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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

12.10.2017

Unbeglichene Schulden

Eine neue Publikation gewährt eine komplexe Sicht auf die kontrovers diskutierte Reparationsfrage

Eine wichtige Neuerscheinung: Karl Heinz Roth/Hartmut Rübner: Reparationsschuld. Hypotheken der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und Europa. Metropol-Verlag, Berlin 2017, 645 Seiten, 29,90 Euro. Dazu schreibt Martin Seckendorf in der Jungen Welt vom 15.05.2017 und die Süddeutsche Zeitung lieferte kürzlich ebenfalls einen scharfen Kommentar zum Thema (siehe unten): Seckendorf:

Der deutsche Faschismus hinterließ während seines Eroberungs- und Vernichtungskrieges in den überfallenen Ländern Zerstörungen apokalyptischen Ausmaßes. Die besetzten Gebiete und ihre Bewohner wurden hemmungslos ausgebeutet, den Menschen unfassbares Leid zugefügt. Die Alliierten der Antihitlerkoalition kamen im Potsdamer Abkommen vom August 1945 überein, Deutschland müsse gezwungen werden, »in größtmöglichem Ausmaß für die Verluste und die Leiden, die es den Vereinten Nationen verursacht hat und wofür das deutsche Volk der Verantwortung nicht entgehen kann, Ausgleich zu schaffen«.

Bis heute ist diese berechtigte Forderung nur ansatzweise umgesetzt worden. Knapp vier Fünftel der deutschen Reparationsschuld seien noch offen, schreiben Karl Heinz Roth und Hartmut Rübner in dem vorliegenden Band.

Im Hauptkapitel der Publikation werden die Strategien der Alliierten zur Lösung der hochkomplexen Problematik beschrieben. Diese waren von den Erfahrungen, die die Westmächte mit den Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg machen mussten, geprägt. Besonders gekennzeichnet waren aber die Zielsetzungen von dem schon kurz nach dem Sieg über den Faschismus heraufziehenden Ost-West-Konflikt. In Potsdam hatten die Alliierten Deutschland in zwei Reparationszonen geteilt: Die Sowjetunion sollte ihre Reparationen aus der von der Roten Armee besetzten Zone entnehmen und daraus auch die Ansprüche Polens befriedigen. Die Forderungen der anderen Reparationsgläubiger sollten aus den Westzonen beglichen werden.

Der Haltung der westdeutschen Ministerialbürokratie und Machteliten zur Reparationsfrage seit Ende der 40er Jahre räumen die Autoren breiten Raum ein. Deren Strategie hat sich bis heute mehrfach verändert. Die grundsätzliche Haltung blieb aber konstant: Den Opfern deutscher Aggressions-, Besatzungs- und Vernichtungspolitik sollte nicht, wie in Potsdam festgelegt, die gebotene Gerechtigkeit »in größtmöglichem Ausmaß« zukommen.

Zunächst wurde über die westalliierten Behörden versucht, die Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion für Reparationszwecke zu minimieren. Nach Gründung der Bundesrepublik und den Souveränitätsverträgen ging man mit US-Unterstützung frontal gegen den gesamten Reparationskomplex vor. Auf der Londoner Schuldenkonferenz der westlichen Reparationsgläubiger 1953 gelang es der deutschen Delegation unter dem »tiefbraunen« Bankier Hermann Josef Abs, eine Regelung durchzusetzen, die die Entschädigungen in eine ferne Zukunft verschob. Bis zu einem Friedensvertrag sollten alle Entschädigungsfragen aus dem Zweiten Weltkrieg ruhen.

Ende der 50er Jahre formierte sich eine Fronde aus zwölf Staaten und forderte von der Bundesregierung trotz des Moratoriums der Londoner Konferenz Entschädigungen für jene Menschen, die besonders unter der faschistischen Politik gelitten hatten. So kam es zu Verträgen mit elf Ländern, darunter auch Griechenland, das 115 Millionen DM erhielt. Bonn zahlte auf internationalen Druck immer nur die geringstmögliche Summe, und das zu den Bedingungen der deutschen Regierung, so dass die Zahlung als Entgegenkommen, als Gratia und nicht als Teil der pflichtgemäßen Reparationsleistung erschien. Forderungen nach einer vollständigen Begleichung der Kriegsschulden wurden mit dem Hinweis auf das in London vereinbarte Moratorium abgewiesen.

Mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag von 1990 zum Anschluss der DDR an die BRD war der im Londoner Abkommen vorgesehene Friedensvertrag gegeben. Mit Hilfe der USA gelang es der Bonner Regierung, die Reparationsfrage aus den Verhandlungen herauszuhalten. Von nun an lehnte die Bundesregierung Zahlungsaufforderungen mit dem Argument ab, die Entschädigungen seien mit dem Zwei-plus-vier-Vertrag vom Tisch, und Ausgleichszahlungen so lange Zeit nach Kriegsende seien unüblich.

Im Rahmen des komplizierten Beziehungs- und Wirkungsgeflechts der Strategien und propagandistisch-taktischen Konzepte zur Reparationsfrage betrachten die Autoren als Fallbeispiel die Geschichte der deutschen Besatzungsherrschaft in Griechenland und der deutsch-griechischen Beziehungen in der Nachkriegszeit. In einer vergleichenden Analyse mit den anderen Gebieten des faschistischen Okkupationssystems kommen sie zu dem Ergebnis, dass die nach einer unprovozierten Aggression erfolgte deutsche Okkupation Griechenlands besonders verheerend auf die Nationalökonomie und die Bevölkerung gewirkt habe und die Folgen bis heute spürbar seien. Gravierend ist ihr Befund: Griechenland sei nach Abzug der Wehrmacht Ende 1944 von einem Schwellenland auf die Stufe eines Entwicklungslandes herabgesunken. Außerdem schreiben sie, dass Athen »bei der Verteilung deutscher Reparationsleistungen praktisch leer ausgegangen« ist. Weniger als ein Prozent der deutschen Schulden gegenüber Hellas, so ihre Berechnung, wurde bisher beglichen.

Die Autoren haben ihre Publikation bescheiden ein Arbeitsbuch genannt. Es ist ein Standardwerk zur Reparationsfrage entstanden, das in die Bibliothek jedes politisch-wissenschaftlich Interessierten gehört.

Ein weiterer Artikel zu diesem Thema siehe hier:

http://www.sueddeutsche.de/politik/folgen-des-ns-unrechts-offene-rechnung-offene-wunden-1.3680467