22.12.2017
Rede zum 79. Jahrestag der
Pogromnacht in
Bergisch Gladbach: „Es ist geschehen und folglich
kann es
wieder geschehen“
Jochen
Vogler, Landessprecher der VVN-BdA von NRW, führte am 11. 11.
17 in Bergisch-Gladbach aus:
„Vielen Dank
für die Einladung
zu dieser Gedenkveranstaltung. Es bleibt wichtig und notwendig, von den
sehr unterschiedlichen Ereignissen und Wendepunkten, die in der
Geschichte des 20. Jahrhunderts mit dem Datum 9. November in
Deutschland verbunden sind, den 9. November 1938 niemals zu vergessen.
Der 9. November 1938 ist Ausdruck eines furchtbaren
Zivilisationsbruchs, dessen schreckliche Fortsetzung als Programm
„Endlösung der Judenfrage“ uns allen
bekannt ist.
‚Es ist geschehen und folglich kann es wieder
geschehen.‘Dieses Zitat von Primo Levi bleibt
gültig -
das beweist uns auch ein Blick in unsere Gegenwart. Ich bin dankbar
für einen Text, den ich zur Vorbereitung für diesen
Beitrag
erhielt.
Es ist ein zeitgenössischer Text von 1938 (aus Nr.7/1938 der
„Roten Fahne“, illegales KPD-Organ):
Getreu
den stolzen Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung erheben wir
unsere Stimme gegen die Judenpogrome Hitlers, die vor der gesamten
Menschheit die Ehre Deutschlands mit tiefster Schmach bedeckt haben.
Es
ist
eine elende Lüge, dass die Pogrome ein Ausbruch des
Volkszornes
gewesen seien. Sie wurden von langer Hand vorbereitet und organisiert
von den nationalsozialistischen Führern. Sie sollten in
Wirklichkeit dazu dienen, den wachsenden Volkszorn gegen die
nationalsozialistische Diktatur, gegen die wahnwitzige
Ausplünderung des Volkes zugunsten der
Rüstungsmillionäre und der korrupten Nazibonzen
abzulenken
auf Unschuldige, mit dem Ruf „Der Jude ist schuld!“
Immer
in
der Vergangenheit hat die Reaktion sich der schmutzigen Mittel der
Judenhetze und der Pogrome bedient zum Zwecke der Ablenkung von den
wahren Schuldigen am Elend Wir wenden uns an alle
Kommunisten, Sozialisten, Demokraten, Katholiken und Protestanten, an
alle anständigen und ehrbewussten Deutschen mit dem Appell:
Helft
unseren gequälten jüdischen Mitbürgern mit
allen
Mitteln! Isoliert mit einem Wall der eisigen Verachtung das
Pogromistengesindel!
Klärt
die Rückständigen und Irregeführten,
besonders die
missbrauchten Jugendlichen, die zur Bestialität erzogen werden
sollen, über den wahren Sinn der Judenhetze auf!
Die
deutsche Arbeiterklasse steht an erster Stelle im Kampf gegen die
Judenverfolgungen. Gegen die mittelalterliche barbarische Rasssenhetze
bekennt sie sich mit allen aufrechten Deutschen zum Worte Johann
Gottlieb Fichtes von der „Gleichheit alles dessen, was
Menschenantlitz trägt“.
Die
Befreiung
Deutschlands von der Schande der Judenpogrome wird zusammenfallen mit
der Stunde der Befreiung von der braunen Tyrannei. Deshalb
müssen
alle, die das Regiment der Unterdrückung ablehnen und es
beseitigen wollen, ihren festen Zusammenhalt schaffen.
Solidarität
im Mitgefühl und in der Hilfe für die
jüdischen
Volksgenossen, Solidarität mit den gehetzten Kommunisten und
Sozialisten, Solidarität mit den bedrohten Katholiken,
Solidarität aller untereinander im täglichen Kampf
zur
Unterhöhlung und zum Sturz des Naziregimes - das ist es, was
die
Stunde von allen freiheitsliebenden Deutschen verlangt!
Dieser Appell der KPD erschien in der
Sonderausgabe Nr. 7 von 1938 der Roten Fahne.
Dieser Text beweist, daß die brutale
menschenverachtende Nazipropaganda nicht jeden in ihrem Sinne zu
erfassen vermochte.
Er beweist leider aber auch, daß es fast
unmöglich war, mit diesem Appell zum
Alltagsbewußtsein der
Bevölkerung durchdringen zu können.
In dieser Zeit müssen wir
erleben: Die
Auflösung der Tabugrenzen des Sagbaren passiert schleichend
und
wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß mit medialer
Unterstützung diese Methode schon erfolgreich im
Alltagsbewußtsein in der Mitte der Gesellschaft angekommen
ist.
Mediale Aufmerksamkeit bleibt dagegen dezent, wenn
das antifaschistische Selbstverständnis angegriffen wird.
Durch die Klage unserer Kameradin Silvia Gingold
gegen
den Landesverfassungsschutz Hessen auf Löschung ihrer Daten
und
Einstellung ihrer Beobachtung durch dieses Amt wurde bekannt,
daß
der Schwur von Buchenwald für den Verfassungsschutz ein Beleg
ist,
der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sei.
Das Gericht erkannte die Rechtmäßigkeit der weiteren
Beobachtung von Silvia an u. a. Mit der Begründung,
daß sie
bei Veranstaltungen der VVN/BdA mitwirke, die auch wegen ihrer Berufung
auf den Schwur von Buchenwald weiterhin als linksextremistische
Organisation berechtigterweise vom Verfassungsschutz zu beobachten sei.
Dies ist in mehrfacher Hinsicht ein Skandal.
Die Behörde, deren Verstrickung mit den
Morden des
sogenannten NSU notorisch ist, hat das Recht zu bestimmen, was
verfassungskonform ist und was als linksextremistisch kriminalisiert
werden darf.
Fast schon vergessen ist das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom Beginn dieses Jahres. Wegen ihrer
politischen „Bedeutungslosigkeit“ kann die NPD
weiterhin
legal wirken.
Auch wenn bei der NPD programmatisch eine
deutliche
Nähe zur NSDAP nachweisbar sei, gebe es derzeit wegen ihrer
politischen Bedeutungslosigkeit keinen Verbotsgrund.
Die Richter kennen den Artikel 139 des
Grundgesetzes...
Auch dieses Urteil ist ein Beitrag zur
Auflösung der Tabugrenzen des Sagbaren. - Wir kennen die
Wahlergebnisse der AfD.
Hieß
es lange Zeit: Wehret den Anfängen -
heute
muß es schon heißen: wehret den Zuständen!
Noch
können wir es.
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