09.03.2017
Antifaschismus ist
Friedenspolitik
Drei
Broschüren der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes zu
„70 Jahre VVN“ erschienen
Unter „Broschüren“
werden drei Neuerscheinungen zur Geschichte der VVN-BdA vorgestellt. Es
sind Veröffentlichungen der Bundesorganisation, der
Landesorganisation NRW und der Kreisvereinigung Dortmund. Aus dem Heft
„70 Jahre VVN – Widerstehen – Damals -
heute – morgen“ wird hier der Artikel von Ulrich
Sander wiedergegeben:
Antifaschismus ist Friedenspolitik – Die
VVN in der Friedensbewegung
Zwei Aussagen standen seit Beginn der
antifaschistischen Bewegung der Nachkriegszeit in ihrem Zentrum. Das
war die Losung vom „Aufbau einer Welt des Friedens und der
Freiheit“ im Schwur von Buchenwald vom April 1945. Und dann
vier Monate später die Festlegung der Potsdamer Konferenz der
alliierten Siegermächte: „Es ist unser unbeugsamer
Wille, den deutschen Militarismus und Nationalsozialismus zu
zerstören und dafür Sorge zu tragen, dass Deutschland
nie wieder imstande ist, den Weltfrieden zu stören.“
Die nachhaltige und dauerhafte Entmilitarisierung
Deutschlands – diese Forderung, die mit den leidvollen
Erfahrungen und Bedürfnissen der Menschen einherging,
bedeutete nicht allein die militärische Demobilisierung,
sondern auch die die Entmilitarisierung des öffentlichen
Lebens, das durch militärische Erziehung, durch
Militarisierung der Arbeit und Strukturen des „Befehl und
Gehorsams“ in der Verwaltung geprägt war.
Die antifaschistische Bewegung, ab 1947 zum
großen Teil organisiert in der Vereinigung der Verfolgten des
Naziregimes, war stets ein Teil der Weltfriedensbewegung und zugleich
eine speziell der deutschen Verantwortung verpflichtete Bewegung: Von
deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen!
Das war die überwältigende
Mehrheitsmeinung in allen Zonen des ehemaligen Reiches. „Wer
noch einmal ein Gewehr in die Hand nehmen will, dem soll die Hand
abfallen,“ rief der CSU-Politiker und spätere
Bundeswehrminister Franz Josef Strauß 1949 bei einer
Wahlkundgebung. Es kam zur Spaltung Deutschlands und zum Kalten Krieg
gegen den Osten. Und Politiker wie Strauß betrieben
beidhändig die Wiederaufrüstung und
Kriegsvorbereitung.
Die Friedensbewegung und mit ihr die VVN hielten
dagegen. Die Forderung nach Anerkennung der Nachkriegsgrenzen und nach
Verbot jeder deutschen Aufrüstung musste mit dem Preis der
erneuten Verfolgung von Antifaschisten bezahlt werden. Wegen der
konsequenten Befolgung des „Ohne uns“ und der
Gewinnung von Millionen Unterschriften unter den Stockholmer Appel
gegen die Atomrüstung wurde mit einem Blitzgesetz die
Ausschaltung linker und demokratischer Bewegungen, auch der VVN, aus
dem Öffentlichen Dienst betrieben. Ein 131er Gesetz hingegen
sorgte für die Wiedereinstellung von Nazis in den
Behörden – und vor allem in den Stäben und
Truppenteilen der Bundeswehr.
Die VVN unterstützte in den 50er Jahren
die Paulskirchenbewegung und „Kampf dem Atomtod“
mit deren hunderttausenden Mitstreitern aus der Linken, aus
Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Nachdem die SPD auf Nato-Kurs
gegangen war, organisierten Antifaschisten die Ostermärsche
mit und machten aus ihnen bis heute ein wichtiges Instrument des
Friedenskampfs. Jedoch auf einem Sektor hatte die VVN beinahe das
Alleinstellungsmerkmal: Bei der Verbindung von Antifaschismus und
Antimilitarismus in der täglichen Praxis. Eine Bundeswehr
unter Führung von Nazigenerälen, die auf Offensive
gen Osten aus waren – nun an der Seite des Westens
– wurde immer wieder in den Blick genommen und entlarvt, wie
auch die enge Freundschaft von neuem Militär und alter SS -
eingebunden in der SS-Traditionsvereinigung HIAG – und die
Verehrung der alten Mördertruppen z.B. der Gebirgstruppe. Dies
z.T. mittels Demonstrationen von beachtlicher Stärke. Im
Januar 1958 hatte die Vereinigung ein Flugblatt
„Aufrüstung führt zum Krieg“ mit
der Vorstandserklärung verbreitet, in der es hieß,
„daß die ehemaligen Hitler-Generale und
SS-Führer innerhalb der Bundeswehr Atom- und Raketenwaffen
fordern“ und die von „den Militärs
geforderte Ablehnung einer atomwaffenfreien Zone durch die
Bundesregierung“ befolgt wurde.
Nachdem die Entspannungspolitik Willy Brandts mit
Hilfe breiter Friedensbewegungen Erfolg hatte, gab die VVN die Losung
heraus: Und nun auch militärische Entspannung!
Abrüstung! Schon am Antikriegstag 1. September im Jahr 1974
hatte das Präsidium der VVN-Bund der Antifaschisten den
„Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des Friedens“
vorgelegt, der sich als Umsetzung des Artikels 26 Grundgesetz verstand.
Ein Entwurf, der verdient, auf Wiedervorlage gelegt zu werden. Wieder
vorgelegt werden muss nun auch die von der Generalität bei der
Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages gemachte Drohung, im Falle
eines europäischen Militärbündnisses wieder
auf eigenen Atomwaffen zu bestehen.
Im Kampf gegen Nachrüstung mittels neuen
Mittelstreckenraketen entwickelte sich Anfang der 80er Jahre die
größte Friedensbewegung der Republik. Vor
hunderttausenden Demonstranten des „Krefelder
Appells“ in Bonn sprachen Etty Gingold und weitere
VVN-Repräsentant/innen.
Nach der „Wende“ von 1990 gab
es keine Friedensdividende, sondern neue Kriege. Zunächst
bekannte Kanzler Helmut Kohl noch im Jahr 1994: Die Bundeswehr habe
dort nichts zu suchen, wo die Wehrmacht blutigen Terror
ausgeübt habe. Doch dann diente eine „neue Art der
Auschwitzlüge“ als Kriegsbegründung gegen
die angeblichen heutigen „Hitler“. VVN-Redner und
Auschwitzüberlebende wie Peter Gingold und Kurt Goldstein
hielten dagegen, und zwar in einer ganzseitigen Anzeige in der
„Frankfurter Rundschau“.
Die erschreckenden weltweiten Kriegsszenarien von
Heute verstellen vielfach den Blick auf Ansatzmöglichkeiten
für die derzeitige deutsche Friedensbewegung. In dieser
Situation ist der Blick auf unsere deutsche Verantwortung vor der
Geschichte zu richten: Abrüstung und kein Krieg von deutschem
Boden aus, kein Ramstein, kein Kalkar, keine Speerspitze im
Münsterland. Zutreffend die VVN-BdA-Losung mit Blick auf den
Hauptfeind im eigenen Land: „Deutsche
Großmachtträume platzen lassen“.
Ulrich Sander
Korrektur gegenüber dem Heft: Das
Kohl-Zitat ist aus 1994 und nicht aus 1964
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