25.10.2017
„Geschichte
wiederhole sich nicht. Können wir da so sicher sein?“
Peter
Neuhofs Rede nahe dem Bundestagsgebäude
Auf der gegen Rassismus und
AfD gerichteten Kundgebung der 12.000 am 22. Oktober nahe dem
Bundestagsgebäude in Berlin sprach auch der 1925 geborene
Journalist und VVN-BdA-Aktivist Peter Neuhof. Sein Vater wurde als
jüdischer Kommunist im KZ ermordet. Seine Mutter war lange
inhaftiert. Auch Peter lernte Gestapohaft kennen. Neuhofs Rede wurde in
den Medien stark beachtet. Hier ist der Wortlaut – darunter
ein Bericht der Berliner Kameradin Jutta Harnisch, für den wir
sehr danken.
Ich bin Jahrgang 1925. Meine Erinnerungen reichen
also weit zurück, erlebte Geschichte. Bittere Geschichte.
Verfolgung, Ausgrenzung und schließlich Mord. Ich
weiß, worüber ich spreche. Ein Großteil
meiner Familie überlebte nicht das sogenannte 3. Reich.
Für viele, für allzu viele war das doch damals eine
Alternative für Deutschland! Die hieß doch NSDAP,
die Partei der Braunen, auch Faschisten genannt. Führer
befiehl, wir folgen dir. Bis dann alles in Scherben lag. Kommunisten,
Sozialdemokraten fanden nicht zusammen. Sie bekämpften sich,
die Massen wandten sich von ihnen ab, denn da erschien ein
Heilsbringer, und versprach ihnen, sie aus dem Elend
herauszuführen.
Am deutschen Wesen sollte die Welt genesen, das
war Wilhelm II. Ergebnis bekannt. Dann der Braunauer. Neuordnung
Europas. Ergebnis ebenfalls bekannt. Und jetzt Deutschland den
Deutschen. Kennen wir. Kommt bekannt vor. Wohin führt diese
Politik?
Unser Protest heute richtet sich gegen eine
Partei, die mit völkischen, nationalistischen,
ausländerfeindlichen Parolen, ja auch mit faschistischen
Gedanken, in deutsche Parlamente eingezogen ist, und das nach alledem,
was die Hitlers der Welt und uns angetan hatten.
Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus, der
Schwur der Überlebenden des KZ Buchenwald sollte den Weg in
ein neues Deutschland weisen.
Inzwischen stehen deutsche Soldaten wieder an
vielen Fronten, angeführt von einer Ministerin, die sich
Verteidigungsministerin nennt. Kein Wunder, dass sich auch eine Partei
mit braunem Stallgeruch etablieren konnte, eben die AfD. Zudem der
Schoß ja noch fruchtbar ist, um mit Brecht zu sprechen.
Besorgte Bürger, gesundes Volksempfinden, der Weg
zurück. Ängste werden instrumentalisiert. Sozialer
Abstieg, Identitätsverlust, Überfremdung. Das
Repertoire der Populisten. Das soll mich nicht an so vieles erinnern?
Geschichte wiederhole sich nicht, so sagt man. Können wir da
so sicher sein? Überall in Europa erstarken die Populisten.
Ginge es nach ihnen, sähe Europa anders aus. Jüngstes
Ergebnis Österreich, Tschechien. Blicken wir auf Frankreich,
auf die Niederlande, Entwicklungen in Skandinavien, von Ungarn und
anderen Ländern. Protestparteien im Aufwind. Und ein Gauland,
einer der Anführer der AfD, meint, wir, die Deutschen,
könnten stolz sein auf unsere Soldaten, er meinte die
Soldaten, die auf Befehl und auch willig Europa überfallen
hatten. Aus Gauland spricht der Geist, der Ungeist der Vergangenheit.
Demokraten aller Couleur sind dazu aufgerufen, diese Entwicklung zu
stoppen. Noch ist Zeit, schon droht die CSU sich nach rechts zu
öffnen. Um ganz rechts zu bändigen, um nicht noch
mehr Stimmen zu verlieren. Der Herr Seehofer….
20 Prozent der Wähler in Sachsen
wählten rechts, nicht irgend konservativ, nein ultrarechts,
eben AfD. Niemand soll die Augen verschließen, wegsehen,
weghören oder sagen, das geht vorbei. Das kann schief gehen,
das ist schon schief genug. Natürlich schreiben wir nicht das
Jahr 33, aber nicht nur in Dresden grölen Nachbraune,
angestachelt von üblen Hetzern ihr „Wir sind das
Volk“ und „Ausländer raus“.
Rassistisches Gebrüll. Demonstrationen, Kundgebungen.
Übergriffe, Drohungen. Sollen wir hoffen, dass diese Partei
sich kurz über lang selbst zerlegt? Wohin geht Frau Petri, wer
folgt ihr? Über Nacht wird aus ihr kaum eine Demokratin
geworden sein. Die AfD ein Sammelbecken rechter Gesinnung. Deutschland
den Deutschen. Von Reinrassigen sprechen sie noch nicht, aber ihre
Anführer denken so. Dagegen ist Widerstand angesagt. In
vielfältiger Form. Schweigen, Wegsehen ist keine
Lösung. Aus den Fehlern von Weimar lernen.
Rassistisches Gebrülle der Nachbraunen.
Das soll nicht an so manches erinnern, das längst der
Vergangenheit zugeordnet schien? Heute Realität in deutschen
Landen. Heute geht es um Flüchtlinge. Asylsuchende, die zu uns
strömen, weil sie in ihren Heimatländern ihres Lebens
nicht mehr sicher sind, weil sie nicht mehr länger im Elend
leben wollen. Verhältnisse, an denen unsere Gesellschaft
mitverantwortlich ist, an den Kriegen, an der Armut. Hilfe,
Solidarität, Verständnis ist angesagt, keine leichte
Aufgabe, Probleme über Probleme, die AfD profitiert davon. Sie
schürt Ängste. Und so manche Medien – gar
nicht so wenige – tun das Übrige….
Werden die Stimmen der Vernunft auf der
Straße oder wo auch immer das Geschrei der Neofaschisten und
der „besorgten“ Bürger
übertönen, zum Schweigen bringen? Ich hoffe es.
Mögen sich viele an der Kampagne beteiligen, so wie es hier
auch auf den unzähligen Plakaten zum Ausdruck kommt. Stoppen
wir gemeinsam die AfD.
Bericht von
der historischen antifaschistischen Kundgebung in Berlin
Zwei Tage vor der ersten Sitzung des
neugewählten Bundestages, am Sonntag, dem 22. Oktober 2017,
fand in Berlin eine „Großdemo gegen Hass und
Rassismus im Bundestag“ statt. Initiator war der
23-jährige Lehramtsstudent Ali Can, dessen
kurdisch-alevitische Familie vor 20 Jahren aus der Türkei in
die Bundesrepublik floh, und der von ihm gegründete Verein
Interkultureller Frieden. Gemeinsam mit den Naturfreunden, Avaaz,
Campact, Breaking the Ice und dem Bündnis Aufstehen gegen
Rassismus organisierten sie diese Veranstaltung. Als
Unterstützer zeichneten u. a. der DGB,
Antonio-Amadeu-Stiftung, The European Moment, Nopegida, Pro Asyl, Sea
Watch und der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands.
12.000 Menschen folgten dem Aufruf und
versammelten sich am Sonntagmittag auf dem Platz des 18. März
hinter dem Brandenburger Tor vor einer großen Bühne
zu einer Kundgebung und anschließender Demonstration um das
Reichstagsgebäude. Es sollte symbolisch „mit einem
Schutzring“ versehen werden. Die Anwesenden demonstrierten
ihren gemeinsamen Widerstand dagegen, dass mit dem Einzug der
AfD-Vertreter von den Redepulten des Bundestages künftig
Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, Hetze, Ressentiments und Hass gegen
Andersgläubige, Andersaussehende, Andersliebende oder
Andersdenkende in diesem Land verbreitet zu werden droht. Viele
Teilnehmerinnen und Teilnehmer trugen selbst- oder vorgefertigte
Elemente mit den Losungen „Gegen Rassismus im
Bundestag“, „Stoppt die AfD“,
„Meine Stimme gegen Hetze“, „Mein Herz
schlägt für Vielfalt“.
Neben Rednern verschiedener Organisationen hatten
auch viele Künstler ihr Kommen zugesagt, natürlich
unentgeltlich, darunter als prominenteste sicherlich die Band Culcha
Candela.
Als Zeitzeuge der Verfolgung durch die Nazis trat
VVN-Mitglied Peter Neuhof auf, geb. 1925. Seine Eltern Karl und Gertrud
wurden als Kommunisten und Widerständler im Februar 1943 von
der Gestapo verhaftet. Der Vater Karl Neuhof wurde als
Widerstandskämpfer jüdischer Abstammung ohne Prozess
und Urteil im Oktober ins KZ Sachsenhausen eingeliefert und dort am 15.
November 1943 erschossen. Die Mutter Gertrud wurde nach
Verbüßung einer Haftstrafe ins KZ
Ravensbrück verschleppt, sie überlebte
schließlich auch den Todesmarsch. Peter selbst, der
17-jährig kurzzeitig in Gestapo-Haft war, aber freigelassen
wurde, meinte später, es seien „so unwahrscheinliche
Glücksumstände gewesen“, dass er in dieser
fürchterlichen Zeit überlebt habe. Viele der
jüdischen Familienangehörigen fielen der nazistischen
Judenvernichtung zum Opfer.
Aus seiner persönlichen Erfahrung warnte
Peter Neuhof in seiner Ansprache an die Demonstrierenden:
„Die AfD ist ein Sammelbecken rechter Gesinnung. Dagegen ist
Widerstand angesagt. In vielfältiger Form. Werden die Stimmen
der Vernunft auf der Straße oder wo auch immer das Geschrei
der Neofaschisten und der ‚besorgten‘
Bürger übertönen, zum Schweigen bringen? Ich
hoffe es. Stoppen wir gemeinsam die AfD.“
Die Anwesenden hatten aufmerksam zugehört
und spendeten ihm großen Beifall.
Anna Müller vom Bündnis
Aufstehen gegen Rassismus ermutigte alle jungen Menschen, die Chance zu
nutzen, die letzten Überlebenden des Naziterrors selbst noch
erleben zu können.
Jutta Harnisch , 24.10.2017
Siehe auch:
»Fragt uns, wir sind die
Letzten.«
Erinnerungen von Verfolgten des Nationalsozialismus und Menschen aus
dem antifaschistischen Widerstand
http://fragtuns.blogsport.de/images/FragtunswirsinddieLetzten4.pdf
Die Rede im Video: https://www.facebook.com/aufstehengegenrassismus/videos/1481087095342905/
|