30.01.2018
Gedenken vor dem Stacheldraht
Gedenkveranstaltung an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz im Dortmunder U-Turm
Die Gedenkveranstaltung zum
Holocaustgedenktag fand diesmal in Dortmund im U-Turm statt und bot
eine Kombination aus Texten und Musik sowie einem Kunstwerk,
installiert im U und geschaffen von Wolf Vostell. Das Volmerich-Foto
aus den „Ruhrnachrichten“ wird in der Zeitung mit
den Worten erläutert: „Das Kunstwerk lässt
Niemanden kalt. Über ein Meer aus Messern und Gabeln führt in
dem spärlich beleuchteten Raum der Weg an Stacheldrahtzäunen
entlang. Aus einem Koffer ertönen unerwartet
Zuggeräusche.“ „Ältere fühlen sich an das
Konzentrationslager Auschwitz erinnert, Teenager denken eher an die
Flüchtlingslager der Gegenwart“, sagt Dr. Nicole Grothe vom
Museum Ostwall, die schon viele Besuchergruppen zu der Rauminstallation
von Wolf Vostell im Museum Ostwall geführt hat.
Das 1970 geschaffene Kunstwerk war also
eine passende Kulisse für die Gedenkveranstaltung, mit der das
Bündnis gegen Rechts und die VVN-BdA am Samstag (27.1.) an die
Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor genau 73 Jahren
erinnerten. Die Veranstaltung am Holocaust-Gedenktag hat schon
Tradition – und erinnert auch in diesem Jahr an viele Gruppen,
die von den Nazis verfolgt und ermordet wurden. Eine Rap-Formation mit
jugendlichen Roma eröffnete so am Samstag im Erdgeschoss des
U-Turms die Gedenkveranstaltung. An die verfolgten Juden erinnerte
Klezmer-Musik von Peter Sturm, an die russischen Opfer und Befreier
russische Partisanenlieder von David Oriewski und Berd Rosenberg. Claus
Dieter Clausnitzer trug Gedichte von Paul Celan und Ernst Jandl vor
– vor der Rauminstallation im Museum Ostwall in der fünften
Etage des U-Turms. „Das wäre ganz im Sinne von Wolf
Vostell“, sagt Kunstexpertin Nicole Grothe.
Ula Richter (auf dem Foto rechts knieend)
vom Bündnis Dortmund gegen Rechts und der VVN-BdA hielt zu Beginn
der Veranstaltung am 27. 1. 2018 die folgende Rede:
Rede Ula Richter, Bündnis Dortmund gegen Rechts 27. Januar 2018
Guten Tag zusammen. Ich begrüße Sie/Euch im
Namen des Bündnis Dortmund gegen Rechts und der Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschist/innen sehr herzlich.
Mein Dank geht an Herrn Jacobs und seine Mitarbeiterinnen.
Sie haben ermöglicht, dass diese Veranstaltung hier und heute stattfinden kann.
Seit vielen Jahren ist der 27. Januar fester
Bestandteil unserer Erinnerungsarbeit. Antifaschistische
Spaziergänge, das Aufsuchen der Stolpersteine und des Gedenksteins
für die Sinti und Roma, die Installation eines mobilen Mahnmals,
bestehend aus einer schwarz ausgelegten Fläche, auf der
geweißte Schuhe in allen Größen und Formen und
geweißte Koffer an die Opfer erinnern, dazu Texte und Musik, das
waren und sind jährlich unsere Mittel im öffentlichen
Straßenraum.
Beim „brain-storming“ für das
diesjährige Gedenken kam die Idee, die beeindruckende Installation
von Wolf Vostell, die viele nicht kannten, in den Mittelpunkt zu
stellen und sowohl für die Opfer des Faschismus als auch für
die Befreier eine entsprechende Musik und Lyrik zu finden.
Mit
der Roma-Band „inclusion4real“, mit Klezmer und jiddischen
Liedern, gespielt von Peter Sturm, und mit russischen
Partisanenliedern, vorgetragen von David Oriewski und Bernd Rosenberg,
und mit Claus Dieter Clausnitzer, der sowohl Paul Celan als auch Ernst
Jandl sprechen wird, ist uns das wohl gelungen.
Theodor Adorno meinte, nach Auschwitz ein Gedicht zu
schreiben, sei barbarisch und bezog das dann auch auf die Kunst
überhaupt. Damit löste er heftige Diskussionen unter den
Kulturschaffenden aus. Dieser Widerspruch und der Eindruck, den Paul
Celans Lyrik auf ihn machte, ließen ihn sein Diktum revidieren.
Und das war gut so.
Wie arm wäre unser Erinnern, wenn wir nicht die
Sprache, die Musik, die bildende und darstellende Kunst hätten,
Kunst, die über unsere Zeit hinaus gültig ist und das
„Nie wieder!“weiterträgt.
„Sage nie, Du gehst den letzten Weg“ ist das Motto, unter das wir unser heutiges Gedenken stellen.
Es ist der Anfang eines jiddischen Liedes - Peter Sturm
hat es übersetzt - das zur Hymne des Widerstandes geworden ist. Es
ist ein Lied, das den Mut zum Widerstand und den Willen zur Freiheit
nach all den Schrecken der Nazi-Barbarei zum Ausdruck bringt,- ein Lied
für das Leben und die Aufforderung, nie wieder zuzulassen, was
geschah.
Esther Bejarano, Musikerin und Auschwitz Überlebende, heute 94 Jahre alt, singt es noch immer bei ihren Konzerten.
In Auschwitz hat die Musik ihr das Leben gerettet. Die
Faschisten hatten es gerne „kulturvoll“ und stellten ein
Mädchenorchester zusammen, in dem auch Esther Bejarano spielte.
Die jungen Musikerinnen wurden von Schwerstarbeit befreit und
bekamen etwas mehr zu essen und konnten so überleben. Dafür
hatten sie die schreckliche Aufgabe, beim Eintreffen der Transporte
aufzuspielen und die Todgeweihten hoffen zu lassen, dass wo
Musik gespielt wird, es nicht so schlimm sein könnte. Das Spielen
an der Rampe und die schrecklichen Szenen, die sich dort abspielten,
quälen die Überlebende noch heute.
„Die Geschichte berichtet von keinem Verbrechen,
das sich jemals gegen so viele Opfer gerichtet hat und mit solcher
berechnenden Grausamkeit begangen wurde“, das sagte der
Chefankläger der Nürnberger Prozesse. Die über eine
Million Opfer aus ganz Europa, Juden, Sinti und Roma, russische
Kriegsgefangene, Widerstandskämpfer/innen, alle die nicht in das
rassistische Weltbild der Nazis passten, sie wurden nicht nur
erschossen, erschlagen, vergast, bei medizinischen Versuchen
getötet, ihre Arbeitskraft wurde auch bis zum letzten Blutstropfen
ausgebeutet.
Die IG Farben, Siemens und viele andere
Großkonzerne errichteten rund um Auschwitz-Birkenau 47 Nebenlager
und profitierten von immer neuem Nachschub von Menschen als
Arbeitssklaven. Deren Lebenserwartung betrug bei den barbarischen
Arbeitsbedingungen im Schnitt drei Monate. „Arbeit macht
frei!“, frei vom Leben.
Der Resistance-Kämpfer Peter Gingold, der einen
großen Teil seiner Familie in Auschwitz verlor, formulierte:
„Faschismus ist das Bündnis des großen Kapitals mit
der Barbarei.“
Heute kommt das Monopolkapital ohne Faschismus aus,
tanzen doch fast alle Staaten nach seiner neoliberalen Melodie und die,
die sich weigern, werden mit Krieg überzogen. Rassistische
und nationalistische Parteien und Bewegungen machen sich in Europa und
den USA breit und mit ihnen der Militarismus. Die neuen Kriege um die
Neuaufteilung der Welt und die Ausbeutung der armen, aber an Rohstoffen
reichen Länder, treiben Millionen Menschen zur Flucht. Die, die es
trotz Mittelmeer und NATO-Stacheldraht-zäunen bis zu uns schaffen,
treffen auf ein zwiespältiges Klima. Es gibt sie noch immer, die
Willkommenskultur und die Hilfsbereitschaft. Aber die Stimmung in einer
sozial tief gespaltenen Gesellschaft kippt und wird von ultrarechten
Bewegungen genutzt.
Damals waren es die Juden, heute sind es „die
Ausländer“, die an allem schuld sind: An Arbeitslosigkeit,
fehlendem Wohnraum, Armut, an der ganzen sozialen Schieflage. Eine
Stimmung, die sehr an die letzten Jahre der Weimarer Republik denken
lässt.
Rassistische und faschistisch durchsetzte Parteien
wie die Partei „Die Rechte“ nutzen sie, um Hass gegen alles
Fremde zu säen und eine Pogromstimmung zu erzeugen.
Sie ruft für den 14. April zu einer europaweiten
Demonstration nach Dortmund auf, unter dem verräterischen Titel
„Europa erwache!“
Lasst uns solidarisch mit den Flüchtlingen sein,
mit den von Abschiebung Bedrohten, mit den Sinti und Roma, die heute
immer noch diskriminiert und in ihren Heimatländern von
faschistischen Banden bedroht werden.
Und lasst uns das Gedenken heute im Widerstand gegen die Nazis und ihren angekündigten Aufmarsch weiterführen:
„Nie wieder Faschismus! Nein zum Krieg!“
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