20.04.2017
Nein zur Kungelei der
Bundesregierung mit dem Autokraten Erdogan!
Schluss
mit dem
deutschen PKK-Verbot und der Verfolgung linker Oppositioneller aus der
Türkei als Terroristen! - Von Ulla Jelpke
Die antifaschistische
Aktivistin Ulla
Jelpke (MdB DieLinke) hat zu der Abstimmung über das
Referendum in
der Türkei erklärt: Der türkische
Präsident Recep
Tayyip Erdogan hat sich zum Sieger im Referendum über die
Einführung einer auf seine Person zugeschnittenen
Präsidialdiktatur erklärt. Die bereits jetzt durch
den
Ausnahmezustand seit dem Putschversuch im Juli letzten Jahres geltenden
Sondervollmachten Erdogans, per Dekret am Parlament vorbei zu regieren,
bekommen damit eine verfassungsmäßige Grundlage.
Insofern
kann das Referendum als vorläufiger Schlusspunkt eines von
Erdogan
betriebenen Staatsstreiches gesehen werden.
Dieser begann im Frühjahr 2015 mit der
Aufkündigung des zwischen der Regierung und dem inhaftierten
PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan vereinbarten
Dolmabahce-Abkommens
über eine Lösung der kurdischen Frage durch Erdogan.
Die
nächste Etappe war die Nichtakzeptanz des Wahlergebnisses vom
Juni
2015, als die Regierungspartei AKP ihre absolute Mehrheit
einbüßte, und die von einer Strategie der Spannung
begleiteten Neuwahlen im November 2015. Im Frühjahr 2016 wurde
der
Widerstand der kurdischen Kommunen als Hochburgen der links-kurdischen
HDP durch die weitgehende Zerstörung von rund zehn
Städten
militärisch zerschlagen. Dann folgte die teilweise Entmachtung
des
Parlaments durch die Aufhebung der Abgeordnetenimmunitäten,
die
den Weg für die Verhaftung von Abgeordneten der
linkskurdischen
Opposition freimachten. Schließlich setzte Erdogan
gestützt
auf den Ausnahmezustand nach dem Putschversuch im Juli 2016 alle noch
bestehenden demokratischen und rechtsstaatlichen Regularien
außer
Kraft, zehntausende Oppositionelle wurden aus dem Staatsdienst
entlassen oder inhaftiert. Unter dem Ausnahmezustand fand dann das
Referendum über die Präsidialdiktatur statt,
für die es
noch keine ausreichende verfassungsändernde parlamentarische
Mehrheit gab.
Das Ergebnis des Referendums war mit offiziell
51,37
Prozent für das Ja zur Verfassungsänderung und 48,63
Prozent
Nein-Stimmen ausgesprochen knapp.
Die Oppositionsparteien CHP und HDP sprechen von
massiver Wahlmanipulation in Höhe von drei bis vier Prozent
der
abgegebenen Stimmen. So sollen bis zu 2,5 Millionen Wahlscheinen in
ungestempelten, also nicht von den jeweiligen Wahlvorständen
autorisierte Wahlscheine entgegen geltendem Wahlrecht von der Obersten
Wahlkommission für gültig anerkannt worden sein.
Diese
Stimmen aber waren wahlentscheidend. Dass die von Anhängern
der
Regierungspartei AKP kontrollierte Oberste Wahlbehörde trotz
der
offensichtlichen Manipulation und Fälschung auf Antrag der
Opposition eine neue Stimmauszählung anordnet oder gar das
Ergebnis annulliert, ist kaum denkbar.
Auch nach Ansicht der OSZE war zudem der Wahlkampf
für das Referendum durch extrem ungleiche Bedingungen
für
Befürworter und Gegner des Präsidialsystems
geprägt.
Während der aus der Regierungspartei AKP und der
faschistischen
MHP bestehende Ja-Block alle Mittel des Staatsapparates für
ihren
Wahlkampf nutzen konnte, sah sich die Opposition durch
Versammlungsverbote, Verhaftungen ihrer Flugblattverteiler und
Wahlbeobachter und nur minimaler Sendezeit auf staatlichen Sendern
sowie Drohungen der Regierung wegen vermeintlicher
Terrorunterstützung konfrontiert.
Bemerkenswert ist insbesondere, dass die meisten kurdischen Gebiete
trotz massiver Repression, der Vertreibung von einer halben Millionen
Menschen aus ihren zerstörten Städten, der Verhaftung
von
5000 HDP-Mitgliedern sowie der Übernahme der Verwaltung durch
Zwangsverwalter in rund 80 Städten das Nein überwog.
Der
kurdische Widerstand gegen die Erdogan-Diktatur erweist sich damit
selbst unter Ausnahme- und Kriegsrecht als relativ ungebrochen. Doch
auch in westtürkischen Großstädten
einschließlich
Istanbul, Ankara und Izmir siegte mehrheitlich das Nein.
Dass das Ergebnis trotz dieses unfairen
Wahlkampfes, der
massiven Einschüchterung und Repression sowie Manipulation bei
Millionen Ja-Stimmen nur so knapp zu Gunsten Erdogans ausfiel, ist
ermutigend. Obwohl AKP und MHP sowie kleine rechtsextreme Parteien
für das Ja eintraten, kamen sie zusammen auf rund 10 Prozent
weniger als bei den letzten Parlamentswahlen im November 2015. Bei
einem fairen Wahlkampf und einer freien, nicht manipulierten Abstimmung
wäre mit Sicherheit eine deutliche Mehrheit für das
Nein
zustande gekommen. Das Referendum ist kein Beweis der Zustimmung zu
Erdogan, sondern offenbart im Gegenteil seine Schwäche.
Die in sich gespaltene Opposition steht jetzt vor
der
schweren Herausforderung, sich auf einen Minimalkonsens gemeinsamer
demokratischer Ziele zu verständigen. Die zwei entscheidenden
Bruchpunkte für Erdogans Herrscht sind die desolate, auf
Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesene Wirtschaftslage
sowie
die ungelöste kurdische Frage. Neben dem Eintreten
für die
Verteidigung bzw. Wiedererlangung demokratischer Grundrechte wie der
Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit gilt es insbesondere
hier den Hebel anzulegen. Einem gemeinsamen Widerstand der Nein-Sager
steht allerdings die nach wie vor chauvinistische Haltung
großer
Teile der CHP als stärkster Oppositionspartei sowie der von
der
MHP abgespaltenen Nein-Sager gegenüber den Kurden und ihrem
Kampf
um Selbstbestimmung entgegen. Die rein parlamentarische Orientierung
der CHP wird sich angesichts des faktisch schon seit dem Putschversuch
im Juli 2016 entmachteten Parlaments und der gleichgeschalteten Justiz
als wirkungslos erweisen. Nicht unterschlagen werden sollte in diesem
Zusammenhang, dass die CHP mit ihrer Zustimmung zur Aufhebung von
Abgeordnetenimmunitäten bereits im Mai letzten Jahres den Weg
zur
Verhaftung von HDP-Abgeordneten und der (Selbst-)Entmachtung des
Parlaments freigemacht hatte. Nur wenn es der CHP gelingt, ihre
Staatsgläubigkeit und ihren anti-kurdischen Chauvinismus zu
überwinden, wird sie gemeinsam mit der HDP einen wirklichen,
vor
allem außerparlamentarisch zu führenden, Widerstand
gegen
die Erdogan-Diktatur leisten können. Und nur wenn es HDP und
CHP
sowie den kleineren linken Parteien gelingt, die sozialen Nöte
der
Bevölkerung angesichts der wirtschaftlichen Krise bei
fortgesetzter neoliberaler Regierungspolitik zu thematisieren, kann ein
Einbruch in Lager der Ja-Sager und Erdogan-Unterstützer
gelingen.
Eine klassenkämpferische Orientierung jenseits einer an Ethnie
oder Glaube festgemachten Identitätspolitik – ohne
freilich
die besondere Unterdrückung von Kurden, Aleviten und Christen
zu
ignorieren– könnte der Schlüssel zu einer
breiten
Widerstandsbewegung gegen die AKP-MHP-Front werden.
Dass 60 Prozent der an der Abstimmung beteiligten
türkischen Staatsbürger in Deutschland aus der
sicheren
Distanz für die Diktatur in der Türkei gestimmt
haben, ist
erst einmal erschreckend. Doch bei näherer Betrachtung
relativiert
sich dieses Bild etwas. So hat nur knapp die Hälfte der hier
lebenden Wahlberechtigten überhaupt an der Abstimmung
teilgenommen. Und das Ergebnis blieb rund acht Prozent hinter dem
gemeinsamen Ergebnis der beiden für das
„Ja“ werbenden
Parteien AKP (59,7%) und MHP (7,5%) in Deutschland bei den letzten
Parlamentswahlen im November 2015 zurück. Das bedeutet: die
Prozentzahl der Erdogan-Unterstützer in Deutschland ist nicht
weiter angestiegen. Und nur eine Minderheit der in Deutschland lebenden
türkischen Staatsbürger bzw.
Doppelstaatsbürger hat
effektiv für die Diktatur votiert. Es wäre
verheerend,
kurzerhand alle in Deutschland lebenden Türken als
rechtsextreme
Demokratiefeinde einzustufen. Und auch ein Großteil der
Ja-Wähler hier tat dies nicht unbedingt aus Zustimmung zur
autoritären Politik Erdogans (vielen war der Inhalt der zur
Abstimmung stehenden Verfassungsänderungen überhaupt
nicht
bekannt). Vielmehr ist die im Vergleich zur Türkei weit
überdurchschnittlich hohe Zustimmung zum Ja auch das Ergebnis
einer jahrzehntelang verfehlten Integrationspolitik in Deutschland.
Auch einige Linke werden gewünscht haben, die
Diktatur-Wähler
sollten doch gleich in die Türkei gehen. Doch entgegen solcher
nachvollziehbarer Reflexe gilt es jetzt erst recht für eine
wirkliche Integration aller hier lebenden Menschen einzutreten. Gleiche
demokratische und soziale Rechte einschließlich dem Wahlrecht
für alle seit mindestens fünf Jahren hier lebenden
Menschen
ist dafür die Schlüsselforderung. Leitkultur-Debatten
darüber, ob der Islam zu Deutschland gehöre und
dergleichen
werden dagegen ebenso kontraproduktiv sein wie die Forderung aus den
Unionsparteien zur Abschaffung der doppelten
Staatsbürgerschaft.
Um die türkeistämmige Diaspora dem Griff Erdogans zu
entreißen, ist es aber auch notwendig, entschlossen mit den
Mitteln des Strafrechts gegen die Strukturen des türkischen
Geheimdienstes mit seinen vielen Tausend Spitzeln und Spionen in
Deutschland vorzugehen. Alle Privilegien für den an die
türkische Regierung angeschlossenen Islamverband DITIB
müssen
entzogen und entsprechende Staatsverträge aufgekündet
werden.
Die Bundesregierung trifft eine deutliche
Mitschuld bei
der Errichtung der Erdogan-Diktatur. Mit dem
EU-Türkei-Flüchtlingsdeal spannte Bundeskanzlerin
Merkel den
Autokraten Erdogan als Türsteher der EU ein. Zum Preis dieses
Abkommens zählte das Schweigen der Bundesregierung zu den
Kriegsverbrechen der Türkei in Kurdistan ebenso wie zur
Unterstützung von dschihadistischen Terroristen in Syrien und
zur
Gleichschaltung der türkischen Presse durch Massenverhaftungen
von
Journalisten und der Schließung von Oppositionsmedien. Nur
noch
beschämend erscheint die Reaktion der Bundesregierung, die
nach
allen Nazi-Beschimpfungen Erdogans im Wahlkampf jetzt nach dem durch
Betrug und Repression erfolgten Referendumssieg auf eine
Rückkehr
zum Normalzustand hofft. So kündigte Kanzleramtsminister Peter
Altmaier an, jedes Ergebnis akzeptieren, das "in einer freien und
demokratischen Wahl" zustande gekommen sei. Dass bereits der Wahlkampf
unter dem Ausnahmezustand verlaufen war, schien den Unionspolitiker
nicht zu stören. Als großer Heuchler erwies sich
SPD-Chef
und Kanzlerkandidat Martin Schulz mit seiner Aussage, der knappe
Ausgang des Referendums zeigte, dass Erdogan nicht die Türkei
sei
und der Einsatz für Demokratie und Menschenrechte weitergehen
müsse. So richtig dies grundsätzlich ist, so sehr
kommt es
aus dem falschen Munde. Denn als EU-Politiker gehörte Schulz
zu
den Chef-Aushändlern des verhängnisvollen
Flüchtlingsdeals mit der Türkei.
Wenn wir von Deutschland aus die Demokratinnen und
Demokraten in der Türkei und Nord-Kurdistan
unterstützen
wollen, heißt dies von daher, dass wir den Druck auf die
Bundesregierung erhöhen müssen.
Wir brauchen
unsere eigene Nein-Kampagne:
Nein zum
EU-Türkei-Flüchtlingsdeal!
Nein zur Geheimdienstzusammenarbeit zwischen Deutschland und der
Türkei!
Nein zu deutschen Waffenlieferungen und dem Bau einer Panzerfabrik
durch Rheinmetall in der Türkei!
Nein zum PKK-Verbot und der Verfolgung linker Oppositioneller aus der
Türkei als Terroristen!
Nein zu Ausgrenzung Rassismus und Islamhass!
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