28.11.2017
Muss Kapitalismus zum
Faschismus führen? – Für breite
Bündnisse gegen rechts
Kapitalismus führt
zum Faschismus - Kapitalismus muss weg! So lautete ein Slogan der
1968er-Bewegung in der Bundesrepublik. Dieser Slogan wird derzeit
wieder mehr verwendet. Georg Fülberth schrieb dazu:
„Er benennt eine Möglichkeit: Kapitalismus kann zum
Faschismus führen, ist aber keine Zwangsläufigkeit.
Es gibt auch nichtfaschistischen Kapitalismus: Denken wir an die
skandinavischen Staaten, Großbritannien und die USA, die
niemals faschistisch waren. Wer meint, gegen Faschismus könne
nur gekämpft werden, wenn zugleich d e r
Kapitalismus beseitigt werde, verurteilt sich gegenwärtig, da
der Kapitalismus nahezu weltweit gesiegt hat, zum Nichtstun. Dann
wäre aktueller Antifaschismus nur eine Sache z. B. von
Bürgerlichen und Christen, die das Nötige gegen
Faschismus zu tun versuchen, auch wenn dadurch der Kapitalismus nicht
verschwindet. Den Antikapitalisten bliebe da ausschließlich
Däumchendrehen.“
Auch ein Leitantrag zum DKP-Parteitag 2018 sieht
den antifaschistischen Kampf vor allem unter dem
Gesichtspunkt, dass der „Maßstab
für den Erfolg“ sei, „die
Werktätigen durch die Mobilisierung für ihre eigenen
Interessen gegen das Kapital“ in den Kampf zu
führen. Also nur „Antikapitalismus
führe zum Erfolg?“
Marx und Engels kannten noch keinen Imperialismus
und Faschismus, kennzeichneten allerdings das Frankreich unter Napoleon
Bonapartes III. Herrschaft (1852-1870) als einen Staat, „der
nichts anderes als ein mit parlamentarischen Formen
verbrämter, mit feudalem Besitz vermischter und zugleich schon
von der Bourgeoisie beeinflusster, bürokratisch gezimmerter,
polizeilich gehüteter Militärdespotismus“
ist.(1) Sie schlossen daraus, dass für die
Überwindung des Kapitalismus unbedingt Zustände
erforderlich sind, die einer demokratischen Republik entsprechen. Der
Faschismus bietet unmittelbar keine Möglichkeit der
Überwindung des Kapitalismus, ganz im Gegenteil. Das erkannte
auch Ernst Thälmann, der in seiner letzten Rede vor der
Führung der KPD am Beginn der faschistischen Diktatur betonte,
„der Sturz der Hitlerregierung und der Sieg der
proletarischen Revolution müssten nicht unbedingt ein und
dasselbe sein.“ (2)
Der vergessene
Parteitag
In dem Bericht vom 15. Parteitag der KPD vom
19./20. April 1946, dem letzten gesamtdeutschen KPD-Parteitag, haben
die KPD-Politiker Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Anton Ackermann
die „ernsten Fehler von uns in diesen Jahren in unserer
Arbeiterpolitik“ am Ende der Weimarer Republik
herausgestellt. Diese radikale Selbstkritik ist bis heute fast
unbekannt, das Protokoll des letzten Parteitages vor den Parteitagen
der SED ist kaum zugänglich. Das ist mit ein Grund
dafür, dass bis heute bei vielen Linken der Irrtum
herumgeistert, es stand 1932/33 der Sturz des Kapitalismus unmittelbar
auf der Tagesordnung und die Kapitalisten hätten Hitler als
eine Art Notbremse gebraucht, wo sie schon lange vorher mittels
Notverordnungen herrschten. Jedoch: Schon lange vorher wäre
eine Politik der Arbeiterbewegung notwendig gewesen, die nicht
unmittelbar auf antikapitalistische Umwälzung, sondern auf
Schaffung und Verteidigung der demokratischen Republik gerichtet
wäre.
Auf dem 15. KPD-Parteitag wurde die
„eindeutiger Selbstkritik“ ausgebreitet, die die
Kommunistische Partei auf ihrer Brüsseler Konferenz 1935
erarbeitet hatte: Es sind nicht rechtzeitig aus den
Veränderungen in der Lage im Jahre 1932 die politischen
Schlussfolgerungen gezogen worden. „Die allgemeine
Veränderung in der Lage erforderte die Konzentration und
Einigung aller Kräfte auf die Verteidigung der Reste der
Demokratie und auf die Vernichtung der faschistischen Kräfte.
Gleichzeitig wurde nicht rechtzeitig erkannt, dass sich die Lage in der
Sozialdemokratie geändert hatte. Durch die Entfernung der
Sozialdemokratie aus den Regierungs- und Verwaltungspositionen war die
Sozialdemokratie in eine neue Lage gebracht worden, die es leichter
möglich machte, die sozialdemokratischen Organisationen
für die Schaffung einer festen Einheitsfront zu
gewinnen.“ In den Beschlüssen der Brüsseler
Konferenz wurde gesagt, „dass der Kampf um die demokratische
Republik das strategische Kampfziel ist, für das alle
antihitlerischen Kräfte in breiter Front zusammengeschlossen
werden müssten.“ (3) Ebenfalls in „harter
Selbstkritik“ wurde festgestellt: „Einen weiteren
grundlegenden Fehler begingen wir in der Einschätzung der
Sozialdemokratischen Partei, in der wir jahrelang unseren Hauptfeind
sahen und gegen den wir das Hauptfeuer unseres Kampfes auch dann noch
richteten, als bereits die Faschisten ihre Mordbanden gegen die
Arbeiterklasse führten.“ (4)
Die
demokratische Republik gering zu achten – ein kapitaler Fehler
Die Linken sollten heute unbedingt darauf aus
sein, alte Fehler nicht zu wiederholen. Solche Fehler wären,
nicht die demokratische Republik zu verteidigen, den
antikapitalistischen Umsturz zur unmittelbaren Aufgabe zu machen und
kein Bündnis auch mit nicht antikapitalistischen
Bündnispartnern zu schaffen. Das heißt
Antifaschismus auch ohne Beseitigung des Kapitalismus. Es liegt mir
daran, dies hier festzustellen, denn ich werde in den Dokumenten
sämtlicher Verfassungsschutzämter als der
entscheidende Repräsentant des kommunistischen Antifaschismus
dargestellt, der auf die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung aus sei.
„Zwar wäre es falsch,
würden Linke Antikapitalismus zur Bedingung für
gemeinsames Engagement machen, wenn Menschen sich ehrlichen Herzens
gegen rassistische Gewalt und Ausgrenzung einsetzen wollen, ohne Marx
und Engels gelesen zu haben.“ Das schreibt die Junge Welt
ausgerechnet am Tag der Befreiung 8. Mai 2017 (5) als
Einleitung zu einer Antifaschismus-Dokumentation. Der Artikel
schließt mit den Worten: „Antikapitalismus ist
daher nicht die ‚Eintrittskarte‘ zum
Antifaschismus, aber der Schlüssel zu seinem nachhaltigen
Erfolg.“
Marx und Engels konnten nicht wissen, was 1933
passiert, aber der Losung von der sofortigen proletarischen statt
faschistischen Macht oder vom Antikapitalismus statt Antifaschismus
hätten sie sicher damals wie auch heute widersprochen. Ich
möchte mich nicht mit dem gönnerhaften
Eintrittskartenvergleich der Jungen Welt befassen, sondern zur Sache
kommen: Und das bedeutet, dass die Junge Welt der Meinung ist, in der
heutigen Lage kann nur derjenige ein wahrhafter Antifaschist sein, der
Antikapitalist ist und es kann der Faschismus nur durch die Arbeit an
der Beseitigung des Kapitalismus bekämpft werden. Es handelt
sich also um einen Fall von Dogma vom alleinigen und
ausschließlichen Primat der Ökonomie über
die Politik.
Der Behauptung, der Kapitalismus führe
nach Meinung der Linken in jedem Fall zum Faschismus, weshalb die
Kommunisten nicht für die Demokratie kämpften,
sondern alles mit der sofortigen Abschaffung des Kapitalismus zu
lösen wäre, wird mir in allen möglichen
Dokumenten des bundesweiten Inlandsgeheimdienstes
Verfassungsschutzverbund vorgehalten, um zu
„beweisen“, dass ich ein Verfassungsfeind bin und
ich die VVN-BdA, deren Bundessprecherkreis ich angehöre,
verfassungsfeindlich beeinflusse. Ich darf deshalb mal Stellung nehmen
zur Jungen-Welt-These. Denn diese kommt leider der Verballhornung des
Marxismus, wie sie unsere Gegner betreiben, entgegen.
Friedrich
Engels „letzte Instanz“
Derartigen Thesen hat schon Friedrich Engels
widersprochen, der am 21. September 1890 an Joseph Bloch in
Königsberg schrieb: „Nach materialistischer
Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in
der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens.
Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin
verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende,
so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde
Phrase.“ (6)
Und als wollte Friedrich Engels unsere Bewegung
vor Fehlern bewahren, schrieb er bereits 1892: „Seit vierzig
Jahren haben wir, Marx und ich, bis zum Überdruss wiederholt,
dass für uns die demokratische Republik die einzige politische
Form ist, in der der Kampf zwischen der Arbeiterklasse und der
Kapitalistenklasse zunächst allgemeinen Charakter annehmen und
danach durch den entscheidenden Sieg des Proletariats vollendet werden
kann.“ (7)
Es ist also nicht gleichgültig, ob der
kapitalistische Staat eine Monarchie, eine autoritäre
Herrschaft des Militärs, eine Notverordnungsherrschaft a la
Hindenburg, ein faschistischer Staat oder eine demokratische Republik
ist. Nur letztere bietet die Voraussetzung zur
„Erkämpfung der Demokratie“ durch die
Mehrheit des schaffenden Volkes, wie es im Kommunistischen Manifest
heißt.
Die Verteidigung der demokratischen Republik gegen
ihre Umwandlung in einen völkisch-rassistischen
autoritären Staat nach Vorstellungen der AfD und Teilen der
CDU/CSU ist also nicht zu vernachlässigen. Und dies gilt es,
gemeinsam mit anderen Demokraten zu leisten.
Alle gemeinsam
gegen die AfD
Im Übrigen ist die rein
ökonomische Betrachtung des Faschismus unzureichend, weil sie
den Antisemitismus und auch den Rassismus nicht erklärt oder
nur zum Teil erklären kann. Leo Löwenstein schrieb
schon 1934 in einem Brief an Herbert Marcuse: „…
all diese Aufgeblasenheit ist keine Antwort auf die Frage: Aber warum
die Juden? Warum nicht die Radfahrer?“ Dies Zitat fand ich in
der Süddeutschen Zeitung in einem Artikel über
Diskussionen der Frankfurter Schule in den dreißiger Jahren.
(8)
Diese Diskussionen liefen darauf hinaus, die
politische Form des kapitalistischen Staates für belanglos zu
halten. Noch im April 1933 schrieb der Philosoph Theodor W. Adorno aus
Berlin an seinen Freund, den Soziologen Siegfried Kracauer, der am
Morgen nach dem Reichstagsbrand nach Paris geflohen war (lt.
Süddeutsche im selben Artikel): „Im übrigen
ist mein Instinkt für Dich der: nach Deutschland
zurückzukommen. Es herrscht völlige Ruhe und Ordnung;
ich glaube, die Verhältnisse werden sich
konsolidieren.“ Später schrieb Max
Horkheimer allerdings seinen berühmten Satz: „Wer
vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom Faschismus
schweigen.“ Und Bert Brecht verlangt, von den
Eigentumsverhältnissen zu reden, wenn man vom Faschismus
spricht. Aber allein damit ist dem Rassismus und Neofaschismus nicht
beizukommen. Es bedarf des breiten Bündnisses.
Die letzte Instanz, von der Engels schrieb,
erlebte übrigens kürzlich eine regierungsamtliche
Bestätigung, bzw. fast eine solche Bestätigung: Die
politische Herrschaft der Reichen und Superreichen wurde seitens der
Regierung – halbwegs - eingestanden: „Regierung
streicht heikle Passagen aus Armutsbericht. (…) So fehlt zum
Beispiel der Satz: ‚Die Wahrscheinlichkeit für eine
Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese
Politikveränderung von einer großen Anzahl von
Menschen mit höherem Einkommen unterstützt
wird.‘“ (9)
Auch die VVN-BdA betreibt durchaus
antikapitalistisch/antifaschistische Aktionen. So wie den Opfern des
Faschismus Stolpersteine gewidmet werden, sollten den Tätern,
den ökonomischen Tätern, so meinen wir, Warntafeln
gewidmet werden. „Von Arisierung bis Zwangsarbeit –
Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945“ heißt unser
Buch, das wir über unsere Kampagne
„Spurensuche“ schrieben. Darin wird nicht die
Abschaffung des Kapitalismus als Voraussetzung für das
gemeinsame Handeln der Demokraten gefordert. Wir schreiben darin:
„Wir versuchen, das Erbe der antifaschistischen
Widerstandskämpferinnen und -kämpfer zu bewahren, und
die Solidarität mit den Opfern ist uns Verpflichtung. Dazu
gehört, die Forderung von Ignatz Bubis zu erfüllen.
Dieser war selbst Unternehmer, und er deutete seine Initiative (die
Verbrechen der Wirtschaft 1933-1945 zu untersuchen) sicher nicht als
Antikapitalismus. Das ist auch nicht notwendig. Der Kapitalismus muss
nicht zum Faschismus führen, aber bei uns ist es geschehen und
es kann wieder geschehen, daher seien wir wachsam“.
Verbrechen der
Wirtschaft anprangern
Marx und Engels traten dort wo eine
bürgerliche Demokratie noch nicht oder nicht mehr bestand,
für diese Herrschaftsform ein und für das
Zusammengehen der Demokraten und Kommunisten, um gemeinsame Forderungen
durchzusetzen: "Die Kommunisten, weit entfernt, unter den
gegenwärtigen Verhältnissen mit den Demokraten
nutzlose Streitigkeiten anzufangen, treten vielmehr für den
Augenblick in allen praktischen Parteifragen selbst als Demokraten auf.
Die Demokratie hat in allen zivilisierten Ländern die
politische Herrschaft des Proletariats zur notwendigen Folge, und die
politische Herrschaft des Proletariats ist die erste Voraussetzung
aller kommunistischen Maßregeln. Solange die Demokratie noch
nicht erkämpft ist, solange kämpfen Kommunisten und
Demokraten also zusammen, solange sind die Interessen der Demokraten
zugleich die der Kommunisten. Bis dahin sind die Differenzen zwischen
beiden Parteien rein theoretischer Natur und können
theoretisch ganz gut diskutiert werden, ohne dass dadurch die
gemeinschaftliche Aktion irgendwie gestört wird. Man wird sich
sogar über manche Maßregeln verständigen
können, welche sofort nach Erringung der Demokratie im
Interesse der bisher unterdrückten Klassen vorzunehmen sind,
z. B. Betrieb der großen Industrie, der Eisenbahnen durch den
Staat, Erziehung aller Kinder auf Staatskosten etc. ..." (10)
Mir ist bewusst, dass das von mir kritisierte
Junge-Welt-Spezial auch die zutreffende Warnung vor einem
parlamentarischen Bündnis der LINKEN um jeden Preis
enthält. Darüber schreibt Ulla Jelpke eine sehr
wichtige Abhandlung. Doch von der außerparlamentarischen
Kampflosung „Kapitalismus führt zum Faschismus,
Kapitalismus muss weg“ ist abzuraten. Die war schon in den
80er falsch und einengend. (11)
Anmerkungen
1 Marx, Kritik des Gothaer Programmentwurfs (1875)
MEW 19, S.29
2 Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung,
Berlin/DDR 1966, Bd. 5, S. 21
3 Aus der Rede Walter Ulbrichts vom 19. April 1946
lt. „Bericht vom 15. Parteitag der Kommunistischen Partei
Deutschlands“, Seite 36/37, Verlag Neuer Weg, Berlin. Die
Brüsseler Konferenz fand 1935 bei Moskau statt und gilt als
13. Parteitag der KPD
4 Aus der Rede Wilhelm Piecks lt.
„Bericht…“ Seite 193
5 Antifaschismus-Spezial der Jungen Welz
am 8. Mai 2017
6 MEW Bd. 37; S. 462
7 MEW 22, Seite 280
8 Süddeutsche Zeitung am 20/21. Mai 2017.
Siehe auch
http://www.sueddeutsche.de/leben/das-geheimnis-selbstbedienung-1.3510405
9 Süddeutsche Zeitung am 15. 12. 2016
10 Friedrich Engels, MEW 4, 317
11 Siehe Georg Fülberth: Kapitalismus -
Faschismus – Antifaschismus, Referat anlässlich
des Tages der Opfer des Faschismus beim VVN-BdA Stralsund am
12. September 2015
Ulrich Sander
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