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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

09.05.2017

Von „Krupp und Krause“ zu „Krupp und Rattai“

Ehrung eines Widerstandskämpfers und Entlarvung eine hochgeehrten Kriegsverbrechers

Ein traditionelles Gedenktreffen zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung, erlebte diesmal eine bemerkenswerte Besonderheit. Die Essenerin Margret Rest (67 Jahre, Vertreterin der VVN-BdA) stellte den Entwicklungsweg ihres Vaters, des Widerstandskämpfers Willi Rattai dem des ebenfalls in Essen wirkenden Schwerindustriellen und Kriegsverbrechers Krupp von Bohlen und Halbach gegenüber. Auf der traditionellen Internationalen Gedenkkundgebung am 6. Mai in Esterwegen führte sie aus:

Liebe Kameradinnen und Kameraden, liebe Freundinnen und Freunde, werte Gäste!

Viele Häftlinge aus den Moorlagern kamen aus dem Ruhrgebiet. Daher möchte ich Ihnen heute über das Leben meines Vaters und die parallel laufende Geschichte einer Firma aus Essen erzählen.

Mein Vater, Willi Rattai wurde 1913 als jüngstes von 7 Kindern einer Bergarbeiterfamilie geboren.

Bereits zu diesem Zeitpunkt fertigte die Firma Krupp die sogenannte „Dicke Berta“. Eine Kanone, die hier in Meppen getestet wurde und im 1. Weltkrieg der Firma bereits große Gewinne einbrachte, indem sie dieses Kriegsgerät an beide verfeindeten Staaten England und Deutschland verkaufte. Auf den Schlachtfeldern Europas wurden die Menschen damit umgebracht.

Nach diesem Krieg hatte man die Hoffnung, daß sich die Situation der arbeitenden Menschen zum Positiven wenden würde. Um daran mitzuwirken, schloß sich mein Großvater der SPD an.

Bald jedoch stieg die Arbeitslosigkeit dramatisch an. Hervorgerufen u.a. durch eine weltweite Bankenkrise und die dadurch entstandene Inflation. In dieser Zeit entwickelte die Firma Krupp, entgegen dem Versailler Vertrag, bereits einen Kampfpanzer.

Margret Rest in EsterwegenDa auch mein Vater diese bedrohliche Entwicklung sah, schloß er sich bereits in jungen Jahren dem kommunistischen Jugendverband an und hatte bereits Ende der 20er Jahre manch schmerzliche Auseinandersetzung mit faschistischen Gruppierungen. Nachdem im Januar 1933 Hitler die Macht übertragen bekam, warnte er bereits zu diesen Zeitpunkt zusammen mit jungen Krupparbeitern auf einem Flugblatt vor einem neuen Krieg. Sie sahen die bereits anlaufenden Rüstungsproduktionen im Werk in Essen. Wie recht sie damit hatten, bereits 6 Jahre vor Kriegsbeginn. Da Willi Rattai als Gegner der Faschisten in seinem Stadtteil bekannt war, mußte er sofort bei Machtantritt der Nazis untertauchen.

In dieser Zeit fand bereits im Februar 1933 eine Zusammenkunft Adolf Hitlers mit  27 Industriellen statt. Sie berieten, wie sie den Wahlkampf der NSDAP unterstützen konnten. Mehr als 3 Millionen Reichsmark sind nachweisbar für die Reichstagswahl im März 1933 von der Wirtschaft gespendet worden.

Auch wurde bereits 1933 die sog. „Adolf-Hitler-Spende“ der deutschen Wirtschaft eingerichtet. Angeregt wurde diese Spendenaktion für die NS-Bewegung von Gustav Krupp von Bohlen und Halbach  und Martin Bormann. Krupp, IG-Farben, Flick, Thyssen und andere  zahlten über diese Spende jährlich über 60 Millionen Reichsmark.

Im August 1933 wurde mein Vater auf dem Rückweg aus Holland, wo er an einer Konferenz teilgenommen hatte, vor einem illegalen Büro in Essen verhaftet und in das Essener Polizeigefängnis gebracht. Dort wurde der knapp 20ig-jährige fürchterlich gefoltert und in einer Einzelzelle fast 1 Jahr gefangen gehalten. Durch einen Zufall erfuhr er, daß zeitweilig ein Zellennachbar der Zentrumsabgeordnete und ehemalige preußische Wohlfahrtsminister Heinrich Hirtsiefer war. Er wurde genauso gefoltert wie der junge kommunistische Arbeiter.

Ein Jahr später, im August 1934, verurteilte das Oberlandesgericht Hamm meinen Vater zu 2 ¼ Jahren Gefängnis. Im November 1935 sollte er aus dem Gefängnis in Bochum entlassen werden. Er kam jedoch sofort als sog. Schutzhäftling hier ins Konzentrationslager Esterwegen.

Ein Jahr verbrachte er hier im Lager, ehe er 1936 ins KZ Sachsenhausen und anschließend noch im KZ Buchenwald inhaftiert wurde.

Die Produktion von Kriegsmaterialien bei der Firma Krupp lief in dieser Zeit enorm an. Von 1935 – 1941 stiegen die offiziell ausgewiesenen, in Wirklichkeit aber wesentlich höher anfallenden Gewinne von 57 auf 111 Millionen Reichsmark an.

Durch eine sog. Weihnachtsamnestie kam mein Vater Ende 1937 wieder nach Essen, mußte sich jedoch alle 2 Tage bei der Gestapo melden. Als am 1. September 1939 die Wehrmacht in Polen einmarschierte, kam er noch einmal kurze Zeit in das KZ Sachsenhausen

Mit dem Überfall auf Polen konnte auch Krupp seine wirtschaftlichen Expansionen vorantreiben. Dem Krupp-Konzern gehörte eine Zünderfabrik im Umfeld von Auschwitz an, für die das Vernichtungslager die Arbeitssklaven lieferte. Bereits 1940 hatten sich 3 Ruhrindustrielle, darunter Alfried Krupp von Bohlen und Halbach in Düsseldorf getroffen. Am 10. März überschritt die Wehrmacht die Grenzen zu Holland, Belgien und Luxemburg und bewegte sich auf Frankreich zu. Die Beute in diesen Ländern war bereits untereinander aufgeteilt worden. Sobald die Faschisten neue Gebiete überfielen, meldete Krupp sein Interesse an. So ging es um die Nickellager in Norwegen und Finnland, sowie die Erzgruben in Serbien bzw. Griechenland. In der Sowjetunion übernahm er z.B. eine Maschinenfabrik in Kramatorsk sowie ein Röhrenwerk in Mariupol.

Nachdem mein Vater zuerst den sog. Wehrausschließungsschein erhalten hatte, der angestrebte Blitzkrieg jedoch scheiterte, mußte mein Vater doch noch Soldat werden.

Da die meisten Männer an der Front waren, konnte die Produktion in den Betrieben nicht gesichert werden. Da fragte die deutsche Industrie bei der SS nach Zwangsarbeitern. Die Firma Krupp wurde bevorzugt behandelt. Die ersten Zwangsarbeiter kamen 1942 aus Polen. Bei Razzien waren sie zusammengetrieben worden und in der Gussstahlfabrik in Essen eingesetzt.1943 scheuten sich die Krupps nicht einmal polnische Kinder im Alter von 12 bis 17 Jahren auszubeuten. In den 81 Fabriken des Krupp-Konzerns arbeiteten von 1940 bis 1945 ca. 70.000 Zwangsarbeiter, 5.000 KZ Häftlinge und 23.000 Kriegsgefangene. Der allgemeine Gesundheits- und Ernährungszustand dieser Menschen war katastrophal. In einem Brief beschwerte sich selbst die SS bei der Firma, da durch die Mangelernährung zu viele starben und man nicht so schnell neue Arbeitssklaven heranschaffen konnte. Selbst als im März 1945, die Amerikaner bereits vor den Toren der Stadt Essen standen, schickte man noch 520 jüdische Ungarinnen, die jeden Tag im Walzwerk in Essen hatten arbeiten müssen, auf den Todesmarsch nach Bergen Belsen, den viele nicht überlebten.

Nach kurzer Kriegsgefangenschaft kehrte mein Vater bereits Mitte 1945 nach Essen zurück.

In Essen war der Kommunist und Widerstandskämpfer Heinz Renner Oberbürgermeister geworden und wieder hatte man die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang.

Alfried Krupp wurde 1948 in Nürnberg der Prozeß gemacht. Das Urteil lautete auf 12 Jahre Haft und Einziehung seines gesamten Vermögens wegen Sklavenarbeit und Plünderung von Wirtschaftsgütern im besetzten Ausland.

Es dauerte jedoch nicht lange und der kalte Krieg und die Wiederverwendung alter Nazis und Wirtschaftsführer in Staat und Wirtschaft brachten auch Alfried Krupp Ende Januar 1951 die vorzeitige Haftentlassung  mit der feierlichen Erklärung, nie wieder Waffen zu produzieren. Außerdem wurde die Beschlagnahme seines Vermögens 1953 rückgängig gemacht.

Im gleichen Jahr wollen tausende Jugendliche in Essen gegen die Wiederaufrüstung demonstrieren. Die Veranstaltung wird verboten. Da jedoch die meisten bereits nach Essen unterwegs sind, formiert sich ein Demonstrationszug. Am 11. Mai 1951 wird der junge Antifaschist Philipp Müller in Essen von der Polizei erschossen.

Mein Vater arbeitete in den 50er Jahren für die deutsche Friedensgesellschaft. Dafür war es notwendig, auch ins Ausland zu reisen. Die Behörden der Stadt Essen verweigerten jedoch die Ausstellung eines Reisepasses mit der Begründung: „Der Antragsteller gefährdet die innere und äußere Sicherheit der Bundesrepublik. Als politisch aktiv eingestellte Persönlichkeit ist er bestrebt, die westdeutsche demokratische Grundordnung zu untergraben.“ Als 1958 die deutsche Friedensgesellschaft verboten werden sollte, fanden bei uns Hausdurchsuchungen statt. Der spätere Justizminister von NRW, der Essener SPD Abgeordnete Diether Posser war der Verteidiger. Der Verbotsantrag kam nicht durch.

Viele ehemalige Häftlinge in der Deutschen Bundesrepublik bekamen sogar ihre Verfolgtenrente aberkannt, weil sie nach wie vor zu ihrer Partei standen, die 1956 in der BRD verboten wurde.

2013 wurde das 50ig jährige Bestehen der deutsch-französischen Freundschaft groß gefeiert.  In den KZ's hatten die  Häftlinge bereits Solidarität mit allen Menschen, egal aus welchem Land, geübt. Daher hatte die VVN aus Essen bereits 1961 mit ehemaligen Häftlingen und deren Angehörigen aus Ivry bei Paris Zusammenkünfte vereinbart. 1962 war ein vollbesetzter Bus aus Frankreich angekommen um ein Kulturfest zu feiern. Aber die französischen Widerstandskämpfer und Zwangsarbeiter waren in Essen nicht willkommen, die Veranstaltung wurde von der Essener Polizei verboten.

Alfried Krupp von Bohlen und Halbach wurde in dieser Zeit wieder der reichste Mann Deutschlands. Am 30. Juli 1967 starb er. Die Firma ging in eine Stiftung über.

Alle Nachkriegsvorsätze, in Deutschland eine friedliche Entwicklung einzuleiten, wurden schnell vergessen. Mit dem heutigen Nachfolger Thyssen/Krupp entstand ein neuer Rüstungsgigant, der die verhängnisvolle Tradition seiner Vorläufer fortsetzt. Seine Spezialitäten: U-Boote und Marine-Überwasserschiffe. Zusammen mit Krauss-Maffei Wegmann, zuständig für die Panzerproduktion, hat sich die Bundesrepublik den zwielichtigen Ruhm erworben, im Rüstungsexport an dritter Stelle in der Welt zu stehen.

Menschen aus  Nahost und Afrika fliehen u.a. vor deutschen Waffen. Deutsche Antifaschisten

bekamen Asyl in vielen europäischen Ländern. Wir sind es diesen Flüchtlingen schuldig, sie

aufzunehmen genauso wie andere europäische Länder auch.

Mein Vater Willi Rattai war lange Vorsitzender der VVN/BdA Essen und hat bis zu seinem Tod 1997 gegen den neu erstarkten Faschismus und Nationalismus aufbegehrt.  

Heute fragt man sich oft, warum haben sich nicht die Arbeiterparteien zusammen mit den Kirchen bereits Ende der 20er Jahre verständigt und das Gericht die damals noch zahlenmäßig kleine NSDAP verboten. Aber hat man daraus gelernt? Neofaschisten, Nationalisten und Rassisten sind in ganz Europa auf dem Vormarsch. In Deutschland wird eine offen faschistische NPD wegen angeblicher Bedeutungslosigkeit nicht verboten. Dieses Urteil beflügelt auch die AFD ihr menschenverächtliches Gedankengut auszubreiten.

Mein Vater und all diejenigen, die das KZ überlebt haben, jede Stunde den Tod vor Augen, sie haben uns gewarnt: Unterschätzt sie niemals! Sie haben uns erzählt, wie es angefangen hat. Noch einmal: Warum lernt man nichts daraus?!

Eine weitere Rede von Margret Rest, siehe hier: http://www.essener-friedensforum.de/17-02-25RedeMargretVVN.pdf