07.03.2018
Extremismus – Ein
Konzept zur Lähmung des Kampfes gegen rechts
Ein
Beitrag aus hagalil geschrieben von Igor Netz
Ein Strategiepapier der
Bundesregierung zur »Extremismusprävention und
Demokratieförderung«, das Bundesinnenminister Thomas
de Maizière (CDU) und (die damalige)
Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) im Juli 2016, lt. junge welt
20. 7. 16, vorstellten, wird gegenwärtig in den
Bundesländern umgesetzt. Ministerin Schwesig hatte sich einst
von der Linksextremismusbekämpfung ihrer Vorgängerin
Kristina Schröder (CDU/CSU) verbal abgesetzt:
»Linksextremismus ist ein aufgebauschtes
Phänomen«. Damit ist nun wieder Schluss. Das
Strategiepapier bezieht sich ausdrücklich auf die
Definitionsmacht des Verfassungsschutzes, der Antikapitalismus als
linksextremistisch und damit verfassungsfeindlich definiert. Die
Bundesregierung zeige sich laut jw-Autor Markus Mohr einig,
»dass die Extremismen starke Gemeinsamkeiten
aufwiesen«. Die Bundesregierung förderte nun
»die Präventionsarbeit gegen
Linksextremismus“, und zwar mit erheblichen Mitteln. De
Maiziére: „Insofern ist diese neue
Extremismusklausel sogar noch schärfer als die
alte“. Schärfer, weil sie inzwischen
Formen annimmt, die an Berufsverbote o. ä. erinnern. Das zeigt
die Entwicklung in Hessen. Dazu nahm die jüdische Bloggzeitung
hagalil in einem Beitrag von Igor Netz Stellung, und zwar am 22.
Februar 2018. Es wurde uns gestattet, den Beitrag zu
veröffentlichen:
Mit
Jahresbeginn 2018 sollten Projektträger, die Mittel aus Programmen
wie „Hessen – aktiv für Demokratie und gegen
Extremismus“ erhalten, einer »sicherheitsbehördlichen
Überprüfung« ihrer Mitarbeiter_innen bei Neueinstellung
oder »begründeten Zweifeln« zustimmen. So jedenfalls
sah eine Initiative des CDU-geführten hessischen Innenministeriums
vor. Ein konkreter Anlass für eine solche Überprüfung,
die das Landesamt für Verfassungsschutz – auch treffend als
Inlandsgeheimdienst bezeichnet – vornehmen soll, muss nicht
gegeben sein…
Der Plan ist in dieser Form vorerst vom Tisch. Nach
seinem Bekanntwerden protestierten Fachverbände wie der
Bundesverband Mobile Beratung und die Deutsche Vereinigung politische
Bildung. Erstere sprach von einer Aufkündigung der
vertrauensvollen Zusammenarbeit, sollten Projektträger durch eine
Regelüberprüfung ihrer Mitarbeiter_innen seitens des
Landesamtes für Verfassungsschutz unterzogen werden. In der
Erklärung des Bundesverbandes Mobile Beratung heißt es:
»Diesen massiven – bisher nur in sicherheitsrelevanten
Bereichen nach dem Hessischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz
(HSÜG) üblichen – Eingriff in die
Selbstbestimmungsrechte der Mitarbeiter/innen und die
Trägerautonomie sowie das offenkundige Misstrauen halten wir weder
für verhältnismäßig, noch für
verständlich. Wir halten einen solchen Passus für rechtlich
nicht tragbar.« (Bundesverband Mobile Beratung 2017)
In Hessen ließ sich Innenminister Peter Beuth auf
einen Kompromiss ein, der nur ein scheinbarer Fortschritt ist: Bisher
geförderte Träger sollen von der Überprüfung
ausgeschlossen sein. Für Projektträger, die neu in den
Landesprogrammen beantragen, gilt dieser Kompromiss nicht. Das
hessische Innenministerium als Teil der Schwarz-Grünen
Landesregierung handelt eher nach der Devise Teile und Herrsche.
Gegenüber dem Kompromiss in Hessen herrscht Skepsis
bei den Projektträgern. Deren Berechtigung zeigt das Beispiel der
Bildungsstätte Anne Frank. Der Direktor der Bildungsstätte,
Meron Mendel, gehörte zu jenen die sich vehement gegen die
Regelbespitzelung durch den Inlandsgeheimdienst positioniert hatten.
Nun wird ausgerechnet die Institution überprüft, die er
leitet, weil eine Mitarbeiterin Gründungsmitglied einer Initiative
ist, die das Klapperfeld, ein ehemaliges Frankfurter
Polizeigefängnis, seit 2009 als selbstverwaltetes Zentrum nutzt.
Zu den Aktivitäten im Klapperfeld gehört eine Ausstellung zur
Geschichte des Polizeigefängnisses, die sich kritisch mit
Kriminalität und Kriminalisierung auseinandersetzt. Zudem wird das
Klapperfeld als Ort linker Subkultur genutzt. Allein dieser Umstand
rückt Menschen, die sich dort engagieren, in die Nähe des
Linksextremismus, so die Perspektive des Landesverfassungsschutzes.
Übernommen wird die geheimdienstliche Sichtweise durch das
Hessische Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE),
das seine Aufgabe darin sieht, »die landesweiten präventiven
Aktivitäten für Demokratie und Toleranz und gegen
verfassungsfeindliche Bestrebungen« zu vernetzen. Dementsprechend
wird zur Erklärung dessen, was „verfassungsfeindlich“
und „extremistisch“ sein soll, von der Webseite des
Kompetenzzentrums auf die Onlinepräsenz des Inlandsgeheimdienstes
verlinkt. Kein Wunder, ist doch das Kompetenzzentrum dem hessischen
Innenministerium zugeordnet. Den Verdacht »bezüglich einer
möglicherweise bestehenden Nähe einzelner Mitarbeiter (der
Bildungsstätte, d. Autor)) zur linksextremistischen Szene«
nehme man im Kompetenzzentrum sehr ernst. Allerdings beruht dieser
Verdacht ausschließlich auf einem Artikel von Daniel Gräber
in der Frankfurter Neuen Presse.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn ein
etablierter und fachlich anerkannter Projektträger wie die
Bildungsstätte Anne Frank in das Visier des Geheimdienstes
gerät, kurz nachdem dessen Direktor Meron Mendel vehement Kritik
an der geplanten Regelbespitzelung äußerte. Das Beispiel
zeigt, dass es beim Konzept des „Linksextremismus“ nicht
allein um vermeintliche Gewalttaten geht, die sich gegen die
parlamentarische Demokratie richten, sondern um die Denunziation linker
Denk- und Handlungsweisen insgesamt, so sie sich nicht in einen engen
und normativen Begriff von Demokratie einfügen. Anders gesagt geht
es beim Extremismus-Konzept um die politische Delegitimierung einer
nicht genehmen Gesinnung.
Was hat es mit Totalitarismus und dem Extremismus- Konzept auf sich?
Die erste amtliche Erwähnung des
Extremismusbegriffs findet sich 1974 im Verfassungsschutzbericht des
Bundesinnenministeriums unter Führung von Werner Maihofer (FDP).
Er ersetzt das bis dahin gängige Wort „radikal“,
welches noch im „Radikalenerlass“ von 1972 Anwendung findet
und mit dem eine Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst für
Bewerber_innen in den öffentlichen Dienst verankert wurde.
Das Extremismus-Konzept stellt eine
politikwissenschaftliche Erweiterung der Totalitarismusformel dar:
»Totalitarismus bezeichnet eine politische Herrschaft, die die
uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und
ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes)
politisches Ziel verlangt. Totalitäre Herrschaft, erzwungene
Gleichschaltung und unerbittliche Härte werden oft mit
existenzbedrohenden (inneren oder äußeren) Gefahren
begründet, wie sie zunächst vom Faschismus und vom
Nationalsozialismus, nicht zuletzt auch im Sowjetkommunismus Stalins
von den Herrschenden behauptet wurden. Insofern stellt der
Totalitarismus das krasse Gegenteil des modernen freiheitlichen
Verfassungsstaates und des Prinzips einer offenen, pluralen
Gesellschaft dar.« (Kompetenzzentrum Hessen)
Fraglos gibt es an dem hier angeführten
autoritären Sozialismus stalinistischer Prägung anführt
nichts zu verteidigen. Allerdings zielt der Totalitarismusbegriff nicht
alleine darauf, sondern auf eine Gleichsetzung von Nationalsozialismus
und Faschismus mit dem Kommunismus bzw. Sozialismus ab. Wesentliche
Unterschiede in der historischen Entstehung und im Menschenbild werden
eingeebnet. So ist für den liberalkonservativen
Politikwissenschaftler und Historiker Karl Friedrich Bracher »der
Totalitarismus (…) ein Gegenschlag gegen die demokratische
Bewegung der Menschen- und Bürgerrechte – ob er diese nun
ausdrücklich ablehnt (wie Faschismus und Nationalsozialismus) oder
ob er sie manipulatorisch verfälscht (wie der Kommunismus
leninistischer und zumal stalinistischer Prägung). (Bracher 1984:
38) Es ist mehr als erstaunlich, wenn ein Autor wie Bracher den
eklatanten Unterschied zwischen rechts und links derart verwischt.
Während die Ideen von Kommunismus und Anarchismus sich aus dem
aufklärerischen Denken in all seiner Zwiespältigkeit
ableiten, beruht gerade der Nationalsozialismus auf einer
völkisch-nationalistischen Gegenbewegung zur Aufklärung,
während er sich gleichzeitig aus deren gebrochenen Versprechungen
auf eine Welt, in der alle »ohne Angst verschieden sein«
(Adorno) können, speist. In Deutschland hat die Gleichsetzung von
Faschismus/Nationalsozialismus auf der einen Seite und
Sozialismus/Kommunismus auf der anderen eine nicht zu
unterschätzende Entlastungsfunktion im Umgang mit den deutschen
Verbrechen im Zweiten Weltkrieg. Nach 1989 wandelte sich diese
Gleichsetzung in die Formel von den „beiden deutschen
Diktaturen“.
Ein wesentliches Element ist im vorliegendem
Zusammenhang der Antikommunismus als Grundkonsens der frühen
Bundesrepublik. Nach der militärischen Zerschlagung des
Nationalsozialismus durch die Alliierten und der Ermordung von sechs
Millionen Jüdinnen und Juden war der Antisemitismus zuerst einmal
desavouiert. Sein Vorhandensein wurde zeitweilig ebenso verdrängt
wie die Verstrickung der deutschen Bevölkerung in die
NS-Verbrechen. Anders verhielt es sich mit dem Antikommunismus. Es wird
heute gerne vergessen, dass die Nazis ihren Krieg gegen die Sowjetunion
als Vernichtungskrieg gegen das Phantasma eines jüdischen
Bolschewismus führten. Im Zuge des Kalten Krieges galt der
Antikommunismus als ausgesprochen hoffähig in der
parlamentarischen Demokratie, in der Teile der NS-Elite als Juristen,
Ärzte, Parlamentarier usw. unterkamen. Es ist nicht
übertrieben festzustellen, dass in der Nachkriegsära der
Antikommunismus ein Integrationsangebot für alte Nazis darstellte.
Gleichwohl muss betont werden, dass die Ursprünge
der Totalitarismusforschung sich in kritischer Absicht mit dem
Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben und nach einem
Erklärungsmodell gesucht haben, der dessen spezifischen Charakter
vom Faschismus abhebt. Für diesen Forschungszweit stehen
prominente Namen wie Hannah Arendt, Ernst Fraenkel und Franz L.
Neumann. Im Unterschied zur heute dominanten Form der
Totalitarismusforschung sah Arendt in der DDR keinen totalitären
Staat und konstatierte diesen selbst für die Sowjetunion nur
für einen relativ kurzen Zeitraum innerhalb der Herrschaft von
Stalin. Arendt könnte mit ihrer politischen Zuneigung zu einem
Rätesystem heute leicht selbst in den Fokus von
Inlandsgeheimdiensten geraten.
Die Totalitarismusforschung widmet sich der historischen
Ebene, während das Extremismus-Konzept versucht, jegliche
grundsätzliche Gegnerschaft zum bundesdeutschen Verfassungsstaat
als extremistisch zu fassen. Dazu gehört auch die Kritik an der
kapitalistischen Eigentumsordnung, obwohl diese im Grundgesetz mit
Bedacht nicht festgeschrieben wurde.
Vor allem Uwe Backes und Eckhardt Jesse haben das
sogenannte Hufeisenmodell populär gemacht. Dieses Modell soll die
parlamentarische Demokratie veranschaulichen. Dabei sind die
„extremen Enden“ des Hufeisens gleich weit von der
angenommenen Mitte entfernt und berühren sich beinahe. So wird
eine angebliche Strukturgleichheit von „Rechts“ und
„Links“ unterstellt. Demokratie und sogenannter Extremismus
werden bei Backes und Jesse als Gegensatzpaar dargestellt, das
miteinander nichts zu tun haben soll: »Die ‚Mitte’,
in ihrer dualistischen Betrachtungsweises ‚des’ Extremismus
verklärt, verorten die Forscher vor allem dort, wo sie selber
sitzen und wo ihr nationales Weltbild wurzelt. Gefahren für die
Demokratie kommen demnach immer von ‚außen’. Die
Mitte, das Volk, die Nation werden per definitionem exkulpiert. Die
Bestimmung, wer ‚außen’ am Rand steht, entspringt
subjektiven Vorlieben und dient der Stigmatisierung politisch
missliebiger Personen.« (Kopke/Rensmann zit. n. Salzborn 2015:
103) Betrachtet man sich die politischen Positionierungen von
Extremismusforscher_innen, so ist es kein Zufall, dass in deren Fokus
weit mehr die Linke steht als die (extreme) Rechte. Schließlich
sind wesentliche Akteure im konservativen bis rechtskonservativen
Milieu verankert und/oder verfügen über einen beruflichen
Lebenslauf, der unterschiedliche Berührungspunkte mit dem
Verfassungsschutz aufweist.
Akteure der „Extremismusforschung“
Einer dieser Akteure ist, neben anderen, Hans-Helmut
Knütter, der dem konservativen Bund Freiheit der Wissenschaft
angehörte und in verschiedenen Funktionen für die
Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) sowie als Gastdozent
an der Schule für Verfassungsschutz tätig war. Der von
Knütter initiierte und betreute Ost-West-Arbeitskreis an der
Universität Bonn lud in den frühen 1990er-Jahren unter
anderem den Holocaust-Leugner David Irving und den neonazistischen
Liedermacher Frank Rennicke zu Veranstaltungen an der Hochschule ein.
Knütter kann durchaus als ein Impulsgeber einer akademischen
Anti-Antifa bezeichnet werden. 1996 initiierte Knütter eine
Kampagne gegen den Rechtsextremismusforscher Anton Maegerle, die auch
durch das NPD-Blatt Deutsche Stimme aufgegriffen wurde.
Knütter steht an dieser Stelle exemplarisch
für einen »undefinierbaren Graubereich zwischen Publizistik,
Geheimdienst, Bildung und Forschung tauchen auch in den
einschlägigen Zitierkartellen einer rechtskonservativen, bisweilen
gar neurechten „Extremismus“-Community auf, wo die
Übergänge zwischen Amt, Wissenschaft und Medien
fließend sind und wo es infolgedessen verbeamteten
Geheimdienstmitarbeiter_innen ermöglicht wird, ohne ihre aktuelle
oder zurückliegende sinistre Agent_innen- und
Ermittler_innentätigkeit zu erwähnen, unter den Deckmantel
der Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit zu schlüpfen«
Rudolf van Hüllen, Politologe und aktuell als
freiberuflicher „Extremismusforscher“ im Umfeld der
CDU-nahen Konrad Adenauer Stiftung tätig, kann eine nahezu
20-jährige Tätigkeit für das Bundesamt für
Verfassungsschutz vorweisen. Bis zum Jahr 2006 arbeitete er dort in den
Abteilungen „Linksextremismus und Linksterrorismus“. Van
Hüllen studierte an der Bonner Universität, dort wo auch
Hans-Helmut Knütter lehrte. Sein Doktorvater war der bereits oben
angeführte Karl Friedrich Bracher (Burschel 2013). Auch van
Hüllen schrieb bereits mehrfach für die Bundeszentrale
für politische Bildung, unter anderem über
„’Antiimperialistische’ und
‚antideutsche’ Strömungen im deutschen
Linksextremismus“ und „Linksextreme Medien“. Sein
Lieblingsfeind jedoch scheint die Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten
(VVN-BdA) zu sein. So unterstellt er dem Verband in dem Artikel
„Die VVN-BdA: ein trojanisches Pferd für das Engagement
gegen Rechtextremismus“ (van Hüllen) auf der Webseite des
bayerischen Bundes für Widerstand und Verfolgung eine angeblich
ungebrochene stalinistische Tradition – Belege für diese
Behauptung bleibt der Politikwissenschaftler jedoch schuldig. Vielmehr
führt van Hüllen als Beleg dafür, dass für
Mitglieder der Organisation »Menschenrechte nicht universell
gültig sind« an, es gehe dem »VVN-BdA
ausdrücklich um den Kampf gegen einen „rechten Rand“,
der aus der „Mitte der Gesellschaft“ komme. Aufgezählt
werden die Vertriebenenverbände, „staatlicher
Rassismus“, Antisemitismus und „Militarismus“«
(Ebda.).
Es braucht schon einen gehörigen Teil an Zynismus,
will man angesichts der staatlichen Verstrickung in die Morde des
Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) und vor dem Hintergrund der
jahrelangen Suche nach dessen Täter_innen ausschließlich in
Kreisen der vom rechten Terror Betroffenen, dem VVN-BdA aus der
Feststellung von staatlichem Rassismus und der Verstrickung der
gesellschaftlichen „Mitte“ in die derzeitige
Rechtsentwicklung einen Strick drehen. Vielmehr geht es van Hüllen
um die Verfolgung einer antifaschistischen Gesinnung und um die
normative Festlegung dessen, was in der parlamentarischen Demokratie
als Engagement gegen Rechts als erwünscht gilt. Solche
Diffamierungen haben Folgen. So stellte der AfD-Abgeordnete Bernd
Gögel am 8. März 2017 im Landtag von Baden-Württemberg
einen Antrag auf Prüfung der Gemeinnützigkeit des VVN-BdA
(Landtag Baden-Württemberg 2017). Begründet wird diese
Prüfung unter anderem mit einem Verweis auf den bayerischen
Verfassungsschutzbericht. Dort nämlich, und nur in diesem
Bundesland, wird der antifaschistische Verband als »bundesweit
größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich
des Antifaschismus« (Bayer. Landesamt für Verfassungsschutz
:224) aufgeführt. Auch hier ist die Begründung mehr als
dünn. Angeführt werden im Bericht des Inlandsgeheimdienstes
Bündnisse mit autonomen Gruppierungen und die falsche Behauptung,
der VVN-BdA sehe alle »nicht-marxistischen Systeme – also
auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell
faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus
[…], die es zu bekämpfen gilt.« (Ebda.) Der Weg von
politischer Denunziation durch einen ehemaligen Mitarbeiter des
Inlandsgeheimdienstes qua „Linksextremismus“-Verdacht bis
hin zur staatlichen Repression und deren Indienststellung durch eine in
weiten Teilen völkisch-nationalistische Partei kann also sehr kurz
sein.
Ein anderer „Extremismusforscher“ hat mit
einer offenen Verortung rechts außen wenig Probleme: Karsten
Dustin Hoffmann, ehemaliger Polizist und ehemaliges AfD-Mitglied.
Dieser promovierte bei Eckehardt Jesse an der Universität Chemnitz
einschlägig zum Thema „Rote Flora“. Jesse geriet
selbst in die Kritik, als er für den aktuellen Antisemitismus den
Zentralrat der Juden verantwortlich machte. Außerdem war Hoffmann
bereits als Autor für die Webseite „Citizen Times“
tätig, die laut dem Blog AfD Watch Bremen von der Gustav
Stresemann Stiftung betrieben wird, einer Gruppierung, die als
Vorfeldorganisation der rechten Kleinpartei „Die Freiheit“
gilt (s. AfD Watch Bremen). 2016 kandidierte Hoffmann für die AfD
im Landkreis Rotenburg/Wümme wo er als Fraktionsvorsitzender in
den Kreistag einzog. Hoffmann erlangte eine gewisse Bekanntheit
über die ZDF-Doku „Radikale von Links – Die
unterschätzte Gefahr“, die am 6. September 2017 bei ZDFinfo
lief. Er wurde in dieser Dokumentation als neutraler Politologe, ohne
Nennung seiner Parteimitgliedschaft, angeführt, was zu Protesten
führte.
Auch, wenn Hoffmann im Dezember 2017 aus der AfD
austrat, bleibt sein Weltbild und seine Fixierung auf den
„Linksextremismus“ bestehen. Pikant ist, dass Hoffmann von
August 2011 bis August 2013 für die Berliner DDR-Gedenkstätte
Hohenschönhausen tätig war, wo er als wissenschaftlicher
Mitarbeiter an der Erstellung von pädagogischen Begleitmaterialien
zum Thema „Linksextremismus“ beteiligt war (Eckelmann
2016). Das Projekt, in dem Hoffmann mitarbeitete, wurde über das
Bundesprogramm „Initiative Demokratie stärken“
finanziert.
In einer Evaluation des Programmes stellte das Deutsche
Jugendinstitut fest, dass in den geförderten Projekten fachlich
eine auf »normativen Grundlagen« beruhende »Form von
Auflärungs- und „Vereindeutigungs“-pädagogik« sowie
»wertende Einordnungen der Umsetzenden mitgeliefert« (BM
FSFJ 2014: 38) würden. Zudem würden Lernprozesse »in
den konkreten durch die wissenschaftliche Begleitung teilnehmend
beobachteten Fällen stark gesteuert«. Fachlich sollten
solche Einstufungen von Projekten das Ende jeglicher Förderung
sein, da gesteuerte Modelle aufgrund von Einstellungspädagogik
grundlegenden Maßstäben der politischen Bildung
widersprechen. Nicht jedoch im Fall der Gedenkstätte
Hohenschönhausen, die im Nachfolgeprogramm „Demokratie
leben“ erneut ein Projekt durch das Bundesministerium Familie,
Senioren, Frauen und Jugend gefördert bekommen hat.
Fazit
Das Extremismus-Konzept wurde und wird, obwohl
sozialwissenschaftlich umstritten, in erster Linie durch den
Inlandsgeheimdienst und durch die Bundeszentrale für politische
Bildung popularisiert. Es dient zur Diskreditierung nicht allein, aber
vor allem, antifaschistischer und antikapitalistischer Initiativen.
Letztlich wird mittels dieses Konzepts in obrigkeitsstaatlicher Manier
versucht, eine bestimmte Lesart dessen, was Kritik leisten darf,
durchzusetzen. Mit den epochalen Veränderungen in den Jahren
1989/90 und dem Zusammenbruch der UdSSR reüssierten bereits
verstaubende Extremismus- und Totalitarismusideen. Schließlich
galt es die liberalen Demokratien als den Höhe- und Endpunkt
politischer Gesellschaftsentwicklung zu setzen und zugleich ein Ende
der Geschichte zu proklamieren.
Ein Ziel des Hufeisen-Modells ist es, die
bürgerliche „Mitte“ von den angeblich extremen
Rändern abzugrenzen. Das funktioniert nicht einmal wie das
Beispiel Karsten Dustin Hoffmann zeigt bei relevanten Akteuren, die als
„Extremismusforscher“ gelten. Rassistische Bewegungen vom
Typ Pegida, die AfD und die Neue Rechte zeigen gerade im Gegenteil, wie
sich die angenommene gesellschaftliche „Mitte“ weit nach
rechts außen radikalisiert hat.
Noch dazu denunziert das Extremismus-Konzept
antifaschistischen Protest und somit Positionen, die darauf hinweisen,
dass jene gesellschaftlichen Ursachen fortbestehen die den
Nationalsozialismus ermöglichten. Genau dies ist der Stachel im
Fleisch jener, die die Aufarbeitung der NS-Verbrechen als deutsche
Erfolgsgeschichte verkaufen wollen und den gegenwärtigen
gesellschaftlichen Rechtsruck mit seinen widerwärtigen
Ausbrüchen von Rassismus und Antisemitismus klein reden und
verharmlosen.
Dort wo es bei staatlichen Förderprogrammen um die
Sicherung fachlicher Qualität geht, sind die entsprechenden
fachliche Maßstäbe – zu ihnen gehört der immer
wieder zitierte Beutelsbacher Konsens – zur Beurteilung von
Projekten und ihren Trägern anzulegen und nicht deren politische
Positionierung zu überprüfen. Würden diese fachlichen
Kriterien wirklich ernst genommen, müssten wohl zu allererst
manche der Projekte, die sich gegen „Linksextremismus“
wenden um ihre staatliche Förderung bangen.
Bild oben: Beratungsangebote der Bildungsstätte Anne Frank
Literatur
Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem
beschädigten Leben, Gesammelte Schriften, Bd. 4 Frankfurt am Main
2003.
AfD Watch Bremen, Eintrag Karsten Dustin Hoffmann, https://afdwatchbremen.com/karsten-dustin-hoffmann/ (eingesehen 2.1.2018).
Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz: Verfassungsschutzbericht Bayern 2016.
Karl Friedrich Bracher: Zeitgeschichtliche Kontroversen – Um Faschismus, Totalitarismus, Demokratie München 1984.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend (BM FSFJ): Abschlussbericht des Bundesprogramms
„Initiative Demokratie stärken“. 2014:
https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2014/1443_Abschlussbericht_IDS.pdf.
Bundesverband Mobile Beratung: Misstrauen gegen
demokratisches Engagement ablegen! Die geplanten
Sicherheitsüberprüfungen müssen zurückgenommen werden.
2017:
http://www.bundesverband-mobile-beratung.de/wp-content/uploads/2017/11/2017-11-29-BMB-Stellungnahme-zu-Sicherheitsüberprüfungen-Hessen.pdf
(eingesehen 25.01.2018).
Friedrich Burschel:
Verfassungsschutzwissenschaftsjournalismus. Der ehrbare Karriereweg von
der Uni über den Geheimdienst in die Publizistik, Forschung und
Bildung. Berlin 2013:
https://nrw.rosalux.de/publikation/id/6973/verfassungsschutzwissenschaftsjournalismus/
(eingesehen 30.12.2017).
Mathis Eckelmann: Vom Geheimdienst zur Demokratieschule
in: jungle world 17.11.2016,
https://jungle.world/artikel/2016/46/vom-geheimdienst-zur-demokratieschule
(eingesehen 2.1.2017).
Kompetenzzentrum Hessen gegen Extremismus: https://innen.hessen.de/sicherheit/hessen-gegen-extremismus
Christoph Kopke/Lars Rensmann: Die Extremismus-Formel.
Zur politischen Karriere einer wissenschaftlichen Ideologie, in
Blätter für deutsche und internationale Politik, H.12, 2000.
Landtag von Baden-Württemberg. 16. Wahlperiode,
Drucksache 16 / 1743, 08. 03. 2017:
https://www.landtag-bw.de/files/live/sites/LTBW/files/dokumente/WP16/Drucksachen/1000/16_1743_D.pdf.
Samuel Salzborn: Rechtsextremismus, Baden-Baden 2015.
Rudolf van Hüllen: „Die VVN-BdA: ein
trojanisches Pferd für das Engagement gegen
Rechtextremismus“. 2009:
http://www.bwv-bayern.org/component/content/article/3-suchergebnis/79-die-vvn-bda-ein-trojanisches-pferd-fuer-das-engagement-gegen-rechtextremismus.html
(eingesehen 2.1.2018).
Igor Netz
Quelle: http://www.hagalil.com/2018/02/extremismus-2/
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