26.09.2017
Wahlecho 3: Rassistische und völkisch Faschistoide werden drittstärkste Kraft: "Eine
starke Bundeswehr" - Imperialer Anspruch auf "Gestaltung" in der
Weltpolitik - Die nationale Variante im imperialen Konsens
Reinhard Gebhardt schreibt in German Foreign Policy zur Außen- und Militärpolitik der AfD:
Mit der Alternative für Deutschland
(AfD) zieht zum ersten Mal seit den 1950er Jahren eine Partei der
extremen Rechten in den Deutschen Bundestag ein. Die AfD hat es
geschafft, mit 13 Prozent einen guten Teil des laut soziologischen
Studien seit je vorhandenen extrem rechten Potenzials in der deutschen
Bevölkerung zu mobilisieren. Dabei täuscht die Tatsache, dass
sich sämtliche Bundestagsparteien offen von ihr distanzieren,
darüber hinweg, dass ihre Programmatik auf wichtigen
Themenfeldern, insbesondere in der Außen- und
Militärpolitik, bemerkenswerte Parallelen zu den politischen
Zielen fast aller anderen Bundestagsparteien zeigt:
Die AfD sieht Deutschland - ganz wie CDU/CSU, FDP, SPD
und Bündnis 90/Die Grünen - als globale "Gestaltungsmacht",
die ihre Streitkräfte massiv aufrüsten und besser
einsatzfähig machen muss. Während der Bundestags-Mainstream
darauf setzt, die EU als Einflussinstrument für die Berliner
Weltpolitik zu nutzen, favorisiert die AfD für die Bundesrepublik
den nationalen Weg zur globalen Macht. Diese Variante käme wohl
zum Tragen, sollte die EU einst an ihren zunehmenden inneren
Widersprüchen oder an erstarkenden Austrittsbewegungen scheitern.
Drittstärkste Kraft
Mit der Alternative für Deutschland (AfD) hat am
gestrigen Sonntag zum ersten Mal seit den 1950er Jahren [1] eine Partei
der extremen Rechten den Einzug in den Bundestag geschafft und ist aus
dem Stand mit rund 13 Prozent zur drittstärksten Fraktion im
Parlament geworden. Die Partei ist 2013 von teilweise prominenten
Personen aus nationalliberalen und rechtskonservativen Milieus des
deutschen Establishments gegründet worden, deren Ziel es war, den
Ausstieg aus der Eurozone voranzutreiben; die kriselnde Währung
wird inzwischen von Teilen der Wirtschaft, vor allem von
mittelständischen Unternehmern, als letztlich nachteilig für
ihre Interessen eingestuft. Der Versuch, das in der Bundesrepublik seit
je vorhandene nationalistische Bevölkerungsspektrum als Basis
für parteipolitische Aktivitäten gegen den Euro zu nutzen,
hat dazu geführt, dass extrem rechte Kräfte in der AfD
erstarken konnten und heute in ihr tonangebend sind. Mit rassistischen,
zuweilen gar auf eine Neubewertung der NS-Zeit abzielenden Parolen hat
die Partei es geschafft, das in Deutschland ausweislich soziologischer
Studien seit je vorhandene extrem rechte Potenzial [2] zu einem guten
Teil an die Wahlurnen zu mobilisieren.
"Gestaltungsmacht auf Augenhöhe"
Ungeachtet der Distanzierung sämtlicher
Bundestagsparteien von der AfD weist die Programmatik der Partei auf
wichtigen Themenfeldern, insbesondere in der Außen- und
Militärpolitik, bemerkenswerte Parallelen zu den politischen
Zielen beinahe aller anderen Bundestagsparteien auf. Dazu zählt
der Anspruch, nicht nur in der internationalen Politik als
"Gestaltungsmacht" (AfD) aufzutreten - also Weltpolitik zu treiben -,
sondern auch auf Augenhöhe mit den Vereinigten Staaten zu
gelangen. "Die USA sind der wichtigste Bündnispartner
Deutschlands", heißt es im AfD-Wahlprogramm: "Leitbild einer
interessengeleiteten deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ist
die Gleichberechtigung beider Partner."[3] Ähnliches ist aus der
SPD zu hören; Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) hat
kürzlich eine "Veränderung im Kräfteverhältnis in
der Welt" diagnostiziert - und den "Ausfall der Vereinigten Staaten als
wichtige Nation" prognostiziert.[4] Die Zeiten, "in denen wir uns auf
andere völlig verlassen konnten", seien "ein Stück vorbei",
erklärte mit Blick auf die USA Ende Mai auch Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU): "Wir Europäer müssen unser Schicksal in
die eigene Hand nehmen."[5] "Wir stehen vor einem globalen Wettbewerb
um Werte und Ordnungen", schrieb Anfang September Cem Özdemir,
Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen, in einem
Onlinebeitrag für die Fachzeitschrift "Internationale Politik":
"In Zeiten, in denen diese Werte durch die Vereinigten Staaten und
ihren Präsidenten selbst angegriffen werden, sind wir
Europäer gefordert."[6]
"Eine starke Bundeswehr"
Ein übergreifender Konsens, der von den
ökoliberalen Spektren des deutschen Establishments über
sozialdemokratische und konservative Milieus bis zu den
nationalistischen Kreisen der AfD reicht, besteht auch in der Forderung
nach einer signifikanten Aufrüstung der Bundeswehr. "Die deutschen
Streitkräfte" seien "so zu reformieren", dass ihre
"Einsatzbereitschaft auch bei Einsätzen mit höchster
Intensität gewährleistet ist", heißt es im
AfD-Wahlprogramm.[7] "Seit Jahren" leide die Bundeswehr "unter dem
rigorosen Spardiktat konservativer Politiker", schreibt der Vorsitzende
der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann: "Eine kontinuierliche
Erhöhung des Verteidigungshaushalts ist darum notwendig."[8] "Ohne
Frage brauchen wir in Deutschland eine starke und leistungsfähige
Bundeswehr", erklärt Grünen-Spitzenkandidat Özdemir, mit
Blick auf die einst zum Teil friedensbewegte Klientel der Partei
vorsichtig, aber offen formulierend: "Unsere Rüstungsausgaben
sollten sich daran orientieren, was wir brauchen."[9] Auch die FDP
fordert "eine moderne Bundeswehr mit einsatzorientierten Strukturen",
die "sowohl zur Bündnis- und Landesverteidigung wie für
internationale Einsätze befähigt ist".[10] Für die
Unionsparteien hat die Kanzlerin persönlich die Forderung nach
einer massiven Aufrüstung formuliert.
Einflussmittel EU
Strittig ist zwischen dem ökoliberalen bis
konservativen Mainstream auf der einen und den von der AfD vertretenen
nationalistischen Spektren auf der anderen Seite weder der imperiale
Anspruch auf "Gestaltung" in der Weltpolitik sowie "gleichberechtigte
Partnerschaft" mit den USA noch die Forderung nach einer umfangreichen
Aufrüstung der Bundeswehr. Differenzen bestehen vor allem
bezüglich des strategischen Rahmens. Der Berliner Mainstream setzt
nach wie vor auf die deutsch dominierte EU als Mittel der Wahl, um den
eigenen weltpolitischen Anspruch zu realisieren. "Ein starkes
Deutschland gibt es auf Dauer nur in einem handlungsfähigen
Europa", urteilt Özdemir exemplarisch: "Europas
Handlungsfähigkeit zu kräftigen, muss Priorität
deutscher Außenpolitik sein."[11] Die Stärkung der
EU-Außen- und Militärpolitik und die Schaffung europaweit
vernetzter Militärstrukturen, die der Bundeswehr zur
erforderlichen Schlagkraft verhelfen sollen [12], werden von
Bündnis 90/Die Grünen, SPD, FDP und CDU/CSU
gleichermaßen angestrebt; die Bundeswehr solle in Zukunft "ihre
Stärke daraus ziehen, dass sie Teil einer funktionierenden
Europäischen Verteidigungsunion ist", fordert Özdemir.[13] Im
FDP-Wahlprogramm heißt es: "Die Europäische Union braucht
eine Europäische Armee."[14]
Die nationale Variante
Die AfD weicht davon ab und weist "die Schaffung einer
EU-Armee" ebenso wie jegliche weitere Vereinheitlichung der
EU-Außenpolitik zurück: "Deutschland braucht eine nationale
Sicherheitsstrategie".[15] Die nationale Variante zur Realisierung des
imperialen Anspruchs käme wohl zum Tragen, sollte die EU einmal
nicht mehr als Machtinstrument für die Berliner Weltpolitik zur
Verfügung stehen, etwa dann, wenn die zuletzt spürbar
zunehmenden inneren Widersprüche des Staatenbundes die
äußere Handlungsfähigkeit einschränken oder wenn
Austrittsbewegungen in den Mitgliedsländern noch weiter erstarken.
Beides ist keineswegs unwahrscheinlich. Wie der gestrige AfD-Wahlerfolg
zeigt, ist bereits jetzt eine signifikante Basis für einen
nationalen deutschen Weg vorhanden. Welche gesellschaftlichen
Kräfte von ihm profitieren würden, offenbart die
rassistische, zuweilen die NS-Zeit umbewertende Politik der AfD.
Anmerkungen:
[1] Bei den Bundestagswahlen 1949, 1953 und 1957
schaffte die nationalistische Deutsche Partei den Einzug in den
Bundestag, 1949 auch die extrem rechte Deutsche Konservative
Partei/Deutsche Reichspartei (DKP/DRP), 1953 auch der revisionistische
Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE). Die Deutsche Partei
gehörte den ersten drei Bonner Regierungskoalitionen an, der BHE
der zweiten.
[2] S. dazu Willkommen in Deutschland, Saat und Ernte und Einpeitscher.
[3] Programm für Deutschland. Wahlprogramm der
Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen
Bundestag am 24. September 2017.
[4] "Der Westen ist ein Stück kleiner geworden". www.zeit.de 29.05.2017.
[5] S. dazu Das Ende einer Ära.
[6] Cem Özdemir: Für einen wertegeleiteten
Realismus. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt
übernehmen. zeitschrift-ip.dgap.org 04.09.2017.
[7] Programm für Deutschland. Wahlprogramm der
Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen
Bundestag am 24. September 2017.
[8] Thomas Oppermann: Für eine europäische Verteidigungsunion. www.europeanleadershipnetwork.org 06.09.2017.
[9] Cem Özdemir: Für einen wertegeleiteten
Realismus. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt
übernehmen. zeitschrift-ip.dgap.org 04.09.2017.
[10] Denken wir neu. Das Programm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2017: "Schauen wir nicht länger zu."
[11] Cem Özdemir: Für einen wertegeleiteten
Realismus. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt
übernehmen. zeitschrift-ip.dgap.org 04.09.2017.
[12] S. dazu Unter deutschem Kommando und Die deutsch-polnische Militärkooperation.
[13] Cem Özdemir: Für einen wertegeleiteten
Realismus. Deutschland muss mehr Verantwortung in der Welt
übernehmen. zeitschrift-ip.dgap.org 04.09.2017.
[14] Denken wir neu. Das Programm der Freien Demokraten zur Bundestagswahl 2017: "Schauen wir nicht länger zu."
[15] Programm für Deutschland. Wahlprogramm der
Alternative für Deutschland für die Wahl zum Deutschen
Bundestag am 24. September 2017.
Zuerst erschienen unter: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59681
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