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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
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Landesvereinigung NRW

 

03.01.2017

Freislers Witwe bekam was DDR-Juristen verweigert wird

Kolumne von Otto Köhler

Otto Köhler (Herausgeber von Ossietzky) schrieb über die Weigerung des Bundesverfassungsgerichts, eine Verfassungsbeschwerde von ehemaligen Mitarbeitern des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit in Sachen Rente auch nur entgegenzunehmen: Der Marion wäre das nicht passiert. Der Marion Freisler nämlich, Witwe des Volksgerichtshofpräsidenten mit Blut an den Händen. Ihre Witwenrente wurde erhöht.

Die Kolumne aus dem Neuen Deutschland vom 30. Dezember 2016 im Wortlaut:

Selber schuld die Herren von der Stasi, mit etwas Köpfchen wären sie längst glänzend mit hohen Pensionsgeldern versorgt. Sie hätten sich so den völlig aussichtslosen Gang nach Karlsruhe erspart. Sie wussten doch, dass sie selbst aus dem Unrechtsstaat kommen und so nichts von der höchsten Instanz des Rechtsstaats, vom Bundesverfassungsgericht, zu erwarten haben. Das Gericht weigert sich, wie es dieser Tage bekannt gab, eine Verfassungsbeschwerde von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) - von Stasi-Leuten also! - auch nur entgegenzunehmen. Die gesetzlichen Regelungen, wonach die Renten von ehemaligen Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit zu begrenzen sind, seien nicht zu beanstanden, entschied das Gericht.

Diesen unsinnigen Rechtsweg hätten die Stasileute sich versagen können, wenn sie nur die Tradition des Rechtsstaates, in den sie 1990 gefallen waren, bedacht hätten. Sie hätten sich nur - unsere bewährte Totalitarismustheorie eröffnet dazu die schönsten Möglichkeiten: rechts und links berühren sich an ihren Enden - mit Marion vermählen müssen, der Witwe von Roland Freisler, dem Präsidenten vom NS-Volksgerichtshof. Eben der, der unter ausgesuchten Beschimpfungen (» Sie sind ja ein ganz erbärmlicher Schuft«) Todesurteile am laufenden Band verhängte.

Seine Gattin Marion wurde - wenige Jahre nach dem Exitus ihres Angetrauten durch eine gütige US-Fliegerbombe - eine glänzende Partie. Und das nur, weil die Bundesrepublik, in der sie weiterlebte, kein Unrechtsstaat wie die DDR, sondern ein Rechtsstaat ist.1985 wurde bekannt, dass Marion Freisler neben ihrer Witwenpension nach dem Bundesversorgungsgesetz auch noch seit 1974 eine ordentliche Zusatzversorgung als »Schadensausgleichsrente« bezog. Die wurde ihr vom Versorgungsamt in der bayerischen Landeshauptstadt München gewährt mit der Begründung: Es müsse unterstellt werden, dass Freisler - hätte er überlebt - nach dem Krieg »als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig geworden wäre«.

Zwar hatten Beamte mit wenig Berufserfahrung gemutmaßt, dass Freisler wegen seiner horrenden Produktion von Todesurteilen - zeitweise zehn pro Tag - nach dem Krieg selber gehängt oder wenigstens zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt worden wäre. Und so hätte er zum Unterhalt seiner Frau nichts mehr beitragen können. Falsch, entschied das Landesversorgungsamt mit Billigung des damalige CSU-Sozialministers Fritz Pirkl: Es könne »ebenso wahrscheinlich sein, daß Freisler in seinem erlernten oder einem anderen Beruf weitergearbeitet hätte, zumal da eine Amnestie oder ein zeitlich begrenztes Berufsverbot ebenso in Betracht zu ziehen sind«.

Richtig! So hätte es Freisler sogar noch zum Richter am Bundesverfassungsgericht schaffen können. Wie etwa Dr. Willi Geiger, der als Sonderrichter zur NS-Zeit in Bamberg seine Todesurteile plakatieren ließ und es trotzdem oder auch darum zum Richter im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts brachte. Und dort konnte er auch die Berufsverbotsexpertise anwenden, die er sich 1940 mit seiner Dissertation über die »Rechtstellung des Schriftleiters« erwarb: Journalist durfte nicht werden, wer sich, ob Jude oder Marxist, »als Schädling an Staat und Volk erwiesen hat«. 35 Jahre später unterzeichnete er mit dem so erworbenen »Dr.«-Titel das von ihm formulierte Verfassungsgerichtsurteil zum Berufsverbot für jeden, der nicht »die Gewähr bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzutreten.«

Was nur haben die Leute von der sogenannten Staatssicherheit, die wegen der ihnen versagten Rente nach Karlsruhe gezogen sind, von unserem Bundesverfassungsgericht erwartet, dessen erster Präsident ein ausgewiesener Fachmann für Vermögensfragen war: Hermann Höpker Aschoff. Bundespräsident Theodor Heuss, der 1933 die Hand für Hitler hob, hatte dem Freund die Stelle in Karlsruhe verschafft. Zuvor war der Erwählte Justitiar der Haupttreuhandstelle Ost zuständig für die »Vermögensverwaltung des ehemaligen polnischen Staates«. Noch Fragen, meine Herrn von der ehemaligen Staatssicherheit?

Mit freundlicher Genehmigung des Neuen Deutschland vom 30. Dezember 2016.