10.10.2017
"Nicht warten, bis der
Widerstand lebensgefährlich wird"
Gedenktag
für die jugendlichen Widerstandskämpfer vorgeschlagen
Seine persönlichen
Betrachtungen über die Jugend in Hamburg und die Erfahrungen
mit den dortigen Widerstandsbewegungen verband Ulrich Sander mit dem
Vorschlag, den 27. Oktober jeweils jährlich als "Tag der
jugendlichen Widerstandskämpfer/innen" zu begehen. An jenem
Tag wurde der jüngste vom Volksgerichtshof verurteilte
Widerstandskämpfer, der 17jährige Hamburger
Verwaltungslehrling Helmuth Hübener in Plötzensee
enthauptet, außerdem der 22jährige kommunistischen
Arbeiter Gustav Richter und sein Vater, letzterer, weil er seinen Sohn
nicht von der Widerstandstätigkeit in einem
Rüstungsbetrieb in Dresden abhielt. Der Bundessprecher der
VVN-BdA Ulrich Sander sprach vor einer Gruppe junger Gewerkschafter,
die mit einer Reisegesellschaft des DGB und der VVN-BdA nach Hamburg
aufbrechen will, um Stätten von Widerstand und Verfolgung zu
besuchen. Sander führte aus:
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Als ich in Eurem Alter war und 75 Jahre
zurückblickte, so wie ihr es heute macht, da blickte ich so
ungefähr auf die Mitte der 1880er Jahre. Ich weiß
bis heute nicht so viel über jenes Jahrzehnt, wie Ihr
über das Jahrzehnt der 1940er Jahre wisst, und nun wollt ihr
noch mehr darüber wissen, - das ist sehr gut. Denn damals
geschahen die Jahrtausendverbrechen, Verbrechen wie es sie nie gab und
hoffentlich nie wieder geben wird.
Meine prägenden Kindheitsereignisse
liegen lange zurück. Da ist das Erlebnis der
Bombennächte in Hamburg im Alter von drei Jahren. Da sind die
Berichte der Mitstreiter der Eltern aus ihrer Widerstandsgruppe, die
sich – wenn sie Haft und Krieg überstanden hatten -
etwa zum Pfingsten 1947 zu einer Art Pfingstcamp bei Tesperhude an der
Elbe – trafen und abends im Dunkeln von ihren Taten und
Leiden erzählten. Das war nicht für meine Ohren
bestimmt. Es machte sie in meinen Augen zu Helden, aber zugleich zu
einem abschreckenden Beispiel. Man sollte so werden wie sie, aber
möglichst in weniger gefährlichen Zeiten leben. Ich
erkrankte in jener Nacht an schwerem Asthma, das mich viele Jahre
behinderte.
Zu Ostern 1947 war ich eingeschult worden. Mein
erster Schultag war am 1. April 1947 im Gebäude der Schule
Bullenhuser Damm in Hamburg-Rothenburgsort. Aus unserer
Barackenbehausung in Billbrook fuhr ich durch eine
Trümmerlandschaft per Straßenbahn dort hin. Das
Schulgebäude gehörte im Krieg zum KZ Neuengamme.
»Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme ist eine Einrichtung
der Kulturbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg. Gemeinsam
mit ihren drei Außenstellen - den Gedenkstätten
Bullenhuser Damm, Fuhlsbüttel und Poppenbüttel -
erinnert sie mit Ausstellungen, durch Bewahrung der Bauzeugnisse,
historische Dokumente und Häftlingserinnerungen, mit
Veranstaltungen und Veröffentlichungen an die Opfer der
nationalsozialistischen Konzentrationslager in Hamburg 1933 bis
1945.« So steht es im Wegweiser zu
»Stätten der Erinnerung an die Jahre 1933 -
1945«, der 2004 im Auftrag der Bürgerschaft, des
Senats, der KZ-Gedenkstätte Neuengamme und der Landeszentrale
für politische Bildung herausgegeben wurde. Zu meiner
Schulzeit am Bullenuserdamm war die Geschichte unbekannt, die Lehrer
durften nicht über die Vorgeschichte des Gebäudes
sprechen und leugneten die Verbrechen an den Kindern, von denen mir
mein Vater jedoch berichtet hatte. Denn schon 1946 standen einige der
Mörder vom Bullenhuser Damm vor einem britischen Gericht, und
es gab Presseberichte. Als ich als kleiner Junge die Erzählung
in der Schule verbreitete und sagte, hier wo die Schulspeisung
ausgegeben wurde, wurden Kinder ermordet, da löste es Unruhe
aus.
Der Gedenkstättenleiter von Neuengamme
Dr. Detlef Garbe berichtete später:
»Wie anderenorts auch, tat man sich in
Hamburg bekanntlich sehr schwer im Umgang mit der
nationalsozialistischen Vergangenheit. Dabei befand sich mit dem KZ
Neuengamme in den eigenen Stadtgrenzen das größte
Konzentrationslager Nordwestdeutschlands mit Zehntausenden
Häftlingen und über 85 Außenlagern.
Die teilweise bis in die achtziger Jahre
währende Weigerung, die Geschichte des KZ Neuengamme zur
Kenntnis zu nehmen, und der Umgang mit dem Lagergelände
führten dazu, daß Neuengamme lange Zeit als -
vielleicht eines der eklatantesten Beispiele der Nachkriegszeit
für Vergessen und Verdrängen - galt.«
Wenn das einstige KZ heute aus der Vergessenheit
gerissen ist und die Stadt in ihrem
Gedenkstättenführer rund 60 Orte benennt, die den
Opfern des Terrors sowie dem Widerstand gewidmet sind, dann ist das in
erster Linie das Verdienst eines breiten gesellschaftlichen
Engagements, vorweg der Verfolgtenverbände des Naziregimes.
Wie fast überall in der Alt-BRD mußten auch die
Hamburger Behörden zum Handeln gedrängt und
gedrückt werden.
Zurück zum Bullenhuser Damm in
Rothenburgsort, wo die Schule seit 1971 den Namen von Janusz Korczak
trägt, der mit seinen kleinen jüdischen
Schutzbefohlenen ins Gas ging. Es existiert dort nun ein von
Schülern geschaffener Rosengarten mit Stelen für die
ermordeten Kinder. Am 20. April 1945 wurden im Keller dieses
Neuengamme-Außenlagers 20 Kinder ermordet. Sie waren am 27.
November 1944 zu medizinischen Experimenten aus Auschwitz
überstellt worden. Das Verfahren gegen den verantwortlichen
SS-Offizier Arnold Strippel, der sich schon in Buchenwald einen Ruf als
Schlächter erworben hatte, wurde am 30. Juni 1967 eingestellt.
Der zuständige Staatsanwalt Dr. Helmuth Münzberg war
unter anderem zu dem Schluß gekommen, es sei den Kindern
ȟber die Wegnahme ihres Lebens hinaus kein weiteres
Übel zugefügt worden«. Strippel erhielt
1971 eine Haftentschädigung in Höhe von 121 447,92
DM, weil die Strafe in Sachen Buchenwald angeblich zu hart ausgefallen
sei. Der mittlerweile die Karriereleiter weiter emporgestiegene Helmuth
Münzberg wurde 1990 als stellvertretender Generalstaatsanwalt
zum »Aufbau einer rechtsstaatlichen Justiz in
Mecklenburg-Vorpommern« nach Schwerin entsandt.
Es ist typisch, dass Alexander Gauland von der AfD
den Deutschen rät, in der verbrecherischen Wehrmacht der 40er
Jahre ein Vorbild zu sehen. Wenn schon Vorbild, warum nicht der
Widerstand gegen Krieg und Faschismus?
Sehr selten wird hierzulande so etwas wie der
Jugendwiderstand thematisiert.
Es gab die Weiße Rose, es gab die
Edelweißpiraten. Die einen werden geachtet, man kann nicht an
ihnen vorbeisehen, weil sie schon vor 1945 international bekannt
wurden. Die anderen wurden lange Zeit als Kleinkriminelle dargestellt
und erst sehr spät begann man, sie wegen ihres Kampfes gegen
die Nazis anzuerkennen. Der 27. Oktober, der 75. Todestag von Helmuth
Hübener, mit 17 Jahren jüngster vom Volksgerichtshof
zum Tode verurteilter, sollte zum Anlaß genommen werden, an
die jungen Menschen zu erinnern, die aus eigener Verantwortung und aus
dem Gewissen heraus, ohne organisatorischen und politischen
Hintergrund, gegen die Nazis aufstanden.
Wir begehen den Tag des Butterbrotes, den Tag des
wer-weiß-nicht und den Tag des Baumes. Warum nicht auch den
Tag der jugendlichen Widerstandskämpfer?
Jürgen Zarusky vom Institut für
Zeitgeschichte in München hat eine kleine Schar von
unabhängig wirkenden
„Rundfunk“-Widerständlern ausgemacht. Das
war die Gruppe um Helmuth Hübener aus Hamburg und Gruppen in
Wien und München. Nur drei Gruppen. Diese
„Rundfunkverbrecher“ wurden von den Nazis als
Feinde des Reiches behandelt, weil die die Rundfunkpropaganda des
Auslands, die als Kriegswaffe anzusehen war, im Reich verbreiteten.
Dies galt als Landesverrat, weil es die Wehrkraft des deutschen Volkes
zersetzte.
Weiße Rose, Edelweißpiraten,
Jungkommunisten, junge Christen und jugendliche
„Rundfunkverbrecher“ zählt Prof. Karl
Heinz Jahnke (1934-2009), der größte Kenner und
Erforscher des Jugendwiderstandes, zu den insgesamt 268 Jugendlichen,
die von 1933 bis 1945 von der Nazijustiz als
Widerstandskämpfer/innen per Justiz ermordet wurden. (Siehe
K.H.Jahnke „Jugend unter der NS-Diktatur 1933-1945“
2003 Rostock)
Jahnke wies darauf hin, dass in der Zeit von der
ersten Flugblattverteilung der Weißen Rose im Juni 1942 bis
zur letzten Gerichtsverhandlung gegen Weißen-Rose-Mitglieder
im Oktober 1943 49 ebenfalls sehr junge Widerstandskämpfer
verurteilt und hingerichtet wurden. Sie seien weithin unbekannt
geblieben.
Unbekannt war auch – und ich fand es
jetzt bei Durchsicht meines Helmuth Hübener Archivs und der
Literatur über die Geschichte des Hamburger Justizwesens der
40er Jahre heraus – dass der Justizsenator Curt Rothenberger
für die Herabsetzung der Altersgrenze zur Anwendung der
Todesstrafe im ganzen Reich gesorgt hat. Er hatte Adolf Hitler
empfohlen, eine Verordnung zu erlassen, die dazu führte,
dass viele dieser rund 50 jungen Menschen wegen Widerstands
wie zum Beispiel Abhörens der Feindsender und Verbreitung der
Informationen zu Tode kamen. (Siehe den Aufsatz von Klaus
Bästlein in "Für Führer, Volk und
Vaterland…", Hamburg 2000)
Der Umgang mit diesen
Widerstandskämpfer/innen, die sich zumeist dadurch
auszeichneten, den Widerstand ohne Bezug zur demokratischen Kultur der
Zeit vor 1933, ihrer frühen Kindheit, aufgenommen zu haben,
und zwar ungeachtet des Siegesrausches, in dem sich Hitler und die
meisten Volksgenossen noch befanden, ist leider eine Ausnahme. Ich
freue mich, dass Ihr diese Ausnahme macht.
Der Hamburger Verwaltungslehrling Helmuth
Hübener war durch Kontakte zu Jugendlichen aus kommunistischen
Elternhäusern zum Abhören der deutschsprachigen
Programme der BBC und möglicherweise auch anderer Sender
angeregt worden. Seit Ende April 1941 verfügte er
über ein eigenes Empfangsgerät. Im Sommer 1941 lud
Hübener jeweils einzeln, ohne daß sie voneinander
wussten, seine Freunde Karl-Heinz Schnibbe (Malerlehrling) und Rudi
Wobbe (Schlosserlehrling) ferner Gerhard Düwer
(Verwaltungslehrling) zum Hören der Auslandssender ein.
Schnibbe und Wobbe gehörten ebenso wie Hübener der
Hamburger Gemeinde der Mormonen an; Düwer war ein
Arbeitskollege von der Hamburger Sozialbehörde, wo
Hübener Lehrling war. Die Mormonen verstanden es im Gegensatz
zu den meisten anderen christlichen Religionsgemeinschaften relativ
gut, sich mit dem NS-Regime zu arrangieren.
Durch Schnibbes Bitte, Nachrichten von Sendungen,
die er versäumte, für ihn mitzustenographieren,
scheint Hübener dazu angeregt worden zu sein, das
Gehörte zu Flugblättern zu verarbeiten, die er
heimlich auf einer Schreibmaschine der Mormonengemeinde mit zahlreichen
Durchschlägen schrieb.
Anfang August 1941 bewog er Schnibbe und Wobbe
dazu, bei der Verteilung der Flugblätter in
Briefkästen, Telefonzellen und Hauseinsgängen der
Hamburger Ortsteile Hammerbrook und Rothenburgsort zu helfen.
Unabhängig davon gewann er auch seinen Arbeitskollegen Gerhard
Düwer dafür. Die von Hübener hergestellten
Flugblätter – insgesamt rund 60 mit einer Auflage
von mindestens fünf Stück, jedoch immer wieder
abgetippt – ferner zahlreiche kleine Handzettel,
kontrastierten unter anderem die amtlichen Wehrmachtberichte mit
Nachrichten aus den Programmen der „Feindsender", wandten
sich gegen antireligiöse NS-Propaganda, kritisierten den als
Jugendstrafe eingeführten „Wochenendkarzer" oder
brachten Spottverse auf Joseph Goebbels. In dem wegen seiner Verhaftung
nicht mehr fertiggestellten Flugblatt „Wer hetzt wen?" hob
Hübener die defensiven Motive des amerikanischen
Kriegseintritts hervor. Er schrieb politische Gedichte und
ausführliche qualifizierte Kommentare.
Anfang Februar 1942 wurde Hübener von
seinem Vorgesetzten denunziert, der beobachtet hatte, wie er erfolglos
einen Mitlehrling dafür gewinnen wollte, ein Flugblatt zur
Verbreitung an Zwangsarbeiter ins Französische zu
übersetzen. Am 11. August 1942 wurde Hübener in
Berlin vom Volksgerichtshof wegen Vorbereitung zum Hochverrat und
anderer Delikte zum Tode verurteilt.
Seine drei Mitangeklagten Schnibbe, Wobbe und
Düwer erhielten Gefängnisstrafen zwischen vier und
zehn Jahren. Am 27. Oktober 1942 wurde Hübener in
Berlin-Plötzensee enthauptet.
Hübener wie die anderen
„Rundfunkverbrecher“ hielt der deutschen
Kriegspropaganda die BBC-Meldungen über deutsche Verluste
entgegen und verurteilte die antireligiösen
Aktivitäten der NSDAP. Sie nahmen auch die von Churchill
propagierte V-Aktion auf und proklamierten: „Die V-Armee hat
lediglich die Befreiung von Hitler und seinem Krieg zum Ziel."
Ohne bestraft zu werden lebte bis 1959 Curt
Rothenberger noch, mit bester Pension ausgestatteter Ex-Justizsenator
von Hamburg. Er traute den Juristen in Hamburg nicht und sorgte
dafür, dass Helmuth und seine drei Freunde vor den
Volksgerichtshof in Berlin gelangten, wo eine Todesstrafe für
Jugendliche wahrscheinlicher war. Das Hinrichtungsprotokoll
besagt nichts darüber, was noch an jenem Tag in
Plötzensee geschah. Das war dies: Kurze Zeit hintereinander
wurden nach Hübener der 22jährige Schriftmaler Rudolf
Richter (22 Jahre) und sein Vater, der Arbeiter Gustav Richter (42
Jahre) ermordet. Der Volksgerichtshof hatte am 21. August 1942 die
Todesurteile über Rudolf und Gustav Richter gesprochen. In der
Begründung heißt es: „Der Angeklagte
Rudolf Richter hat als Dienstverpflichteter in einem
Rüstungsbetrieb seine Arbeitskameraden angereizt, durch
Verminderung der Rüstungserzeugung zur Beendigung des Krieges
beizutragen. Auch hat er marxistische Bücher und zersetzende
Aufzeichnungen verbreitet [...]“ Dem kommunistischen Arbeiter
Gustav Richter warf die Anklage vor, dass er seinen Sohn nicht
„anders erzogen“ und ihn in seinem Widerstand
bestärkt habe.
Ebenfalls 17jährig wie Helmuth
Hübener wurde 1941 der französische junge Kommunist
und antifaschistische Widerstandskämpfer Guy Móquet
von den deutschen Faschisten hingerichtet. In seinem Abschiedsbrief hat
er etwas geschrieben, was auch von Helmuth Hübener stammen
könnte. „17 ½ Jahre, mein Leben ist kurz
gewesen, aber ich bereue nichts, außer, dass ich Euch
verlassen muß,“ heißt es darin. Der
damalige Präsident Nicolai Sarkozy hat, nachdem ihm eine
Schülerin diesen Brief vorgelesen hat, angeordnet, dass der
Brief des jungen Kommunisten Guy Móquet jedes Jahr in allen
Schulen vor Schulbeginn vorgelesen wird. Etwas Vergleichbares hat es in
unserem Land nicht gegeben. Dabei würden sich die Texte von
Helmuth Hübener sehr dafür eignen.
Gestattet mir, aus meiner Rede zu zitieren, die
ich hielt, als in Hamburg-Barmbeck mit meiner Mithilfe ein
großer Schulkomplex den Namen Helmuth Hübener Schule
erhielt:
„Als ich zum ersten Mal von
Helmuth Hübener hörte, war ich so alt wie er war, als
er begann, seine Flugblätter zu schreiben. Also 16 Jahre, so
alt wie viele von Euch Schülerinnen und Schülern.
Ich las das Todesurteil vom 11. August 1942 in
einem Heft, das ein Mitstreiter meiner Lehrerin Lisa Niebank, der
Journalist und Widerstandskämpfer Franz Ahrens herausgegeben
hat. Das Urteil hatte er in den Wiedergutmachungsakten gefunden. Das
Urteil hat mich sehr beeindruckt. Die Nazirichter schilderten darin
sehr genau die große Widerstandsleistung und den Mut wie die
Klugheit Helmuth Hübeners. Er war ein so gefährlicher
Feind für sie, dass sie ihn zum Tode verurteilten. Er war mit
17 Jahren ihr jüngstes Justizopfer.
Wir haben dann in der Geschwister Scholl Jugend
Hamburg, einer Jugendgruppe von Kindern von NS-Verfolgten und
Widerstandskämpfern, darüber gesprochen.
1960 bildeten wir eine Arbeitsgruppe, um
Kurzbiographien junger Widerstandskämpfer zu verfassen. Ich
übernahm es, über Helmuth Hübener zu
schreiben. Es begann eine Spurensuche, die nun schon über
fünfzig Jahre währt.
Ich habe Lehrer und Mitschüler,
Geschwister und Mitkämpfer Hübeners interviewt, und
fand zusammen mit Franz Ahrens Material über die Kontakte
Hübeners zu jungen Arbeitern in Altona, die aus
kommunistischen Familien kamen. Als diese sämtlich in die
Wehrmacht eingezogen worden waren, machte Hübener allein
weiter: Er hörte Auslandssender ab. Bald ging er einen Schritt
weiter, er verbreitete die Nachrichten schriftlich mit vielen
Durchschlägen.
Ich schrieb namens unserer Jugendgruppe Briefe an
viele Leute und Institutionen, von denen wir uns Hilfe erhofften: "Wir
sind der Ansicht, daß Hübeners Tat gegen Krieg und
Faschismus sicher genauso bemerkenswert ist, wie die der
`Weißen Rose'. Wie die Münchener Studenten fand auch
er, der 17jährige Hamburger Junge, der anfangs selbst
begeistert in der HJ mitmachte, zu den Idealen der Menschlichkeit und
verteidigte diese inmitten einer Welt der Gewalt und des Krieges. Sein
Handeln ist heute fast vergessen. Keine Straße wurde nach ihm
benannt, kein Stein wurde ihm gesetzt, kein Buch für ihn
geschrieben. Was in unseren Kräften steht, wollen wir tun,
damit der Mantel des Vergessens sich nicht ganz über ihn und
jene Zeit ausbreitet, damit der heutigen Jugend ein Vorbild erhalten
bleibt, welches endlich den Weg weist zu einer Zukunft des Friedens und
der Menschlichkeit. Bitte helfen Sie uns dabei." Soweit damals unser
Brief.
Manche halfen und manche auch nicht, eher nicht.
Und das Buch wurde geschrieben, zwei Straßen in Hamburg nach
ihm benannt. Und nun diese Schule! Und dies Lesebuch! (Es erscheint im
Dezember 2002 mit einem Abschnitt über
„Widerstand“ und
„Hübener“ in der Reihe doppel-klick bei
Cornelsen) Damals las ich die "Reportage unterm Strang geschrieben" von
Julius Fucik, dem Prager Journalisten und Widerstandskämpfer,
den die Nazis - wie Helmuth - in Plötzensee ermordeten. In
seiner insgeheim in Gestapohaft geschriebenen Reportage heißt
es an einer Stelle: "Die ihr diese Zeit überlebt, vergesst
nicht. Vergesst die Guten nicht und nicht die Schlechten. Sammelt
geduldig die Zeugnisse über die Gefallenen. Ich
möchte, daß man weiß, daß es
keine namenlosen Helden gegeben hat. Sucht euch wenigstens einen von
ihnen aus und seid stolz auf ihn.“ Ich suchte mir Helmuth
Hübener als einen solchen Menschen aus. Und nun habt Ihr es
auch getan.
Drei lange Jahre dauerte es, bis ich Helmuths
Akten kennenlernen durfte. Die Behörden in Hamburg und in
Berlin/West, wo die Akten lagerten, weigerten sich zu helfen. Es war
die Zeit, da hohe Nazis noch in allen Ämtern saßen.
Da war man nicht daran interessiert, dass Namen
bekannt würden – nicht von Opfern, schon gar nicht
von Tätern. Einen Teil der Akten besorgte das Komitee der
antifaschistischen Widerstandskämpfer aus Beständen
der DDR. In Hamburg aber redeten die Behörden sich darauf
raus, daß die Geschwister Scholl Jugend nicht
„anerkannt" sei. Ein Amtsrat Bugdahn vom Personalamt des
Hamburger sagte mir, die dortige Hübener-Akte sei "top
secret".
Die Behandlung unserer Jugendgruppe als
„extremistisch“, löste den Protest des
Vaters der Geschwister Scholl, Oberbürgermeister i.R. Robert
Scholl, aus. Dieses Vorgehen, so schrieb er uns, "zeigt, daß
die restaurativen Kräfte aus dem Dritten Reich sich wieder
überall regen dürfen und salonfähig geworden
sind. Desto wichtiger ist es, daß Sie die Jugend ...
darüber aufklären, was heute schon wieder gespielt
wird und sie dabei zu selbständigem, kritischem Denken
erziehen."
Ich gab nicht auf, beschaffte mir Akteneinsicht.
Aber das war schwierig. Es war nicht erwünscht. Das was uns
viele Ältere und viele aus Helmuths Generation immer wieder
sagten: Man konnte nichts wissen und nichts tun! das wurde von Helmuth
und seinen Freunden widerlegt. Allerdings zeigte ihr Schicksal auch,
welche Gefahr jenen drohte, die sich wehrten. Deshalb ist für
uns eine Lehre aus jener Zeit auch immer gewesen: Es gilt, sich
rechtzeitig gegen alte und neue Nazis, gegen die Beseitigung der
Demokratie zu wehren, damit das sich Wehren nie mehr
lebensgefährlich wird. Denn dann ist es zu spät.
Helmuth Hübener ist sehr aktuell. Er
hatte in Flugblättern gewarnt: „Zu Tausenden wird
Hitler Eure Frauen und Kinder zu Witwen und Waisen machen, und der von
Hitler begonnene Bomberkrieg wird unzähligen Deutschen das
Leben kosten.“ Die da Hübeners Flugblätter
1941 und 1942 bei der Polizei abgaben und ihre Nachbarn
verdächtigten, sie geschrieben zu haben, sie lebten zumeist
1943 nicht mehr. 35.000 Menschen aus Hamm, Hammerbroock und
Rothenburgsort starben in einer Nacht ein knappes Jahr nachdem das
Urteil gegen Hübener vollstreckt worden war. Wenn wir heute
durch diese Stadtteile gehen, finden wir an fast jedem Haus die Tafel
"Zerstört 1943, wiederaufgebaut 195.." Auf mich wirken diese
zahllosen Tafeln wie ein einziges großes Antikriegsdenkmal.
Die Summe dieser Tafeln bestätigt die Warnung
Hübeners.
Eine weitere Mahnung von Helmuth Hübener
ist heute aktuell: „Wenn alles sich rührt, haben die
Nazis auskalkuliert“, heißt es einem Gedicht von
ihm, das eben auch vorgetragen wurde. Daher meine ich, es gilt sich
gegen neuen Ungeist, neue Nazis, neuen Rassismus, neue Kriege zu
rühren. Damit nie wieder ein so großer Mut zum sich
Wehren notwendig wird, wie zu Helmuth Hübeners Zeiten,
muß jetzt gehandelt werden. In seinem Sinne müssen
wir wachsam sein.“ (Ende der Rede vor den Schülern
in Hamburg Barmbeck.)
Im Jahr 1945
kamen Schriften wie diese heraus:
KZ
- Bildbericht aus fünf Konzentrationslagern
Diese erschütternde Schrift, herausgegeben vom Amerikanischen
Kriegsinformationsamt im Auftrag des Oberbefehlshabers der Alliierten
Streitkräfte, wurde im April 1945 veröffentlicht, um
die Verbrechen in den deutschen Konzentrationslagern (Buchenwald,
Belsen, Gardelegen, Nordhausen und Ohrdruf - weitere waren noch nicht
befreit) der deutschen Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Die VVN/BdA NRW hat sie wiederentdeckt und elektronisch
rekonstruiert.
http://nrw.vvn-bda.de/bilder/kz.pdf
Bitte auch
beachten:
"Drei
Fotos blieben von ihm und eine Prozeßakte"
Der mutige
Widerstand des 16-jährigen Helmuth Hübener gegen die
Nazis
Landessprecher Ulrich Sander beschäftigt sich seit Jahren mit
den Jugendwiderstand gegen den Nazifaschismus. Insbesondere
über den 16-jährigen Hamburger Helmuth
Hübener hat er geforscht. 1984 legte er eine beachtenswerte
Arbeit über Hübener (1,0 MB, [PDF-Dokument] ) vor,
die wir als VVN-BdA NRW nun rekonstruiert haben.
http://www.nrw.vvn-bda.de/bilder/hu_bener_web.pdf
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