05.10.2017
Militarisierung nach
außen, Abbau sozialer und demokratischer Rechte –
der Kampf dagegen gehört zusammen
Für
die Fortsetzung der großen Traditionen des Friedenskampfes
der Gewerkschaften
Silvia Rölle (61) ist
Landessprecherin der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund
der Antifaschisten (VVN-BdA NRW). Die Diplom-Verwaltungswirtin aus
Mülheim/Ruhr hat am Antikriestag des DGB in Essen, am 1.
September, die Rede als Vertreterin der Friedensbewegung gehalten. Sie
erinnerte an die Traditionen und Wirkungen besonders der
Kämpfe der arbeitenden Menschen und der Gewerkschaften beim
Eintreten für den Frieden: "Auf Initiative des DGB wurde
erstmalig am 1.9.1957, auf dem Höhepunkt des kalten Krieges
mit der Losung: 'Nie wieder Krieg' der Antikriegstag begangen. Mit dem
Antikriegstag sollte an den Beginn des 2. Weltkrieges erinnert und
gemahnt werden." Sie sagte weiter:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Auf Initiative des DGB wurde erstmalig am
1.9.1957, auf dem Höhepunkt des kalten Krieges mit der Losung:
„Nie wieder
Krieg“ der Antikriegstag begangen. Mit dem
Antikriegstag sollte an den Beginn des 2. Weltkrieges erinnert und
gemahnt werden. Erinnern wir uns:
1957:
Das war die Zeit der Wiederaufrüstung,
die Zeit eines Atom- und Kriegsministers Franz
Josef Strauß,
die Zeit in der die damalige Bundesregierung
Pläne zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr umsetzen wollte.
Das war die Zeit, in der die alten Eliten, die schon im deutschen
Faschismus Not und Elend über die Menschen gebracht hatten,
wieder an Schalthebeln der Macht waren. Es waren die Herren aus Politik
und Kapital, die wieder das Sagen hatten. Es waren teilweise die selben
Personen und ihre Helfershelfer in den Machtzentralen der Banken und
Konzerne, die die Milliarden Profite aus dem Blut der Völker
Europas, der Zwangsarbeiter, der KZ-Sklaven und Opfer der
Rüstungsproduktion gesaugt hatten. Es war der
militärindustrielle Komplex diesseits und jenseits des
Atlantiks, der auch vor einem dritten Weltkrieg nicht
zurückschreckte.
Aber...
es waren tausende Menschen darunter auch an
prominenter Stelle auch Mitglieder meiner Organisation, der VVN/BdA die
gemeinsam mit Gewerkschaftern, Sozialdemokraten, Kommunisten, Christen
und anderen friedliebenden Menschen am Antikriegstag und bei der Aktion
„Kampf dem
Atomtod“ auf die Straße gingen.
Sie haben entscheidend mit dazu beigetragen haben,
dass Friedenspolitik mehrheitsfähig wurde - und auch in hohem
Maße wahlentscheidend wurde. Denn es war auch die Hoffnung
der Menschen nach Frieden, die eine Regierung Brandt knapp 10 Jahre
später ermöglichte. Der Kniefall von Warschau, die
Worte Willy Brandts, wo er unmissverständlich sagte, es gehe
darum, „Kriege
abzuschaffen, nicht nur, sie zu begrenzen, [...] weil der Unfriede ein
anderes Wort für die extreme Unvernunft geworden ist.“
Diese Worte eines deutschen Bundeskanzlers und die
vielfältigen Aktivitäten der Friedensbewegung, nicht
nur am Antikriegstag, an denen in den verschiedenen Phasen mal
große Massen, mal wenige Unentwegte teilgenommen haben, all
diese Aktionen haben Spuren hinterlassen. Sie haben an der Klippe
drohender Kriege den Frieden bewahren geholfen.
Der Antikriegstag ist eine gute Tradition.
Für Frieden zu sein hat Deutschland
Ansehen in der Welt gebracht.
Daran sollten wir denken, wenn heute unter dem
Vorwand der sogenannten Terrorbekämpfung Deutschland in zig-
Ländern der Welt militärisch aktiv ist.
Seit 20 Jahren wird angeblich versucht, mit
militärischen Mitteln sogenannte „failed States"
(gefallene Staaten) zu stabilisieren und unsere Sicherheit zu
verteidigen. Das hat am Hindukusch nicht funktioniert und auch nicht
sonst irgendwo. Das Beispiel Libyen, Irak und Syrien, die Not und das
Elend der Bevölkerung, die Fluchtwelle zeigen die Folgen.
Dennoch werden neue Tarnkappen-Schiffe der
Bundesmarine für teures Geld angeschafft. Schiffe mit geringem
Tiefgang, die nah an jede Küstenlinie fahren können.
Ausgerüstet mit Raketen, mit bis zu 250 Kilometer Reichweite.
Vernetzt mit Drohnen und ausgefeilter Technik, die in sicherer
Entfernung in Echtzeit auf Computerdisplays quasi mit dem
„Joystick“ die tödlichen
Abschüsse ermöglichen.
Dient dies wirklich der Sicherheit Deutschlands?
Sind dies nicht auch Instrumente, um an jedem Ort der Welt das
Geschehen beherrschen zu können? Sind dies nicht Instrumente
einer offensiven Militärstrategie, die Kriegführen
ermöglichen soll?
Diese Waffensysteme wurden angeschafft und
ausgerichtet am Ziel der militärischen
Eingreiffähigkeit. Bei der Beschaffung der Ausrüstung
wird „vom Einsatz her gedacht". Gelten noch die Worte Willy
Brandts in seiner Rede anlässlich der Verleihung des
Friedensnobelpreises:
Krieg sei „nicht mehr die ultima ratio,
sondern die ultima irratio“?
Deutschlands wirtschaftliche und politische
Dominanz in Europa, der enge politische und militärische
Schulterschluss mit Frankreichs (Stichwort Afrika), die gemeinsamen
Verbände zum Beispiel mit den Niederlanden und Tschechien
unter deutscher Führung (!) lassen ein bedrohliches Bild
entstehen.
Strategische Konzepte dazu werden u.a. auch hier
in der Stadt Essen auf der JAPCC (Joint Air Power Competence Centre),
einer Einrichtung der Nato entwickelt.
Geht es wirklich nur um Terrorbekämpfung?
In regierungsnahen Strategiepapieren wird schon
länger über Sicherung von Handelswegen und Rohstoffen
gesprochen. Krieg wird wieder zum kalkulierten Mittel der Politik.
Diese bittere Wahrheit verbirgt sich hinter den medialen
Nebelwänden von angeblicher Terrorabwehr und
Menschenrechtsförderung mit Waffengewalt.
Und hat Militarisierung nicht immer schon in der
Geschichte auch eine innenpolitische Komponente?
Aufrüstung, Kriegsvorbereitung, das lehrt
uns die Geschichte gerade Deutschlands, war immer verbunden mit
Demokratieabbau und innerer Repression.
Als Antifaschistin, als Landessprecherin der
VVN/BdA, einer Organisation, die von KZ- Häftlingen, von
Widerstandskämpfern gegen die Nazibarbarei gegründet
und geprägt wurde bin ich alarmiert, wenn ich erfahren muss,
dass das Drohnennarsenal der Bundeswehr noch erweitert wird. Wenn ich
Berichte lese, dass ein Ausbildungs- und
Ausrüstungsschwerpunkt des Heeres
Aufstandsbekämpfung, Stadtkampf, Ortskampf und
Häuserkampf ist. Und wer sagt uns, dass diese
militärische Fähigkeit nicht unter
veränderten innenpolitischen Bedingungen auch im Inland
eingesetzt werden könnte?
Die Hamburger Ereignisse rund um G20 im Sommer
haben das gezeigt. Geschickt medial verpackt. Geholfen haben dabei
sicherlich kriminelle Aktionen von Politholigans, die es
übrigens so oder ähnlich immer wieder auch bei
Großevents wie z.B. Bundesligaspielen gibt. Weniger bekannt
ist in der Öffentlichkeit, dass Gruppen aus der militanten
rechten Szene in Hamburg aktiv mitgemischt haben. Das der ein oder
andere der Politprovokateure auf der Gehaltsliste des ein oder anderen
staatlichen Dienstes stand, ist nach den Ereignissen rund um den NSU
mehr als wahrscheinlich.
Davon abgesehen.
Erschreckend war, und hier bin ich wieder beim
Zusammenhang von Militarisierung und Demokratieabbau, wie der
„tiefe Staat“ jenseits von demokratischer Kontrolle
praktisch erprobt, was möglich ist:
Da wurden junge Gewerkschafter und Mitglieder der
Falken aus dem Bus heraus verhaftet und stundenlang festgehalten. Die
Pressefreiheit wurde eingeschränkt, Journalisten
kriminalisiert und von der Berichterstattung ausgeschlossen. Der Grund
waren Einträge in einer geheimen Datensammlung des BKA mit
hunderttausenden Einträgen. Einer Datei, von der die
Öffentlichkeit erst jetzt erfahren hat. Mit völlig
wahrheitswidrigen Beschuldigungen, wie erste
Überprüfungen ergaben.
Militarisierung nach Außen, Abbau
sozialer und demokratischer Rechte, gerade in Zeiten
ökonomischer Krisen:
Dieser Zusammenhang ist keine ferne Geschichte.
Schauen wir in unser Nachbarland Frankreich. Das
Frankreich, das im Tandem mit Deutschland eine enge
militärische und politische Führungspartnerschaft im
EU-Europa anstrebt.
Erinnern wir uns:
Es ist das Frankreich mit seinem enormen sozialen
Sprengstoff in den Vorstädten in der Gestalt hunderttausender
junger Menschen ohne jede Perspektive. Es sind die Kinder und Enkel
derjenigen, die als billige Arbeitskräfte in den 50er und 60er
Jahren aus Algerien und den ehemaligen französischen Kolonien
ins Land kamen und die jetzt niemand mehr zu brauchen scheint.
Es ist das Frankreich, dass aktiv Krieg
führt in Afrika, dass Libyen bombardiert hat, auf dessen
Trümmern jetzt ein Regime von Warlords herrscht.
Es ist das Frankreich, in dem seit Monaten mit
Notstandsgesetzen durchregiert wird und gewerkschaftliche und
bürgerliche Rechte massiv eingeschränkt werden.
Auch hier war Terrorabwehr der angebliche Grund -
gezielt wurde letztendlich und tatsächlich aber auf die
Schwächung unter anderem der Gewerkschaften und die
Einführung von Gesetzen, die soziale Besitzstände
abbauen sollen, ähnliche Gesetze wie die HARTZ Gesetze bei uns
in Deutschland.
Die gestrigen Nachrichten über den
geplanten Abbau der Arbeitnehmerrechte in Frankreich, am Parlament
vorbei, lassen schlimmes befürchten.
Welche Gegenwehr der Gewerkschaften wird unter der
derzeitigen Notstandssituation noch zugelassen? Das wird sich jetzt
zeigen, wenn die Gewerkschaften zu Kampfmaßnahmen aufrufen.
Wenn ich mit dem Hinweis auf Hamburg und
Frankreich sehr deutlich und bewusst auf den Dreiklang von
Frieden, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie
hingewiesen habe, dann habe ich betonen wollen:
Es ist der Dreiklang, der an diesem 60.
Antikriegstag laut zum Ausdruck kommen muss.
Wenn ich vorhin positiv an die Friedenspolitik von
Willy Brandt erinnert, und als Antifaschistin mit Sorge auf die
Gefahren durch die zunehmende Militarisierung hingewiesen habe,
möchte ich aber zugleich betonen:
Es sind letztendlich wir, die
Bevölkerung, die entscheidend mitreden können und
müssen. Wenn heute im Jahr 2017, trotz medialen Trommelfeuers,
in einer Sternumfrage über 50% der Bevölkerung gegen
eine Erhöhung der Militärausgaben ist, sollte uns das
ermutigen.
60 Jahre Antikriegstag:
Es ist ein langer Weg.
Wir werden ihn weiter gehen.
Die nächsten Schritte sind vorgezeichnet:
Es sind die Aktionen am 03.10.2017 in Kalkar gegen
die Natokommando-Zentrale und am 07.10.2017 hier in Essen gegen die
Nato-Strategietagung und gegen die weitere Ostexpansion der Nato.
Bereiten wir sie ausgehend vom heutigen Antikriegstag mit Nachdruck vor.
60 Jahre Antikriegstag:
Auf einen langen Atem und
auf ein Wiedersehen in Kalkar und Essen bei den
Friedensaktionen im Oktober!!!
Ich bedanke mich fürs zuhören.
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