04.02.2018
Vergessene Massenverbrechen in der Kriegsendphase
Mahn- und Gedenkfahrt Köln-Lüdenscheid
Mitarbeiter der Gedenkstätte
„Gestapozellen im Alten Lüdenscheider Rathaus“, haben
die Initiative ergriffen, um die Recherchen und Aktionen zur Erinnerung
an fast vergessene NS-Massenverbrechen aus dem Rheinland und
Südwestfalen im Frühjahr 1945 voranzubringen. Eine
Gedenkfahrt ist für den 3. März 2018 geplant. Dazu ergeht
dieser Aufruf der VVN-BdA NRW:
Kurz
vor der Befreiung von Krieg und Faschismus wurden im Frühjahr 1945
Tausende Antifaschistinnen und Antifaschisten von den Nazis
„ausgeschaltet“ und ermordet. Während seit Herbst 1944
zahlreiche geheime Bemühungen von Nazioberen um eine Wende des
Weltanschauungskrieges – eine Wende zu einer Einigung mit dem
Westen zur Fortsetzung des Krieges gegen den Osten, die Sowjetunion
– unternommen wurden, ist gleichzeitig ein Mordfeldzug gegen
deutsche und ausländische Zwangsarbeiter/innen und
Antifaschist/innen und gegen deutsche Soldaten, die dem Wahnsinn ein
Ende bereiten wollten, in Gang gesetzt worden. Die Nazis
befürchteten, widerständige deutsche und ausländische
Arbeiterinnen und Arbeiter könnten sich die Früchte des
bevorstehenden Sieges über den Faschismus durch gemeinsames
Handeln sichern wollen. So sollte ihr Mitgestalten an einer
Zukunft ohne Nazis und Militaristen verhindert werden.
Diese Massenmorde wie auch die Massaker in den
Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen von den KZ nach
Westen entsprachen dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des
deutschen Faschismus. Gestapochef Müller hatte versichert:
“Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen
wurde; wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben
lassen.“ Die „innerdeutschen Freunde“ des Faschismus,
die großen Konzerne, hatten hingegen freie Hand, um sich auf die
Zeit nach Kriegsende einzustellen. Dazu sei an ein Treffen vom August
1944 erinnert.
Treffen zur Nachkriegsplanung
Am 10. August 1944 kam es laut
US-Geheimdienstberichten zum Treffen von Konzernvertretern zwecks
Nachkriegsplanung: Krupp, Bosch, Thyssen, VW, Rheinmetall,
Saar-Röchling, Messerschmidt und Wintershall/Quandt waren dabei – mit
Repräsentanten von SS, Reichssicherheitshauptamt und Ministerien der
Reichsregierung im Hotel Maison Rouge von Strasbourg. Themen:
Überlebensstrategie der Wirtschaft und der Nazis nach der
Kriegsniederlage, Rettung des Nazivermögens und deutscher Potentiale
für die Zukunft.
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Das bedeutete: Schutz für die Konzerne und
Sklavenhalter, hingegen Mord an ihren Opfern, an Zwangsarbeitern und
ihren deutschen Kollegen.
Dabei hat die Gestapo auch hier im Westen
(Gestapo-Leitstelle Köln) eine (fast vergessene) Blutspur
hinterlassen. Von Köln aus wurden mindestens 1.000 Gefangene aus
Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und dem Rheinland vor den
heranrückenden Westmächten durch das Bergische Land, z.B.
Wipperfürth und Lindlar-Berghausen/Kaiserau in das älteste
AEL/Arbeitserziehungslager Lüdenscheid-Hunswinkel und zu dem ca. 2
km entfernten Exekutionsort Hühnersiepen getrieben, wo im
März und frühen April 1945 ca. 300 hingerichtet wurden. Viele
kamen auf dem Todesmarsch ums Leben. Heute ist der entlegene Fleck
Hühnersiepen eine kleine Kriegsgräberstätte.
Das Arbeitserziehungslager Hunswinkel im Versetal (heute:
Versestausee) südöstlich von Lüdenscheid war der schrecklichste Ort der
NS-Zeit in Lüdenscheid und im Kreis Altena. Es war das erste AEL
außerhalb von Berlin in der NS-Zeit und wurde im August 1940 von der
Polizei (in Düsseldorf), vom Arbeitsamt (in Essen) und von den
Arbeitgeberverbänden eingerichtet, um kritische Arbeiter zu „erziehen“:
durch Schläge, durch Quälereien, durch Schwerstarbeit im Laufschritt,
durch Hunger, durch erniedrigende Behandlung u.a.
Als ab 1942
russische Zwangsarbeiter eingewiesen wurden, stieg die Zahl der
Todesfälle rasch an und betrug bis zum Ende des Krieges 514.
Insgesamt
waren hier ca. 5.000 „Erziehungshäftlinge“ inhaftiert. Sie schufen zum
großen Teil das Versestaubecken und die Staumauer mit wenigen Maschinen
und viel schwerer Körperarbeit.
Zwei Erinnerungstafeln auf dem
Parkplatz an der Klamer Brücke, das Russenfeld im nördlichen Teil des
Friedhofs Loh und Friedhof/Gedenkstätte Hühnersiepen (östlich von
Piepersloh) sind Hinweise auf die tödlichen Misshandlungen in dem
Lager. Da das Lager überfüllt war, wurde mindestens eine
Deportationsgruppe nach Wuppertal getrieben. Die Schicksale sind
ungeklärt.
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Aufnahme
des Lagers auf einem Kleinbildfilm: Nach den Angaben von zwei
ehemaligen Häftlingen aus Taganrog stellt das Foto das
Arbeitserziehungslager Hunswinkel dar. Die Aufnahme ist ein Teil eines
Lüdenscheider Films aus dem Stadtarchiv. Die Blickrichtung des
Fotografen ist von Osten nach Westen: Lüdenscheid; links ging man zur
Klamer Brücke, rechts zum Staudamm; das (Gebäude mit den Dachaufsätzen
war die Küche, hinter der die Toilette stand; in der Mitte der Aufnahme
lässt sich schwach das Lagertor mit dem Giebelbalken erkennen. Foto:
Stadtarchiv Lüd./Text: Wagner.
Vor der Vertreibung der Gefangenen Richtung Osten
verübte die Kölner Gestapo grausame Verbrechen. Vom 30.
Januar bis 4. März 1945 (dem Tag des Einmarsches der Alliierten in
Köln) wird von der Verhaftung von 500 Personen, darunter 220
Deutsche, berichtet. Von Januar bis März 1945 wurden in Köln
1.800 in- und ausländische Widerstandskämpfer,
Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und Juden von den Faschisten ermordet.
Genauere Angaben harren noch der Recherche.
Während die Kriegsendphasenverbrechen in
Dortmund-Bittermark/Rombergpark sowie in der Wenzelnbergschlucht bei
Solingen seit Jahrzehnten erforscht sind und würdige
Gedenkveranstaltungen dazu stattfinden, muss eine solche Tradition auf
der Strecke Köln-Lüdenscheid erst noch begründet werden.
Wir gedenken der Opfer, aber wir mahnen auch, und wir warnen vor den
Tätern. Ihre Untaten wurden nicht gesühnt.
Entschädigungen, z.B. für die Zwangsarbeiter/innen blieben
weitestgehend aus (siehe Kasten Hochtief). Rüstungsbetriebe von
damals sind wieder ganz groß im Geschäft.
Deshalb rufen wir dazu auf: Für die Fortsetzung
einer demokratischen Erinnerungsarbeit, für die Offenlegung aller
Akten über die Verbrechen und die Verbrecher, gegen Rüstung
und neue Kriege.
Gedenkfahrt am Samstag, den 3. März 2018
Im März 1945 fanden
die Zwangs- und Todesmärsche der Gestapo Köln (aus Brauweiler,
Müngersdorf Fremdarbeiterlager, Müngersdorf Judenlager, Klingelpütz,
Gefängnis Siegburg u.a.) über Lindlar- Kaiserau/Berghausen, Wipperfürth
nach Lüdenscheid/Hunswinkel und Wuppertal statt.
Am 3. März wollen wir dem gedenken:
10.30
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Treffen am Eingang zum Tiefbahnhof
Köln-Deutz, dann geht es zu den Bodeneinlassungen für die
Deportationen aus Köln.
Informationen,
Gedenken, politische Bedeutung für heute – Niederlegen von Blumen an
der Gedenktafel für die Opfer der Deportationen der Gestapo Köln im
Februar und März 1945.
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11.00
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Fahrt mit Bus nach Lindlar.
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12.00
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in Lindlar, Eintreffen zum Mittagsgeläut auf dem Kirchplatz bei St. Severin.
Dort
zum Mittaggeläut Gedenken auf dem Marktplatz. Aufstellung einer
symbolischen Gedenktafel für die vielen Gefangenen und Zwangsarbeiter
in Kaiserau/Berghausen. Danach: Imbiss und Informationsaustausch.
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14.00
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Fahrt zur Klamer Brücke an der Versetalsperre.
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15.00
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Informationen und Gedenken nahe dem
Arbeitserziehungslager Hunswinkel in Sichtweite der
Hinrichtungsstelle Hühnersiepen.
In Kooperation mit der Friedensgruppe Lüdenscheid.
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16.00
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Rückfahrt nach Köln. Ankunft und Ende in Köln-Deutz.
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Teilnahme gegen Spende.
Anmeldung zur Busfahrt unter: nrw[at]vvn-bda[dot]de.
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Hochtief Essen
Auch die Firma Hochtief AG Essen war im Kriege im
Raum Lüdenscheid sehr aktiv. Hochtief – und nicht nur Banken
und Versicherungen – sperrten sich gegen die Auszahlung der
Mittel an die ehemaligen Zwangsarbeiter. Somit wurde die gesamte
Zwangsarbeiterentschädigung weiter verzögert.
Hochtief war einer der brutalsten Sklavenhalter.
Der Konzern ließ sich von der Gestapo das Arbeitserziehungslager
(AEL) – man kann auch Konzentrationslager (KZ) sagen – in
Hunswinkel bereitstellen. Die Sklaven dort mussten besonders lange im
Lager bleiben und wurden anschließend oft zugunsten von Hochtief
weiter dienstverpflichtet, um den Staudamm der Versetalsperre zu bauen.
Zudem liehen Hochtief und Gestapo im Winter AEL-Häftlinge an die
Stadt Lüdenscheid aus, um städtische Arbeiten zu verrichten.
Matthias Wagner veröffentlicht in seinem Buch
„Arbeit macht frei – Zwangsarbeit in Lüdenscheid
1939-1945“ Fotos von der Schwerstarbeit an der
Versetalsperren-Baustelle. Er schreibt auf Seite 92: „Ca. 5-6.000
Frauen, Männer, Kinder und Jugendliche haben den Hunger, die
Schwerstarbeit und die Brutalitäten des Arbeitserziehungslagers
Hunswinkel erdulden müssen, ca. 550 von ihnen mussten ihr Leben
lassen.“
Um den Menschen heute ungefähr zu
verdeutlichen, welcher Art solche Arbeiten und wie die Haftbedingungen
waren, soll hier Gabriele Lotfi zu Wort kommen:
„…verlangte das Bauunternehmen, dass der
Reichstreuhänder seine Zusage bekräftigte, Hochtief
‚gebesserte AEL-Häftlinge‘ für den Aufbau einer
Stammbelegschaft [am Bau der Versetalsperre] zu überlassen.“
„Deutsche und Ausländer arbeiteten in
getrennten Kolonnen und wurden unter Bewachung in
Fußmärschen aus dem Lager zu den Arbeitsstellen getrieben.
Grundsätzlich mussten die Häftlinge in allen
Arbeitserziehungslagern (es gab davon 200 im Reich, alle gemeinsam von
Industrie und Gestapo betrieben) schwere Steinbruch-, Erd- und
Tiefbauarbeiten verrichten. Es entsprach zum einen der ideologischen
Überzeugung der Polizeiführer, dass sich Steinbrucharbeiten
besonders gut zur ‚Erziehung‘ ‚arbeitsscheuer
Elemente‘ eigneten...“.
„In Hunswinkel arbeiteten die Gefangenen
hauptsächlich in den Kalksteinbrüchen im Versetal. Mit
Spitzhacken lösten sie Steine aus dem Fels und schaufelten sie in
Feldbahnloren. Teilweise mussten die Felsbrocken mit bloßen
Händen verladen werden. Die deutschen Stammarbeiter von Hochtief
und dem Ruhrtalsperrenverein teilten den Gefangenen ihre Arbeit zu und
überwachten sie. Gearbeitet wurde fast bei jedem Wetter.“
„Nach der Zerstörung der
Möhnetalsperre am 17. Mai 1943 sollte die Versetalsperre auf
Anordnung Albert Speers beschleunigt fertiggestellt werden, um die
Trinkwasserversorgung des Ruhrgebiets zu sichern. ... Gleichzeitig trat
Hochtief erneut in Verhandlungen mit dem Landesarbeitsamt Westfalen, um
zusätzliche Arbeitskräfte anzufordern. Das Landesarbeitsamt
Westfalen machte jedoch sogleich deutlich, dass der angemeldete
erhöhte Bedarf an Arbeitskräften ausschließlich mit
‚Erziehungshäftlingen‘ befriedigt werden
müsse.“
„Die Wirtschaftspartner der
Arbeitserziehungslager waren natürlich an der Erhaltung der
minimalen Arbeitskraft der Häftlinge interessiert. Hochtief
beschwerte sich mehrmals über die mangelnden Arbeitsleistungen der
sowjetischen Häftlinge, die völlig unterernährt und
geschwächt seien.“
Alle Zitate: Gabriele Lotfi: KZ der Gestapo - Arbeitserziehungslager (AEL) im Dritten Reich, 2000, DVA München.
Siehe auch: https://de.wikipedia.org/wiki/Hochtief#Hochtief_in_der_Zeit_des_Nationalsozialismus.
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VVN-BdA NRW
Gathe 55
42107 Wuppertal
0202/45 06 29
nrw.vvn-bda.de/
ViSdP: Ulrich Sander
Unterstützt durch Friedensgruppe Lüdenscheid, Unser
Oberberg ist bunt - nicht braun.
Der Aufruf als PDF zum Download.
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