17.03.2017
Wo alles für Hitler
perfekt gemacht wurde
Will
der Dortmunder Stadtrat die Rolle der „Ruhrlade“
als Steigbügelhalter Hitlers verleugnen?
Man kann es skandalös
nennen, aber auch als politischen Schildbürgerstreich
bezeichnen. Die CDU im Dortmunder Stadtrat blockiert die Behandlung
einer Eingabe, mit der die Benennung des Ortes vorgeschlagen wird, an
dem im Januar 1933 die berüchtigte großindustrielle
Ruhrlade alles perfekt machte für die
Machtübertragung an Hitler und seine Partei. Eine
ähnliche Eingabe sei bereits vor acht Jahren abgelehnt worden.
Mit dieser Begründung werden die Antragsteller abgespeist. Der
Rat der Stadt Dortmund macht Geschichtspolitik – und zwar
für die Ewigkeit und pro Nazis? Die Vereinigung der Verfolgten
des Naziregimes / Bund der Antifaschisten, die Antragstellerin, beruft
sich auf neuste Forschungen und auf eine ähnliche Tafel, die
in Köln bereits vor über 20 Jahren an dem Ort
aufgestellt wurde, wo ebenfalls Wirtschaft und Hitler zusammenkam, um
die Kanzlerschaft „des Führers“
vorzubereiten. In der Weltbühnen-Nachfolgezeitschrift
„Ossietzky“ wird der skandalöse
Schildbürgerstreich von Dortmund geschildert:
Wo leben wir? In Schilda? Im Februar 2017 lehnte
die Ausschussvorsitzende Christiane Krause (CDU) es ab, eine Eingabe in
Sachen Aufklärung über die Rolle der Ruhrlade bei der
Machtübertragung an Hitler auf die Tagesordnung des Dortmunder
Ratsausschusses „für Bürgerdienste,
öffentliche Ordnung, Anregungen und Beschwerden“ zu
setzen. Begründung: Zwei Wahlperioden zuvor, also vor acht
Jahren, hätten Vertreter von der VVN-BdA bereits eine
ähnliche Eingabe eingereicht, und diese sei abgelehnt worden.
Eine nochmalige Behandlung sei nicht möglich.
Kinder, wie die Zeit vergeht. Nach acht Jahren
darf also kein neuer Antrag gestellt werden? Da sagt die Stadt
Dortmund: Basta!
Die Antifaschisten bekräftigen nun
daraufhin den Antrag, ein Schild mit einer Warntafel folgenden Inhalts
an der Hainallee in der Nähe der B 1 aufzustellen:
„Hier an der Ecke
Eintrachtstraße/Hainallee stand die Villa Springorum. Es
trafen sich darin am 7. Januar 1933 Franz v. Papen und
führende Ruhrindustrielle des Geheimbundes
‚Ruhrlade’, um über die
Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu
entscheiden. Sie erfolgte am 30. Januar 1933, und viele
Ruhrindustrielle unterstützten sie. Sie profitierten von
Rüstung und Krieg, von der Beseitigung der Demokratie und der
Gewerkschaften, von Antisemitismus, Holocaust und Zwangsarbeit und von
der Unterdrückung und Ausplünderung der
Völker Europas.“
Frau Krause beruft sich bei der
Zurückweisung des VVN-BdA-Antrags auf den
„zuständigen Fachbereich“. Das ist das
Stadtarchiv. Bei der Ablehnung des Antrags im Jahr 2009 hieß
es: Für Dortmund gelten die wissenschaftlichen Ergebnisse, die
Henry Ashby Turner jr. 1985 in seinem zentralen, von Hildegard
Möller und Marina Münkler übersetzten Werk
„Die Großunternehmer und der Aufstieg
Hitlers“ dargestellt hat. Sollte man nicht annehmen, dass die
von Professor Hans Mommsen getroffenen Aussagen in der 1992
eröffneten Ausstellung „Widerstand und Verfolgung
1933–1945 in Dortmund“ aktueller sind als Professor
Turners Reinwaschung des Kapitalismus aus den siebziger und achtziger
Jahren? In der Dortmunder Gedenkstätte Steinwache
heißt es zur Situation 1932/33: „Die
Schwerindustrie setzt auf Hitler.“ Turner hingegen schreibt
sieben Jahre zuvor – und ganz im Gegensatz zur Aussage in der
Steinwache –, dass die Nazis der Hilfe durch die Industrie
nicht bedurften, dass Kontakte der Industriellen zu den Nazis
„Ausnahmen“ gewesen seien und im Zusammenhang mit
dem Aufstieg Hitlers „kaum oder überhaupt nicht
erwähnt zu werden bräuchten“. Und er
betont: „Entspricht die weit verbreitete Ansicht, dass der
Faschismus ein Produkt des modernen Kapitalismus ist, den Tatsachen,
dann ist dieses System kaum zu verteidigen.“ Es kann nicht
sein, weil es nicht sein darf? Was hat eine solche Aussage mit
Wissenschaftlichkeit zu tun?
Die VVN-Rechercheure haben schon vor acht Jahren
dem Ausschuss neue Literaturquellen und wissenschaftliche Werke mit
Aussagen vorgelegt, die Turner widersprechen und die Darstellungen in
der Steinwache stützen, darunter die Industrielleneingabe an
Präsident Hindenburg vom November 1932 mit der Forderung,
Hitler die Macht zu übergeben.
Sie fragen: Soll die derzeitige Inschrift in der
Steinwache entsprechend dem Freispruch des Mr. Turner für den
Kapitalismus verändert werden? Soll deshalb der Hinweis in der
Hainallee auf die Ruhrlade unterbleiben? Liegt dies an der
Vergabepraxis für Einrichtungen der politischen Bildung, die
Kapitalismuskritik verbietet?
Andere Wissenschaftler als Turner haben schon
lange das große Interesse von erheblichen Teilen des
Kapitalismus am Faschismus festgestellt: »Die westdeutsche
Industrie ist gestärkt aus dem Krieg hervorgegangen; sie hat
nicht den Krieg, wohl aber am Krieg gewonnen. Ihr
Anlagevermögen war bei Kriegsende erheblich höher als
bei Kriegsbeginn, selbst unter Anrechnung der Zerstörungen und
Demontagen. Heute zählen die deutschen Großkonzerne
zu den mächtigsten der Welt. Ihre Gewinne haben eine
außerordentliche Höhe erreicht. Ihre heutige
Machtstellung ist zum Teil aus den Kriegsprofiten erwachsen: Dazu hat
auch die Zwangsarbeit beigetragen.“ So der im Juni 2016
verstorbene Ökonom und Historiker Dietrich Eichholtz.
In der Tat muss vermutet werden, dass die
Weigerung, den VVN-Antrag zu behandeln, im Zusammenhang mit der
geplanten Umgestaltung der Steinwache zu sehen ist. Hier sollen
offenbar nicht die richtigen Erkenntnisse der
Steinwacheneröffnung von 1992 zu Grunde gelegt werden, sondern
die Aussagen sollen bei der Neugestaltung auf das 1985er Turner-Niveau
gebracht werden. Der Kapitalismus soll verteidigt werden trotz all
seiner engen Bezüge zum Faschismus – ganz im
Gegensatz zu den Erkenntnissen nach der Befreiung vom Faschismus 1945.
Und ganz im Gegensatz zu den Tatsachen.
Tatsachen wie jene aus dem Ahlener Programm der
CDU von 1947, in dem es hieß: „Das kapitalistische
Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des
deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren
politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge
einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund
auf erfolgen.“
Der kapitalismuskritische Antifaschismus, der kurz
nach Kriegsende eine Selbstverständlichkeit war, ist es
längst nicht mehr. Das Diktum von Max Horkheimer:
„Wer vom Kapitalismus nicht reden will, soll auch vom
Faschismus schweigen“, wird derzeit als verfassungsfeindlich
dargestellt. Es bemüht sich der Bundes-Verfassungsschutz in
einem Grundsatzpapier, welches das Land Hessen in ein Gerichtsverfahren
vom Januar 2017 einbrachte, sogar die Erkenntnisse des deutschen
Widerstandes als verfassungsfeindlich darzustellen. Dass es gelte, den
Faschismus mit seinen Wurzeln zu beseitigen (Schwur von Buchenwald),
sei Ausdruck dafür, dass der Schwur eine kommunistische
verfassungsfeindliche Hervorbringung sei. So heißt es in
einer Antwort des Landesamtes für Verfassungsschutz in Hessen,
bezugnehmend auf Erkenntnisse des Bundesamtes, auf die Forderung der
Tochter Silvia des Widerstandskämpfers Peter Gingold, sie
nicht länger zu überwachen. Der Schwur spricht von
den Wurzeln, und eine davon ist der Kapitalismus. Es gibt andere
Wurzeln, und es gibt die Aussagen des deutschen Widerstandes in seiner
ganzen Breite. Doch die sollen vergessen sein.
Obiger Artikel von Ulrich Sander erschien in
Ossietzky, Nr. 6/17 18.3.2017 unter der Überschrift
„Neue und alte Steigbügelhalter“
Zu einem ähnlichen Projekt am
Stadtwaldgürtel in Köln siehe Ossietzky Nr. 25/2007
(Treffen Hitlers und Papens beim Bankier von Schröder am
4.1.33): http://www.sopos.org/aufsaetze/478a095b6de30/1.phtml
Siehe auch http://www.verbrechen-der-wirtschaft.de/texte/0120_strassennamen_nrw.htm
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