20.04.2017
„Kriegseintritt verschlimmert die Lage - Diese Konflikte lassen sich nur durch Verhandlungen lösen“
Lühr Henken auf der Abschlusskundgebung des Ostermarsches Rhein-Ruhr
Lühr Henken, Sprecher des
Bundesausschusses Friedensratschlag, war der Hauptredner auf der
Abschlusskundgebung des Ostermarsch Rhein-Ruhr 1917 am 17. April
vorm Wichernhaus in Dortmund. Er führte aus: "Liebe
Ostermarschiererinnen, liebe Ostermarschierer, als wenn die Welt nicht
schon genug aus den Fugen wäre. So viele Flüchtlinge wie noch
nie seit dem Zweiten Weltkrieg; große Hungersnot im Osten Afrikas
und im Jemen; Kriege in Afghanistan, Pakistan, dem Jemen, Irak, Syrien,
der Türkei, Libyen, Mali, Nigeria, Kongo, Sudan und
Süd-Sudan. Das sind nur die Offensichtlichsten. Ungelöste
Dauerkonfliktherde, an denen Atommächte beteiligt sind, wie der
zwischen Russland und dem so genannten Westen, in Nah-Ost, Kaschmir,
Korea und um das Südchinesische Meer. Viele der Konflikte scheinen
weit weg zu sein. Sie sind uns seltener bewusst, weil sie uns nicht
persönlich betreffen. Schlagartig wird vielen in diesen Tagen
jedoch klar, wie sehr wir hier in Europa nah an den Konflikten liegen.
Mit Russland so und so, mit Syrien und Libyen auch, aber nun auch mit
Korea. Das ist neu." Weiter führte Lühr Henken, Berlin, aus:
Der Giftgasanschlag in der syrischen Provinz Idlib und
der Kriegsakt des neuen US-Präsidenten auf den syrischen
Luftwaffenstützpunkt in der Provinz Homs lässt weltweit die
Alarmglocken läuten. Der erstmalige Einsatz der US-Großbombe
in Afghanistan und die US-Flugzeugträgergruppe vor der
koreanischen Küste scheinen auch nichts Gutes zu verheißen.
Die Menschen rätseln. Sind das Eintagsfliegen oder steckt dahinter
eine Strategie? Anders gefragt:
Wollen die USA in Syrien und in Nord-Korea in den Krieg ziehen?
Ich sage hier ganz klar: Letzteres lässt sich
daraus noch nicht ablesen. Eine Strategie vermag ich nicht zu erkennen.
Gefährlich ist das Verhalten Trumps allemal. Richtig bleibt: Krieg
verschlimmert die Lage. Diese Konflikte lassen sich nur durch
Verhandlungen lösen.
Zu Syrien: Der Einsatz von Giftgas ist geächtet und
stellt ein Verbrechen dar. Die Verachtung ist den Tätern gewiss -
wer die Täter auch immer sind. Hier beginnt das Problem. Wer sind
die Täter?
Wir haben eine geschichtliche Parallele: der
Sarin-Anschlag im syrischen Ghouta im August 2013 mit Hunderten von
Toten. „Der Westen“ bezichtigte damals unisono – wie
heute - postwendend Assad der Täterschaft. Die USA drohten ihm mit
Krieg, weil er die von Obama gezogene „rote Linie“
überschritten habe. Jedoch, nach Untersuchung des Sarins stellte
sich heraus, dass es nicht aus den Arsenalen der Regierung stammen
konnte. Der Nachweis, dass Assad der Täter war, konnte nicht
erbracht werden. Und es stellte sich auch heraus, dass Al-Kaida in
Syrien, die al-Nusra-Front, in der Lage war, mit türkischer Hilfe
Sarin zu produzieren. Die Frage drängt sich auf: Welche
Kriegspartei in Syrien hat ein Interesse daran, die USA zum
Kriegseintritt zu bewegen? Assad oder seine Gegner?
Dieselbe Frage stellt sich heute erneut.
Wem nützt der Giftgasangriff?
Macht es für Assad Sinn, Giftgas einzusetzen, wo er gewiss sein
kann, dass dann – zu Recht – Fluch und Schande der Welt
über ihn hereinbrechen? Ich frage: Kann ein Staatschef so dumm
sein? Wohl kaum. Die Täterschaft ist für mich ungeklärt.
Über die Reaktion Trumps und die der
Bundesregierung muss geredet werden. Der US-Präsident hat mit
seinem Angriffsbefehl zweifach Recht gebrochen. Zunächst die
UN-Charta. Sie lässt nur unter zwei Bedingungen Angriffe auf
UN-Mitgliedsstaaten zu: Im Falle von Selbstverteidigung und im Fall des
Vorliegens eines UN-Mandats. Ein UN-Mandat gab es nicht. Notwehr liegt
auch nicht vor, denn die USA sind nicht angegriffen worden. Trumps
Angriff ist klar ein Völkerrechtsbruch.
Und der zweite Rechtsbruch? Der Angriff
verstößt gegen die Chemiewaffenkonvention, der die USA
angehören. Die besagt, dass bei Verdacht auf den Einsatz von
C-Waffen die Organisation für das Verbot von C-Waffen (OPCW) eine
Untersuchung anberaumt. Wird der Verdacht bestätigt, befindet der
UN-Sicherheitsrat darüber, ob militärische Mittel eingesetzt
werden. Zwar hat die OPCW unverzüglich Untersuchungen eingeleitet.
Ergebnisse liegen jedoch nicht vor. Ohne das Ergebnis abzuwarten zu
bombardieren, ist Rechtsbruch. Ich sage: Trump gehört zusammen mit
den Giftgasmördern, wenn sie denn gefunden sind, auf die
Anklagebank.
Und was macht die Bundesregierung?
Frühzeitig hat sie sich darauf festgelegt, dass
Assad die Verantwortung für den Giftgasmord trägt und
hält den US-Angriff auf Syrien für
„nachvollziehbar“. Eine Infragestellung klingt anders, eine
Verurteilung ganz anders.
Ich fordere die Bundesregierung auf, die eklatanten
Verstöße der US-Regierung gegen das Völkerrecht zu
verurteilen!
Geschieht dies nicht, dann liegt ein Verstoß
seitens der Bundesregierung gegen das Grundgesetz vor. Denn Artikel 25
des Grundgesetzes lautet: „Die allgemeinen Regeln des
Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den
Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die
Bewohner des Bundesgebietes.“ Und die Pflicht ist es hier,
Rechtsbruch auch als solchen zu benennen.
Die Frage stellt sich, was folgt aus dem
Marschflugkörperangriff? Für Syrien bedeutet er unmittelbar,
dass die Anti-Assad-Kräfte eine verstärkte militärische
Unterstützung von außen fordern und dass diese Seite ihr
Ziel des Regime Changes, also eine Zukunft Syriens ohne Assad,
bekräftigt. Die andere Seite treibt das US-Vorgehen zum
Schulterschluss. Die Folge ist also: Die Gegensätze verhärten
sich.
Wird dadurch die Chance auf Verhandlungslösungen
erhöht? Eher nicht. Noch einmal: Der Syrien-Krieg kann nur
über Verhandlungen auf allen Ebenen beendet werden. Zwischen den
USA und Russland, zwischen dem Iran und Saudi-Arabien – und
innersyrisch.
Trumps Angriff löst vielerorts Verunsicherung aus.
Er untermauert damit seine Unberechenbarkeit. Seine früheren, als
grundsätzlich zu verstehenden Aussagen, die USA unter seiner
Präsidentschaft wollten kein Weltpolizist mehr sein, und die
Politik des Regime Change sei falsch, scheinen nicht mehr zu gelten.
Aber was dann? Trumps Handlungen erscheinen getrieben, impulsiv, damit
konfus und konzeptionslos.
Nicht so gegenüber Russland. Hier verfahren USA und
NATO zweigleisig. Ihre Devise ist: Dialog und Aufrüstung. Das
zeigte sich auch wieder beim Besuch des US-Außenministers
Tillerson in Moskau. Lange Gespräche, wenig Greifbares. Aber
immerhin: eine bilaterale Arbeitsgruppe soll an einer Verbesserung des
Verhältnisses arbeiten.
Die US- und NATO-Aufrüstung läuft seit längerem.
Der US-Rüstungshaushalt soll im kommenden Jahr um zehn Prozent
ansteigen. Ob Trump das Geld dafür aus dem zivilen Bereich
tatsächlich bekommt, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Im
atomaren Bereich läuft bereits ein Aufrüstungsprogramm, das
in zehn Jahren 350 Milliarden Dollar verschlingt. Trump hat gesagt, er
will, dass die USA immer über mehr Atomwaffen verfügen sollen
als andere. Eben: America first. Auch die Russen rüsten atomar
auf. Ihre Kosten dafür betragen 100 Milliarden Dollar.
Zurzeit führen die Vereinten Nationen eine
Konferenz zur Abschaffung der Atomwaffen durch. Besonders
skandalös ist, dass die Bundesregierung und andere NATO-Staaten
sich weigern, an dieser Konferenz teilzunehmen. Damit blockieren sie
die atomare Abrüstung und verletzen den Atomwaffensperrvertrag,
der diese Abrüstung vorschreibt.
Ich fordere die Bundesregierung auf: Nehmen
Sie an den UN-Verhandlungen zur Ächtung der Atomwaffen teil!
Entziehen Sie den USA die Stationierungserlaubnis ihrer Atomwaffen in
Büchel!
Die NATO-Staaten setzen ihre Einkreisungspolitik
gegenüber Russland fort. Die Begründung, damit einen
russischen Angriff abschrecken zu wollen, ist geradezu absurd. Ein
Angriff Russlands auf die NATO käme angesichts der
Kräfteverhältnisse einem Selbstmord gleich. Es herrscht ein
krasses Ungleichgewicht. Leicht zu erkennen an den
Militärausgaben. Die NATO gibt dafür 13 mal mehr aus als
Russland. Die Zahl der NATO-Soldaten unter Waffen ist viermal so hoch
wie die russische. 3,4 Mio. zu 900.000.
Die baltischen Staaten sind klein. Folgende Frage stellt
sich doch: Weshalb sollte Russland wegen des kleinen Baltikums
überhaupt einen Gedanken darauf verschwenden, einen Angriff auf
die NATO vorzubereiten? Die russischen Signale sind auch ganz andere:
Es senkte seine Militärausgaben 2016 um fünf Prozent und die
Ausgaben für neue Waffen um zehn Prozent. Wie dankte es die NATO?
Sie baut eine superschnelle Eingreiftruppe auf, stellt
in Polen und Rumänien Anti-Raketen-Stellungen auf, führt ein
Manöver nach dem anderen in russischer Grenznähe durch,
simuliert dabei Atombombenabwürfe, schafft Panzer samt Munition
und Soldaten in russische Grenznähe. USA und NATO erhöhen
damit systematisch die Spannungen.
Ich will keine Konfrontation, sondern Kooperation mit Russland. Ich glaube, das wollen wir alle.
Um die Konfrontation finanzieren zu können,
beschloss die NATO, dass jedes Mitglied möglichst zwei Prozent
seiner Wirtschaftskraft, das BIP, für ihr Militär ausgeben
soll. Das war 2014 auf dem NATO-Gipfel. Dabei spielte die
Bundesregierung eine bedeutende Rolle. Sie gab nach dem Beginn der
Ukraine-Krise ihre Zurückhaltung auf und setzte sich im NATO-Rat
aktiv für die Erhöhung der Rüstungsausgaben ein. Zwei
Prozent klingt wenig, ist aber viel. Wenn das in den europäischen
NATO-Ländern bis 2024 umgesetzt wird, bedeutet das pro Jahr eine
Erhöhung um 100 Milliarden Euro in Europa. Deutschland trägt
daran einen hohen Anteil. Deutschlands Militärausgaben würden
sich von 37 Milliarden in diesem Jahr verdoppeln auf ungefähr 75
Milliarden Euro. Zum Vergleich: Russland gab 2015 nur 66 Milliarden
Dollar aus. Die wahnsinnige Steigerung der Militärausgaben
führt nicht zu mehr Sicherheit in Europa und der Welt, sondern
provoziert militärische Gegenmaßnahmen, die wiederum hier
Anlass sind, weiter an der Rüstungsspirale zu drehen.
Krieg verschlimmert die Lage. Diese Konflikte lassen sich nur durch Verhandlungen lösen.
Das Zwei-Prozent-Ziel
hat in Europa noch einen zweiten Effekt: ein Verschieben der
Kräfteverhältnisse in der EU zugunsten Deutschlands – insbesondere nach dem Brexit. Warum?
Deutschland ist in der EU mit Abstand die
größte ökonomische Macht. Denn unser BIP ist um fast 20
Prozent größer als das britische und um fast 30 Prozent
größer als das französische.
Britannien sagt der EU good bye. Gibt Frankreich, die
nächstgrößte Wirtschaft der EU, ebenso zwei Prozent des
BIP für das Militär aus wie Deutschland, ist Deutschland
neben der ökonomischen Macht auch im Militärischen die
Führungsmacht in Europa. Das kann in der Nachbarschaft – bei
dieser leidvollen Geschichte aufgrund deutscher Angriffskriege - nur
Ängste hervorrufen.
Deshalb kann es nur diese Forderung geben: Stoppt die
Aufrüstungsvorhaben der Bundeswehr und senkt den
Rüstungshaushalt! Abrüstung ist das Gebot der Stunde!
Aber daran denkt die Bundesregierung nicht. Ministerin
von der Leyen hat angekündigt, bis 2024 die Zahl der
Bundeswehrsoldaten von jetzt knapp 180.000 auf knapp 200.000
erhöhen zu wollen. Das will finanziert werden. Die Bundeswehr wird
seit 25 Jahren auf Auslandseinsätze ausgerichtet, sie wird in
Kriege und Auslandseinsätze geschickt. Dafür erhält sie
neue Waffentechnik.
Das deutsche Heer bildet schwerpunktmäßig aus
für die Aufstandsbekämpfung im Stadt-, Orts- und
Häuserkampf, erhält dafür neue Schützenpanzer und
Kampfhubschrauber, die Marine konzentriert sich weltweit auf fremde
Küsten und dem Land dahinter, erhält dafür
Hochseekorvetten mit Marschflugkörpern und neue Fregatten mit
Kanonen für den Landbeschuss sowie U-Boote. Die Luftwaffe
erhält Military Airbusse, um alles das, was nicht schwimmt,
schnell weltweit transportieren zu können – sowie
Kampfdrohnen. Mit mehr Soldaten, mehr Waffen und mehr Geld werden die
Bundeswehreinsätze weltweit zunehmen. Das soll unter dem
Deckmantel von mehr Verantwortungsübernahme geschehen. Der Begriff
Verantwortung dient der Verschleierung. Die wahren Absichten waren
deutschen Leitmedien zu entnehmen, als sie das neue Weißbuch der
Bundeswehr vorstellten. Die FAZ sieht Deutschland als globale Gestaltungsmacht
und die Süddeutsche schrieb: „Das neue Weißbuch ist
– gemessen an seinen Vorgängern – von neuer Klarheit.
Noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich das Land so deutlich zu
seiner führenden Rolle in der Welt bekannt und daraus auch eine
sicherheitspolitische Verpflichtung abgeleitet.“ Was der
Süddeutschen noch im Weißbuch auffiel, war: dass bei der
Interessendefinition Deutschlands „an dritter Stelle bereits
– Prosperität und ungehinderter Welthandel“ stehen.
„Will heißen“, so ihr Außenpolitik-Chef:
„Die Freiheit der Meere und die Versorgung mit Rohstoffen stehen
im Interessenkatalog ganz oben.“ Also, worum geht es? Wir haben
es schwarz auf weiß: Macht, Einfluss, Rohstoffe und Profit!
Liebe Friedensfreundinnen, liebe Friedensfreunde: Ich
will keine Auslandseinsätze der Bundeswehr! Ich will den
Rückzug der Bundeswehr aus dem Ausland!
Macht, Einfluss und Profit sichern sich deutsche
Konzerne und Regierungen auch durch den exzessiven Rüstungsexport.
Ja, exzessiv! Im Februar legte SIPRI, das Friedensforschungsinstitut in
Stockholm, Exportzahlen für deutsche Großwaffen vor. Sie
sind für 2016 skandalös. Der Weltmarktanteil Deutschlands
erhöhte sich von 6,3 auf 9 Prozent. Damit liegt Deutschland 2016
wieder auf Platz 3 weltweit und in Europa auf Platz 1. Und das ist eine
Schande. Bei Kleinwaffen zeigt sich ein ähnliches Bild. Die
Genehmigungen für Kleinwaffen stiegen im vergangenen Jahr um 47
Prozent gegenüber 2015. Das zeigt: wir dürfen auch im Kampf
für ein Waffenexportstopp nicht nachlassen.
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