23.10.2017
Gedenkstättenfahrt
nach Hamburg
Der Besuch in der
KZ-Gedenkstätte Neuengamme in Hamburg zeigte mir deutlicher
als jeder Gedenkstättenbesuch zuvor die Ausbeutung der
KZ-Häftlinge durch die Wirtschaft. Das KZ Neuengamme ist
gezielt errichtet worden, um billige Arbeitskräfte
für die geplanten NS-Großbauten zur
Verfügung zu haben.
Gedenkstätte
Neuengamme mit Blick auf den Eingangsbereich. Im Vordergrund die
Grundrisse der nicht erhaltenen Baracken.
Am 14./15. Oktober 2017 fuhr eine Gruppe junger
und alter Menschen gemeinsam nach Hamburg, um sich über das KZ
Neuengamme zu informieren. Organisiert wurde die Fahrt von der
DGB-Jugend MEO (Mülheim Essen Oberhausen) und der VVN-BdA
Essen (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten). Zum Programm gehörten
neben dem Besuch der Gedenkstätte auch eine alternative
Hafenrundfahrt zum Thema.
Waren die ersten Konzentrationslager in
Nazi-Deutschland seit 1933 zur Inhaftierung und Folterung politischer
Gegner der Nazis eingerichtet worden, kamen im Laufe der Jahre weitere
Verfolgtengruppen hinzu: Juden, Sinti, Homosexuelle, Zeugen Jehovas
sowie sogenannte „Kriminelle“ und
„Asoziale“. Ab 1936/37 wurde die Ausbeutung der
Arbeitskraft der Häftlinge zu einem wirtschaftlichen Faktor
für den Betrieb der KZs. Hierzu wurde die „Deutsche
Erd- und Steinwerke GmbH“ mit Mitgliedern der
SS-Führung als Gesellschafter gegründet.
Teilansicht des
ehemaligen Klinkerwerks des SS-Unternehmens „Deutsche Erd-
und Steinwerke GmbH“ im KZ Neuengamme.
Anlass für die Gründung des
Konzentrationslagers Neuengamme war die Ziegelproduktion für
die geplanten Nazi-Großbauten in Hamburg. Dazu
zählten ein 250 Meter hohes „Gauhochhaus“,
ein „Kraft-durch-Freude-Hotel“ und eine
Hochbrücke über die Elbe als „Tor zur
Welt“. Das Konzentrationslager wurde 1938 zunächst
als Außenlager des KZ Sachsenhausen in einer stillgelegten
Ziegelei gegründet und 1940 zum
„selbständigen“ Konzentrationslager mit
zahlreichen Außenlagern in Norddeutschland während
des Krieges.
Das Konzentrationslager und die Hansestadt waren
eng miteinander verbunden. So gewährte beispielsweise die
Stadt Hamburg dem SS-Unternehmen Deutsche Erd- und Steinwerke GmbH ein
Darlehen in Höhe von einer Million Reichsmark für den
Bau eines großen und modernen Klinkerwerks. Im Gegenzug
versprach die SS „erstklassige Klinkerware preiswert
herzustellen“.
Die
Dauerausstellung in der Gedenkstätte zeigt anschaulich die
Herkunftsländer der KZ-Häftlinge.
Die ersten KZ-Häftlinge stammten aus
Deutschland, während des Krieges kamen Männer und
Frauen aus den besetzten Gebieten Europas hinzu und bildeten nach
kurzer Zeit die Mehrheit. Mehr als die Hälfte von Ihnen kam
aus Osteuropa, aber auch aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich und
Dänemark wurden Tausende Menschen in das KZ und seinen mehr
als 85 Außenlagern verschleppt. Zwischen 1938 und 1945 waren
über 100.000 Menschen im System des Konzentrationslagers
Neuengamme eingesperrt, etwa die Hälfte von ihnen wurde durch
die mörderischen Arbeits- und
„Lebensbedingungen“ ermordet.
Vernichtung
durch Arbeit
Zehn bis zwölf Stunden Schwerstarbeit
mussten die KZ-Häftlinge täglich in den
unterschiedlichen Arbeitskommandos leisten. Neben dem Aufbau des
Klinkerwerks gehörte die Arbeit in den Tongruben, die
Schiffbarmachung der Dove Elbe und das Anlegen eines Stichkanals zu den
furchtbarsten Einsätzen. Aufgrund der ungenügenden
Ernährung und Bekleidung sowie der Arbeit im Freien bei jedem
Wetter betrug die durchschnittliche Überlebensdauer in den
Tongruben 90 Tage. Im weiteren Verlauf des Krieges kamen Arbeiten in
der Rüstungsproduktion und in der Trümmerbeseitigung,
vor allem in den Außenlagern, hinzu.
In der
Ausstellung sind neben den von der SS hergestellten Propagandafotos
auch Zeichnungen mit realistischeren Darstellungen zu finden.
Die KZ-Häftlinge schliefen in
dreistöckigen Holzgestellen dichtgedrängt auf
Strohsäcken, die sanitären
„Einrichtungen“ waren unzureichend und für
die geschwächten KZ-Häftlinge nur sehr begrenzt zu
nutzen. Morgens gab es einen dünnen
„Kaffee“, mittags eine dünne Suppe und
abends die Brotration für den folgenden Tag. Als Kleidung
waren nur die gestreifte Häftlingskleidung, die nicht
wärmte, und Holzschuhe erlaubt.
Sterben gehörte im KZ zum Alltag,
KZ-Häftlinge starben an Hunger, Entkräftung, den
mörderischen Arbeitsbedingungen und an gezielten Mordaktionen
der SS-Männer. Zum Kriegsende 1945 gelang es der SS
zunächst, die Spuren ihrer Verbrechen in Neuengamme zu
verwischen und das Lager zu räumen. Tausende
Häftlinge starben hilflos in Lagern wie Sandbostel oder
Bergen-Belsen, 9000 starben bei einem britischen Luftangriff auf die
schwimmenden KZs in der Lübecker Bucht, die für
Truppentransporter gehalten wurden. Am 2. Mai 1945 erreichten britische
Truppen das geräumte KZ Neuengamme.
Vom Knast zur
Gedenkstätte
Die Lagergebäude des ehemaligen
Konzentrationslagers wurde nach 1945 zunächst zur
Unterbringung von „Displaced Persons“ verwendet,
also für alle Menschen, die als Zwangsarbeiter oder aus
anderen Gründen aus vielen Ländern Europas nach
Deutschland verschleppt worden waren und deren Heimkehr organisiert
werden musste. Daran schloss sich die Nutzung als Internierungslager
für die Verbrecher der SS, NSDAP und Wehrmacht an. Eine
ähnliche Nutzung fand im ehemaligen Konzentrationslager Dachau
statt, das Lager wurde zuerst für die Inhaftierung und
Verurteilung von SS-Angehörigen genutzt und später
für die Unterbringung von Flüchtlingen und
Vertriebenen aus dem Sudetenland.
Innerhalb der
Gedenkstätte Neuengamme finden sich bauliche Reste des
früheren Gefängnisses.
1948 wurde das Lagergelände Neuengamme
der Stadt Hamburg übergeben, die einen Teil der
Gebäude abriss und mit der „Vollzugsanstalt
Vierlande“ ein Gefängnis einrichtete, dem in den
1960er Jahren eine Jugendstrafanstalt folgte. Diese Nutzung hier wie an
anderen Orten des Nazi-Terrors zeigt, dass diese Orte oft in einer
„Kontinuität der Ausgrenzung“ (Thomas Lutz
1995) standen und stehen.
Auf Drängen der Überlebenden
wurde 1953 eine erste, schlichte Gedenksäule, ohne Inschrift
errichtet. Während in Dachau 1965 die erste
Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland eröffnet
wurde, die mit einer Ausstellung den historischen Ort
erklärte, wurde in Hamburg-Neuengamme 1965 das internationale
Mahnmal mit einer 27 Meter hohen Stele aus grauen Quadersteinen, einer
Gedenkmauer vor der 18 Steinplatten mit Namen der Völker und
Nationen liegen und der Bronzeskulptur „Sterbender
Häftling“ der französischen Bildhauerin
Francoise Salmon, Überlebende des KZ Auschwitz, errichtet.
Eine Ausstellung, die den Ort erklärt, wurde erst 1981 (!) mit
dem „Dokumentenhaus“ eröffnet. 1995 folgte
eine neue Dauerausstellung auf größerer
Fläche. Erst 2005/06 wurde nach Schließung und
Verlegung beider Gefängnisse fast der gesamte Bereich des
ehemaligen Konzentrationslagers zur Gedenkstätte.
Teil der 1965
eröffneten Gedenkstätte mit dem internationalen
Mahnmal.
KZ
Gedenkstätte Neuengamme
Sie ist eine der größten
Gedenkstätten Deutschlands und umfasst 17 erhaltene
Gebäude und eine Vielzahl von Angeboten zur Information
über das historische Geschehen. Die nicht mehr erhaltenen
Baracken sind als Grundrisse gekennzeichnet, das
Außengelände an vielen Stellen dokumentiert. Neben
der Hauptausstellung in einer ehemaligen Häftlingsunterkunft
gibt es vier weitere Dauerausstellungen, unter anderem zur Lager-SS,
zur Zwangsarbeit im Klinkerwerk aber auch zum Widerspruch von
Gefängnis und Gedenkstätte.
Blick in die
Hauptausstellung, die in einer ehemaligen Häftlingsunterkunft
untergebracht ist. Sie trägt den Titel „Zeitspuren:
Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945 und seine
Nachgeschichte“.
Während der etwa dreistündigen
Führung erhielt unsere Gruppe einen Eindruck vom Leben,
Arbeiten und Sterben unter den unerträglichen Bedingungen des
Konzentrationslagers sowie von den Einsätzen für
verschiedene Betriebe in den Außenlagern, die vom Einsatz
billiger Häftlinge profitierten. Unsere Führung
gelangte zum 1965 errichteten internationalen Mahnmal und zum 1981
eröffneten Dokumentenhaus. Es wurde 1995 zum „Haus
des Gedenkens“ umgestaltet und erinnert mit den 23.395
bekannten Namen der Toten an alle im Konzentrationslager durch die
tödlichen Bedingungen oder Aktionen der SS-Männer
ermordeten KZ-Häftlinge. Da es der SS gegen Kriegsende gelang,
die Unterlagen zu vernichten, sind nicht alle Namen bekannt. Der Ort
wird von Nachkommen der Überlebenden angenommen, von ihnen
werden Fotos der gemordeten und Blumen zum Gedenken hinterlassen.
Bronzefigur
„Sterbender Häftling“ aus dem Jahre 1965
der französischen Bildhauerin Francoise Salmon,
Überlebende des KZ Auschwitz.
DGB-Jugend und VVN-BdA legten vor der Stele des
internationalen Mahnmals gemeinsam ein Gesteck nieder und gedachten der
Ermordeten.
Faschismus,
Widerstand und Verfolgung im Hamburger Hafen
Die Alternative Hafenrundfahrt am folgenden Tag
schilderte den Einsatz der Häftlinge im Hafen und an der Elbe
und zeigte erhaltene und nicht erhaltene Orte ihres Leidens. Zugleich
erfuhren wir von Widerstand und Solidarität der Hafenarbeiter,
die beispielsweise die Unterstützung der Faschisten im
Spanischen Bürgerkrieg durch Nazi-Deutschland verbreiteten,
indem sie Informationen über die Lieferung von
Militärgütern aus Hamburg weitergaben.
Erschütternd war der Bericht
über ein „Außenlager“ in einem
Speichergebäude für osteuropäische junge
Frauen, die als Zwangsarbeiterinnen unter unvorstellbaren Bedingungen
in einem Gebäude untergebracht waren, dass für die
Lagerung von Gütern gedacht ist. Während der
Bombenangriffe, denen sie im Gegensatz zur deutschen
Bevölkerung, die wenigstens Luftschutzbunker aufsuchen durfte,
schutzlos ausgeliefert waren, drängten sie sich in die
untersten Etagen des Speichers, wo es durch das steigende Wasser des
Flusses nass und kalt war.
KZ-Außenlager
in einem Speicher, einem Lagergebäude im Hamburger Hafen. Hier
waren junge Osteuropäerinnen im Alter von 15 Jahren unter
unvorstellbaren Bedingungen untergebracht.
Gedenkstätte
Bullenhuser Damm
Während des Vorbereitungstreffens
für diese Fahrt hatte der gebürtige Hamburger, Ulrich
Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, im Essener DGB-Haus über
ein Beispiel für den Jugendwiderstand in Hamburg berichtet und
von eigenen Erfahrungen erzählt. Er wurde als Kind in der
Schule am Bullenhuser Damm eingeschult. Im gleichen Gebäude
hatten am 20. April 1945 SS-Männer 20 jüdische Kinder
und weitere Erwachsene ermordet, um die Spuren der an ihnen
verübten Verbrechen zu verwischen und unliebsame Zeugen zu
beseitigen. Die Kinder waren zuvor wie Laborratten für
medizinische Experimente missbraucht worden.
Heute besteht dort neben der Janusz-Korczak-Schule
die Gedenkstätte Bullenhuser Damm. Seit 1980 erinnert die
Gedenkstätte an die ermordeten Kinder und Erwachsenen, seit
2011 erzählt eine über den Schulhof
zugängliche Ausstellung im Gebäude die Geschichte des
Ortes, der Opfer, der Tat, der Strafverfolgung, der Spurensuche und der
Erinnerung. Die Taträume sind bewusst leer gelassen.
Gedenkstätte
Bullenhuser Damm und zugleich Janusz-Korczak-Schule. Hier wurden 1945
20 jüdische Kinder von SS-Männern ermordet.
Auf dem Rückweg von Hamburg nach Essen
hielten wir dort. Die jugendlichen Teilnehmer unserer Fahrt erinnerten
im Rosengarten hinter dem Schulgebäude an die Opfer und legten
Blumen nieder.
Aus der
Geschichte lernen
Gedenkstättenfahrten wie diese sind
anstrengend, führen sie doch zu den Schattenseiten der
Geschichte, die viele verleugnen wollen. Natürlich trifft die
heutige Generation keine Schuld an den Verbrechen, doch angesichts
einer zunehmenden Rechtsentwicklung in anderen europäischen
Ländern und auch in Deutschland ist es wichtig, aus der
Geschichte zu lernen, dass und warum sie sich nicht wiederholen darf.
In einer Zeit, in der im Umfeld von AfD, Pegida
& Co. in übelster Weise rassistische Vorurteile
über geflüchtete Menschen verbreitet werden und in
einer Zeit in der Politiker die Einrichtung von Lagern
befürworten (die sie natürlich mit besser klingenden
Begriffen bezeichnen) sowie Flüchtlinge nach ihrer
Nützlichkeit sortieren wollen heißt es wachsam zu
sein gegenüber den Anfängen einer Politik, die zu aus
der Geschichte bekannten Ergebnissen führen kann.
Die Trennlinie verläuft nicht zwischen
Nationen und Völkern, sondern zwischen Faschisten und
Antifaschisten.
Gedenkort
im Rosengarten der Gedenkstätte Bullenhuser Damm hinter dem
Schulgebäude.
Knut Maßmann
Zuerst erschienen unter https://antifaschistischesgelsenkirchen.wordpress.com/2017/10/20/gedenkstaettenfahrt-nach-hamburg/
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