06.01.03
Zweimal 78 Jahre und zwei Journalisten:
Wer war Hübener
78 Jahre alt wäre er in diesen Tagen geworden. Helmuth
Hübener aber starb im Oktober 1942 in Berlin. Hingerichtet durch
das Fallbeil, ermordet von den Nazis. Hübener war erst 17, der
jüngste aller 1574 in Plötzensee Ermordeten.
Im Alter von ebenfalls 78 Jahren starb kürzlich der große
Journalist Rudolf Augstein. Hochgeehrt der eine, und fast
vergessen der andere. Hübeners großes journalistisches Talent,
das sich allerdings nie entfalten konnte, wurde bereits vor 60
Jahren gemeuchelt. Ulrich Sander hat jetzt ein Buch über ihn
geschrieben.
Es wird gesagt, die Jugend heute habe von ihren Opas erfahren,
dass diese im Krieg nichts Unrechtes getan und vom Unrecht nichts
erfahren hätten. Eine solche „Vergangenheitsbewältigung“ ist
in neusten Jugend-Studie nachzulesen. Sie war auch jahrelang in
Augsteins SPIEGEL nachzulesen. Hübener wäre heute sicherlich
auch ein Opa; was er seinen ungeborenen Enkeln zu sagen hat, liegt
jetzt vor: Dreißig Flugblatt-Texte, Kommentare, Pamphlete, alle
entstanden zwischen Sommer 1941 und Februar 1942, als er verhaftet
wurde. Er hatte das getan, was heute viele Jugendliche tun: Er hat
im Äther gesurft, die Auslandssender verbotenerweise abgehört
und aus den gewonnenen Informationen seine Texte in die Maschine
getippt, - mit vielen Durchschlägen, die dann von ihm und drei
Freunden, die zu langen Haftstrafen verurteilt wurden, an die
Anschlagtafeln der NSDAP, die Kästen des STÜRMER und an
Telefonzellen geheftet und anderweitig verbreitet wurden.
Als Augstein seine journalistische Karriere als angepasster
Volontär beim HANNOVERSCHEN ANZEIGER begann, da fing auch Helmuth
Hübener an zu schreiben: Nachts im Wohnzimmer der Großmutter am
Luisenweg in Hamburg-Hammerbrook, das Radio des Bruders Gerhard
nutzend. Hätte Hübener seine Chance zur journalistischen
Nachkriegskarriere gehabt, er hätte sie vermutlich nicht in den
etablierten Medien fortsetzen können. Die jetzt zugänglichen
wenigen illegalen Texte von damals und die Schilderung seines
Lebens sind zu sehr abweichend von den bekannten Biografien und
Äußerungen derer aus der Springer- und Augstein-Presse der
Nachkriegszeit.
Diese Selbstzeugnisse, die Sander jetzt vorlegte, belegen
Hübeners Kenntnisse von und sein Urteil zu den Verbrechen Hitlers
und aller, die ihm folgten oder seine Verbrechen zuließen.
Entnommen werden kann ihnen auch, daß es möglich war zu wissen,
was geschah, und daß es Menschen gab, die dagegen aufstanden.
Solche wie Helmuth Hübener und seine Freunde eben. Leider ist er
nicht sehr bekannt geworden.
Nachdem Johannes Rau kürzlich Rudolf Augstein an seinem Grabe
ehrte, da erlaubte Sander sich, den Bundespräsidenten zu bitten:
„Würdigen Sie bei Gelegenheit auch diese Persönlichkeit
Helmuth Hübeners, die nicht so alt werden konnte. Bitte setzen
Sie sich dafür ein, daß Hübeners Beispiel in der
Jugendbildungsarbeit genutzt wird.“
Leider erreichte Ulrich Sander nur eine ausweichende Antwort
aus dem Bundespräsidialamt: „Ich bitte aber um Verständnis
dafür, daß der Bundespräsident nicht alle Menschen, die
Widerstand geleistet haben, namentlich nennen kann.“ Warum haben
diejenigen, die etwa der selbe Jahrgang wie Helmuth Hübener sind,
nur so große Schwierigkeiten, sich zu dem Gleichaltrigen zu
bekennen? Seit über 55 Jahren liegt die Urteilsschrift gegen „Hübener
und drei andere“ vor. Warum wird sie nicht seit dieser Zeit in
den Schulbüchern zitiert? Hätte der Gleichaltrige vielleicht die
Reden der Lehrer und die Schriften der Journalisten, die bis vor
kurzem Dienst taten, Lügen gestraft? Die Reden der Opas, daß man
nichts wissen und nichts tun konnte, und daß die Täter immer die
anderen waren?
Es bestehen Möglichkeiten, sich ein Bild von dem zu machen,
was war. Eine ausgezeichnete Möglichkeit bietet die Studie über
Helmuth Hübener.
L. A.
Ulrich Sander: Jugendwiderstand im Krieg - Die Helmuth Hübener
Gruppe 1941/42
200 Seiten, ca. 20 Abb., 19 Flugblatt-Texte, gebunden, 14,90
EUR, Pahl Rugenstein 3-89144-336-6
Erscheint Mitte Oktober 02 in der „Bibliothek des
Widerstandes“ der VVN-BdA
Aus dem bisher unveröffentlichten Flugblatt Hübeners „Es
gibt im ostasiatischen Kampfraum...“ vom Jahreswechsel 1941/42):
„Das Jahr 1942 wird die Entscheidung bringen. Vielleicht im
Osten, in Afrika oder gar in Asien? Das glaubt doch Hitler wohl
selber nicht. Die Entscheidung wird an einem anderen Platze
fallen. Sie wird fallen, wenn dem schon lange in Finsternis
gehaltenen deutschen Volk ein Licht aufgeht, wenn es der
unsäglichen Kriegslasten müde ist und gerne die Bürde abwerfen
möchte.
Das Jahr 1942 wird entscheiden.
Und dem deutschen Volk, jedem Deutschen, auch wenn er jetzt
widerwillig feldgrau in Schnee und Eis oder in der Gluthitze
Afrikas am - von Hitler und Genossen provozierten - Blutbad
teilnehmen muss, bleibt diese Entscheidung vorbehalten. Allen,
auch den Witwen und Waisen, den Opfern hitleristischer Blutgier,
ist es vorbehalten, sich zu rächen an dem Mann, der schuld an all
dem ungezählten Leid ist, der schuld dran ist, daß unzählige
deutsche Soldaten der unbeschreiblichen Kälte wegen in
mangelhafter Winterausrüstung auf verlorenem Posten ihre
Gesundheit verlieren, daß Hunderttausende vergeblich warten.
Entscheidet Euch, noch kann eine entschiedene Tat Euer Volk und
Land vor dem Abgrund retten, an den Hitler es mit süßen Worten
geführt hat. Entscheidet Euch - eh es zu spät ist!!“
Aus der Urteilsschrift:
Im März 1941 brachte der Bruder des Angeklagten Hübener aus
Frankreich ein Rundfunkgerät mit und stellte es bei den
Großeltern auf, wo Hübener sich, da seine Eltern berufstätig
waren, aufhielt. Der Angeklagte ließ das Gerät reparieren und
als er es einspielte, stieß er auf den sogenannten
Nachrichtendienst aus London. Er hörte die Sendung ab, fand
Gefallen und unterlag ihrer Wirkung derart, daß er sie von nun an
vier- bis fünfmal in der Woche um 10 Uhr abends, wenn die
Großeltern schliefen, anhörte. Den Inhalt erzählte er bei
Gesprächen über Tagesfragen anderen Lehrlingen und Bekannten
weiter.
Seit Sommer 1941 verarbeitete Hübener den Inhalt der
angehörten englischen Sendungen zu Flugzetteln und Flugblättern.
Zunächst wurden von ihm 15 verschiedene, kleine einseitig
beschriebene Flugzettel hergestellt. Sie enthalten
niederträchtige Beschimpfungen und Verleumdungen des Führers,
Aufforderungen zu seinem Sturze sowie hetzerische Ausführungen
zur Kriegslage. Zwei Flugzettel tragen die Überschriften „Hitlers
Schuld“ und „Hitler trägt die alleinige Schuld“. Sie
enthalten die Behauptung, daß durch den uneingeschränkten
Luftkrieg gegen die Zivilbevölkerung hunderttausend Wehrlose
getötet worden seien, daß dieser Luftkrieg aber nicht von der
englischen Luftwaffe, sondern vom Führer begonnen worden sei und
seitens England nur die Vergeltung für Warschau und Rotterdam
darstelle.
Zwei weitere Flugzettel „Man verschweigt Euch...“ sprechen
von schweren Verlusten einzelner deutscher Truppenteile in
Russland und schieben dem Führer die Verantwortung für das
Schicksal der Witwen und Waisen zu. ... Hübener stellte insgesamt
60 Flugzettel her, einen Teil davon überließ er dem
Mitangeklagten Wobbe mit dem Auftrage, sie zu verteilen; ein
Stück jeder Ausgabe ging an den Lehrling H. v. T., den Rest
verbreitete Hübener im Stadtteil Hammerbrook, der vorwiegend von
Arbeitern bewohnt wird, indem er sie in Hausflure oder in
Briefkästen warf. ... Einige Zeit nach der Herausgabe der kleinen
Flugzettel begann Hübener, die Vermerke, die er sich über den
Inhalt der abgehörten englischen Meldungen machte, alle acht bis
vierzehn Tage zu ausführlichen Flugblättern zusammenzustellen.
Pressestimmen zum „Jugendwiderstand im Krieg“
„Die Frage, wieso er sich seit Jahrzehnten um das
Andenken Helmuth Hübeners bemühe, beantwortet Sander mit
einer Geschichte: Als Schüler las er eine Reportage von
Julius Fucik; ‚Unter dem Strang’, geschrieben in
Gestapohaft. Darin die Worte: ‚Die ihr diese Zeit
überlebt, vergesst nicht. Sammelt geduldig Zeugnisse von
den Gefallenen. Sucht Euch einen von ihnen aus und seid
stolz auf ihn als einen großen Menschen, der für die
Zukunft gelebt hat.“
Christopher Onkelbach, WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG
„Neben der Beschreibung der Aktivitäten der Gruppe
dokumentiert Sander die Flugschriften, Verhör- und
Gerichtsprotokolle. Alleine der etwas moralische Tenor des
Textes stört ein wenig.“
Andreas Speit in der TAZ Hamburg
„Gründlich und faktenreich: Ulrich Sander edierte
diese erste Studie im deutschsprachigen Raum über den
Widerstand des Helmuth Hübener.“
ANTIFASCHISTISCHE NACHRICHTEN, 25-2002
Dem jungen Antifaschisten Hübener wird 60 Jahre nach
dessen Hinrichtung ein literarisches Denkmal gesetzt. Seine
Schriften zeugen von analytischem Verstand und brillanten
journalistischen Fähigkeiten. Und sie wiederlegen die Mär
der kollektiven Unwissenheit der Deutschen.
Birgit Gärtner in NEUES DEUTSCHLAND. Berlin
Gegenwärtig werden wir mit einer Fülle von
Betrachtungen über den Bombenkrieg gegen Deutschland und
seine „Kriegskinder“ bedacht. Es sollten daher auch
Kriegskinder zu Wort kommen, die sowohl NS-Opfer als auch
Zeitzeugen des Bombenkrieges und Kenner ihrer Ursachen
gewesen sind. Es sollte auch Helmuth Hübener zu Wort
kommen. Er hatte der arbeitenden Bevölkerung in einem „marxistischen“
(Gestapo-Feststellung) Stadtteil die Wahrheit über ihre
Lage gesagt und zugleich die Ursachen für die schweren
Bombenangriffe verdeutlicht; Dass der Bombenkrieg von
Deutschland ausgegangen war, dass Hamburg und Dresden und
die anderen Städte in Deutschland unversehrt geblieben
wären, wenn der Krieg der Nazis verhindert worden wäre.
ANTIFASCHISTISCHE NACHRICHTEN, Köln, Nr. 4-2003
Hübeners großes journalistisches Talent, das sich
allerdings nie entfalten konnte, wurde bereits vor 60 Jahren
gemeuchelt. Nachdem Johannes Rau kürzlich Rudolf Augstein
an seinem Grabe ehrte, appellierte Sander in einem Brief an
den Bundespräsidenten, er möge demnächst auch Hübener
würdigen, der „nicht so alt werden konnte“. Auch möge
er sich dafür einsetzen, „daß Hübeners Beispiel in der
Jugendbildungsarbeit genutzt wird.“ Die Antwort aus dem
Bundespräsidialamt: Man bitte um „Verständnis dafür,
daß der Bundespräsident nicht alle Menschen, die
Widerstand geleistet haben, namentlich nennen kann.
JUNGE WELT, Berlin
Damit wird vielleicht auch eine Antwort auf die Fragen
gegeben: warum haben diejenigen, die etwa der selbe Jahrgang
wie Helmuth Hübener sind, nur so große Schwierigkeiten,
sich zu dem Gleichaltrigen zu bekennen? Seit über 55 Jahren
liegt die Urteilsschrift gegen „Hübener und drei andere“
vor. Warum wird sie nicht seit dieser Zeit in den
Schulbüchern zitiert? Hätte der Gleichaltrige vielleicht
die Reden der Lehrer und die Schriften der Journalisten, die
bis vor kurzem Dienst taten, Lügen gestraft? Die Reden der
Opas, dass man nichts wissen und nichts tun konnte, und dass
die Täter immer die anderen waren? Es bestehen
Möglichkeiten, sich ein Bild zu machen, was war. Eine
ausgezeichnete Möglichkeit bietet diese Studie über
Helmuth Hübener.“
UNSERE ZEIT, Essen
Diese Texte erschienen den Nazis so gefährlich, dass sie
den Prozeß nicht in Hamburg, sondern vor dem „Volksgerichtshof“
in Berlin machten und den 17-jährigen zum Tode
verurteilten.
ANTIFA, Nr. 2/2003
Breiten Raum nimmt die Aufarbeitung der Rezeption dieser
Widerstandsgruppe nach 1945 ein - nicht nur in der
Bundesrepublik Deutschland und der DDR, sondern auch in den
USA. Auch von den „furchtbaren Juristen“ und dem Umgang
mit ihnen in der BRD handelt das Buch: „Diejenigen, die
Helmuth Hübener umbrachten,“ schreibt Ulrich Sander, „wurden
samt und sonders nicht bestraft.“
ANTIFASCHISTISCHE RUNDSCHAU, VVN-BdA, Nr. 53 - 2003 |
Der DVD-Film aus den USA „Truth and Conviction - The
Helmuth Hübener Story“ kann bei HLT Buch Matthias und
Christina Hund, Genholter Str. 108, 41379 Brüggen, 02163/575798
(Fax) oder unter matthias@mdhund.de ausgeliehen werden. Er wurde
von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage
gesponsert.
Anhang: Wolfgang Rose, Landesbezirksleiter ver.di Hamburg anlässlich
der Gedenkveranstaltung Helmuth Hübener am 27. Oktober 2002 im
Helmuth Hübener Haus, Bei der Schilleroper 15, Hamburg-St. Pauli.
(Kann beim Autor angefordert werden.)
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