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Der 27. Januar und die Verhandlungen über die Entschädigung der "vergessenen NS-Opfer"

Über die Holocaustdenkmal-Debatte werden die Opfer vergessen

Von Ulrich Sander

Wir hatten wieder einen Gedenktag 27. Januar. Es wurde a la Martin Walser und Roman Herzog viel über "einen neuen Weg für ein gemeinsames Erinnern" geredet - der bisherige, antifaschistische und antirassistische soll wohl ersetzt werden. Außerdem war viel über Berliner Denkmalsfragen zu hören. Geredet wurde aber kaum darüber, wie endlich den noch lebenden Opfern geholfen werden kann, bevor die "biologische Lösung" alle Diskussionen überflüssig macht. Die dazu angekündigten Projekte der Konzerne und der Bundesregierung sind nämlich erheblich ins Stocken geraten.

Nachdem in den USA Sammelklagen gegen deutsche Unternehmen von NS-Opfern eingereicht wurden, haben sich hunderte ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus der Ukraine, aus Rußland und anderen Staaten, die ehemals zur Sowjetunion gehörten, mit ihren berechtigten Forderungen in Erinnerung gebracht und sich an die Opferverbände in Deutschland gewandt. Jetzt steht die Klage von über 20.000 noch lebenden polnischen KZ-Häftlingen und ehemaligen Zwangsarbeitern mit dem Ziel der Zahlung von Entschädigungsleistungen durch deutsche Behörden und Unternehmen bevor. Der "Polnische Verband ehemaliger politischer Häftlinge in Nazi-Gefängnissen und Konzentrationslagern" verlangt, daß auch Zwangsarbeiter und alle anderen vergessenen Opfer entschädigt werden.

Wird das Bundesentschädigungsgesetz zu diesem Zweck nicht geändert, so ließen die Rechtsvertreter der polnischen Opfer wissen, werde der Klageweg beschritten. Der Klageweg, den der polnische Verband ankündigt, ist auch notwendig, um Druck auf die Verhandlungen der Regierung mit den Unternehmern über eine Bundesstiftung für die Entschädigung von Zwangsarbeitern auszuüben. Es wird geklagt, vor allem, um wirkungsvolle Standards zu setzen, die dann bei der Gründung der Stiftung nicht mehr zu umgehen wären: Wieviel wollen die Konzerne ihren ehemaligen Zwangsarbeitern zahlen? Bei den Klagen vor Gericht in Deutschland ist jedoch zu beachten, daß eine Verjährungsfrist einzuhalten ist, die am 13. Mai 1999 abläuft.

Regierung weist die griechischen und polnischen Opfer zurück

Neben den polnischen haben sich auch die griechischen Opfergruppen zu Wort gemeldet. Die Bundesregierung beeilte sich jedoch, die polnischen wie die griechischen Forderungen zurück zu weisen. Die Bundesregierung reagierte wie ihre Vorgängerinnen auf die Ansprüche der griechischen Naziopfer, darunter die Hinterbliebenen der jüdischen Zwangsarbeiter und der Gemeinden, die Opfer mörderischer Einsätze von SS und Wehrmacht wurden. Des Bundeskanzleramt ließ die VVN-Bund der Antifaschisten am 13. Januar wissen: "Bei der Forderung nach Entschädigung für die Opfer deutscher Vergeltungsmaßnahmen sowie für Vermögensverluste handelt es sich um aus dem Krieg herrührende Reparationsforderungen." Diese hätten "ihre Berechtigung verloren". Die Ausrottung ganzer Dörfer und Verschleppung der Menschen zur Zwangsarbeit hält also auch die neue Bundesregierung für zulässige Kriegshandlungen und nicht für schwere Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die den Opfern Entschädigung oder wenigstens eine Geste der Entschuldigung zusteht. Bekanntlich wurde auch nicht einer der Mörder und Schuldigen an den Massakern in Deutschland verurteilt.

Wiederholt haben Vertreter der Opfer auf die Tendenz hingewiesen, Entschädigungen auf jüdische Bürger und in USA Klagende zu beschränken. Aus den Verhandlungen über Entschädigungsfragen, geführt von Kanzleramtsminister Bodo Hombach mit Vertretern deutscher Unternehmen und Banken, wurde zudem bekannt, daß die Bundesregierung in eine Bundesstiftung zur Zwangsarbeiterentschädigung nicht mit Mitteln des Bundes einzahlen wolle und daß die Stiftung vor allem zur Abwendung der Klagen in USA dienen und keine gerechte Entschädigung - etwa entsprechend den Leistungen des Bundesentschädigungsgesetzes - vorsehen soll. Die Regierung stellt sich nach wie vor schützend vor die Unternehmen, nicht vor die Opfer. Wann die Opferverbände - wie von Hombach versprochen - in die Gespräche über eine Entschädigungsregelung einbezogen werden, steht in den Sternen. Dabei wurde in der Koalitionsvereinbarung klipp und klar gesagt: "Die Rehabilitierung und die Verbesserung der Entschädigung für Opfer nationalsozialistischen Unrechts bleibt fortdauernde Verpflichtung. Die neue Bundesregierung wird eine Bundesstiftung ‘Entschädigung für NS-Unrecht’ für die ‘vergessenen Opfer’ und unter Beteiligung der deutschen Industrie eine Bundesstiftung ‘Entschädigung für NS-Zwangsarbeit’ auf den Weg bringen."

Schleichende fortgesetzte Amnestie der Naziverbrecher

In diesem Zusammenhang muß eine weitere Meldung beunruhigen. Entgegen der gesetzlichen Regelung vom Januar 1998, nach der Teilnehmer an Kriegsverbrechen von Kriegsopferrentenzahlungen ausgenommen werden sollen, hat das Bundessozialgericht auch ehemaligen ausländischen SS-Freiwilligen in einem Urteil vom 9. Dezember 1998 die gleiche Versorgung zuerkannt wie Soldaten der Wehrmacht. Bekannt wurde zudem, daß die Zentralstelle der Justizverwaltungen in Ludwigsburg, die seitens der Versorgungsämter und des Bundessozialministeriums mit der Ermittlung der unberechtigt Versorgungsrente beziehenden Teilnehmer an Kriegsverbrechen beauftragt ist, nur "eine Arbeitskraft in einem Handarchiv mit 760.000 Karteikarten" - ohne Computer - für diese Arbeit zur Verfügung hat. (So der Leiter der Behörde lt. Neues Deutschland, 23. 12. 1998) Die Rentenzahlungen für Kriegsverbrecher und damit ihre schleichende Amnestie wird also fortgesetzt. Während immer neue Einrichtungen für die Erfassung der DDR-Unterlagen geschaffen werden, steht für die Auswertung der SS- und Wehrmachtsunterlagen gerade eine einzige Arbeitskraft zur Verfügung.

Der DGB-Bundesvorstand fordert in seinem Papier zur Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern eine "Informationsstelle für Zwangsarbeit". Auch dies kann als Antwort auf den unerträglichen Zustand der Zentralstelle von Ludwigsburg angesehen werden. Die Verbände der Opfer fordern, daß eine solche Dokumentationsstelle unter der Kontrolle der Opfer und ihrer Vereinigungen stehen sollte. Sie müßte auch für die öffentliche Auseinandersetzung mit der Geschichte genutzt werden können. Mittels einer solchen Informationsstelle könnten auch persönliche Angaben im Sinne der Opfer geklärt werden .

Es muß angesichts einer von den heutigen Notwendigkeiten ablenkenden Diskussion über neue Gedenkstätten anstelle der vorhandenen, über monumentale neue Museen anstelle praktikabler, für die Opfer und Hinterbliebenen nutzbarer Informations- und Dokumentationsstellen gefragt werden: Wie soll vor diesem verwirrenden Hintergrund ein würdiges Gedenken unter Einbeziehung der Opfer und Hinterbliebenen möglich werden? Denn noch wichtiger als Denkmalsfragen endlos zu erörtern, wird sein, endlich die letzten noch lebenden Opfer zu entschädigen, bevor es zu spät ist. Wer gegen die zynische "biologische Lösung" ist, sollte sich jetzt zu Wort melden.

Dies haben erneut die Vertreter der Opfer getan. In einer gemeinsamen Erklärung von Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte, Interessengemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter, Interessenverband IVVdN, Lagergemeinschaft Ravensbrück und VVN-BdA heißt es: "Den Überlebenden muß individuell, wirksam, schnell und unbürokratisch geholfen werden. Deshalb sind die Organisationen der Opfer an den weiteren Diskussionen zu beteiligen. Die Verantwortlichen in Unternehmen und Wirtschaftsverbänden fordern wir auf, sich der geschichtlichen Verantwortung für die frühere Beschäftigung von ZwangsarbeiterInnen unter dem NS-Regime zu stellen und die adäquate finanzielle Ausstattung der Bundesstiftung sicher zu stellen."