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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

18.01.2017

Versagt vor der Geschichte - Zum gescheiterten NPD-Verbotsurteil

Erklärung der VVN-BdA-Bundesvorsitzenden

„An allen Gedenktagen an die Opfer des NS-Regimes, so sicher auch am bevorstehenden 27. Januar, werden von den politisch Verantwortlichen in Deutschland Reden gehalten in denen man die Verbrechen des deutschen Faschismus benennt und ein „Nie wieder!“ verspricht. Aber wenn es darauf ankommt die Konsequenzen aus den Millionen Opfern dieses verbrecherischen Regimes zu ziehen und zwar die allereinfachste und naheliegendste, nämlich dass die dafür verantwortlichen politischen Kräfte nie Gelegenheit erhalten dürfen einen erneuten Anlauf zur Errichtung eines ähnlichen menschenfeindlichen Regimes zu errichten, wird versagt.“ Das stellte Cornelia Kerth, Bundesvorsitzende der VVN-BdA, zum Karlsruher Spruch Pro NPD fest. Sie erklärte weiter:

„Es wird aber nicht einfach aus Unvermögen, sondern, wenn man das Anti-Verbots- Trommelfeuer der letzten Monate in Politik und Medien betrachtet, es wird vorsätzlich versagt.

Eine neo-nationalsozialistische Partei soll es in Deutschland geben dürfen, das ist die Quintessenz all dieser Aktivitäten.

Zu den historischen Verbrechen des deutschen Faschismus gehören auch die knapp 200 Toten seit 1990 und die rassistischen Mobilisierungen der letzten zwei Jahre bei denen die NPD eine wesentliche Rolle gespielt hat. Sie hat Strukturen, Ideologie und hasserfüllte Parolen zur Verfügung gestellt, was sogar noch aus Steuermitteln finanziert wird. Das macht deutlich, dass von der NPD Gefahr ausgeht unabhängig davon, ob sie in Parlamenten sitzt oder nicht.

Außerdem wurde vorsätzlich darauf verzichtet, dem völkischen Nationalismus wie er auch durch die AfD vertreten wird, einen Riegel vorzuschieben.

Dazu sagen wir Nein: Faschismus gehört verboten, weil er keine Meinung ist, sondern ein Verbrechen. Die NPD hat, ebenso wie andere faschistische Gruppierungen keinen Anspruch auf Legalität.

An dieser Lehre der Geschichte halten wir fest.

Cornelia Kerth
Bundesvorsitzende
Karlsruhe, 17.01.17

http://vvn-bda.de/versagt-vor-der-geschichte-zum-npd-verbotsurteil/

Leserbrief des Bundessprechers Ulrich Sander an die „Süddeutsche Zeitung“:

Karlsruhe entschied: Die NPD sei derzeit als Kleinstpartei zu unbedeutend, um ein Verbot zu rechtfertigen. Die NSDAP war auch einst zu klein und unbedeutend, um sie zu verbieten; und als sie stark war, wagte man es nicht mehr. Wir haben es nun mit einer neuen Legalisierung der NSDAP zu tun und mit der Abkehr von Artikel 139 GG gegen das völkerrechtliche Verbot des Faschismus. Das Gericht sagte ausdrücklich: Die Formulierung im KPD-Urteil, man verbiete die Partei trotz ihrer Bedeutungslosigkeit, wird hiermit aufgehoben. Die Nazis werden gegenüber ihren Gegnern bevorzugt. Es wird auf die Polizei und ihre Verantwortung verwiesen. Was soll die denn nun machen? Sie wird die Nazis noch besser vor den Demokraten schützen als bisher. Zudem hat der Innenminister Jäger ein Dokument an alle Schulen geschickt, mit dem die Verwendung der Losung ‚Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen‘ als verfassungsfeindlich dargestellt wird. In Bayern gilt ab 1.1.2017 ein Integrationsgesetz, das Jugendstrafen ankündigt, wenn die selbe Losung angewendet wird. Schutz für Nazis mit allen Mitteln! Man redete in Karlsruhe von kleinen Dörfern, die nun leider mit den Nazis allein klar kommen müssen. Die Richter haben nie Dortmund-Dorstfeld besucht. 

Ulrich Sander, Dortmund
Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten  

Kommentar von Thomas Willms für die VVN-Zeitung „Unser Blatt“ (Berlin): Weltfremd oder unverschämt?

Fassen wir zusammen, was das Bundesverfassungsgericht in seiner Begründung zum Nicht-Verbot der NPD gesagt hat:

  • Eine Partei, die „wesensverwandt“ mit dem Nationalsozialismus ist, ist in Deutschland erlaubt.
  • Sollte diese in der Lage sein, mehr als nur wenige Andersdenkende „einzuschüchtern“ und an der „Ausübung ihrer demokratischen Rechte“ zu hindern (sprich: wenn es nicht mehr möglich ist, sie zu verbieten), darf sie verboten werden.

Die NPD kann daraus folgern: Noch vorhandene taktische Einschränkungen in der NS-Propaganda darf man getrost aufgeben und man kann stärker als bisher darauf drängen, Andersdenkende durch Gewalt einschüchtern – es ist ja noch Luft nach oben.

Die AfD und insbesondere der an die parteiinterne Macht strebende Höcke-Flügel kann schlussfolgern, dass, wenn schon die NPD mit ihrer „Wesensverwandtheit“ zum NS-Regime nicht kriminalisiert wird, sie selbst noch einmal erheblich an Rassismus und Nationalismus zulegen darf, ohne juristische Risiken einzugehen.

Die Wählerinnen und Wähler von AfD und NPD können eventuell noch vorhandene Verdruckstheit aufgeben, denn das höchste Gericht hat ja „erlaubt“, was man da tut.

Bezogen auf die Geschichte hieße das Urteil, dass man die NSDAP 1928 nicht hätte verbieten dürfen, obwohl es gegangen wäre. 1931 hingegen, als das Blut in den Straßen floß und Massen diese Partei wählten, dann hätte ein Staat, bei dem längst selbst die Weichen in Richtung Diktatur gestellt wurden, mit einem eingeschüchterten Gericht die NSDAP verbieten sollen?

Man weiß nicht, ob man mehr über die Weltfemdheit und historische Unkenntnis den Kopf schütteln oder gegen die Unverschämtheit gegenüber den noch lebenden NS-Opfern protestieren soll.

Thomas Willms

Siehe auch:

Pressemitteilung des Internationalen Auschwitz Komitees: NPD-Verbotsverfahren: Realitätsblinde und unzeitgemäße Entscheidung und ein fatales Signal nach Europa
http://www.auschwitz.info/de/presse/pressemitteilungen/presseinfo-einzeln/lesen/npd-verbotsverfahren-realitaetsblinde-und-unzeitgemaesse-entscheidung-und-ein-fatales-signal-nach-e-1.html

Heribert Prantl: NPD-Verfahren: Braun bleibt
Die wehrhafte Demokratie muss sich rechtzeitig wehren; sie darf nicht warten, bis es brandgefährlich wird. Sie darf nicht schlafen. Ein NPD-Verbot hätte ein Weckruf sein können. Karlsruhe hat diese Chance vertan. 
http://www.sueddeutsche.de/politik/npd-verfahren-braun-bleibt-1.3336384