08.09.2017
„Ich sterbe mit
einem Fluch auf den deutschen Militärstaat!“
Rede
der VVN-BdA Köln, die von Günter Baumann am 5.9.2017
in Köln-Wahn gehalten wurde
Die Rede galt dem Gedenken an
Max Reichpietsch und Albin Köbis. Die Matrosen und
Kriegsgegner wurden am 5. September 1917 in Köln-Wahn auf der
Grundlage eines Unrechtsurteils erschossen. Die VVN-BdA forderte:
„Die Bundeswehr soll nicht länger in einer unwahren
Tradition verharren! Sie sollte anerkennen, daß die
Hinrichtung von Max Reichpietsch und Albin Köbis ein
politischer Justizmord war. Vollzogen in Köln-Wahn. Es ist
richtig und begründet, die Aufhebung der Todesurteile zu
fordern. Die Bundeswehr sollte nicht länger den Zugang zu der
Gedenkstätte einschränken. (…)
Reichpietsch und Köbis mahnen uns, gerade in der jetzigen
Zeit, aufzutreten – gegen die geplante Ausweitung der
deutschen Militär- und Kriegspolitik.“
Wortlaut der Rede von Günter Baumann:
Sehr geehrte Anwesende!
Mein Name ist Günter Baumann. Ich bin
Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der
Antifaschistinnen und Antifaschisten in Köln. Vielen Dank,
daß das Friedensbildungswerk Köln diese
Gedenkkundgebung organisiert hat.
Im Jahr 1917 wehrten sich Matrosen auf den
Kriegsschiffen in gemeinsamen Aktionen gegen die massive
Unterdrückung durch die Seeoffiziere. Sie wurden wie Sklaven
schikaniert. Sie führten Streiks durch gegen die
Hungerrationen und das oft völlig verdorbene Essen, bei
gleichzeitigem Festschmaus für die Offiziere. Ihre
gewählten Vertreter schickten sie in Verpflegungskommissionen,
die dadurch bald zu allgemeinen Beschwerdestellen wurden.
Die Soldaten debattierten: Wofür ist
dieser Krieg gut? In welchem Interesse ist er? Sie erkannten: dieser
Krieg war kein Verteidigungskrieg, wie die Reichsleitung, und auch die
SPD, seit 1914 behauptet hatten.
Viele kamen zu dem Urteil: Baldiger Frieden, ohne
Annexionen und Kontributionen, auf der Grundlage des
Selbstbestimmungsrechts der Völker!
Diese Forderung hatte der Rat von Petrograd, nach
dem Sturz des Zaren, aufgestellt. Die Parteien MehrheitsSPD und die
Unabhängige SPD, USPD, im April 1917 gegründet,
übernahmen diesen Ruf. Aber nur die USPD lehnte weitere
Kriegskredite ab.
Die Matrosen entwickelten ihre Ansichten
selbstständig und waren nicht parteipolitisch gebunden. Um
ihren eigenen Ruf nach baldigem Kriegsende zu stärken, wollten
sie der Unabhängigen SPD größeres Gewicht
geben bei der Mitte 1917 geplanten internationalen
Konferenz von Sozialdemokraten in Stockholm. Mehr als 4000
Marinesoldaten unterschrieben aus diesem Grund einen Antrag auf
Mitgliedschaft bei der USPD.
Diese teilweise Abwendung der Arbeiterbewegung und
der Marinesoldaten von den bisherigen expansiven Kriegszielen wollten
die Machthabenden beenden.
Nach einem Protestausflug von 600 Marinesoldaten
am 2. August 1917 in Wilhelmshaven, gegen die willkürliche
Streichung von Freizeit und stattdessen Ansetzen von
Drillübungen und gegen die dann folgenden
Bestrafungen wurden in Wilhelmshaven fünf Soldaten
rechtswidrig zum Tode verurteilt. Wegen angeblicher
„vollendeter kriegsverräterischer
Aufstandserregung“, was der Ausflug nicht war. Auch nach
Ansicht der damaligen Marinejuristen nicht, die das Urteil vor
Inkrafttreten überprüfen mußten.
Max Reichpietsch und Albin Köbis wurden
am 5. September 1917 hier in Köln-Wahn auf der Grundlage eines
Unrechtsurteils erschossen.
Die Marineleitung hatte nicht gewagt, sie in
Wilhelmshaven erschießen zu lassen. Admiral Scheer, der
später zwei Todesurteile bestätigte, schrieb vor dem
Gerichtsverfahren einen Brief an den Preußischen
Kriegsminister. Er hätte Angst, daß die
Wilhelmshavener Arbeiter gegen die angestrebten Todesurteile
und gegen die Hinrichtungen aufbegehrten, die dortigen
Marinewerkstätten stilllegten und den U-Boot-Krieg
gefährdeten. Deswegen habe er die
Erschießung, also schon Wochen vor dem Urteil, angeordnet im
weit entfernten Porz-Wahn. Der Admiral bat um Zustimmung. Der
Kriegsminister stimmte zu.
Seit Ende 1916, Anfang 1917 hatten die
Belegschaften in verschiedenen Rüstungsbetrieben
selbstständige Streiks durchgeführt, gegen den Willen
des Gewerkschaftsvorstandes.
Ihre Forderung: Brot, Frieden, Freiheit!
In Magdeburg hatten im Februar 1917 die Arbeiter
im Rüstungsbetrieb von Krupp eine Woche gestreikt. Als sie die
Nachricht über die Erschießung von Max
Reichpietsch und Albin Köbis erfuhren, sagten sie:
„Das waren unsere Leute!“
Hans Beckers, dessen Todesstrafe in eine
Haftstrafe umgewandelt worden war, schrieb in seinem Buch von 1928
„Wie ich zum Tode verurteilt wurde“: „In unserer Hand lag
es, dem Völkermorden Einhalt zu gebieten und der
bedrängten Menschheit den langersehnten Frieden zu geben. So
glaubten wir. – Und doch waren wir nur ein winziges Teilchen,
ein schwacher Hauch jener großen Kraft, die
schließlich die blutige Flamme des Krieges
erstickte.“
Die letzten Briefe von Albin Köbis und
Max Reichpietsch
Wir möchten die letzten Briefe von Albin
Köbis und Max Reichpietsch vorlesen. In der Fassung, wie sie
in dem Buch von Christoph Regulski abgedruckt sind: “Lieber
für die Ideale erschossen werden, als für die
sogenannte Ehre fallen.“ Marixverlag, 2014, S. 228
und S.230f.)
In dem Brief von Albin Köbis sind die
Terminangaben um 7 Tage vordatiert:
„Liebe
Eltern!
Ich bin heute,
den 11.9.1917 zum Tode verurteilt worden, nur ich und noch ein Kamerad,
die andern sind zu 15 Jahren Zuchthaus begnadigt worden. Warum es mir
so ergeht, werdet Ihr ja gehört haben. Ich bin ein Opfer der
Friedenssehnsucht, es folgen noch mehrere. Ich kann der Sache nicht
mehr Einhalt gebieten; es ist jetzt 6 Uhr morgens, um 6.30 Uhr werde
ich nach Köln gebracht. Mittwoch den 12.9. 4 Uhr morgens falle
ich, ein Opfer der Militärjustiz. Ich hätte Euch gern
noch einmal die Hand zum Abschied gedrückt, aber ich werde
stillschweigend erledigt. Tröstet Paula und meinen kleinen
Fritz. Ich sterbe zwar nicht gern so jung, aber ich sterbe
mit einem Fluch auf den deutschen Militärstaat. Das sind meine
letzten Zeilen. Vielleicht bekommst Du und Mutter diese einmal
zugesandt.
Auf immer Euer
Sohn.
Lieber Kamerad!
Wenn du solltest bald die Freiheit bekommen, sende dieses an Herrn Karl
Köbis Berlin-Reinickendorf Chausseestraße
16“
Der Brief von Max Reichpietsch, geschrieben am
30.8.1917: Max Reichpietsch war Mitglied der Neuapostolischen Kirche.
Die Marineleitung schickte seinen Brief an die Familie nicht weiter,
sondern übersandte ihn erst Wochen nach der Hinrichtung. Sie
verhinderte damit die Stellung eines Gnadengesuchs, um das Reichpietsch
seine Familie in dem Brief bat.
„Geliebte
Eltern!
Ich
hätte Euch schon lange geschrieben, was mit mir los ist, aber
ich wollte erst mein Urteil abwarten. Nun ist dieser Tag gewesen, und
er ist noch schlimmer ausgefallen, als ich gedacht habe. Es ist ein
Todesurteil geworden. Ob es vollstreckt wird, oder ob es durch die
Gnade des Kaisers verhindert wird, liegt in Gottes Hand. Ich habe keine
Hoffnung mehr und habe mit dem Leben abgeschlossen. Das hatte wohl
keiner gedacht, als wir im Juni Abschied nahmen, daß es das
letztemal sein sollte. Nun bitte ich Euch, liebe Eltern, verzeiht mir
diese letzten Vergehen, damit ich ruhig in die andere Welt
hinübergehen kann, wo wir uns alle einmal wiedersehen. Auch
danke ich Euch für all das Gute, was Ihr an mir getan habt
… Teilt mir bitte die Adresse und den Namen des Vorstehers
oder Apostels der Gemeinde von hier mit … Und wenn Ihr noch
mehr und Näheres über mein Vergehen wissen wollt, so
schreibt an den, der Euch auf meinen Auftrag hin zum erstenmal
geschrieben hat. Nun entschuldigt, daß ich nicht mehr
schreibe; aber mir ist das Herz so schwer, daß es mir
unmöglich ist, noch weiter zu schreiben. Denn es ist traurig,
als junger Mensch in der Blüte der Jahre, mit einem Herzen
voll Hoffen und Sehnen, schon sterben zu müssen, sterben durch
harten Richterspruch. Grüßt Willy und Gertrud, und
Euch selbst umarmt und küßt zum letzten Male
Euer Sohn Max
Alles, was Ihr
für mich machen könnt, ist, wenn Ihr durch einen
Rechtsanwalt oder durch den Stammapostel ein Gnadengesuch an den Kaiser
macht, in dessen Hand augenblicklich mein Leben ruht, und dessen Hand
auch hier mildtätig wirken wird.
M.“
Die Bundeswehr muß nicht länger
in einer unwahren Tradition verharren! Sie sollte anerkennen,
daß die Hinrichtung von Max Reichpietsch und Albin
Köbis ein politischer Justizmord war. Vollzogen in
Köln-Wahn. Es ist richtig und begründet, die
Aufhebung der Todesurteile zu fordern.
Die Bundeswehr sollte nicht länger den
Zugang zu der Gedenkstätte einschränken.
Eine Lösung muß gefunden werden
für einen freien unbeschränkten Zugang zu der
Gedächtnisstätte der Matrosen Max Reichpietsch und
Albin Köbis. Sie steht auf einem städtischen
Grundstück, dem öffentlichen Friedhof der Stadt
Köln!
Reichpietsch und Köbis mahnen uns, gerade
in der jetzigen Zeit, aufzutreten – gegen die
geplante Ausweitung der deutschen Militär- und
Kriegspolitik.
Siehe auch:
Gedenken an revolutionäre Matrosen
Veranstaltung zum 100. Jahrestag der Hinrichtung von Max Reichpietsch und Albin Köbis in Köln
https://www.jungewelt.de/artikel/317668.gedenken-an-revolution%C3%A4re-matrosen.html
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