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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.02.2018

Ulla Jelpke solidarisch mit der VVN-BdA: Antifaschismus mit FDGO-Vorbehalt

Auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der LINKEN zur "Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ wird in Ossietzky Nr. 2/2018 von der LINKEN-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke geantwortet. Auch Ulrich Sander kommentierte die Antwort der Regierung.

Ulla Jelpke schreibt:

Regelmäßig wird in Publikationen der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern der Eindruck erweckt, dass Antikapitalismus und Antifaschismus als »linksextremistische Aktionsfelder« per se nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) vereinbar seien. Demgegenüber hatte etwa der renommierte Marburger Rechts- und Sozialwissenschaftler Wolfgang Abendroth (1906-1985) die Ansicht vertreten, dass das Grundgesetz eine zum Sozialismus hin offene Verfassung darstelle. »Die Garantie der Möglichkeit zu legaler Transformation der sozialökonomischen und soziokulturellen Basis in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft, die auch real (und nicht nur juristisch-fiktiv) wirklich allen gleiche Rechte gewährt«, bleibe wesentlicher Gehalt des Systems der Demokratie in der Rechtsordnung des Grundgesetzes.

Die Linksfraktion im Bundestag hat daher eine Kleine Anfrage zur »Konformität von Antifaschismus und Antikapitalismus mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung« an die Bundesregierung gestellt. Sowohl die Ablehnung und Bekämpfung von Nationalsozialismus, Faschismus und Rechtsextremismus als auch Kritik an der bestehenden Wirtschaftsordnung seien »grundsätzlich und per se nicht extremistisch«, versucht die Bundesregierung erst einmal abzuwiegeln. Doch ständen die Schlagworte »Antifaschismus« und »Antikapitalismus« auch für die beiden wichtigsten Agitations- und Aktionsfelder des deutschen Linksextremismus, heißt es in der Antwort weiter. Kapitalismus bezeichne aus linksextremistischer Sicht nicht nur soziale Missstände, sondern auch gesellschaftspolitische Phänomene wie Faschismus, Rechtsextremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militarismus. Für Linksextremisten sei der Kapitalismus daher mehr als eine bloße Wirtschaftsordnung, »sondern eine im Sinne von Karl Marx durch eine Revolution zu überwindende Gesellschaftsordnung«, schlussfolgert die Bundesregierung. »In diesem Zusammenhang beabsichtigen Linksextremisten eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Systems hin zu einer sozialistisch-kommunistischen [sic] Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatsordnung.« Für Parteien und Gruppierungen mit einem marxistischen Selbstverständnis ist diese Feststellung zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen. Dass dennoch nicht jeder Anhänger marxistischer Gesellschaftsanalyse unbedingt die revolutionären Schlussfolgerungen von Marx und Engels teilt, haben schon die Richtungskämpfe zwischen Rosa Luxemburg, Karl Kautsky und Eduard Bernstein in der SPD vor dem Ersten Weltkrieg gezeigt.

»Der Kapitalismus als Wirtschaftssystem ist nicht Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung«, stellt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Linken-Anfrage erfreulicherweise fest. Kritik am Kapitalismus sei dann mit der FDGO vereinbar, wenn sie sich ausschließlich an den Kapitalismus als Wirtschaftssystem richtet. Doch »eine Kritik, die darüber hinaus den Kapitalismus als Gesellschaftsform ansieht, die es z. B. mit dem Ziel der Errichtung einer sozialistisch-kommunistischen Diktatur oder mit Gewaltanwendung zu überwinden gilt, ist dagegen nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.«

Antifaschisten, die gemäß dem Schwur der Überlebenden von Buchenwald aus dem Jahr 1945 nicht nur den Nazismus, sondern auch dessen (kapitalistische) Wurzeln bekämpfen und eine »neue Welt des Friedens und der Freiheit« aufbauen wollen, werden damit in der Konsequenz außerhalb des vom Grundgesetz garantierten Meinungsspektrums gestellt. Das hat das Landesamt für Verfassungsschutz im schwarz-grün regierten Hessen im Prozess der Lehrerin und Antifaschistin Silvia Gingold gegen ihre Überwachung im vergangenen Jahr offen erklärt. Ganz so weit will die Bundesregierung nicht gehen. Eine Bewertung des Schwurs von Buchenwald bedürfe »aus hiesiger Sicht einer politikwissenschaftlichen Reflektion [sic]«, heißt es auf Nachfrage.

Allerdings ist die Argumentation der Bundesregierung nicht weniger perfide: »Der Parlamentarismus ist Kernbestandteil der bundesdeutschen Verfassungsordnung. Kritik und Ablehnung dieser Verfassungsordnung sind wesentliche Elemente linksextremistischer Ideologie«, wird in der Antwort kurzerhand behauptet. Daraus wiederum wird abgeleitet: »Die Beteiligung von Linksextremisten an ›gesellschaftlichen und politischen Debatten und Protestaktionen‹ durch die verschiedenen, u. a. im Verfassungsschutzbericht 2016 aufgeführten Aktionsfelder [also Antifaschismus, Antikapitalismus, Anti-Gentrifizierung, Antimilitarismus etc., U. J.] richtet sich folglich direkt oder indirekt auch gegen die Normen und Regeln des demokratischen Verfassungsstaates und somit auch gegen die parlamentarische Demokratie.«

Wer Kriege, das Aufkommen von faschistischen Parteien oder Massenentlassungen nicht als Schicksal oder Zufälligkeiten, sondern als zwangsläufige Folgen des Kapitalismus sieht und aus dieser Erkenntnis heraus für eine nicht-kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eintritt, verlässt nach Ansicht der Bundesregierung den Boden der FDGO. Die Beteiligung an einem Antinaziprotest, einer Demonstration gegen Krieg, das Engagement gegen die Verdrängung durch hohe Mieten oder die Solidarität mit streikenden Metallarbeitern wird aus dieser Sichtweise dann zur verfassungsfeindlichen, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Tat, wenn ein Teilnehmer sich als Kommunist, Marxist oder Anarchist versteht oder vom Verfassungsschutz diesem Spektrum zugeordnet wird. Ausschlaggebend ist nach Ansicht der Bundesregierung nicht die Tat, sondern die Gesinnung. Und wann diese Gesinnung als extremistisch zu gelten hat, darüber urteilt wiederum der Verfassungsschutz, dessen eigentliche Aufgabe folglich nicht in der Verteidigung der Grundrechte, sondern der herrschenden Eigentumsverhältnisse besteht.

Ulrich Sander zitiert aus einer Bundestagspresseerklärung und schreibt:

Zitat vom 8. Januar 2018 aus „hib – Heute im Bundestag). Berlin: (hib/PK) Die Schlagworte "Antifaschismus" und "Antikapitalismus" stehen nach Ansicht der Bundesregierung auch für linksextremistische Aktionsfelder und feststehende Szenebegriffe. "In dem Zusammenhang beabsichtigen Linksextremisten eine Veränderung des gesellschaftlichen und politischen Systems hin zu einer sozialistisch-kommunistischen Gesellschafts-, Wirtschafts- und Staatsordnung", heißt es in der Antwort (19/351) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (19/129) der Fraktion Die Linke.

Es sei jedoch unzutreffend, wenn behauptet werde, das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) setze in seinen Publikationen "antifaschistische" und "antikapitalistische" Aktivitäten grundsätzlich mit extremistischen Aktivitäten gleich. Denn sowohl die Ablehnung oder Bekämpfung des Nationalsozialismus, Faschismus oder Rechtsextremismus als auch die Kritik an der bestehenden Wirtschaftsordnung seien "grundsätzlich und per se nicht extremistisch", heißt es in der Antwort weiter.

Was die Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) angehe, orientiere sich die Bundesregierung an der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. (Bis hier finden wir die Zusammenfassung der Pressestelle der Bundestages.)

Kommentar U. Sander: Die Bundesregierung hält antifaschistische und antikapitalistische Aktivitäten für nicht extremistisch und nicht verfassungsfeindlich. (Na prima!) Es sei jedoch dann von linksextremem Antifaschismus und Antikapitalismus und damit von Verfassungsfeindlichkeit auszugehen, wenn Verfassungsfeinde sich des Themas annehmen. Wie der VS zur Einstufung „verfassungsfeindlich" gelangt, das ist nicht „veröffentlichungsfähig“. (Allerdings hätte ja auch gesagt werden können: Kommunisten sind grundsätzlich verfassungsfeindlich, und wenn sie sich als Antifaschisten betätigen, dann ist das nicht antifaschistisch, sondern gegen die FDGO gerichtet. Auch in dieser Hinsicht wird der VS Hessen nicht unterstützt.)

Frage 12 an die Bundesregierung: Inwieweit ordnet die Bundesregierung eine Berufung von Antifaschistinnen und Antifaschisten auf den „Schwur der Überlebenden von Buchenwald“, der die Passage „Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung“ enthält, dem linksextremen oder orthodox-kommunistischen Antifaschismus zu (https://dasjahr1945.de/der-schwur-von-buchenwald/)?

(Antwort) Die Fragestellung bedarf aus hiesiger Sicht einer politikwissenschaftlichen Reflektion. Dies betrifft jedoch nicht das Aufgabenspektrum und die Zuständigkeit der Bundesregierung.

Kommentar U. Sander: Dies ist sehr bemerkenswert: Die Verunglimpfung des Schwurs wird durch die Bundesregierung nicht geteilt. Einige Landesämter des VS haben begierig aufgegriffen, was durchgeknallte Wissenschaftler/innen herausgefunden haben wollen. (Es ist bemerkenswert, dass das schwarz-grüne Hessen derartiges aufgreift.)

Frage 15. Inwieweit und aus welchem Grund ist die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA e. V.) derzeit Objekt der Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz oder nach Kenntnis der Bundesregierung von Landesämtern für Verfassungsschutz?

(Antwort)  Die Verfassungsschutzbehörden sammeln im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags Informationen und werten sie aus.

Weder diese Informationen selbst noch die Angaben über eventuelle nachrichtendienstliche Aktivitäten zum Gewinnen solcher Informationen sind ihrem Wesen nach veröffentlichungsfähig. Durch eine Stellungnahme zum Beobachtungsstatus einer Organisation außerhalb der Verfassungsschutzberichte könnten Rückschlüsse auf den Aufklärungsbedarf, den Erkenntnisstand sowie die generelle Arbeitsweise des BfV gezogen werden, was die Funktionsfähigkeit der Verfassungsschutzbehörden bei der Bekämpfung des Extremismus nachhaltig beeinträchtigen würde.

Nach sorgfältiger Abwägung des parlamentarischen Fragerechts mit den negativen Folgen für die künftige Arbeitsfähigkeit und Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes ist die Bundesregierung zur Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung dieser Frage hinsichtlich einer etwaigen Beobachtung der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten) durch das BfV nicht erfolgen kann. Aufgrund der oben dargelegten Ausforschungsgefahr überwiegt das öffentliche Geheimhaltungsinteresse.

Zur Frage der Beobachtung durch die Landesämter für Verfassungsschutz wird auf die Verfassungsschutzberichte der Länder verwiesen.

Kommentar U. Sander: Hier wird vermieden zu sagen: Verfassungsfeindlich sind die Kommunisten und Anarchisten per se, und wo solche in Organisationen auftauchen, da stehe eine Verfassungsfeindlichkeit der Organisation fest, ohne dass man da eine Beweisführung braucht. Es wird die VVN-BdA bespitzelt, und wie dies geschieht, das ist nicht „veröffentlichungsfähig“.

Frage 16. Inwieweit trifft ein Bericht der Zeitung „unsere zeit“, der sich auf eine Antwort des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz bezüglich einer Klage gegen die Observation eines VVN-BdA-Mitgliedes beruft, zu, wonach „ein zentraler Verfassungsschutzverbund aller Ämter des Bundes und der Länder“ besteht, „der mit einem großen einheitlichen Dossier über die VVN-BdA arbeitet, bei dem sich alle Geheimdienste bedienen können“ (www.unsere-zeit.de/de/4904/theorie_geschichte/4651/Von-der-ruhrladezum-Verfassungsschutz.htm)?

a) Inwieweit gibt es einen zentralen Verbund des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz?

b) Inwieweit und wo besteht ein Dossier über die VVN-BdA, auf das Verfassungsschutzämter Zugriff haben?

c) Was geschah mit den vom Bundesamt für Verfassungsschutz bezüglich der VVN-BdA gesammelten Daten, nachdem die VVN-BdA nicht mehr im Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesamtes für Verfassungsschutz genannt wurde, und inwieweit haben die Landesämter für Verfassungsschutz Zugriff auf diese Daten des Bundesamtes für Verfassungsschutz?

Die gesetzliche Grundlage für den angefragten Verbund der Verfassungsschutzbehörden es Bundes und der Länder ergibt sich aus den §§ 2 ff. BVerfSchG.

(Antwort) Gemäß § 6 Absatz 1 BVerfSchG übermitteln sich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (VS-Behörden) die für ihre Aufgaben relevanten Informationen, einschließlich ihrer Auswertungen. Gemäß § 6 Absatz 2 BVerfSchG sind die VS-Behörden verpflichtet, beim BfV zur Erfüllung der Unterrichtungsverpflichtung nach Absatz 1 gemeinsame Dateien im automatisierten Verfahren zu führen.

Kommentar U. Sander: Es besteht also der Verfassungsschutzverbund. Die darin gespeicherten Daten aus den Länder-VS-Ämtern sind für alle VS verfügbar, aber ihre Aussagen nicht verbindlich. (Der VS Hessen ist also besonders eifrig, die unsinnigsten Dinge sich zu eigen zu machen.)