23.06.2017
Zur konkreten Rolle des
deutschen Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung
der faschistischen Diktatur
Referat
auf dem Seminar in der Karl-Liebknecht-Schule
Ulrich Sander, Bundessprecher der VVN-BdA,
war am 19./20. April 2017 zu Gast beim Seminar „Kommunistische
Antifa-Politik heute“, das in der Karl Liebknecht Schule in
Leverkusen stattfand. Sander sprach „Zur Konkreten Rolle des
deutschen Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung der
faschistischen Diktatur“. Er ging ein auf Gemeinsamkeiten,
Unterschiede, Differenzen der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der
Monopolbourgeoisie. Ferner auf die Übergänge zwischen
bürgerlicher Reaktion, Konservatismus und Faschismus. „Die
Verbindungen von Kapital und Faschismus aufzuzeigen, gilt als
verfassungsfeindlich. Obwohl Bürger von Nordrhein-Westfalen, werde
ich von Verfassungsschutzbehörden in ganz Deutschland beobachtet
und in ihren Dossiers als ‚Linksextremist‘ dargestellt. Ich
gehöre zu den Bürgern, die angeblich mittels
‚diffamierender Beschreibung der Verfassungswirklichkeit‘
und scharfer Kritik ‚ein grundsätzliches Infragestellen der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung« erkennen
lassen‘“. So behauptet es z. B. der bayerische VS. Dass
„alles mit der sofortigen Abschaffung des Kapitalismus zu
lösen wäre,“ ist eine böse Verballhornung linker
Positionen. Und sie wird nicht wahrer dadurch, dass einige Linke
derartiges in letzter Zeit da und dort behaupten. Zum Beispiel Susann
Witt-Stahl im „Hintergrund“ Nr. 2/17, wo sie die am
Marxismus und Antiimperialismus orientierten Linken vergattern will, an
der „Erkenntnis“ festzuhalten, „dass Antifaschismus nicht mit,
sondern nur gegen den bürgerlich-kapitalistischen Staat
möglich ist.“ Wie steht es wirklich um das Verhältnis
von Kapitalismus zum Faschismus? Die Antwort findet sich in Sanders
Referat. Hier im Wortlaut:
Ulrich Sander: Zur konkreten Rolle des deutschen
Großkapitals bei Vorbereitung und Verwirklichung der
faschistischen Diktatur
Vorbemerkung
Nr. 1
Die Verbindungen von Kapital und Faschismus
aufzuzeigen, gilt als Verfassungsfeindlich. Obwohl Bürger von
Nordrhein-Westfalen, werde ich von den bayerischen und bisher auch von
baden-württembergischen Verfassungsschutzbehörden
beobachtet und in ihren Jahresberichten als
»Linksextremist« ausgewiesen. Ich gehöre
zu den Bürgern, die angeblich mittels
»diffamierender Beschreibung der
Verfassungswirklichkeit« und scharfer Kritik „ein
grundsätzliches Infragestellen der freiheitlich-demokratischen
Grundordnung« erkennen lassen“, (so behauptet es
der bayerische VS). Die »Diffamierung«,
die mir unterstellt wird, laufe darauf hinaus, daß der
»Kapitalismus, die bestehende freiheitliche demokratische
Staats- und Gesellschaftsordnung und mit ihr letztlich die
parlamentarische Demokratie« zu bekämpfen sei. Wer
als Antifaschist den Kapitalismus kritisiert, sei ein Anhänger
der »Dimitroff-Thesen« und bekämpfe die
Demokratie, so der bayerische Verfassungsschutz. Die Behauptung, der
Kapitalismus führe nach Meinung der Kommunisten in jedem Fall
zum Faschismus, weshalb die Kommunisten nicht für Demokratie
und gegen Faschismus kämpften, sondern alles mit der
sofortigen Abschaffung des Kapitalismus zu lösen
wäre, ist eine böse Verballhornung unserer Ideologie
und Programmatik – und sie wird nicht wahrer dadurch, dass
einige Linke derartiges in letzter Zeit da und dort behaupten.
Derartigen Thesen hat schon Friedrich Engels
widersprochen, der am 21. September 1890 an Joseph Bloch in
Königsberg schrieb:
„Nach
materialistischer Geschichtsauffassung ist das in letzter Instanz
bestimmende Moment in der Geschichte die Produktion und Reproduktion
des wirklichen Lebens. Mehr hat weder Marx noch ich je behauptet. Wenn
nun jemand das dahin verdreht, das ökonomische Moment sei das
einzig bestimmende, so verwandelt er jenen Satz in eine nichtssagende,
abstrakte, absurde Phrase.“ (MEW Bd. 37)
„Die
politische Herrschaft der Reichen und Superreichen wurde
kürzlich seitens der Regierung – halbwegs -
eingestanden: „Regierung streicht heikle Passagen aus
Armutsbericht. (…) So fehlt zum Beispiel der Satz:
‚Die Wahrscheinlichkeit für eine
Politikveränderung ist wesentlich höher, wenn diese
Politikveränderung von einer großen Anzahl von
Menschen mit höherem Einkommen unterstützt
wird.‘“ (Südd.Ztg. 15. 12.
2016)
Vorbemerkung
Nr. 2
Entsetzt über die Legalisierung einer
NSDAP-Nachfolgepartei, der NPD, durch das Bundesverfassungsgericht
– begründet mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit
der nazistischen Partei, erklärte Beate Klarsfeld vor dem
Bundeskongress der VVN-BdA kürzlich in Frankfurt/Main:
„Man muss sich nur die Anzahl der NSDAP-Abgeordneten im
Reichstag ansehen, um festzustellen, dass diese von 14 im Jahre 1924 zu
Beginn der deutschen Prosperität und 12 im Jahre 1928, auf dem
Höhepunkt dieses Wohlstands dann auf 107 im Jahr 1930 auf
Grund der Wirtschaftskrise anstiegen, 1933 waren sie an der
Macht.“
Vor einigen Monaten veröffentlichte Falk
Mikosch in der UZ in einer Gastkolumne einen ähnlichen
Gedanken, den er mit dem Zitat des DKP-Vorsitzenden
einleitete: „Aus unserer Sicht stehen wir zwar vor
der Gefahr eines Rechtsschwenks der Republik, aber unterhalb der
Qualität einer faschistischen Entwicklung. Wäre dies
anders, müssten wir auch bei den Wahlen alles dem Ziel des
Stopps unterordnen.“ (Patrik Köbele lt. UZ 23. Sept.
16).
Die Rechten dürfen nicht durchkommen!
schrieb dazu Falk Mikosch. Es gehe um den Weg zur Beseitigung der
Demokratie und zur globalen Kriegsführung oder um den Stopp
dieser Entwicklung. In dieser entscheidenden Frage sollten alle
Antifaschisten gemeinsam handeln. Mikosch:
„Wo stehen wir? Derzeit liegen die Nazis
und die Rechtsextremen (NPD plus AfD) bei ca. 14 Prozent bundesweit.
Die Willkommenskultur ist nach wie vor stark, liegt bei 40 Prozent.
Erstmals aber werden die rund 20 Prozent der Bevölkerung,
denen seit langem ein festes rechtsextremes Weltbild in Umfragen
nachgewiesen wurde, nunmehr bei Wahlen in Wahlergebnissen sichtbar, -
zum Teil sogar in Manifestationen auf der Straße. Und
schließlich auch in steigenden Zahlen rechter
Gewalt.“
Wie war das
mit der „Qualität einer faschistischen
Entwicklung“?
# „Im Mai 1928 lagen die Nazis und die
rechtsextremen Konservativen (DNVP plus weiterer rechter Anhang) bei
16,90 % reichsweit.
# Im September 1930 lagen die Nazis (18,3) und die
rechten Konservativen (u.a. DNVP) bei 25,3 % reichsweit. Anmerkung von
mir: Am 11. 10. 31 kam es zur außerparlamentarischen
Formation fast aller Rechten in der Harzburger Front.
# Im Juli 1932 lagen die Nazis (alleine 37,3 %)
plus die rechten Konservativen (u.a. DNVP) bei 43,2 % reichsweit.
Anmerkung von mir: Vorher kam es zum Treffen der Industrie mit Hitler
und anderen Naziführern im Düsseldorfer Industrieclub
(27.1.32) und zum Staatsstreich Franz von Papens, der sich durch eine
Notverordnung zum Reichskommissar von Preußen machen
ließ.
# Im November 1932 lagen die Nazis (33,1) und die
rechten Konservativen bei 41,6 % -, und mit diesem niedrigeren
Wahlergebnis wurde dann am 30. Januar 1933 eine Reichsregierung aus
drei Nazis und sieben rechtsextremen Konservativen gebildet.“
Der Stimmenrückgang vom Juli bis November alarmierte die
rechtsextremen Wirtschaftskreise und sie riefen zur Eile bei der
Bildung einer Regierung Hitler.
Außer den genannten müssen
allerdings müssen auch andere Faktoren als die Wahlergebnisse
zugrunde gelegt werden. Und da sah es vor 1933 dramatischer aus als
heute.
# „Einen Riesensprung machten die Nazis
1930. 1930 schied die SPD für immer aus der Reichsregierung
aus. Von da an wurde per Notverordnungen regiert; das heißt:
Es gab eine Präsidialdiktatur.“ (Mikosch)
# Nicht mehr zu schlagen waren die Rechten nach
den Wahlen und dem
‚Preußenschlag‘ am 30. Juli
1932, als per Notverordnung die von der SPD geführte
Preußische Regierung von Hindenburg gestürzt wurde.
Diese Art von Demokratieabbau haben wir bis heute
noch nicht erreicht. Der Kampf gegen die Notstandsgesetzgebung in den
60er Jahren macht sich heute positiv bemerkbar.
Überhaupt sollten wir nicht nur die
Wahlergebnisse heranziehen, sondern auch die Notverordnungspolitik von
damals und die Aktionen der Wirtschaftskreise. Letztere reichten immer
wieder Eingaben und Denkschriften bei Hindenburg und der Regierung ein,
die äußerst erfolgreich waren:
# 1930 begann es mit der Notverordnung zur
Anhebung der Osthilfe – eine Subventionspolitik für
die ostelbischen Junker, von der der korrupte Präsident
Hindenburg persönlich profitierte; sodann mit dem Abbau der
Erwerbslosenunterstützung.
# 1931 wurden nur 34 Gesetze im Reichstag
beschlossen, aber es gab 44 Notverordnungen des
Reichspräsidenten. So wurden am 5. Juni die Renten
gekürzt, am 6. Oktober die Arbeitslosenhilfe verringert, die
Massensteuern erhöht, die Steuern für
Großgrundbesitzer gesenkt, die Subventionen für
Großunternehmer erhöht. Am 1. August wurde die
Versammlungsfreiheit eingeschränkt.
# Die beiden folgenschwersten waren die
Notverordnungen vom 20. Juli 1932 – Preußenschlag
– und 28. Februar 1933 – Notverordnung nach dem
Reichstagsbrand (27./28. Februar 1933). Dem waren die
Industriellendenkschrift pro Hitler vom 19. 11. 1932, das Treffen
Hitlers mit Franz von Papen am 4. Januar 1933 in Köln
vorangegangen, dann die Treffen Hitlers bzw. von Papens mit
Industriellen bei Emil Kirdorf und mit der Ruhrlade in Dortmund, beide
am 7. Januar 1933. Die Notverordnungspolitik endete mit dem
Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933. Es galt bis
zum 8. Mai 1945.
Ab Juli 1932 begann die ernsthafte
Aktionseinheitspolitik der KPD zu wirken. Und zwar, als die SPD auch
aus der Preußischen Landesregierung rausgeputscht wurde.
Vorher hatte die KPD sich darauf beschränkt, die
Aktionseinheit zu fordern und zwar in Gestalt der Einordnung der
sozialdemokratischen Massen bei der KPD (sie sollten sich von ihrer
SPD-Führung distanzieren).
Wann war der Zeitpunkt, an dem noch eine wirkliche
Chance bestand, den Weg in den Faschismus zu verhindern? Heute wissen
wir: Das war in den Monaten bis September 1930 möglich, wenn
die Politik der Linken (KPD und linke Sozialisten) so wie im Juli 1932
gewesen wäre.
Übertragen auf heute (und eingedenk der
Unterschiede) möchte ich sagen: Der
Zeitpunkt ist jetzt, den Rechten den Weg zu versperren. Wenn sie weiter
wachsen, werden sie zu Partnern der rechten Union und damit sicherlich
unaufhaltsam. Es geht heute um die Bestimmung des gemeinsamen Platzes
aller Nazigegner in der künftigen Entwicklung, dies vor dem
Hintergrund der Geschichte, und um den Appell, dass viele Hundert der
aktivsten Mitstreiter sich in den entscheidenden Monaten nicht
verzetteln und sich nicht aus der antifaschistischen und
friedenspolitischen APO ganz oder teilweise
zurückziehen.
Ich möchte in diesem Zusammenhang Peter
Gingold zitieren, der in seinen Reden und Erinnerungen immer wieder
sagte: „1933 wäre verhindert worden, wenn
alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass
sie nicht zustande kam, dafür gab es nur eine einzige
Entschuldigung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet,
wenn er einmal an der Macht ist. Aber heute haben wir alle diese
Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet.
Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine
Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht
verhindern.“
Ich habe die
politische und parteipolitische Entwicklung bis zur
Machtübertragung an Hitler geschildert. Wie verhielt sich in
jener Zeit das Finanz- und Großkapital?
Die Zeit der Herausbildung des deutschen
Imperialismus war auch die Zeit, in die die Geburtsstunde des deutschen
Faschismus fällt. Des Faschismus in der Bewegung, nicht an der
Macht. Die Geburtsstunde ist recht genau zu beziffern, es ist der 1.
Juli 1890 an dem die Idee zum Alldeutschen Verband entstand, genauer:
der Alldeutsche Verband ADV (auch Allgemeiner Deutscher Verband oder
nur: die Alldeutschen). Auslöser für die
Gründung war die Unterzeichnung des
Sansibar-Helgoland-Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und England
am 1. Juli 1890, eine Art Tauschgeschäft. Helgoland
gehörte den Briten, wurde aber in Blick auf die
Rüstungspläne Deutschlands – speziell den
Aufbau der Marine – als strategisch wichtige Insel vor den
Küsten des Reiches in der Nordsee immer interessanter, so dass
man in einem Deal die bis dahin deutsche Insel Sansibar gegen die
britische Insel Helgoland tauschte. Dies führte zur
Empörung vieler national gesinnter Köpfe, die die
deutschen Kolonialinteressen nicht zur Genüge vertreten sahen.
Als Reaktion gründeten die Konzernherren
und späteren ersten Förderer Hitlers Emil
Kirdorf (1847-1938) und Alfred Hugenberg (1865-1951) sowie
andere am 28. September1890 die Alldeutschen, später unbenannt
in Alldeutschen Verband. Man verstand sich als sogenannter
»Agitationsverband«, der sich zur Aufgabe machte,
finanziell und ideologisch auf die Politik Einfluss zu nehmen. Knapp
ein Viertel der Mitglieder waren Unternehmer, knapp hundert
Verbände gehörten der Vereinigung korporativ an.
Kirdorfs und Hugenbergs Alldeutscher Verband
wünschte sich den Ausbau der Kriegsflotte in Hinblick auf eine
imperialistische Kolonialexpansion. Für das Deutschtum im
Ausland sollte gekämpft werden unter Berücksichtigung
des Rassegedankens, und man forderte »die Zusammenfassung
aller deutschen Elemente auf der Erde«. Der Alldeutsche
Verband entwickelte sich extrem antisemitisch und vertrat ein
Deutschtum auf dem Boden des Rassegedankens. Weiterhin forderte man
immer wieder die Bekämpfung von Reichsfeinden und
Minderheiten. Der Verband arbeitete auf den ersten Weltkrieg hin,
definierte die Kriegsziele und rief 1914 zu den Waffen. Der Alldeutsche
Verband, ist – im Gegensatz zu den meisten Vereinen und
Verbänden - nach 1933 von den Nazis weder verboten worden,
noch der Gleichschaltung zum Opfer gefallen. Wegen seiner der NSDAP
nahen Ideologie und wegen Kirdorf als eine seiner Gallionsfiguren
existierte der Alldeutsche Verband bis 1939, also noch knapp zwei Jahre
über den Tod Kirdorfs hinaus.
Übrigens: Die Gründung der DAP
1919, die sich am 24. Februar 1920 in NSDAP umbenannte, geht u.a.
zurück auf Anton Drexler, einen ehemaligen Werkzeugschlosser
bei den königlich Bayerischen
Staatsbahn-Centralwerkstätte in München; die
Initiative dazu hatte sein damaliger Mentor Dr. Paul Tafel ergriffen,
der Direktoriumsmitglied der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg
und Vorstandsmitglied des Bayerischen Industriellenverbandes war. Aber
Tafel war noch mehr, nämlich Spitzenfunktionär in
Kirdorfs Alldeutschen Verband.
Das Verbandsprogramm stammte aus der Feder von
Alfred Hugenberg. Man kann sagen: Mit Hugenbergs Eintritt in die erste
Hitlerregierung am 30. Januar 1933 wurde das Verbandsprogramm zum
faschistischen Regierungsprogramm.
Es war das Programm der Revanche für die
Niederlage 1918 und für die Beseitigung all dessen, was in der
Novemberrevolution errungen wurde.
Geheimbünde
der Schwerindustrie
Noch ein Geheimbund der Schwerindustriellen stand
bei dem Aufstieg der NSDAP Pate: Die »Wirtschaftsvereinigung
zur Förderung der geistigen
Wiederaufbaukräfte«. Das war eine zweite
Gründung, bei der Emil Kirdorf entscheidend beteiligt war und
die für den Aufstieg und die Machtergreifung der Nazis eine
große Rolle gespielt hat. Es war ein verborgen arbeitender
Zirkel von zwölf Personen aus der Schwerindustrie. Mit von der
Partie waren: Albert Vögler – späterer
Direktor des Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikats, Hermann
Winkhaus – Generaldirektor des Köln-Neuessener
Bergwerkvereins, Franz Heinrich Witthoefft –
Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank, Freiherr von und zu
Löwenstein – Geschäftsführer des
Vereins für die bergbaulichen Interessen, Eugen Wiskott
– sein Stellvertreter und neben einigen anderen
natürlich Emil Kirdorf und Alfred Hugenberg, der auch schon
bei der Gründung der Alldeutschen Hand in Hand mit Kirdorf
gearbeitet hatte und der von der jetzt zu gründenden
Vereinigung am stärksten profitieren sollte. Die
»Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen
Wiederaufbaukräfte« verstand sich als eine Reaktion
von Rechts auf die Novemberrevolution.
Durch die Ereignisse im November 1918 begann
nämlich der Umwandlungsprozess des monarchischen Kaiserreiches
zur Demokratie der damaligen Weimarer Republik, der man mit aller Kraft
entgegenwirken wollte. Man wollte nicht nur die Interessen der
Schwerindustrie vertreten, sondern darüber hinaus einen
national gesinnten Presse- und Propagandaapparat aufbauen. Es entstand
der Hugenbergkonzern mit der »Wirtschaftsvereinigung zur
Förderung der geistigen Wiederaufbaukräfte«
als dessen Dachgesellschaft.
Ausgestattet wurde der Hugenbergkonzern mit
33.329.401 Mark, bereitgestellt von der Friedrich Krupp AG, der
Gelsenkirchener Bergwerks AG, dem Zechenverband, der Phoenix AG
für Bergbau und Hüttenbetrieb, der Hugo Stinnes GmbH
und dem Rheinisch-Westfälisches Kohlensyndikat. Mit dieser
damals ungeheuren Summe baute Alfred Hugenberg, von 1909 bis 1918
Vorsitzender des Direktoriums des Finanzwesens der Firma Krupp, ein
Medienimperium auf, das zu dieser Zeit seinesgleichen suchte.
Hugenberg, Mitglied der rechtsnationalen DNVP, gilt als
Anhänger des so genannten Pangermanismus (einer ethnisch
begründeten Bewegung) und des Germanisierungsgedankens, der
vorsah, die außerhalb des Reiches lebenden Deutschen nach
Deutschland zu holen bzw. den Fremdvölkern den germanischen
Gedanken aufzuzwingen oder jene Völker zu verdrängen
und zu beseitigen.
Das schnell wachsende Medienimperium kaufte immer
mehr Zeitungen und Verlage auf, mit Vorliebe die des Scherl-Konzerns,
die seinerzeit die auflagenstärksten Printmedien im Reich
gewesen sind, des weiteren die Telegraphenunion, 1927 dann
schließlich die Ufa, die Hugenberg von da an als
Aufsichtsratsvorsitzender kontrollierte. Die anderen elf Herren der
»Wirtschaftsvereinigung zur Förderung der geistigen
Wiederaufbaukräfte«, unter ihnen Emil Kirdorf,
blieben stillschweigend im Hintergrund, hatten aber die Fäden
weiter in der Hand.
Das Hugenber‘gsche Medienimperium war
das größte in der Weimarer Republik und eines der
effektivsten Propagandamittel, erst der DNVP, die sich 1933 mit dem
Frontsoldatenbund »Stahlhelm« zur
»Kampffront Schwarz-Weiß-Rot«
zusammenschloss, später auch der NSDAP. Alle verfolgten das
Ziel, die Republik abzuschaffen und eine nationale Diktatur zu
errichten. Mit der Machtübergabe an die Nazis 1933 wurden Ufa
und die anderen Medien schließlich dem Propagandaministerium
Joseph Goebbels zur Verfügung gestellt.
Emil Kirdorf hat im Juli 1938 in Mülheim
an der Ruhr das Zeitliche gesegnet. Er war gern gesehener Gast bei
Hitler, wurde auf die Reichsparteitage als Ehrengast geladen, und
umgekehrt revanchierte sich Hitler mit Besuchen auf Kirdorfs Streihof
in Mülheim/Ruhr. Auch beim letzten Mal, aus Anlass von
Kirdorfs 90. Geburtstag, wurde Hitler mit einem pompösen
Fackelzug geehrt. Auch bei den Trauerfeiern auf Rheinelbe war er
zugegen.
Den Zweiten Weltkrieg hat Kirdorf nicht mehr
miterlebt, für viele ein Grund, in der Beziehung zu Hitler
eine reine Männerfreundschaft zu sehen und sich nicht weiter
mit dem Nazi Kirdorf auseinander zu setzen. Kirdorf selbst hat diesen
Krieg immer gewollt und alles dafür getan, dass er
geführt wird, indem er Hitler und seine Schergen mit den
nötigen finanziellen Mitteln ausstattete und alle
Gelegenheiten nutzte, ihn bei der Deutschen Industrie
salonfähig zu machen.
Zur Rolle der
Ruhrlade
Die für den Aufstieg Hitlers wichtigen
Vereinigungen erschöpften sich nicht in denen der Alldeutschen
und der Geistigen Wiederaufbaukräfte..
Es gab weitere mit wechselnden Zusammensetzungen.
Denn man war sich nicht immer grün. So wurden von den
Mitgliedern der Ruhrlade Friedrich Flick und Alfred Hugenberg
abgelehnt. Hugenberg konnte aber bei der Regierungsbildung 1933 nicht
umgangen werden.
Die genannten Verbände wurden durch eben
jene Ruhrlade und den Keppler-Kreis ergänzt, ferner
wäre der Industrieclub Düsseldorf zu nennen, womit
die Liste nicht vollständig wäre. Zur Ruhrlade:
Um sich im engsten Kreise vertraulich
über wichtige Fragen abzustimmen, schlossen sich im Januar
1928 zwölf Industrielle zusammen, die sich selbst als die
„maßgebenden Herren der westlichen
Industrie“ bezeichneten. Der Geheimbund mit geballter
krimineller Energie bestand immer aus zwölf Mitgliedern, so
zuletzt:
- Erich Fickler, (1874-1936) Harpener Bergbau AG,
Zechen Gneisenau und Scharnhorst-Direktor, Nazi-Finanzier, Teilnehmer
am Geheimtreffen 20.2.33, Sitz: Dortmund
- Karl Haniel,(1877-1944) Franz Haniel
& Cie., Gutehoffnungshütte, Vors. des Industrieclubs
Düsseldorf, Sitz Dabringhausen/Wermelskirchen
- Peter Klöckner, (1863-1940)
Klöckner-Werke, Sitz Duisburg
- Arthur Klotzbach, (1877-1938) von der Friedrich
Krupp AG, Essen
- Gustav Krupp von Bohlen und Halbach,
(1876-1950) Friedrich Krupp AG, Essen, Teilnehmer am Geheimtreffen
20.2.1933
- Ernst Poensgen, (1871-1949) Vereinigte
Stahlwerke, Sitz Düsseldorf
- Paul Reusch,(1868-1956)
Gutehoffnungshütte, Oberhausen
- Friedrich Springorum jun. (1880-1942) , Hoesch
AG Dortmund
- Fritz Thyssen (1873-1951) Duisburg
- Albert Vögler, (1877-1945) Vereinigte
Stahlwerke, Dortmund/Herdecke
Hinzu kamen noch Paul Silverberg, Rheinbraun
(dieser war Jude und musste sich Ende 1933 zurückziehen) und
Fritz Winkhaus, Hoesch AG (starb bald nach 1933)
Mit der „Ruhrlade“
und ihrem „engeren Kreis“, dem Krupp,
Klöckner, Reusch, Springorum, Thyssen, Vögler und
Poensgen angehörten, hat sich der langjährige
Dortmunder Stadtarchivar Gustav Luntowski in seinem Buch
„Hitler und die Herren an der Ruhr –
Wirtschaftsmacht und Staatsmacht im Dritten Reich“ befasst.
Er konnte aus bisher ungenutzten Quellen, darunter den Privatarchiven
der Herren der Ruhrlade, schöpfen und kam nicht umhin
festzustellen, daß „eine Mitverantwortung der
Industriellen für das nationalsozialistische
Unrechtssystem“ nicht zu verneinen sei. Stärkere
Urteile wären aufgrund des zusammengetragenen Materials
möglich gewesen, erschienen dem Historiker aber wohl nicht
opportun.
Das wirtschaftspolitische und allgemeinpolitische
Programm der Ruhrlade schrie geradezu nach einem Mann wie Hitler:
Tarifverträge allenfalls im Betrieb, also nicht
überbetrieblich, Beschränkung aller sozialen
Ausgaben, Verringerung der Arbeitslosenunterstützung und
„Kampf mit den Gewerkschaften mit aller
Schärfe“, so Paul Reusch
(Gutehoffnungshütte), der zusammen mit Albert Vögler
(Vereinigte Stahlwerke) als Scharfmacher und Wortführer
wirkte. Reusch weist im Jahre 1932 als Mitbesitzer die
Münchner Neusten Nachrichten an, hinter dem NSDAP-Organ
Völkischer Beobachter nicht sehr zurückzustehen, und
erklärt namens des Aufsichtsrates zur „vornehmsten
Aufgabe des Blattes“ die Pflege des „nationalen
Gedankens“. Seine Weisungen enthielten „die damals
in konservativen Kreisen allgemein vertretenen Positionen“
(so Luntowski), als da waren: „Ein ,großdeutsches
Reich' (Zusammenfassung aller geschlossen siedelnden Deutschen und
Anschluß Deutsch-Österreichs), Bekämpfung
des ,Systems von Versailles’ (benannt nach der
Kapitulationsurkunde von 1918) und der
,Kriegsschuldlüge’, Wiederherstellung der deutschen
Wehrhoheit, Revision der Ostgrenzen (Korridorfrage), Ablehnung des
demokratisch-parlamentarischen Systems von Weimar, schärfste
Bekämpfung des Marxismus, Unantastbarkeit des Privateigentums
usf.“.
Ähnliche Töne hatte Hitler am
27. Januar 1932 im Düsseldorfer Industrieklub angeschlagen.
700 anwesende Vertreter des Kapitals stimmten ihm zu.
Zur Entlastung des Großkapitals wird
heute gern angeführt: Die Industrielleneingabe von 1932 an
Reichspräsident Hindenburg zugunsten Hitlers sei ohne Wirkung
geblieben, erst nach dem 30. Januar 1933 seien die Industriellen auf
die Gegebenheiten eingeschwenkt, vorher hätten sie die
Zusammenarbeit mit der NSDAP verweigert. Tatsächlich aber
standen für die Nazipartei wie für einzelne Nazis
schon Jahre vor 1933 unzählige Finanztöpfe bereit.
Von der Eingabe an Hindenburg, mit der viele Wirtschaftsführer
für Hitler die Kanzlerschaft forderten,
veröffentlichte Luntowski in einer Ausstellung des Dortmunder
Stadtarchivs ein Begleitschreiben, mit dem die Herren Albert
Vögler, Paul Reusch und Fritz Springorum unter dem
Eingangsstempeldatum des Büros des Reichspräsidenten
vom 22. 11. 32 mitteilen, daß sie „voll und ganz
auf dem Boden der Eingabe stehen“.
IG Farben und
Friedrich Flick – und der Kepplerkreis
Durch Otto Köhlers Recherche wissen wir
von den gegenseitigen Hilfen von IG Farben und NSDAP im Sommer 1932,
und Luntowski benennt einen wichtigen Deal aus dem Bereich der
Schwerindustrie. Als Friedrich Flick – kein Mitglied der
Ruhrlade – seine wertlos gewordenen Gelsenbergaktien weit
überteuert an das Reich verkaufte und die Ruhrlade darin eine
Bevorzugung Flicks durch die Regierung Brüning und ein
Stück „Sozialisierung“ sah, da konnte
Flick auf die Zustimmung Görings und dann auch Hitlers
verweisen, weil sonst ein deutsches Werk unter Umständen in
polnische Hände geraten wäre. Es wird erkennbar,
daß die Harzburger Front vom 11./12. Oktober 1931, bestehend
aus Nazis und Nationalisten aller Schattierungen, von Reusch und Co.
begeistert aufgenommen wurde und die Rede des
Reichsbankpräsidenten a.D. Hjalmar Schacht
(„Möge der nationale Sturmwind, der durch
Deutschland geht, nicht ermatten“) auch die Rede der
Ruhrindustriellen war.
Auf die „nationalsozialistischen
Wirtschaftsideen“ mit all ihrer antikapitalistischen
Demagogie mußten sie jedoch noch mit
„Vernunft“ Einfluß nehmen. Reusch,
Schacht und Vögler vereinbarten 1932, „erprobte
Herren“ einzustellen und zu bezahlen, um die
Wirtschaftspolitik der Nazis „zu formen“. Dabei
wußten die drei Herren nicht, daß Hitler bereits
ein Jahr zuvor den badischen Chemiefabrikanten Wilhelm Keppler und
dessen zahlungskräftige Freunde gewonnen hatte, ihre
„wirtschaftspolitischen Anschauungen“ auf die NSDAP
wirken zu lassen. „Sie sollten zur Verfügung der
Partei stehen, ‚wenn wir zur Macht
kommen’.“ Und sie standen alle zur
Verfügung: 1932 beim Treffen im Düsseldorfer
Industrieklub, am 4. Januar 1933 beim Bankier von Schröder in
Köln und und am 7. Januar beim Treffen Hitlers mit Freunden
des Emil Kirdporf in Mülheim und bei Treffen der Ruhrlade am
selben Tag in Dortmund. Und schließlich dann am 20. Februar
1933 in Berlin. Bereits im Dezember 1932 war in einem vertraulichen
Bericht aus dem „Verein zur Wahrung der gemeinsamen
wirtschaftlichen Interessen in Rheinland und Westfalen“
(Langnamverein) konstatiert worden, „daß fast die
gesamte Industrie die Berufung Hitlers, gleichgültig unter
welchen Umständen, wünscht“. (Aufgefunden
im Bundesarchiv, bei Luntowski S. 80)
Gedenktafel in
Köln
Eine Gedenktafel der Stadt Köln befindet
sich seit 1996 vor dem Hause Stadtwaldgürtel 35. Sie
trägt im Stile der Stolpersteine die Inschrift:
„Hier, im Haus des Privatbankiers Kurt Freiherr von
Schröder, trafen sich am 4. Januar 1933 Adolf Hitler und Franz
von Papen, um über eine Regierungsbildung zwischen
Nationalsozialisten und Rechtskonservativen zu beraten. In einem
Gespräch wurden die Weichen für Hitlers Ernennung zum
Reichskanzler am 30. Januar 1933 gestellt und die Voraussetzungen
für die menschenverachtende Diktatur der Nationalsozialisten
geschaffen. Kurt von Schröder unterstützte bereits
vor 1933 die Ziele des Nationalsozialismus und organisierte nach 1933
finanzielle Leistungen der deutschen Wirtschaft an die SS.“
Als sich schließlich am 20. Februar 1933
Hitler und Göring in Berlin mit der Spitze des Reichsverbandes
der Deutschen Industrie (Vorsitzender: Gustav Krupp von Bohlen und
Halbach) treffen, sagt Hitler: „Wir stehen jetzt vor der
letzten Wahl. Sie mag ausgehen wie sie will ... Wenn die Wahl nicht
entscheidet, muß die Entscheidung eben auf einem anderen Wege
fallen ... oder es wird ein Kampf mit anderen Waffen geführt
werden, der vielleicht größere Opfer fordert
...“ Nach dieser offenen Darlegung seiner
Putschpläne für den Fall einer Wahlniederlage spenden
die rund 20 geladenen Industriellen für den Wahlkampf der
NSDAP drei Millionen Reichsmark. Das sind nach heutigem Geld rund 22
Millionen Euro. (Womit man schon einiges ausrichten konnte. Die
Wahlmaschinen damals waren ja längst nicht so kostspielig wie
heute.)
Krupp fertigt abends eine Notiz über die
Begegnung an: „Ruhe in der inneren Politik: keine weiteren
Wahlen. ... Ermöglichung der Kapitalbildung. ...
Dementsprechend Entlastung von Steuern und öffentlichen
Lasten.“ Gegen den gegen die Arbeiterschaft
ausgeübten Terror hatte niemand an jenem Tag
Einwände, auch nicht gegen die beginnenden antisemitischen
Pogrome.
Die Aufrüstung, die Vorbereitung auf den
Krieg und die Eroberung neuen „Lebensraums“ konnten
beginnen. Sodann die Sklavenarbeit von Millionen Menschen, die nach
Kriegsbeginn „ins Reich“ geholt wurden, wo sie die
Profite der Industriellen mehrten. Luntowski findet am Schluß
für alles eine Entschuldigung: „Vielmehr scheint ihr
Handeln letztlich fast allein von der Sorge um Bestand und Fortexistenz
ihrer Unternehmen bestimmt gewesen zu sein.“ Diese
„Fortexistenz“ des Kapitalismus brachte 55
Millionen Menschen den Tod. Und sie machte die Konzerne reicher als je
zuvor, sie gingen reicher aus dem Krieg heraus als hinein.
Tooze
über das Treffen vom 20. Februar 1933
Der US-amerikanische Historiker Adam Tooze geht
sehr viel kritischer mit den Herren um, die sich da bei Göring
trafen. Er lässt deutlich werden, dass auch die aufgenommenen
Beziehungen von Industrie und Kapital zum deutschen Faschismus aus der
Zeit Januar 33 bis Juni 34 geeignet waren, das Regime entscheidend zu
stärken, ja seine Existenz zu sichern. Industrie und Kapital
hätten es auch nach dem 30. Januar 33 noch in der Hand gehabt,
den Faschismus auszuschalten, wenn sie nur gewollt hätten. Sie
wollten nicht, denn ihr politisches und ökonomisches Programm
glich viel zu sehr dem der Nazis.
Ich verweise auf Seite 129 bei Tooze
(„Ökonomie der Zerstörung“)
über das wenig bekannte
»Spenden-Rendezvous« Hitlers mit der
Schwerindustrie drei Wochen nach der Machtübergabe:
„Einmal ganz abgesehen von den Folgen, zählt dieses
Treffen vom 20. Februar [1933] zu den berüchtigtsten
Beispielen für die Bereitschaft des deutschen
Großunternehmertums, Hitler bei der Aufstellung seines
diktatorischen Regimes beizustehen.« ... »Krupp und
Konsorten (wurden) von Hitler nie gezwungen, sich seinem
gewalttätigen Antisemitismus oder seinen
Eroberungsplänen anzuschließen.«
Entscheidend war das, was Hitler den Industriellen
versprochen und schließlich auch durchgesetzt hatte:
»Das Ende der parlamentarischen Demokratie und die
Vernichtung der deutschen Linken« (S. 129). Die
»gesunden Profite« lockten. Tooze eindeutig:
»Und für genau dieses Versprechen leistete ein hoher
Prozentsatz der deutschen Großindustrie gerne eine
gehörige Anzahlung« (ebd.).
Besonders
Rolle von Krupp in 1932/33 – Der Preußenschlag
Einige Bemerkungen sollen noch zu Krupp von Bohlen
und Halbach gemacht werden, der sich im Februar so zufrieden Notizen
machte. Von ihm wurde gesagt, er habe sich vor dem 30. Januar 1933 der
Kanzlerschaft Hitlers wiedersetzt. Andererseits war er mit den anderen
Herren von der Ruhr entscheidend, was das Schicksal Deutschlands
anbetraf. Nicht die Berliner Politik, sondern die Wirtschaft an der
Ruhr waren in jenen Jahren die Schaltstellen, auf die es ankam. Sie
waren die aggressivsten und am meisten reaktionären Kreise des
Finanzkapitels, von denen die KI sprach, wobei mit Finanzkapital die
Schwerindustrie in Verbindung mit dem Bankkapital gemeint war. Gehen
wir noch einmal ein halbes Jahr zurück.
Mit Beginn des Sommers 1932 steuerte die Krise der
Weimarer Republik auf eine Entscheidungssituation zu. Das
»Kabinett der Barone«, das an der Regierung war,
geriet gleich von mehreren Seiten unter Zugzwang. Kreise der
Wirtschaft, des Großgrundbesitzes, die
Reichswehrführung und der Klüngel um den senilen
Reichspräsidenten, die einen Franz von Papen wegen seiner
politischen Skrupellosigkeit in den Sattel gehoben hatten, erwarteten
nun, dass er dort, wo Brüning mit seiner Notverordnungspolitik
gescheitert war, weitermachte, um der Weimarer Demokratie den Rest zu
geben. Hinzu kam, dass die Kommunisten seit Mai des Jahres mit ihrer
Antifaschistischen Aktion offenbar zu einer Politik gefunden hatten,
mit der die außerparlamentarische Einheitsfront auch bei
sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Anhängern Resonanz
fand. Das »Bollwerk Preußen« mit einer
sozialdemokratisch geführten Regierung (im
größten Land des Reiches!), mit seinen 90 000
Schutzpolizisten unter dem Befehl des SPD-Innenministers und starken
Mannes der Sozialdemokratie, Carl Severing, musste geschliffen werden,
ehe sich die Arbeiterparteien noch näher kamen. Dazu bedurfte
es außer der Macht und des Vertrauens des
Reichspräsidenten, die dieser mit dem Notverordnungsartikel 48
hatte, zweier Voraussetzungen: erstens der Unterstützung der
zur Massenpartei gewordenen Nationalsozialisten, die seit der
Landtagswahl am 24. April 1932 zwar die größte
Fraktion stellten, aber nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit
für die Regierungsbildung zusammenbekamen, weshalb man also
andere Wege finden musste, um die Braun-Severing-Regierung zu verjagen.
Und zweitens war innenpolitisch eine chaotische Situation zu schaffen,
die den Vorwand für die Reichsexekutive zu liefern hatte. Dies
Chaos besorgten die Nazis mit ihren provokatorischen
Aufmärschen und ihren Mordaktionen.
Es lag das dringende Ersuchen Friedrich von Krupps
und die Forderung Hitlers vor, gegen die SPD-Macht anzugehen. Von Papen
hatte als Kanzler Blankovollmacht zur Absetzung der
Preußischen Regierung und brauchte nur noch das Datum und
neben die Unterschrift von Hindenburg die eigene zu setzen:
»20. Juli, Der Reichskanzler von Papen.« Es
erfolgte die Absetzung der Regierung und Krupp beorderte den Essener
Oberbürgermeister Franz Bracht in die neue Regierung als
Innenminister. Dieser sicherte dem Vorgänger mit vollendeter
Höflichkeit zu, er werde am Abend mit zwei Polizeioffizieren
erscheinen und die Amtsübergabe wie gewünscht
»mit Brachialgewalt« erzwingen. Darauf hatten die
SPD-Leute bestanden, um ihr Gesicht zu wahren. (Hätten die
aufs Äußerste erregten und kampfwilligen sozialdemokratischen
Massen in diesen entscheidenden Stunden die Möglichkeit
gehabt, die Beratungen ihrer Führungsgremien zu verfolgen,
wäre die Geschichte vielleicht anders verlaufen.) Die
SPD-Führer blieben auch nach dem 20. Juli 1932 bei
einer Politik, die angeblich die Demokratie und die Verfassung zu
verteidigen versprach, indem man immer neue Schritte zu ihrer
Aushöhlung »tolerierte«, weil dies eine
Nazi-Diktatur verhindere.
Die Krupps und auch die NSDAP-Führung
waren mit dem Verlauf der Aktion hoch zufrieden. Ihnen war im
Unterschied zu den Spitzen von SPD und Gewerkschaftsbund klar, dass
hier ein Staatsstreich stattgefunden und die sozialdemokratische Linke
wie gehofft stillgehalten hatte. Der Arbeiterbewegung war das
moralische Rückgrat gebrochen. Die Generalprobe für
den Marsch ins »Dritte Reich« war gelungen und das
Schicksal der Weimarer Demokratie entschieden. Und zwar lange vor dem
30. Januar 1933.
Wie bei der
Errichtung der Nazidiktatur war auch an ihrem Ende die
Großindustrie nicht untätig.
Das 20.-Juli-Attentat gegen Hitler war
gescheitert. Die verbleibenden neun Monate bis zur Befreiung am 8. Mai
waren angefüllt mit beispiellosem Terror gegen die in- und
ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter, denen die Nazis
einen Aufstand zutrauten. Andererseits unternahmen Vertreter der SS und
des Himmler-Freundeskreises der Wehrwirtschaftsführer
Anstrengungen, um Einfluss auf die Entwicklung hin zum Kriegsende zu
nehmen. Konservative Politiker und Manager, die keine
systemverändernden Aktivitäten erwarten
ließen, wurden geschont, ja sogar geschickt ins Spiel
gebracht. Schon am 10. August 1944, gleichzeitig mit den
Massenverhaftungen im Rahmen der Aktion "Gitter' und den
Massenhinrichtungen im Gefolge des 20. Juli 1944, fand laut US
Geheimdienstberichten im Straßburger Hotel Maison ein
Geheimtreffen von Vertretern der SS und großer Konzerne
statt. Repräsentanten des "Freundeskreises SS" aus Firmen wie
Krupp, IG Farben, Messerschmidt, Siemens, Daimler Benz, AEG, Flick AG,
Dr. Oetker, Wintershall und Bosch schufen einen Fonds, der das
Überleben der deutschen multinationalen Unternehmen wie auch
vieler SS Führer sichern sollte. Gestapo Müller
beispielsweise wurde aufgrund dieser Verabredung im Ausland
versteckt und nie gefasst. Und nicht nur die genannten
Unternehmen, auch das von ihnen repräsentierte
Wirtschaftssystem überlebte.
Die Wirtschaftsführer wurden also in
jenen Wochen und Monaten von der SS behütet und
geschützt. Mit ihnen diskutierte man sogar ein Thema, das
anzuschneiden für alle übrigen Deutschen den Kopf
kostete: Wie soll es weitergehen nach dem verlorenen Krieg? Oder. Wie
arrangieren wir uns mit dem Westen jetzt oder später?
An der Beantwortung dieser Frage hatte man bereits
seit der Wende im Krieg gegen die Sowjetunion gearbeitet. Experten der
Wirtschaftspolitik. Wilhelm Zangen, Chef von Mannesmann und der
"Reichsgruppe Industrie", erörterten sie mit
SS-Brigadeführer Otto Ohlendorf, der sowohl
Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium als auch Chef
des Sicherheitsdienstes Inland der SS war. Es ging um den Fortbestand
des Kapitalismus und um die Wiedererlangung der Vormacht Deutschlands
in Europa. Die "Reichsgruppe Industrie" hatte ein "Institut
für Industrieforschung" geschaffen, dem der spätere
westdeutsche Wirtschaftsminister und Bundeskanzler Ludwig Erhard
vorstand. In Erhards Denkschriften für Zangen und Ohlendorf,
die er diesen auch mündlich erläuterte, ging es um
die "Aufrechterhaltung der sozialwirtschaftlichen Ordnung".
Der
US-Geheimdienst und die SS
In der UZ vom 21. April 2017 („CIA
– Die Lizenz zum Massenmord“ von Klaus Wagener)
stand eine sehr gute Analyse des Zusammenspiels US-amerikanischer
Geheimdienstleute in der Schweiz mit der SS. Man war nicht der Meinung,
dass es eine „bedingungslose Kapitulation“
Deutschlands geben sollte, wie die Regierungen in Moskau, London und
Washington sie vorgesehen hatten. SS und OSS (mit dem späteren
CIA-Direktor Allen W. Dulles an der Spitze) suchten nach Wegen zu einem
Separatfrieden; auch Churchill und Montgomery spielten mit dem
Gedanken, die SS und Wehrmacht nicht zu entwaffnen, sondern
für einen möglichen Osteinsatz bereit zu halten.
Die Historikerin Dr. Gabriele Lotfi, aber auch wir
von der VVN-BdA haben neue Informationen über einen bisher
nicht erforschten Zweig des NS-Terrorsystems vorgelegt und zudem noch
die Mittäterschaft, ja sogar die Initiative der deutschen
Industrie beim Vorgehen gegen deutsche und ausländische
Arbeiterinnen und Arbeiter besonders während des Krieges
nachgewiesen. Wir ermittelten Durchgangsstationen, zu denen vor allem
russische Zwangsarbeiter aus dem Ruhrgebiet gebracht wurden, um dann
z.B. in der Bittermark und im Rombergpark im März und April
1945 ermordet zu werden.
Die deutsche Industrie hat sich in der Nazizeit
schwerster Verbrechen an in- und ausländischen Arbeiterinnen
und Arbeitern schuldig gemacht. In 200 Arbeitserziehungslagern und
anderen Folterstätten, die in Komplizenschaft mit
örtlichen SS- und Gestapostellen geschaffen wurden, hat "die
deutsche Wirtschaft" während der Kriegszeit ständig
rund 40.000 Arbeiter unter grausamsten Bedingungen für viele
Wochen eingepfercht. Der Industrie, so wird in der Untersuchung
festgestellt, lag an einer "raschen und effektiven Bestrafung" von, wie
es im Nazi Jargon hieß, "Arbeitsvertragsbrüchigen".
Sie war daher bereit, in Zusammenarbeit mit der örtlichen und
der regionalen Gestapo die Arbeitserziehungslager zu finanzieren und
sogar Wachpersonal dafür bereitzustellen.
Tausende Opfer wurden ermordet, besonders viele
Tote wurden in den letzten Kriegsmonaten gezählt, da die
Gestapo einen Arbeiteraufstand und "einen Dolchstoß"
befürchtete. Gegen die deutschen und ausländischen
Aktiven der Arbeiterbewegung handelten Wirtschaft und Nazis gemeinsam.
Dissens gab es in der Frage, ob die ökonomischen Werte dem
Feind in die Hände fallen sollten. Industrielle, die
Mitglieder des Freundeskreises der SS waren, erreichten es,
daß Hitler seinen "Nero"-Befehl zur Zerstörung aller
Industriebetriebe, Vorräte und Verkehrswege
zurücknahm, den er am 19. März 1945 erlassen hatte.
Nichts von Wert sollte dem Feind in die Hände fallen, meinte
Hitler. Industrielle wirkten über den
Rüstungsminister Albert Speer jedoch auf Hitler ein, der einen
neuen Führerbefehl erließ. Joachim Fest, der
Hitler-Biograph (und Hitler-Beschöniger), hat eine Albert
Speer-Biographie verfaßt, und in einer Lesung schildert Fest
die entscheidende Begegnung Speers mit Hitler so: "April 1945 in der
Reichskanzlei. Speer, Architekt und Rüstungsminister, war
längst geflohen. Er kehrt noch einmal in die Hauptstadt
zurück, obwohl die Alliierten Berlin fast eingenommen hatten
und der Minister gegen zahlreiche Anordnungen Hitlers
verstoßen hatte. Mit belegter Stimme habe Speer dem
Führer seine Befehlsverweigerungen gestanden. Hitler behielt
nur mühsam die Fassung.» (WAZ, 29. 1. 2000) Aber
Hitler hörte auf Speer und seine industriellen
Hintermänner! Während die Massenexekutionen an den
Arbeiterfunktionären noch anhielten, erreichten
Generalfeldmarschall Walter Model am 5, April 1945 Anweisungen
über die "Aufrechterhaltung der Industrie" an der Ruhr. Das
war das Ende des Nero-Befehls und es war wie einst
im Frühjahr 1933: Die Nazis vernichten die
Funktionäre der Arbeiterbewegung und erhalten den Segen der
Industrie.
Ein Kriegsende
wie 1918 sollte vermieden werden – und Tausende starben
Die Morde wie auch die Massaker in den
Konzentrationslagern und auf den Todesmärschen von den KZ nach
Westen entsprachen dem Nachkriegs- und Überlebenskonzept des
deutschen Faschismus. Gestapo Chef Heinrich Müller
erklärte der Frau von Graf Moltke: "Wir werden nicht den
gleichen Fehler machen, der 1918 begangen wurde. Wir werden unsere
innerdeutschen Feinde nicht am Leben lassen." Nazigauleiter August
Eigruber begründete einen Befehl, Häftlinge im KZ
Mauthausen zu ermorden, mit den Worten: Die Alliierten dürften
"keine aufbauwilligen Kräfte" vorfinden. Zugleich ging es
darum, Zeugen der Naziverbrechen zu beseitigen. Dass die Leichen der
beseitigten Zeugen dann doch auch Zeugnis von den Verbrechen ablegten,
wog nicht so schwer. Die Naziverbrecher konnten sich darauf verlassen,
daß der kommende Rechtsstaat die Einzelfallprüfung
vornehmen würde. Somit genügte es nicht, der
Mörderbande angehört zu haben, man musste auch beim
Morden von Zeugen gesehen worden sein und diese Zeugen waren dann nicht
mehr am Leben.
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