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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

09.05.2017

„Den Schwur von Buchenwald Wirklichkeit werden lassen“

Die Rede von Günter Pappenheim zu seiner Auszeichnung durch die Republik Frankreich

Am 27. Januar 2017 wurde Günter Pappenheim auf Erlass des Präsidenten der Französischen Republik zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt. Pappenheim ist ehemaliger Häftling Nummer 22514 im KZ Buchenwald, Vorsitzender der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald -Dora und Kommandos und Mitglied des Ehrenpräsidiums der FIR. Die Ernennung nahm der Botschafter Frankreichs in der BRD, Philippe Etienne, in Erfurt vor. Zu dem Auszeichnungsakt hatte der Präsident des Thüringer Landtages, Christian Carius, eingeladen, der die Begrüßungsrede hielt. Anwesend waren  Benjamin-Immanuel Hoff, Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Persönlichkeiten der im Landtag vertretenen Parteien, des gesellschaftlichen Lebens sowie Kamerad/innen der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora sowie der VVN-BdA. Günter Pappenheim hielt eine eindrucksvolle Rede und enthüllte dabei erstmals den Verfassungsschutzskandal um die Beleidigung der Häftlinge von Buchenwald durch die vereinigten Verfassungsschutzämter.

Hier der Wortlaut seiner Rede:

Günter Pappenheim: Rede zum 27. Januar 2017

Sehr geehrter Herr Präsident des Thüringer Landtags, Christian Carius,
sehr geehrter Herr Minister und Chef der Staatskanzlei, Benjamin Immanuel Hoff,
sehr geehrter Herr Botschafter der Französischen Republik in Deutschland, Exzellenz Philippe Etienne,
sehr geehrter Herr Präsident des Internationalen Komitees Buchenwald Dora und Kommandos, Dominique Durand,
sehr geehrter Herr Generalsekretär der Association Française Buchenwald Dora et Kommandos, Oliver Lalieu,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kameradinnen und Kameraden,
liebe Freundinnen und Freunde!

Es war für mich eine große Ehre zu erfahren, dass mich das Staatsoberhaupt der Französischen Republik, François Hollande, mit Dekret vom 20. Juli 2016 zum Kommandeur im Nationalen Orden der Ehrenlegion Frankreichs ernannt hat.

Sie werden verstehen, dass mich die hohe Auszeichnung der Französischen Republik auf das Tiefste berührt und mit größter Dankbarkeit erfüllt.

Sehr verehrter Herr Botschafter, ich bitte Sie herzlich, dem Staatspräsidenten Frankreichs meinen Dank für seine Entscheidung zu übermitteln, mir diese hohe Ehre zuteil werden zu lassen.

Ich danke allen französischen Kameradinnen und Kameraden aus dem Internationalen Komitee Buchenwald-Dora und Kommandos, die diese Entscheidung vorzubereiten halfen und denke dabei insbesondere an  Guy Ducoloné und Floréal Barrier, die das leider nicht mehr erleben können.

Dieser Anlass soll nicht vergehen, ohne dass ich mich bei meiner Frau Margot bedanke, die es sicher nicht leicht mit mir hat. In diesem Jahr sind wir 65 Jahre verheiratet. Sie steht stets treu an meiner Seite und unterstützt mich hilfreich bei meinem Tun.

Dank sage ich meinen Kameradinnen und Kameraden von der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, die sich gemeinsam mit mir beharrlich darum mühen, dass das antifaschistische Vermächtnis von Buchenwald bewahrt und weiter darum gerungen wird, den Schwur von Buchenwald

»[…] Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Die        Errichtung einer neuen Welt des Friedens     und der Freiheit ist unser Ziel. […]«

Wirklichkeit werden zu lassen.

Nach unserer Befreiung am 11. April 1945 hat mich nicht mehr losgelassen, was ich im Konzentrationslager Buchenwald erlebte und erfuhr. Lange konnte ich darüber nicht reden. Zu groß war der Schmerz, den ich in zwölf Jahren faschistischer Diktatur ertragen musste: Die Ermordung meines Vaters, Leid und Not meiner Mutter und meiner Geschwister, die Judenverfolgung, die Konzentrationslager für meinen Vater, Bruder und mich und den Verlust von einundzwanzig weitläufigen Angehörigen meiner Familie.

Der Schwur, den ich am 19. April 1945 auf dem Appellplatz des Lagers gemeinsam mit 21.000 Überlebenden leistete, ist für mich im ganzen Leben Kompass zum Handeln geblieben, daran gab es nie etwas zu deuten.

Ich fühlte mich stets den unzähligen Opfern dieses Lagers verpflichtet und sehe in meinem konsequent antifaschistischen Handeln den notwendigen praktischen Bezug und das ist ein sehr politischer.

Gestatten Sie mir bitte einen Exkurs, zu dem ich mich veranlasst fühle.

Silvia Gingold ist eine Tochter von Etti und Peter Gingold. Peter hat als deutscher Kommunist in den Reihen der französischen Résistance gekämpft und war ein konsequenter Antifaschist. Als Friedensaktivistin und Antifaschistin hatte Silvia in der Bundesrepublik Berufsverbot und wird seit langem vom Verfassungsschutz überwacht. Dagegen klagte sie jetzt vor Gericht. Die Überwachung wird vom Verfassungsschutz unter anderem damit begründet, dass sie in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten mitarbeitet. Diese Vereinigung, so wird behauptet, berufe sich auf den Schwur von Buchenwald, der die Prinzipien der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Frage stelle.

Dieses Konstrukt ist ungeheuerlich! Ich habe auf dem Appellplatz des KZ Buchenwald am 19. April 1945 angesichts des Opfers von 56.000 Toten geschworen, nicht zu ruhen im Kampf um die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln.

Ich weise mit allem Nachdruck die infame Beleidigung der Toten und der Überlebenden des deutschen faschistischen Terrors zurück und verlange, die geheimdienstliche Überwachung von Silvia Gingold sofort einzustellen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Freundinnen und Freunde,

nun erhielt ich in der Endphase meines Lebens die ranghöchste staatliche Auszeichnung Frankreichs.

Natürlich überdenke ich mein Verhältnis zu Frankreich, bedaure, dass ich die Sprache nicht beherrsche.

In meiner Kindheit spielte Frankreich durchaus eine Rolle. In der Familie gab es eine antimilitaristische Grundeinstellung und eine klare Positionierung gegen den Krieg.

Unser Vater, Ludwig Pappenheim, hatte sich im Dezember 1914 schriftlich gegenüber Karl Liebknecht solidarisch erklärt, der im Reichstag als einziger Abgeordneter gegen die weitere Verlängerung der Kriegskredite gestimmt hatte. Als der Vater dann Soldat werden musste, zunächst in Ostpreußen und ab August 1916 an der Westfront, verfasste er mit Kameraden Flugblätter gegen Krieg und Chauvinismus.

Als aktiver sozialdemokratischer Kommunalpolitiker verurteilte er Krieg und Kriegsfolgen und warb eindringlich für die Verständigung der Völker. Besonders eindrucksvoll war für ihn 1930 eine Studienreise der SPD nach Paris, die er maßgeblich mit organisiert hatte. Seine Erlebnisse wirkten in die Familie.

Für uns war kein Franzose »Erbfeind«.

Wir wussten, wie dieses Volk unter dem von Deutschen verursachten I. Weltkrieg zu leiden hatte. Und es war selbstverständlich, dass wir die »Marseillaise« kannten und die Losung der Revolution von 1792 » Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit« - erstrebenswerte Zustände in einer menschlichen Gesellschaft.

Den Vater nahmen uns die deutschen Faschisten. Sie verhafteten ihn im März 1933 und brachten ihn schließlich in das KZ Neusustrum, wo er am 4. Januar 1934 nach bestialischen Misshandlungen ermordet wurde.

In bitterer Not, weil der Ernährer der Familie fehlte, rassistisch gedemütigt von jenen, die von einer Volksgemeinschaft faselten, mussten wir das Geheul der Nazis über die so genannte »Kriegsschuldlüge« und das Schändliche des Friedensvertrages von Versailles ertragen.

In meiner Schulzeit lernte ich, dass das deutsche ein Volk ohne Raum sei, wie es hieß.

Wieder richtete sich übler Chauvinismus und Völkerhass gegen unsere französischen Nachbarn.

Das Warum erschloss sich mir damals nicht.

Unsere mutige Mutter war selbst zutiefst politisch davon überzeugt, dass das Miteinander der Völker die einzige Alternative zum geschürten Hass ist und in diesem Sinne bestärkte sie uns immer wieder, der Naziideologie zu widerstehen.

Als dann am 3. September 1939 Frankreich und Großbritannien dem Deutschen Reich den Krieg erklärten, weil sie mit dem deutschen Überfall auf Polen den Bogen überspannt sahen, erschütterte mich das zutiefst genau so, wie der Einmarsch der Wehrmacht am 14. Juni 1940 in Paris.

Ich erlebte, dass die deutschen Faschisten sich zu den schärfsten Gegnern der Franzosen aufschwangen.

Nach meiner Lehrausbildung arbeitete ich in der Werkzeugfabrik Gebrüder Heller in Schmalkalden. In diesem Werk waren französische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter tätig. Sie waren im Sinne der Nazis »minderwertige« Menschen und ich war es auf Grund meiner jüdischen Herkunft als so genannter »Mischling« - noch dazu als Sohn des Antifaschisten Ludwig Pappenheim.

Was lag näher, als mit ihnen, gewissermaßen meinen französischen Kollegen, in Kontakt zu treten und diesen zu pflegen?

Dann kam der 14. Juli 1943. Ich hatte ein Gefühl entwickelt zu empfinden, wie meinen französischen Kameraden an ihrem Nationalfeiertag zumute war, wie sie sich nach ihren Familien sehnten, nach ihrer Heimat und nach Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Insbesondere auch deshalb, weil sie Rüstungsgüter produzieren mussten, die durchaus gegen ihr Vaterland, gegen ihre Brüder eingesetzt werden konnten.

Auf meiner Ziehharmonika, einem Kinderinstrument, für dessen Erwerb ich von meinem spärlichen Lehrlingsgeld gespart hatte, spielte ich in der sonnigen Mittagspause den französischen Kameraden die »Marseillaise« und stimmte sie so für eine kurze Zeit froh.

Ein Betriebsangehöriger hatte das beobachtet, meldete es dem Naziobmann und der erstattete Anzeige bei der Gestapo. Nach wenigen Stunden war ich verhaftet und brutale Verhöre begannen im Suhler Gefängnis. Das war genau das Gefängnis, in dem exakt zehn Jahre zuvor mein Vater misshandelt worden war. Nach kurzer Zeit musste ich auf Transport. Im Arbeitserziehungslager Römhild prügelten mich die Nazis. Dort erhielt ich den Schutzhaftbefehl, kam nach Buchenwald, wurde der politische Häftling mit der Nummer 22514 und musste zur Quarantäne in das vom Hauptlager durch Stacheldraht abgetrennte völlig überfüllte Kleine Lager, in dem die Häftlinge nur noch vegetierten.

Eine aussichtslose Situation.

Aber dann spürte ich die Kraft der Solidarität. Unter den politischen Häftlingen wurde bekannt, dass  ein Pappenheim im Lager sei. Kameraden, die meinen  Vater aus gemeinsamer politischer Arbeit kannten, holten mich aus dem Kleinen Lager. Ich wurde im Block 45, Flügel A untergebracht und stand unter Obhut erfahrener Kameraden und erprobter Antifaschisten.

Dass ich am 19. April 1945 mit meinen Kameraden schwören konnte, verdanke ich der Solidarität und dem Opfermut politischer Häftlinge, in erster Linie Kommunisten und Sozialdemokraten.

Gelernt hatte ich im KZ Buchenwald, dass die organisierte politische Kraft, Disziplin und Solidarität es sind, die mitmenschliche Haltungen herauszubilden vermögen, Furcht überwinden lassen und Zuversicht vermitteln.

Wie ich eingangs sagte, war der Schwur von Buchenwald Kompass für mein weiteres Leben, genau so wie für meine französischen Kameraden Pierre Durand, Guy Ducoloné und Floréal Barrier, zu denen ich ein aufrichtig freundschaftliches Verhältnis hatte, insbesondere, nachdem ich seit April 2001 Erster Vizepräsident des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos geworden war. Kameradschaftlich verbunden arbeitete ich viele Jahre mit Bertrand Herz zusammen, dem heutigen Ehrenpräsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos. Wenn ich zu Tagungen und Kongressen in Frankreich war, begleitete mich freundlich und stets zuverlässig Agnés Triebel, eine hervorragende Organisatorin des Internationalen Komitees Buchenwald Dora und Kommandos, die dankenswerter Weise immer auch Sprachmittlerin ist.

Die Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora, deren Vorsitzender ich seit 2005 bin, pflegt ebenfalls intensive Beziehungen zu ausländischen Kameraden.

Da ich nun diese hohe französische Ehrung erfuhr, möchte ich versichern:

Ich bin durch Erleben Internationalist geworden und Internationalismus lässt sich von Antifaschismus nicht trennen, das beweist die Geschichte eindringlich.

Dessen eingedenk ist es wichtig, in breiten Bündnissen gegen Terror, Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus das Trennende zu überwinden, gesunde Kompromissbereitschaft zu entwickeln, denn Kompromisse besiegen Feindschaft.

Antifaschismus ist nichts Antiquiertes, Überlebtes, er muss ohne Einschränkung und zeitgeistliche Erwägungen an jüngere Generationen vermittelt werden – so, wie er gelebt, erlebt wurde.

In dieser Überzeugung lebe ich und in dieser Überzeugung möchte ich Sie alle grüßen mit Versen von Johannes R. Becher:

»Friede, Friede sei auf Erden!
Menschen, lasst uns Menschen werden!«