15.03.2017
Unermüdlich und
unerschrocken: 70 Jahre VVN
Bericht
in der „Jungen Welt“
Seit 70 Jahren schreibt sich
die VVN die Zusammenarbeit aller antifaschistischen Kräfte auf
die Fahne. Das rief und ruft seit je die reaktionärsten
Kräfte auf den Plan, um die größte und sehr
traditionsreiche Organisation des Antifaschismus zu behindern. Heute
arbeiten die berüchtigten Inlandsgeheimdienste VS aus dem Bund
und den Ländern Schleswig-Holstein, Hamburg,
Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bayern, Sachsen-Anhalt,
Thüringen, Saarland, Berlin, Brandenburg und
Baden-Württemberg eng zusammen – gegen die VVN,
obwohl nur in Bayern die VVN-BdA im
„Verfassungsschutzbericht“ ausdrücklich
genannt wird. Zum 70. Jahrestag der Gründung der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes erschienen am 15. März in der
Berliner Tageszeitung junge welt ausführliche Auszüge
aus der Schrift der Bundesorganisation zum 70. Jahrestag. Hier die
Darstellung der jungen welt:
Zeiten
ändern sich, Ziel bleibt
70 Jahre VVN:
Ein antifaschistischer Verband mit großer Tradition
kämpft gegen Neofaschismus und rassistische Umtriebe
Von Ulrich Schneider
Unmittelbar nach der Befreiung vom Faschismus und
dem Ende des Krieges gründeten ehemalige politische
Häftlinge, Nazigegner verschiedener Richtungen und
Überlebende der Verfolgung Gefangenenkomitees wie in Hamburg,
die Bremer »Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus«
und weitere Vereinigungen. Zum Teil gegen die Blockadepolitik der
alliierten Besatzungsmächte begann man mit der Zusammenarbeit
und formulierte im August 1946 während eines Treffens in Hanau
folgende Ziele:
- Aufklärung über die
faschistischen Verbrechen,
- Erinnerung und Würdigung des
antifaschistischen Widerstandskampfes,
- Kampf gegen alle ideologischen Reste des
Nazismus, des Militarismus und der Rassenlehre, gegen ein
Wiederaufleben des Nazismus und für den Völkerfrieden,
- Zusammenarbeit aller antifaschistischen,
demokratischen Kräfte.
Die Organisation wurde mit Rücksicht auf
die Westalliierten »Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes« genannt. Das war die Basis, als man am 15. bis
17. März 1947 zur ersten interzonalen Konferenz in Frankfurt
am Main zusammentraf.
Die Liste der Gründer liest sich wie ein
»Who is who« der demokratischen Bewegung der
Nachkriegszeit. Zu ihnen gehörten in Berlin der ehemalige
Buchenwald-Häftling Walter Bartel, der evangelische Pfarrer
Heinrich Grüber und Heinz Galinski für die
jüdische Gemeinde. In Hessen waren es Lore Wolf, Emil
Carlebach und Dr. Hans Mayer. Zu den Gründern gehörte
auch Eugen Kogon, der Autor des Buches »Der
SS-Staat«. Er verließ jedoch im Februar 1950 die
Organisation und schloss sich dem – mit Geldern des
Bundesinnenministeriums gegründeten –
»Bund der Verfolgten des Naziregimes« (BVN) an,
einer Organisation, die wenige Jahre später in der
Bedeutungslosigkeit verschwand. Zuvor hatte bereits die SPD einen
»Unvereinbarkeitsbeschluss« gegen die VVN gefasst.
Dieser Beschluss wurde formell erst vor wenigen Jahren aufgehoben.
Drei von
vielen: Gründer der VVN
Die VVN wurde von Frauen und
Männern begründet, die sich an den verschiedenen
Frontabschnitten gegen
den Faschismus, seine Kriegs- und Rassepolitik gestellt haben oder
Opfer der gesellschaftlichen Ausgrenzung und faschistischen Verfolgung
wurden. Sie hatten unterschiedliche politische, soziale oder
religiöse
Vorstellungen. Exemplarisch seien drei von ihnen hier genannt:
Peter
Gingold (1916–2006, Hessen)
Bereits
als Jugendlicher war er aktiv im Widerstand. Als Jude und Kommunist zur
Emigration nach Frankreich gezwungen, schloss er sich nach dem
faschistischen Überfall der Resistance an. Verhaftet gelingt
ihm eine
spektakuläre Flucht aus den Klauen der Gestapo, und er
kämpft mit bei
der Befreiung von Paris. Zurück in Frankfurt am Main engagiert
er sich
für einen antifaschistischen und demokratischen Neubeginn,
erlebte
jedoch das Verbot der KPD 1956 und die erneute Verfolgung seiner
Familie. Dennoch war er bis zu seinem Tod als Zeitzeuge, als
»Mutmacher
in Sachen Antifaschismus« unterwegs.
Hans
Lauter (1914–2012, Sachsen)
Als
Arbeitersportler und Funktionär des Kommunistischen
Jugendverbandes
KJVD wurde er 1933 verhaftet und ins KZ Sachsenburg verschleppt,
später
wegen »Hochverrats« verurteilt, im Zuchthaus
Waldheim und in den
Emslandlagern inhaftiert. Im Februar 1945 gelang ihm bei
Trümmerarbeiten im zerstörten Dresden die Flucht. Im
Juli 1945 trat
Hans Lauter der KPD bei und war bis zur Auflösung 1953
Mitglied der
VVN, später Vorsitzender des Stadtkomitees der
antifaschistischen
Widerstandskämpfer in Karl-Marx-Stadt. 1990 setzte er sich
für die
Wiedergründung der VVN in Sachsen ein und wurde 2008 zum
Ehrenvorsitzenden der VVN-BdA gewählt.
Jeanette
Wolff (1888–1976, Berlin)
Als
Sozialdemokratin engagierte sie sich in den 20er Jahren in Bocholt im
»jüdischen Frauenbund« und in der
Arbeiterwohlfahrt. 1933 für zwei
Jahre in Schutzhaft genommen, wurde ihre Existenz in der Pogromnacht
1938 endgültig zerstört. Ihr Mann kam ins KZ
Sachsenhausen, sie und
ihre Familie wurden in das Ghetto Riga verschleppt. Sie
überlebte und
kehrte 1945 nach Berlin zurück, wo sie am Wiederaufbau der
jüdischen
Gemeinde mitwirkte. Ab 1946 war sie SPD-Abgeordnete in Berlin. Im
Januar 1948 wurde sie stellvertretende Vorsitzende der Berliner VVN,
verließ jedoch auf Druck der SPD Mitte des Jahres die
Organisation.
|
Und so erfuhr die VVN in der Zeit des Kalten
Krieges massive Einschränkungen. In der BRD wurde sie als
gesamtdeutsche Organisation wegen ihrer Kontakte zur DDR verfolgt. In
der DDR erklärte sie im Frühjahr 1953 auf politischen
Druck der SED ihre Selbstauflösung.
Ein wichtiger Schritt für die Zukunft der
VVN war der Oberhausener Kongress 1971 mit der Erweiterung zum
»Bund der Antifaschisten« und damit die
Öffnung der Organisation für Nachgeborene. Diese
Öffnung brachte nicht nur jüngere Mitglieder, die aus
politischer Überzeugung sich dem Antifaschismus verbunden
fühlten, sondern auch politische Handlungsfähigkeit.
1975 konnte zum 8. Mai die erste Großkundgebung in der BRD
mit 40.000 Teilnehmenden anlässlich des Tages der Befreiung
organisiert werden. In den folgenden Jahren war die VVN immer wieder
Kern antifaschistischer Bündnisse und
Großdemonstrationen gegen das Deutschlandtreffen der NPD,
gegen »Traditionstreffen« der SS-HIAG, zur
Erinnerung an den Jahrestag des 30. Januar 1933 und der
Reichspogromnacht 1938. Die neuen Mitglieder brachten nicht nur neue
Kraft, sondern auch neue Fragen und Aktionsformen in die Organisation.
Auf dem Düsseldorfer Bundeskongress von
1990 gelang es der VVN-BdA, in einer existentiellen Krise die
Organisation auf neue – ehrenamtliche – Beine zu
stellen und ihre politische Selbständigkeit gegenüber
allen parteiorientierten Kräften zu verteidigen. Statt dessen
baute die VVN ihre Kontakte auch in Richtung autonomer
antifaschistischer Strukturen und Kräfte aus.
Die VVN-BdA verstand sich in den folgenden Jahren
auch als Bindeglied zwischen Kräften der sich autonom links
verstehenden Bewegung und etablierten Strukturen in Politik und
Arbeiterbewegung. Einen großen Anteil daran hatten Zeitzeugen
wie Kurt Bachmann, Emil Carlebach oder Peter Gingold, die, ausgehend
von ihrem persönlichen Erleben, die Notwendigkeit heutiger
antifaschistischer Politik begründeten. Dieser Spagat war
nicht immer einfach, hat aber zum politischen Gewicht der VVN
beigetragen. Ein sichtbares Zeichen für die breite
Mobilisierungsfähigkeit der antifaschistischen Idee war die
No-NPD-Kampagne (»nonpd«), bei der 175.000
Unterschriften für einen Verbotsantrag gegen diese
neofaschistische Partei gesammelt werden konnten.
Eine Herausforderung war die Integration der
antifaschistischen Kräfte in den neuen Bundesländern.
Während die meisten Westorganisationen die
Ostverbände einfach schluckten, war die
Zusammenführung der antifaschistischen Verbände ein
mühsamer, aber insgesamt erfolgreicher Prozess, bei dem es
gelang, die Wertschätzung der antifaschistischen Traditionen
der DDR mit den aktuellen Kämpfen um die Bewahrung der
Erinnerung, gegen Neofaschismus und rassistische Pogrome zu verbinden.
Heute hat sich die VVN-BdA gewandelt. Man findet
nur noch wenige Zeitzeugen in ihren Reihen. Aber die Ziele,
für die die VVN vor 70 Jahren angetreten ist, sind –
in modifizierter Form – so aktuell wie damals.
Immer noch geht es gegen das Wiederaufleben des
Nazismus, gegen Rassismus und Rechtspopulismus, um die Bewahrung der
Erinnerung an den antifaschistischen Kampf, um Demokratie und Frieden.
Dabei bleibt das Vermächtnis des Schwurs der
Überlebenden von Buchenwald: »Vernichtung des
Nazismus mit seinen Wurzeln, Schaffung einer neuen Welt des Friedens
und der Freiheit«, weiterhin das gemeinsame Fundament aller
Mitglieder der VVN-BdA.
Der Autor ist Historiker und Bundessprecher der
VVN-BdA.
Nazigegner im
Visier der Verfolgungsbehörden
Von Ulrich Schneider
Nur wenige Jahre nach der Zerschlagung des
deutschen Faschismus entdeckten die in Justiz, Polizei und
Geheimdiensten weiterbeschäftigten alten Nazis die in der VVN
organisierten Antifaschisten wieder als Feindbild. Als gesamtdeutsche
Organisation widersprach die VVN Adenauers Kurs der Westintegration.
Nachdem durch den Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD und politische
Abspaltung der CDU-nahen BVN um Peter Lütsches mit Geldern des
Bundesinnenministeriums die politische Breite der VVN
beschädigt worden war, wurde sie als »kommunistische
Tarn- und Vorfeldorganisation« verfolgt.
Schon mit dem »Blitzgesetz«
vom Sommer 1951 wurde die VVN ausgegrenzt, Mitglieder mussten sich
zwischen VVN und Arbeit im öffentlichen Dienst
»entscheiden«, später wurden polizeiliche
Maßnahmen gegen die Organisation ergriffen. So setzte die
hessische Polizei im Auftrag der Adenauer-Administration die
Schließung des Büros des gesamtdeutschen Rates in
Frankfurt am Main durch. In verschiedenen Bundesländern
(Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz) wurden Verbote gegen die
formell selbständigen Landesvereinigungen durchgesetzt. Und
Anfang der 60er Jahre versuchte die Bundesregierung die VVN insgesamt
per Gericht verbieten zu lassen. Das Verfahren scheiterte grandios, als
August Baumgarte (Hannover) im Gericht Dokumente präsentierte,
dass der Vorsitzende Richter ein ehemaliger Nazi war. Das Scheitern war
aber auch eine Reaktion auf die internationale Solidarität mit
der VVN.
Ungeachtet dieser Niederlage blieb die VVN im
Visier der Geheimdienste. In verschiedenen Berufsverbotsverfahren in
den 70er Jahren wurden den Betroffenen auch die Mitgliedschaft in der
VVN-BdA vorgeworfen. Zwar gab es seitens der VVN keinerlei Aussagen
oder Handlungen, die als verfassungswidrig anzusehen seien, aber die
Organisation galt in den Augen des Verfassungsschutzes (VS) als
größte kommunistisch beeinflusste
Massenorganisation. In den 80er Jahren wurde es stiller um die
politische Ausgrenzung.
Mit dem Ende der DDR begann nicht nur ein
ideologischer Angriff auf den Antifaschismus
(»DDR-Ideologie«), auch die Überwachung
der VVN und Erwähnung im VS-Bericht wurden forciert. Nachdem
die Nennung der FIR (Fédération Internationale
des Résistants – Internationale
Föderation der Widerstandskämpfer) 2006
außenpolitisch zum Eklat führte, verschwand die VVN
aus zahlreichen VS-Berichten. In Bayern steht die Organisation aber
immer noch auf einer Liste von »extremistischen bzw.
extremistisch beeinflussten Organisationen«. Zwar gibt es
dafür keine Begründungen, aber Bewerber für
den öffentlichen Dienst müssen erklären,
dass sie kein Mitglied der VVN-BdA sind.
Erst jüngst wurde durch das
Gerichtsverfahren Silvia Gingold gegen den hessischen Verfassungsschutz
bekannt, dass elf Landesämter weiterhin die VVN
überwachen, selbst wenn sie die Organisation nicht mehr in
ihren Berichten erwähnen. Für die Kämpfer in
den Schützengräben des Kalten Krieges bleibt
Antifaschismus auch nach 70 Jahren das Feindbild.
|