertrag? Deutschland hat sich immer wieder zur
Einhaltung der UN-Charta verpflichtet und sie nun mit dem Angriff
auf Jugoslawien mit Füßen getreten. Die Bundeswehr verstieß
gegen die Befehle aus dem politischen Raum. „Darüber hinaus hat
die Bundesregierung das Verbot der Führung eines Angriffskriegs
bekräftigt“ (Aus dem Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September
1990. Zitiert nach „Weißbuch 1994“ der Bundeswehr).
Soll vergessen sein, daß Jugoslawien mit dem Krieg zur
Unterzeichnung eines Vertrages gezwungen werden soll, der nur mit
dem Münchner Diktat von 1938 verglichen werden kann, mit dem die
CSR zerstört wurde, wie heute Jugoslawien zerstört werden soll?
-Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Abschluß durch Androhung oder
Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der
Vereinten Nationen niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts
herbeigeführt wurde.“ So heißt es im Wiener Übereinkommen
über das Recht der Verträge, Artikel 52.
Wir fordern entschieden: Schluß mit dem Krieg gegen
Jugoslawien, und als Sofortmaßnahme: Einstellung der
Bombardements. Verhandeln statt schießen. Wir fordern die
Wiederherstellung der UN-Charta und Stärkung der UNO. Dies als
Beitrag zur Verwirklichung und Verteidigung der antifaschistischen
Errungenschaften der Völker.
Hochachtungsvoll
Esther Bejarano, Hamburg
Peter Gingold, Frankfurt am Main
Kurt Goldstein, Berlin
Walter Bloch, Düsseldorf
Henny Dreifuß, Düsseldorf
Günter Hänsel, Neuss
Werner Stertzenbach, Düsseldorf
Rudi Lippmann, Berlin
Erhard Deutsch, Berlin
Vera Mitteldorf, Berlin
Werner Krich, Berlin
Irmgard Konrad, Berlin
Maricha und Adi König, Berlin
Erstveröffentlichung Ende März 1999, als ganzseitige
Anzeige ist dieser Text am 23.04.1999 in der Frankfurter Rundschau
erschienen.
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