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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

08.03.2018

Für einen Kontinent der endgültigen Befreiung vom Faschismus

Gesellschaftlicher Widerstand gegen die Rechtsentwicklung in Europa

Am 18. Februar tagte in Berlin der Freundeskreis der Ernst Thälmann Gedenkstätte. Ulrich Schneider, Bundessprecher der VVN-BdA und Generalsekretär der Föderation des Internat. Widerstandes (FIR) hielt bei dieser Gelegenheit ein Rede, in der er die besorgniserregende Rechtsentwicklung in Europa aufzeigte und eine Gegenwehr vorschlug. Hier der Wortlaut der Rede:

Liebe Kameradinnen und Kameraden,

liebe Freunde und Genossen,

ich bedanke mich für die Einladung als Generalsekretär der FIR zu eurer heutigen Matinee. Ich freue mich besonders, dass ich heute die FIR nicht alleine vertrete, sondern auch Günter Pappenheim, ehemaliger Häftling des KZ Buchenwald und Mitglied des Ehrenpräsidiums der FIR anwesend ist.

Ich möchte den Blick auf den 85. Jahrestages der Machtübertragung an den deutschen Faschismus und damit auch die illegale Tagung des ZK der KPD in Ziegenhals um die Perspektive auf heute – nämlich die politischen Gefahren, die sich aus dem Anwachsen extrem rechter Kräfte in Europa ergeben - ergänzen. Im Herbst letzten Jahres hat sich die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer mit einem Appell „FIR in Sorge um die politische Entwicklung in Europa“ an die Öffentlichkeit gewandt.

Damals hatten wir mit Blick auf die verschiedenen europäischen Länder eine Bestandsaufnahme gemacht, die wenig verheißungsvoll war. Wir mussten konstatieren, dass der „Schoß nicht nur fruchtbar ist“, sondern dass sich dieses Europa in eine reaktionäre politische Richtung weiterentwickelt.

Ihr alle kennt die Wahlergebnisse für die AfD in unserem Land. Das Auftreten ihrer Mandatsträger im Bundestag und in verschiedenen Länderparlamenten zeigen immer wieder aufs Neue, dass Rassismus und Intoleranz – verbunden mit neoliberaler Wirtschaftspolitik – zum Kernthema dieser Gruppe gehören. Dass die AfD als gezielte Provokation selbst mit Ernst Thälmann für ihre Partei geworben hat, macht deutlich, wie prinzipien- und geschichtslos sie alles versucht auszunutzen, von dem sie meint, dass es Stimmen bringt.  

Ähnlich populistisch agiert in Österreich die FPÖ eines Heinz-Christian Strache, die es seit der letzten Parlamentswahl zum Koalitionspartner der konservativen ÖVP unter dem zum „Hoffnungsträger“ ernannten Sebastian Kurz gebracht hat. Der kleinste gemeinsame Nenner dieser Koalition ist die Ablehnung der Aufnahme weiterer Flüchtlinge in Mitteleuropa. Verantwortlich für die Durchsetzung dieses Zieles soll –auch nach dem Willen der ÖVP – Heinz-Christian Strache von der FPÖ sein.

Mancher wird sich noch daran erinnern, dass vor Jahren, als der damalige FPÖ-Vorsitzende Jörg Haider in die österreichische Regierung kam, die europäischen Staaten dieses Land boykottierten – diesmal ist es völlig anders. Sebastian Kurz wurde in den Elysee-Palast zum europäischen „Hoffnungsträger“ Macron eingeladen und auch die anderen Regierungen buhlen um Kontakte.

So erschreckend diese politische Perspektive ist, so ermutigend ist es auf der anderen Seite, dass vor gut einem Monat – als Reaktion auf die Einsetzung dieser Koalitionsregierung – in Wien zwischen 60 und 80.000 Menschen gegen die Politik von Kurz und die Einbindung der FPÖ in die Regierung demonstrierten. Das war die größte politische Demonstration der vergangenen Jahre in Österreich.

Eine ähnliche Entwicklung ist in der Tschechischen Republik zu verzeichnen, wo der Rechtspopulist Andreij Babis (ANO) und der offen rechte Politiker Tomio Okamura (SPD) bei der Parlamentswahl die größte Zahl der Mandate erringen konnte. Ihr Credo lautet: Wir wollen keine weiteren Flüchtlinge in Europa aufnehmen. Okamura fantasiert sogar davon, die Islamisierung der Tschechischen Republik aufhalten zu müssen. Dass es Babis bis heute nicht gelungen ist, eine Regierung, die sich auf die Mehrheit der Abgeordneten stützen kann, zu bilden, hat weniger etwas mit seinen rassistischen und nationalistischen Thesen zu tun, sondern mit innenpolitischen Auseinandersetzungen. Es steht daher zu erwarten, dass auch die tschechische Republik in den kommenden Jahren von einer rechtspopulistischen Regierung geführt wird.

An einen solchen Zustand musste man sich in Ungarn schon seit mehreren Jahren gewöhnen. Im Vorfeld der für April 2018 anberaumten Parlamentswahl kann man als Beobachter den Eindruck gewinnen, dass der Hauptkampf zwischen der rechtspopulistischen FIDESZ und der offen faschistischen JOBBIK verläuft – also eine „Wahl zwischen Pest und Cholera“. Während JOBBIK mit national-sozialistischer Demagogie, also der „Ethnisierung des Sozialen“ punkten will, spielt Viktor Orban (FIDESZ) – neben den massiven Einschränkungen demokratischer Freiheiten – seine Anti-EU- und Anti-Migrationspolitik aus. Im Herbst vergangenen Jahres schockierte er die Welt mit seiner Erklärung von einer „migrantenfreien Zone“ in Ost-Mitteleuropa. Und der Bau der Grenzbefestigung gegenüber der Serbischen Republik ist mehr als nur ein Symbol der „Festung Europa“.

Dass sich in diesem Land Neonazis zuhause fühlen und am vergangenen Wochenende ungestört durch die Behörden der „Festungsstadt Budapest“, die – wie das neonazistische Narrativ lautet – sich dem Vordringen der „bolschewistischen Horden“ im Februar 1945 heldenhaft entgegen gestellt habe, gedachten, ist ein weiteres Indiz für die verheerende Entwicklung in diesem Land.  

Nicht weniger problematisch ist die politische Entwicklung in Polen unter der PiS-Regierung. Auch sie erklärt deutlich, keine Flüchtlinge im Rahmen der europäischen Solidarität aufnehmen zu wollen. Hinzukommt, dass diese Regierung innenpolitisch mit der strukturellen Ausschaltung der Opposition eine massive Rechtsentwicklung vorantreibt.

Die EU und die Bundesregierung kritisieren die polnische Regierung vor allem wegen der Frage der Gerichte und der formellen Gewaltenteilung.

Wir als Antifaschisten sehen dagegen mit großer Sorge den Aufmarsch der militanten, extrem nationalistischen Kräfte, wie beim letztjährigen „Unabhängigkeitstag“ in Warschau und gleichzeitig die Umsetzung der staatlichen Geschichtsrevision. Dies zeigt sich nicht nur im so genannten „Holocaust-Gesetz“, sondern in aller Massivität in der Zerstörung von Gedenkstätten für die sowjetischen Befreier von 1944/45 in verschiedenen polnischen Städten auf der Grundlage des Gesetzes zur „De-Kommunisierung“.

Ich könnte diese erschreckende Aufzählung noch mit zahlreichen Beispielen aus den baltischen Republiken, aus der Ukraine, aber auch westeuropäischer Länder fortsetzen. Der Schoß ist in Europa nicht nur fruchtbar, in Europa gewinnen diejenigen politischen Kräfte an Einfluss, die mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus politische Stimmung gegen Migranten und Hilfsbedürftige machen und die auf der anderen Seite mit nationalistischen Tönen und Geschichtsrevision antifaschistische Grundpositionen infrage stellen.

Gegen diese – europaweiten – Tendenzen ist gesellschaftlicher Widerstand dringend geboten. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer und ihre Mitgliedsorganisationen haben immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie sich mit solchen rassistischen Tendenzen und geschichtsrevisionistischen Bestrebungen niemals abfinden können und werden. Wir erinnern u.a. daran, dass in der Zeit der faschistischen Barbarei viele tausend Verfolgte nur deshalb überleben konnten, da sie in anderen Ländern Aufnahme und Asyl fanden. Bis heute hält die Völkergemeinschaft es denjenigen Staaten, wie z.B. der neutralen Schweiz, vor, wenn sie – im Wissen um die damalige Bedrohungssituation – Verfolgten keine Einreise ermöglicht hat. Solche Kritik ist jedoch scheinheilig, wenn dieselben Staaten und Institutionen heute selbst eine Abschottung gegenüber Flüchtlingen betreiben.

Wenn ein Europa, wie es gegenwärtig konstituiert ist, eine demokratische Perspektive haben soll, dann nur, wenn es sich glaubwürdig gegen rechtspopulistische und extrem rechte Tendenzen und Bestrebungen wehrt. Das bedeutet aber, dass sich die Politik dieser Europäischen Union insgesamt grundlegend ändern muss.

Wir wollen keine Festung Europa, die die zahllosen Toten im Mittelmeer billigend in Kauf nimmt. Europa muss offen bleiben für Menschen, die vor Krieg, politischer oder religiöser Verfolgung, Hunger und Ausbeutung fliehen.

Wir wollen ein Europa, das eine Außenpolitik betreibt, die nicht dazu beiträgt, dass in den nordafrikanischen Staaten oder im Nahen Osten Krieg, Elend und andere Fluchtgründe zunehmen. Wer – wie die deutsche Bundesregierung – öffentlich verkündet, dass die Fluchtursachen bekämpft werden müssten, aber gleichzeitig Panzer und anderes militärisches Gerät an die Türkei und Saudi-Arabien verkauft, der benimmt sich pharisäerhaft und verschärft gleichzeitig die dortigen Krisen.

Wir fordern daher von allen Staaten der EU, statt Rechtspopulismus und Fluchtursachen zu verstärken, eine aktive Politik gegen den zunehmenden Rassismus und die Xenophobie zu betreiben. Europa kann nicht auf der Basis der Abschottung entstehen, sondern muss durch Offenheit und Toleranz geprägt sein.

Zugleich fordern wir, dass in dieser EU endlich das Prinzip durchgesetzt wird, dass sich alle Mitgliedsstaaten an der menschenwürdigen Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen angemessen beteiligen. Wer de facto Griechenland, Italien und Spanien sowie alle nicht-EU-Mittelmeerländer mit der angemessenen Aufnahme der Menschen alleine lässt, wälzen das Problem auf wenige Staaten ab, in denen – wie die Morde eines Neonazis gegen Flüchtlinge vor wenigen Tagen in der italienischen Stadt Macerata zeigen – die sozialen Spannungen eskalieren.

Doch auch an diesem Punkt gibt es eine positive Botschaft. Am vergangenen Wochenende zeigten mehrere 10.000 Italiener – unter ihnen sehr viele junge Leute –, dass sie sich gegen rassistische Gewalt stellen und die Ideale der der Freiheitsrechte des Landes verteidigen. Wir erlebten – nicht nur in Macerata – die Lebendigkeit des antifaschistischen Italiens. Das macht Mut.

Und so treten wir – die FIR und ihre Mitgliedsverbände – ein für ein Europa, das sich seiner antifaschistischen Wurzeln aus dem gemeinsamen Kampf aller Kräfte der Anti-Hitler-Koalition bewusst ist und sich des antifaschistischen Widerstands – und da wären wir wieder bei der Erinnerung an Ernst Thälmann – und der militärischen Befreier angemessen erinnert.

Dr. Ulrich Schneider, FIR-Generalsekretär