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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

23.06.2017

Zur konkreten Rolle des deutschen Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung der faschistischen Diktatur

Referat auf dem Seminar in der Karl-Liebknecht-Schule

Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA, war am 19./20. April 2017 zu Gast beim Seminar „Kommunistische Antifa-Politik heute“, das in der Karl Liebknecht Schule in Leverkusen stattfand. Sander sprach „Zur Konkreten Rolle des deutschen Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung der faschistischen Diktatur“. Er ging ein auf Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Differenzen der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Monopolbourgeoisie. Ferner auf die Übergänge zwischen bürgerlicher Reaktion, Konservatismus und Faschismus. „Die Verbindungen von Kapital und Faschismus aufzuzeigen, gilt als verfassungsfeindlich. Obwohl Bürger von Nordrhein-Westfalen, werde ich von Verfassungsschutzbehörden in ganz Deutschland beobachtet und in ihren Dossiers als ‚Linksextremist‘ dargestellt. Ich gehöre zu den Bürgern, die angeblich mittels ‚diffamierender Beschreibung der Verfassungswirklichkeit‘ und scharfer Kritik ‚ein grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« erkennen lassen‘“. So behauptet es z. B. der bayerische VS. Dass „alles mit der sofortigen Abschaffung des Kapitalismus zu lösen wäre,“ ist eine böse Verballhornung linker Positionen. Und sie wird nicht wahrer dadurch, dass einige Linke derartiges in letzter Zeit da und dort behaupten. Zum Beispiel Susann Witt-Stahl im „Hintergrund“ Nr. 2/17, wo sie die am Marxismus und Antiimperialismus orientierten Linken vergattern will, an der „Erkenntnis“ festzuhalten, „dass Antifaschismus nicht mit, sondern nur gegen den bürgerlich-kapitalistischen Staat möglich ist.“ Wie steht es wirklich um das Verhältnis von Kapitalismus zum Faschismus? Die Antwort findet sich in Sanders Referat. Hier im Wortlaut: 

Ulrich Sander: Zur konkreten Rolle des deutschen Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung der faschistischen Diktatur

Vorbemerkung Nr. 1

Die Verbindungen von Kapital und Faschismus aufzuzeigen, gilt als Verfassungsfeindlich. Obwohl Bürger von Nordrhein-Westfalen, werde ich von den bayerischen und bisher auch von baden-württembergischen Verfassungsschutzbehörden beobachtet und in ihren Jahresberichten als »Linksextremist« ausgewiesen. Ich gehöre zu den Bürgern, die angeblich mittels »diffamierender Beschreibung der Verfassungswirklichkeit« und scharfer Kritik „ein grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung« erkennen lassen“, (so behauptet es der bayerische VS).  Die »Diffamierung«, die mir unterstellt wird, laufe darauf hinaus, daß der »Kapitalismus, die bestehende freiheitliche demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung und mit ihr letztlich die parlamentarische Demokratie« zu bekämpfen sei. Wer als Antifaschist den Kapitalismus kritisiert, sei ein Anhänger der »Dimitroff-Thesen« und bekämpfe die Demokratie, so der bayerische Verfassungsschutz. Die Behauptung, der Kapitalismus führe nach Meinung der Kommunisten in jedem Fall zum Faschismus, weshalb die Kommunisten nicht für Demokratie und gegen Faschismus kämpften, sondern alles mit der sofortigen Abschaffung des Kapitalismus zu lösen wäre, ist eine böse Verballhornung unserer Ideologie und Programmatik – und sie wird nicht wahrer dadurch, dass einige Linke derartiges in letzter Zeit da und dort behaupten.

Derartigen Thesen hat schon Friedrich Engels widersprochen, der am 21. September 1890 an Joseph Bloch in Königsberg schrieb:

„Nach materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende, abstrakte, absurde Phrase.“ (MEW Bd. 37)

„Die politische Herrschaft der Reichen und Superreichen wurde kürzlich seitens der Regierung – halbwegs - eingestanden: „Regierung streicht heikle Passagen aus Armutsbericht. (…) So fehlt zum Beispiel der Satz: ‚Die Wahrscheinlichkeit für eine Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese Politikveränderung von einer großen Anzahl von Menschen mit höherem Einkommen unterstützt wird.‘“ (Südd.Ztg. 15. 12. 2016)

Vorbemerkung Nr. 2

Entsetzt über die Legalisierung einer NSDAP-Nachfolgepartei, der NPD, durch das Bundesverfassungsgericht – begründet mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit der nazistischen Partei, erklärte Beate Klarsfeld vor dem Bundeskongress der VVN-BdA kürzlich in Frankfurt/Main: „Man muss sich nur die Anzahl der NSDAP-Abgeordneten im Reichstag ansehen, um festzustellen, dass diese von 14 im Jahre 1924 zu Beginn der deutschen Prosperität und 12 im Jahre 1928, auf dem Höhepunkt dieses Wohlstands dann auf 107 im Jahr 1930 auf Grund der Wirtschaftskrise anstiegen, 1933 waren sie an der Macht.“

Vor einigen Monaten veröffentlichte Falk Mikosch in der UZ in einer Gastkolumne einen ähnlichen Gedanken, den er mit dem Zitat des DKP-Vorsitzenden einleitete:  „Aus unserer Sicht stehen wir zwar vor der Gefahr eines Rechtsschwenks der Republik, aber unterhalb der Qualität einer faschistischen Entwicklung. Wäre dies anders, müssten wir auch bei den Wahlen alles dem Ziel des Stopps unterordnen.“ (Patrik Köbele lt. UZ 23. Sept. 16).

Die Rechten dürfen nicht durchkommen! schrieb dazu Falk Mikosch. Es gehe um den Weg zur Beseitigung der Demokratie und zur globalen Kriegsführung oder um den Stopp dieser Entwicklung. In dieser entscheidenden Frage sollten alle Antifaschisten gemeinsam handeln.  Mikosch:

„Wo stehen wir? Derzeit liegen die Nazis und die Rechtsextremen (NPD plus AfD) bei ca. 14 Prozent bundesweit. Die Willkommenskultur ist nach wie vor stark, liegt bei 40 Prozent. Erstmals aber werden die rund 20 Prozent der Bevölkerung, denen seit langem ein festes rechtsextremes Weltbild in Umfragen nachgewiesen wurde, nunmehr bei Wahlen in Wahlergebnissen sichtbar, - zum Teil sogar in Manifestationen auf der Straße. Und schließlich auch in steigenden Zahlen rechter Gewalt.“

Wie war das mit der „Qualität einer faschistischen Entwicklung“?

# „Im Mai 1928 lagen die Nazis und die rechtsextremen Konservativen (DNVP plus weiterer rechter Anhang) bei 16,90 % reichsweit.

# Im September 1930 lagen die Nazis (18,3) und die rechten Konservativen (u.a. DNVP) bei 25,3 % reichsweit. Anmerkung von mir: Am 11. 10. 31 kam es zur außerparlamentarischen Formation fast aller Rechten in der Harzburger Front.

# Im Juli 1932 lagen die Nazis (alleine 37,3 %) plus die rechten Konservativen (u.a. DNVP) bei 43,2 % reichsweit. Anmerkung von mir: Vorher kam es zum Treffen der Industrie mit Hitler und anderen Naziführern im Düsseldorfer Industrieclub (27.1.32) und zum Staatsstreich Franz von Papens, der sich durch eine Notverordnung zum Reichskommissar von Preußen machen ließ.

# Im November 1932 lagen die Nazis (33,1) und die rechten Konservativen bei 41,6 % -, und mit diesem niedrigeren Wahlergebnis wurde dann am 30. Januar 1933 eine Reichsregierung aus drei Nazis und sieben rechtsextremen Konservativen gebildet.“ Der Stimmenrückgang vom Juli bis November alarmierte die rechtsextremen Wirtschaftskreise und sie riefen zur Eile bei der Bildung einer Regierung Hitler.

Außer den genannten müssen allerdings müssen auch andere Faktoren als die Wahlergebnisse zugrunde gelegt werden. Und da sah es vor 1933 dramatischer aus als heute.

# „Einen Riesensprung machten die Nazis 1930. 1930 schied die SPD für immer aus der Reichsregierung aus. Von da an wurde per Notverordnungen regiert; das heißt: Es gab eine Präsidialdiktatur.“ (Mikosch)

# Nicht mehr zu schlagen waren die Rechten nach den Wahlen und dem ‚Preußenschlag‘  am 30. Juli 1932, als per Notverordnung die von der SPD geführte Preußische Regierung von Hindenburg gestürzt wurde.

Diese Art von Demokratieabbau haben wir bis heute noch nicht erreicht. Der Kampf gegen die Notstandsgesetzgebung in den 60er Jahren macht sich heute positiv bemerkbar.

Überhaupt sollten wir nicht nur die Wahlergebnisse heranziehen, sondern auch die Notverordnungspolitik von damals und die Aktionen der Wirtschaftskreise. Letztere reichten immer wieder Eingaben und Denkschriften bei Hindenburg und der Regierung ein, die äußerst erfolgreich waren:

# 1930 begann es mit der Notverordnung zur Anhebung der Osthilfe – eine Subventionspolitik für die ostelbischen Junker, von der der korrupte Präsident Hindenburg persönlich profitierte; sodann mit dem Abbau der Erwerbslosenunterstützung.

# 1931 wurden nur 34 Gesetze im Reichstag beschlossen, aber es gab 44 Notverordnungen des Reichspräsidenten. So wurden am 5. Juni die Renten gekürzt, am 6. Oktober die Arbeitslosenhilfe verringert, die Massensteuern erhöht, die Steuern für Großgrundbesitzer gesenkt, die Subventionen für Großunternehmer erhöht. Am 1. August wurde die Versammlungsfreiheit eingeschränkt.

# Die beiden folgenschwersten waren die Notverordnungen vom 20. Juli 1932 – Preußenschlag – und 28. Februar 1933 – Notverordnung nach dem Reichstagsbrand (27./28. Februar 1933). Dem waren die Industriellendenkschrift pro Hitler vom 19. 11. 1932, das Treffen Hitlers mit Franz von Papen am 4. Januar 1933 in Köln vorangegangen, dann die Treffen Hitlers bzw. von Papens mit Industriellen bei Emil Kirdorf und mit der Ruhrlade in Dortmund, beide am 7. Januar 1933. Die Notverordnungspolitik endete mit dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Es galt bis zum 8. Mai 1945.

Ab Juli 1932 begann die ernsthafte Aktionseinheitspolitik der KPD zu wirken. Und zwar, als die SPD auch aus der Preußischen Landesregierung rausgeputscht wurde. Vorher hatte die KPD sich darauf beschränkt, die Aktionseinheit zu fordern und zwar in Gestalt der Einordnung der sozialdemokratischen Massen bei der KPD (sie sollten sich von ihrer SPD-Führung distanzieren).

Wann war der Zeitpunkt, an dem noch eine wirkliche Chance bestand, den Weg in den Faschismus zu verhindern? Heute wissen wir: Das war in den Monaten bis September 1930 möglich, wenn die Politik der Linken (KPD und linke Sozialisten) so wie im Juli 1932 gewesen wäre.

Übertragen auf heute (und eingedenk der Unterschiede) möchte ich   sagen: Der Zeitpunkt ist jetzt, den Rechten den Weg zu versperren. Wenn sie weiter wachsen, werden sie zu Partnern der rechten Union und damit sicherlich unaufhaltsam. Es geht heute um die Bestimmung des gemeinsamen Platzes aller Nazigegner in der künftigen Entwicklung, dies vor dem Hintergrund der Geschichte, und um den Appell, dass viele Hundert der aktivsten Mitstreiter sich in den entscheidenden Monaten nicht verzetteln und sich nicht aus der antifaschistischen und friedenspolitischen APO ganz oder teilweise zurückziehen.   

Ich möchte in diesem Zusammenhang Peter Gingold zitieren, der in seinen Reden und Erinnerungen immer wieder sagte:  „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es nur eine einzige Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“  

Ich habe die politische und parteipolitische Entwicklung bis zur Machtübertragung an Hitler geschildert. Wie verhielt sich in jener Zeit das Finanz- und Großkapital?

Die Zeit der Herausbildung des deutschen Imperialismus war auch die Zeit, in die die Geburtsstunde des deutschen Faschismus fällt. Des Faschismus in der Bewegung, nicht an der Macht. Die Geburtsstunde ist recht genau zu beziffern, es ist der 1. Juli 1890 an dem die Idee zum Alldeutschen Verband entstand, genauer: der Alldeutsche Verband ADV (auch Allgemeiner Deutscher Verband oder nur: die Alldeutschen). Auslöser für die Gründung war die Unterzeichnung des Sansibar-Helgoland-Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und England am 1. Juli 1890, eine Art Tauschgeschäft. Helgoland gehörte den Briten, wurde aber in Blick auf die Rüstungspläne Deutschlands – speziell den Aufbau der Marine – als strategisch wichtige Insel vor den Küsten des Reiches in der Nordsee immer interessanter, so dass man in einem Deal die bis dahin deutsche Insel Sansibar gegen die britische Insel Helgoland tauschte. Dies führte zur Empörung vieler national gesinnter Köpfe, die die deutschen Kolonialinteressen nicht zur Genüge vertreten sahen.

Als Reaktion gründeten die Konzernherren und späteren ersten Förderer Hitlers Emil Kirdorf  (1847-1938) und Alfred Hugenberg (1865-1951) sowie andere am 28. September1890 die Alldeutschen, später unbenannt in Alldeutschen Verband. Man verstand sich als sogenannter »Agitationsverband«, der sich zur Aufgabe machte, finanziell und ideologisch auf die Politik Einfluss zu nehmen. Knapp ein Viertel der Mitglieder waren Unternehmer, knapp hundert Verbände gehörten der Vereinigung korporativ an.

Kirdorfs und Hugenbergs Alldeutscher Verband wünschte sich den Ausbau der Kriegsflotte in Hinblick auf eine imperialistische Kolonialexpansion. Für das Deutschtum im Ausland sollte gekämpft werden unter Berücksichtigung des Rassegedankens, und man forderte »die Zusammenfassung aller deutschen Elemente auf der Erde«. Der Alldeutsche Verband entwickelte sich extrem antisemitisch und vertrat ein Deutschtum auf dem Boden des Rassegedankens. Weiterhin forderte man immer wieder die Bekämpfung von Reichsfeinden und Minderheiten. Der Verband arbeitete auf den ersten Weltkrieg hin, definierte die Kriegsziele und rief 1914 zu den Waffen. Der Alldeutsche Verband, ist – im Gegensatz zu den meisten Vereinen und Verbänden - nach 1933 von den Nazis weder verboten worden, noch der Gleichschaltung zum Opfer gefallen. Wegen seiner der NSDAP nahen Ideologie und wegen Kirdorf als eine seiner Gallionsfiguren existierte der Alldeutsche Verband bis 1939, also noch knapp zwei Jahre über den Tod Kirdorfs hinaus.

Übrigens: Die Gründung der DAP 1919, die sich am 24. Februar 1920 in NSDAP umbenannte, geht u.a. zurück auf Anton Drexler, einen ehemaligen Werkzeugschlosser bei den königlich Bayerischen Staatsbahn-Centralwerkstätte in München; die Initiative dazu hatte sein damaliger Mentor Dr. Paul Tafel ergriffen, der Direktoriumsmitglied der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg und Vorstandsmitglied des Bayerischen Industriellenverbandes war. Aber Tafel war noch mehr, nämlich Spitzenfunktionär in Kirdorfs Alldeutschen Verband.

Das Verbandsprogramm stammte aus der Feder von Alfred Hugenberg. Man kann sagen: Mit Hugenbergs Eintritt in die erste Hitlerregierung am 30. Januar 1933 wurde das Verbandsprogramm zum faschistischen Regierungsprogramm.

Es war das Programm der Revanche für die Niederlage 1918 und für die Beseitigung all dessen, was in der Novemberrevolution errungen wurde.

Geheimbünde der Schwerindustrie

Noch ein Geheimbund der Schwerindustriellen stand bei dem Aufstieg der NSDAP Pate: Die »Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte«. Das war eine zweite Gründung, bei der Emil Kirdorf entscheidend beteiligt war und die für den Aufstieg und die Machtergreifung der Nazis eine große Rolle gespielt hat. Es war ein verborgen arbeitender Zirkel von zwölf Personen aus der Schwerindustrie. Mit von der Partie waren: Albert Vögler – späterer Direktor des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, Hermann Winkhaus – Generaldirektor des Köln-Neuessener Bergwerkvereins, Franz Heinrich Witthoefft – Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank, Freiherr von und zu Löwenstein – Geschäftsführer des Vereins für die bergbaulichen Interessen, Eugen Wiskott – sein Stellvertreter und neben einigen anderen natürlich Emil Kirdorf und Alfred Hugenberg, der auch schon bei der Gründung der Alldeutschen Hand in Hand mit Kirdorf gearbeitet hatte und der von der jetzt zu gründenden Vereinigung am stärksten profitieren sollte. Die »Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte« verstand sich als eine Reaktion von Rechts auf die Novemberrevolution.

Durch die Ereignisse im November 1918 begann nämlich der Umwandlungsprozess des monarchischen Kaiserreiches zur Demokratie der damaligen Weimarer Republik, der man mit aller Kraft entgegenwirken wollte. Man wollte nicht nur die Interessen der Schwerindustrie vertreten, sondern darüber hinaus einen national gesinnten Presse- und Propagandaapparat aufbauen. Es entstand der Hugenbergkonzern mit der »Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte« als dessen Dachgesellschaft.

Ausgestattet wurde der Hugenbergkonzern mit 33.329.401 Mark, bereitgestellt von der Friedrich Krupp AG, der Gelsenkirchener Bergwerks AG, dem Zechenverband, der Phoenix AG für Bergbau und Hüttenbetrieb, der Hugo Stinnes GmbH und dem Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat. Mit dieser damals ungeheuren Summe baute Alfred Hugenberg, von 1909 bis 1918 Vorsitzender des Direktoriums des Finanzwesens der Firma Krupp, ein Medienimperium auf, das zu dieser Zeit seinesgleichen suchte. Hugenberg, Mitglied der rechtsnationalen DNVP, gilt als Anhänger des so genannten Pangermanismus (einer ethnisch begründeten Bewegung) und des Germanisierungsgedankens, der vorsah, die außerhalb des Reiches lebenden Deutschen nach Deutschland zu holen bzw. den Fremdvölkern den germanischen Gedanken aufzuzwingen oder jene Völker zu verdrängen und zu beseitigen.

Das schnell wachsende Medienimperium kaufte immer mehr Zeitungen und Verlage auf, mit Vorliebe die des Scherl-Konzerns, die seinerzeit die auflagenstärksten Printmedien im Reich gewesen sind, des weiteren die Telegraphenunion, 1927 dann schließlich die Ufa, die Hugenberg von da an als Aufsichtsratsvorsitzender kontrollierte. Die anderen elf Herren der »Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte«, unter ihnen Emil Kirdorf, blieben stillschweigend im Hintergrund, hatten aber die Fäden weiter in der Hand.

Das Hugenber‘gsche Medienimperium war das größte in der Weimarer Republik und eines der effektivsten Propagandamittel, erst der DNVP, die sich 1933 mit dem Frontsoldatenbund »Stahlhelm« zur »Kampffront Schwarz-Weiß-Rot« zusammenschloss, später auch der NSDAP. Alle verfolgten das Ziel, die Republik abzuschaffen und eine nationale Diktatur zu errichten. Mit der Machtübergabe an die Nazis 1933 wurden Ufa und die anderen Medien schließlich dem Propagandaministerium Joseph Goebbels zur Verfügung gestellt.

Emil Kirdorf hat im Juli 1938 in Mülheim an der Ruhr das Zeitliche gesegnet. Er war gern gesehener Gast bei Hitler, wurde auf die Reichsparteitage als Ehrengast geladen, und umgekehrt revanchierte sich Hitler mit Besuchen auf Kirdorfs Streihof in Mülheim/Ruhr. Auch beim letzten Mal, aus Anlass von Kirdorfs 90. Geburtstag, wurde Hitler mit einem pompösen Fackelzug geehrt. Auch bei den Trauerfeiern auf Rheinelbe war er zugegen.

Den Zweiten Weltkrieg hat Kirdorf nicht mehr miterlebt, für viele ein Grund, in der Beziehung zu Hitler eine reine Männerfreundschaft zu sehen und sich nicht weiter mit dem Nazi Kirdorf auseinander zu setzen. Kirdorf selbst hat diesen Krieg immer gewollt und alles dafür getan, dass er geführt wird, indem er Hitler und seine Schergen mit den nötigen finanziellen Mitteln ausstattete und alle Gelegenheiten nutzte, ihn bei der Deutschen Industrie salonfähig zu machen.

Zur Rolle der Ruhrlade

Die für den Aufstieg Hitlers wichtigen Vereinigungen erschöpften sich nicht in denen der Alldeutschen und der Geistigen Wiederaufbaukräfte..

Es gab weitere mit wechselnden Zusammensetzungen. Denn man war sich nicht immer grün. So wurden von den Mitgliedern der Ruhrlade Friedrich Flick und Alfred Hugenberg abgelehnt. Hugenberg konnte aber bei der Regierungsbildung 1933 nicht umgangen werden.

Die genannten Verbände wurden durch eben jene Ruhrlade und den Keppler-Kreis ergänzt, ferner wäre der Industrieclub Düsseldorf zu nennen, womit die Liste nicht vollständig wäre. Zur Ruhrlade:

Um sich im engsten Kreise vertraulich über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar 1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die „maßgebenden Herren der westlichen Industrie“ bezeichneten. Der Geheimbund mit geballter krimineller Energie bestand immer aus zwölf Mitgliedern, so zuletzt:

  • Erich Fickler, (1874-1936) Harpener Bergbau AG, Zechen Gneisenau und Scharnhorst-Direktor, Nazi-Finanzier, Teilnehmer am Geheimtreffen 20.2.33, Sitz: Dortmund
  • Karl Haniel,(1877-1944)  Franz Haniel & Cie., Gutehoffnungshütte, Vors. des Industrieclubs Düsseldorf, Sitz Dabringhausen/Wermelskirchen
  • Peter Klöckner, (1863-1940) Klöckner-Werke, Sitz Duisburg
  • Arthur Klotzbach, (1877-1938) von der Friedrich Krupp AG, Essen
  • Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, (1876-1950) Friedrich Krupp AG, Essen, Teilnehmer am Geheimtreffen 20.2.1933
  • Ernst Poensgen, (1871-1949) Vereinigte Stahlwerke, Sitz Düsseldorf
  • Paul Reusch,(1868-1956)  Gutehoffnungshütte, Oberhausen
  • Friedrich Springorum jun. (1880-1942) , Hoesch AG Dortmund
  • Fritz Thyssen (1873-1951) Duisburg
  • Albert Vögler, (1877-1945) Vereinigte Stahlwerke, Dortmund/Herdecke

Hinzu kamen noch Paul Silverberg, Rheinbraun (dieser war Jude und musste sich Ende 1933 zurückziehen) und Fritz Winkhaus, Hoesch AG (starb bald nach 1933)

Mit der  „Ruhrlade“ und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp, Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und Poensgen angehörten, hat sich der langjährige Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch „Hitler und die Herren an der Ruhr – Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befasst. Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin festzustellen, daß „eine Mitverantwortung der Industriellen für das nationalsozialistische Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht opportun.

Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische Programm der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler: Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und „Kampf mit den Gewerkschaften mit aller Schärfe“, so Paul Reusch (Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler (Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher und Wortführer wirkte. Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die Münchner Neusten Nachrichten an, hinter dem NSDAP-Organ Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen, und erklärt namens des Aufsichtsrates zur „vornehmsten Aufgabe des Blattes“ die Pflege des „nationalen Gedankens“. Seine Weisungen enthielten „die damals in konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen“ (so Luntowski), als da waren: „Ein ,großdeutsches Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung des ,Systems von Versailles’ (benannt nach der Kapitulationsurkunde von 1918) und der ,Kriegsschuldlüge’, Wiederherstellung der deutschen Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums usf.“.

Ähnliche Töne hatte Hitler am 27. Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen. 700 anwesende Vertreter des Kapitals stimmten ihm zu.

Zur Entlastung des Großkapitals wird heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit. Von der Eingabe an Hindenburg, mit der viele Wirtschaftsführer für Hitler die Kanzlerschaft forderten, veröffentlichte Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten vom 22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz auf dem Boden der Eingabe stehen“.

IG Farben und Friedrich Flick – und der Kepplerkreis

Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir von den gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932, und Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der Ruhrlade – seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein Stück „Sozialisierung“ sah, da konnte Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in polnische Hände geraten wäre. Es wird erkennbar, daß die Harzburger Front vom 11./12. Oktober 1931, bestehend aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co. begeistert aufgenommen wurde und die Rede des Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht („Möge der nationale Sturmwind, der durch Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der Ruhrindustriellen war.

Auf die „nationalsozialistischen Wirtschaftsideen“ mit all ihrer antikapitalistischen Demagogie mußten sie jedoch noch mit „Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch, Schacht und Vögler vereinbarten 1932, „erprobte Herren“ einzustellen und zu bezahlen, um die Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre „wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP wirken zu lassen. „Sie sollten zur Verfügung der Partei stehen, ‚wenn wir zur Macht kommen’.“ Und sie standen alle zur Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in Köln und und am 7. Januar beim Treffen Hitlers mit Freunden des Emil Kirdporf in Mülheim und bei Treffen der Ruhrlade am selben Tag in Dortmund. Und schließlich dann am 20. Februar 1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen Bericht aus dem „Verein zur Wahrung der gemeinsamen wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“ (Langnamverein) konstatiert worden, „daß fast die gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter welchen Umständen, wünscht“. (Aufgefunden im Bundesarchiv, bei Luntowski  S. 80)

Gedenktafel in Köln

Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift: „Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933 finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“

Als sich schließlich am 20. Februar 1933 Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach) treffen, sagt Hitler: „Wir stehen jetzt vor der letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht entscheidet, muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege fallen ... oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt werden, der vielleicht größere Opfer fordert ...“ Nach dieser offenen Darlegung seiner Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden die rund 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf der NSDAP drei Millionen Reichsmark. Das sind nach heutigem Geld rund 22 Millionen Euro. (Womit man schon einiges ausrichten konnte. Die Wahlmaschinen damals waren ja längst nicht so kostspielig wie heute.)

Krupp fertigt abends eine Notiz über die Begegnung an: „Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ... Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen Lasten.“ Gegen den gegen die Arbeiterschaft ausgeübten Terror hatte niemand an jenem Tag Einwände, auch nicht gegen die beginnenden antisemitischen Pogrome.

Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den Krieg und die Eroberung neuen „Lebensraums“ konnten beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach Kriegsbeginn „ins Reich“ geholt wurden, wo sie die Profite der Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr scheint ihr Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“ Diese „Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55 Millionen Menschen den Tod. Und sie machte die Konzerne reicher als je zuvor, sie gingen reicher aus dem Krieg heraus als hinein.

Tooze über das Treffen vom 20. Februar 1933

Der US-amerikanische Historiker Adam Tooze geht sehr viel kritischer mit den Herren um, die sich da bei Göring trafen. Er lässt deutlich werden, dass auch die aufgenommenen Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt, den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm glich viel zu sehr dem der Nazis.

Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze („Ökonomie der Zerstörung“) über das wenig bekannte »Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe:  „Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten Beispielen für die Bereitschaft des deutschen Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines diktatorischen Regimes beizustehen.« ... »Krupp und Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem gewalttätigen Antisemitismus oder seinen Eroberungsplänen anzuschließen.«

Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte: »Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Die »gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig: »Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine gehörige Anzahlung« (ebd.).

Besonders Rolle von Krupp in 1932/33 – Der Preußenschlag

Einige Bemerkungen sollen noch zu Krupp von Bohlen und Halbach gemacht werden, der sich im Februar so zufrieden Notizen machte. Von ihm wurde gesagt, er habe sich vor dem 30. Januar 1933 der Kanzlerschaft Hitlers wiedersetzt. Andererseits war er mit den anderen Herren von der Ruhr entscheidend, was das Schicksal Deutschlands anbetraf. Nicht die Berliner Politik, sondern die Wirtschaft an der Ruhr waren in jenen Jahren die Schaltstellen, auf die es ankam. Sie waren die aggressivsten und am meisten reaktionären Kreise des Finanzkapitels, von denen die KI sprach, wobei mit Finanzkapital die Schwerindustrie in Verbindung mit dem Bankkapital gemeint war. Gehen wir noch einmal ein halbes Jahr zurück.

Mit Beginn des Sommers 1932 steuerte die Krise der Weimarer Republik auf eine Entscheidungssituation zu. Das »Kabinett der Barone«, das an der Regierung war, geriet gleich von mehreren Seiten unter Zugzwang. Kreise der Wirtschaft, des Großgrundbesitzes, die Reichswehrführung und der Klüngel um den senilen Reichspräsidenten, die einen Franz von Papen wegen seiner politischen Skrupellosigkeit in den Sattel gehoben hatten, erwarteten nun, dass er dort, wo Brüning mit seiner Notverordnungspolitik gescheitert war, weitermachte, um der Weimarer Demokratie den Rest zu geben. Hinzu kam, dass die Kommunisten seit Mai des Jahres mit ihrer Antifaschistischen Aktion offenbar zu einer Politik gefunden hatten, mit der die außerparlamentarische Einheitsfront auch bei sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Anhängern Resonanz fand. Das »Bollwerk Preußen« mit einer sozialdemokratisch geführten Regierung (im größten Land des Reiches!), mit seinen 90 000 Schutzpolizisten unter dem Befehl des SPD-Innenministers und starken Mannes der Sozialdemokratie, Carl Severing, musste geschliffen werden, ehe sich die Arbeiterparteien noch näher kamen. Dazu bedurfte es außer der Macht und des Vertrauens des  Reichspräsidenten, die dieser mit dem Notverordnungsartikel 48 hatte, zweier Voraussetzungen: erstens der Unterstützung der zur Massenpartei gewordenen Nationalsozialisten, die seit der Landtagswahl am 24. April 1932 zwar die größte Fraktion stellten, aber nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für die Regierungsbildung zusammenbekamen, weshalb man also andere Wege finden musste, um die Braun-Severing-Regierung zu verjagen. Und zweitens war innenpolitisch eine chaotische Situation zu schaffen, die den Vorwand für die Reichsexekutive zu liefern hatte. Dies Chaos besorgten die Nazis mit ihren provokatorischen Aufmärschen und ihren Mordaktionen.

Es lag das dringende Ersuchen Friedrich von Krupps und die Forderung Hitlers vor, gegen die SPD-Macht anzugehen. Von Papen hatte als Kanzler Blankovollmacht zur Absetzung der Preußischen Regierung und brauchte nur noch das Datum und neben die Unterschrift von Hindenburg die eigene zu setzen: »20. Juli, Der Reichskanzler von Papen.« Es erfolgte die Absetzung der Regierung und Krupp beorderte den Essener Oberbürgermeister Franz Bracht in die neue Regierung als Innenminister. Dieser sicherte dem Vorgänger mit vollendeter Höflichkeit zu, er werde am Abend mit zwei Polizeioffizieren erscheinen und die Amtsübergabe wie gewünscht »mit Brachialgewalt« erzwingen. Darauf hatten die SPD-Leute bestanden, um ihr Gesicht zu wahren. (Hätten die aufs Äußerste erregten und kampfwilligen sozialdemokratischen Massen in diesen entscheidenden Stunden die Möglichkeit gehabt, die Beratungen ihrer Führungsgremien zu verfolgen, wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen.) Die SPD-Führer blieben auch nach dem 20. Juli 1932 bei einer Politik, die angeblich die Demokratie und die Verfassung zu verteidigen versprach, indem man immer neue Schritte zu ihrer Aushöhlung »tolerierte«, weil dies eine Nazi-Diktatur verhindere.

Die Krupps und auch die NSDAP-Führung waren mit dem Verlauf der Aktion hoch zufrieden. Ihnen war im Unterschied zu den Spitzen von SPD und Gewerkschaftsbund klar, dass hier ein Staatsstreich stattgefunden und die sozialdemokratische Linke wie gehofft stillgehalten hatte. Der Arbeiterbewegung war das moralische Rückgrat gebrochen. Die Generalprobe für den Marsch ins »Dritte Reich« war gelungen und das Schicksal der Weimarer Demokratie entschieden. Und zwar lange vor dem 30. Januar 1933.

Wie bei der Errichtung der Nazidiktatur war auch an ihrem Ende die Großindustrie nicht untätig.

Das 20.-Juli-Attentat gegen Hitler war gescheitert. Die verbleibenden neun Monate bis zur Befreiung am 8. Mai waren angefüllt mit beispiellosem Terror gegen die in- und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter, denen die Nazis einen Aufstand zutrauten. Andererseits unternahmen Vertreter der SS und des Himmler-Freundeskreises der Wehrwirtschaftsführer Anstrengungen, um Einfluss auf die Entwicklung hin zum Kriegsende zu nehmen. Konservative Politiker und Manager, die keine systemverändernden Aktivitäten erwarten ließen, wurden geschont, ja sogar geschickt ins Spiel gebracht. Schon am 10. August 1944, gleichzeitig mit den Massenverhaftungen im Rahmen der Aktion "Gitter' und den Massenhinrichtungen im Gefolge des 20. Juli 1944, fand laut US Geheimdienstberichten im Straßburger Hotel Maison ein Geheimtreffen von Vertretern der SS und großer Konzerne statt. Repräsentanten des "Freundeskreises SS" aus Firmen wie Krupp, IG Farben, Messerschmidt, Siemens, Daimler Benz, AEG, Flick AG, Dr. Oetker, Wintershall und Bosch schufen einen Fonds, der das Überleben der deutschen multinationalen Unternehmen wie auch vieler SS Führer sichern sollte. Gestapo Müller beispielsweise wurde aufgrund dieser Verabredung im Ausland versteckt  und nie gefasst. Und nicht nur die genannten Unternehmen, auch das von ihnen repräsentierte Wirtschaftssystem überlebte.

Die Wirtschaftsführer wurden also in jenen Wochen und Monaten von der SS behütet und geschützt. Mit ihnen diskutierte man sogar ein Thema, das anzuschneiden für alle übrigen Deutschen den Kopf kostete: Wie soll es weitergehen nach dem verlorenen Krieg? Oder. Wie arrangieren wir uns mit dem Westen jetzt oder später?

An der Beantwortung dieser Frage hatte man bereits seit der Wende im Krieg gegen die Sowjetunion gearbeitet. Experten der Wirtschaftspolitik. Wilhelm Zangen, Chef von Mannesmann und der "Reichsgruppe Industrie", erörterten sie mit SS-Brigadeführer Otto Ohlendorf, der sowohl Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium als auch Chef des Sicherheitsdienstes Inland der SS war. Es ging um den Fortbestand des Kapitalismus und um die Wiedererlangung der Vormacht Deutschlands in Europa. Die "Reichsgruppe Industrie" hatte ein "Institut für Industrieforschung" geschaffen, dem der spätere westdeutsche Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard vorstand. In Erhards Denkschriften für Zangen und Ohlendorf, die er diesen auch mündlich erläuterte, ging es um die "Aufrechterhaltung der sozialwirtschaftlichen Ordnung".

Der US-Geheimdienst und die SS

In der UZ vom 21. April 2017 („CIA – Die Lizenz zum Massenmord“ von Klaus Wagener) stand eine sehr gute Analyse des Zusammenspiels US-amerikanischer Geheimdienstleute in der Schweiz mit der SS. Man war nicht der Meinung, dass es eine „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands geben sollte, wie die Regierungen in Moskau, London und Washington sie vorgesehen hatten. SS und OSS (mit dem späteren CIA-Direktor Allen W. Dulles an der Spitze) suchten nach Wegen zu einem Separatfrieden; auch Churchill und Montgomery spielten mit dem Gedanken, die SS und Wehrmacht nicht zu entwaffnen, sondern für einen möglichen Osteinsatz bereit zu halten.

Die Historikerin Dr. Gabriele Lotfi, aber auch wir von der VVN-BdA haben neue Informationen über einen bisher nicht erforschten Zweig des NS-Terrorsystems vorgelegt und zudem noch die Mittäterschaft, ja sogar die Initiative der deutschen Industrie beim Vorgehen gegen deutsche und ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter besonders während des Krieges nachgewiesen. Wir ermittelten Durchgangsstationen, zu denen vor allem russische Zwangsarbeiter aus dem Ruhrgebiet gebracht wurden, um dann z.B. in der Bittermark und im Rombergpark im März und April 1945 ermordet zu werden.

Die deutsche Industrie hat sich in der Nazizeit schwerster Verbrechen an in- und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeitern schuldig gemacht. In 200 Arbeitserziehungslagern und anderen Folterstätten, die in Komplizenschaft mit örtlichen SS- und Gestapostellen geschaffen wurden, hat "die deutsche Wirtschaft" während der Kriegszeit ständig rund 40.000 Arbeiter unter grausamsten Bedingungen für viele Wochen eingepfercht. Der Industrie, so wird in der Untersuchung festgestellt, lag an einer "raschen und effektiven Bestrafung" von, wie es im Nazi Jargon hieß, "Arbeitsvertragsbrüchigen". Sie war daher bereit, in Zusammenarbeit mit der örtlichen und der regionalen Gestapo die Arbeitserziehungslager zu finanzieren und sogar Wachpersonal dafür bereitzustellen.

Tausende Opfer wurden ermordet, besonders viele Tote wurden in den letzten Kriegsmonaten gezählt, da die Gestapo einen Arbeiteraufstand und "einen Dolchstoß" befürchtete. Gegen die deutschen und ausländischen Aktiven der Arbeiterbewegung handelten Wirtschaft und Nazis gemeinsam. Dissens gab es in der Frage, ob die ökonomischen Werte dem Feind in die Hände fallen sollten. Industrielle, die Mitglieder des Freundeskreises der SS waren, erreichten es, daß Hitler seinen "Nero"-Befehl zur Zerstörung aller Industriebetriebe, Vorräte und Verkehrswege zurücknahm, den er am 19. März 1945 erlassen hatte. Nichts von Wert sollte dem Feind in die Hände fallen, meinte Hitler. Industrielle wirkten über den Rüstungsminister Albert Speer jedoch auf Hitler ein, der einen neuen Führerbefehl erließ. Joachim Fest, der Hitler-Biograph (und Hitler-Beschöniger), hat eine Albert Speer-Biographie verfaßt, und in einer Lesung schildert Fest die entscheidende Begegnung Speers mit Hitler so: "April 1945 in der Reichskanzlei. Speer, Architekt und Rüstungsminister, war längst geflohen. Er kehrt noch einmal in die Hauptstadt zurück, obwohl die Alliierten Berlin fast eingenommen hatten und der Minister gegen zahlreiche Anordnungen Hitlers verstoßen hatte. Mit belegter Stimme habe Speer dem Führer seine Befehlsverweigerungen gestanden. Hitler behielt nur mühsam die Fassung.» (WAZ, 29. 1. 2000) Aber Hitler hörte auf Speer und seine industriellen Hintermänner! Während die Massenexekutionen an den Arbeiterfunktionären noch anhielten, erreichten Generalfeldmarschall Walter Model am 5, April 1945 Anweisungen über die "Aufrechterhaltung der Industrie" an der Ruhr. Das war das Ende des Nero-Befehls   und es war wie einst im Frühjahr 1933: Die Nazis vernichten die Funktionäre der Arbeiterbewegung und erhalten den Segen der Industrie.

Ein Kriegsende wie 1918 sollte vermieden werden – und Tausende starben

Die Morde wie auch die Massaker in den Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen von den KZ nach Westen entsprachen dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des deutschen Faschismus. Gestapo Chef Heinrich Müller erklärte der Frau von Graf Moltke: "Wir werden nicht den gleichen Fehler machen, der 1918 begangen wurde. Wir werden unsere innerdeutschen Feinde nicht am Leben lassen." Nazigauleiter August Eigruber begründete einen Befehl, Häftlinge im KZ Mauthausen zu ermorden, mit den Worten: Die Alliierten dürften "keine aufbauwilligen Kräfte" vorfinden. Zugleich ging es darum, Zeugen der Naziverbrechen zu beseitigen. Dass die Leichen der beseitigten Zeugen dann doch auch Zeugnis von den Verbrechen ablegten, wog nicht so schwer. Die Naziverbrecher konnten sich darauf verlassen, daß der kommende Rechtsstaat die Einzelfallprüfung vornehmen würde. Somit genügte es nicht, der Mörderbande angehört zu haben, man musste auch beim Morden von Zeugen gesehen worden sein und diese Zeugen waren dann nicht mehr am Leben.