25.10.2016
Wanderausstellung
„Geschichte aus der Nähe"
Politische
Karikaturen aus der Tschechoslowakei von Josef Capek,
Widerstandskämpfer und Naziopfer
Die nachfolgend bezeichnet
Ausstellung ist sehr empfehlenswert. Sie ist vom 24. 10. bis 3. 11.
2016 noch in der Steinwache in Dortmund zu sehen und danach im Institut
für Stadtgeschichte / Stadt- und Vestischen Archiv
Recklinghausen, Hohenzollernstr. 12, 45659 Recklinghausen, und zwar vom
11. November 2016 bis 6. Januar 2017.
Gezeigt wird die Wanderausstellung
„Geschichte aus der Nähe. Politische Karikaturen aus
der Tschechoslowakei von Josef Capek u.a. aus der Zeit von
1933-1938“ mit einem Einführungsvortrag durch Dr.
Ulrich Grochtmann, Vorsitzender der Capek-Gesellschaft für
Völkerverständigung und Humanismus e.V.
Bis 1933 hatte sich der tschechische Maler und
Autor Josef Capek (1887-1945) vor allem mit Kinderbüchern,
aber auch kunsttheoretischen und philosophischen Texten einen Namen
gemacht. Angesichts der Machtübertragung an die Nazis in
Deutschland und des Erstarkens faschistischer Strömungen in
ganz Europa wandte sich Capek der politischen, gegen Faschismus und
Krieg gerichteten Karikatur zu.
„Diese Karikaturen sind –
leider – überzeitlich“, erklärten
später die Dortmunder Schriftsteller Max von der Grün
und Josef Reding. Ihr Schöpfer bezahlte für sie
letztlich mit seinem Leben. Nach fest sechsjähriger Haft in
verschiedenen Konzentrationslagern starb Josef Capek kurz vor
Kriegsende 1945 im Lager Bergen-Belsen. Er war vorher in verschiedenen
KZ, darunter in Buchenwald.
Die Ausstellung der Hagener Capek-Gesellschaft
zeigt neben den Karikaturen Grafiken aus der Prager Tageszeitung
„Sozialdemokrat“ sowie aus der ebenfalls in Prag
erschienenen Satirezeitschrift „Der Simpl“.
Mehr zu Capek (sprich: Tschapekk): https://de.wikipedia.org/wiki/Josef_%C4%8Capek
Dazu auch das Neue Deutschland vom Donnerstag, den 1. September 2016:
Wie die Capek-Gesellschaft in Hagen für Völkerverständigung und Humanismus wirkt: Wider Ignoranz und Arroganz
Von Karlen Vesper
Er hat eine tiefe, sonore Stimme. Nach mehreren
Telefonaten, über die Jahre und Hunderte Kilometer hinweg, hat man
sich ein Bild vom Anderen gemacht - das falsch ist, wie sich nach dem
Augenschein herausstellt. Man ist irritiert: Wie können Stimme und
Erscheinungsbild derart auseinanderklaffen? Der Westfale gleicht eher
einem Adonis als dem Atlas, jenem Titanen, der laut den alten Griechen
das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt. Ulrich
Grochtmann wehrt lachend ab, weder mit der einen noch anderen
mythischen Gestalt will er sich messen.
Am heutigen Weltfriedenstag eröffnet Grochtmann in
der Dortmunder Mahn- und Gedenkstätte Steinwache die
Wanderausstellung »Geschichte aus der Nähe« mit
Karikaturen von Josef Capek. Der Maler, Grafiker und Kinderbuchautor
ist am 1. September 1939 von der Gestapo verhaftet worden, am Tag des
deutschen Überfalls auf Polen, der den Zweite Weltkrieg entfachte.
Für Josef Capek begann eine Odyssee durch »die Hölle,
die Dante nicht kannte« - durch die Konzentrationslager Dachau,
Buchenwald und Sachsenhausen nach Bergen-Belsen, wo sich die Spur des
vielseitigen tschechischen Künstlers im April 1945 verliert.
Dessen jüngerer Bruder, der Schriftsteller und Theaterautor Karel
Capek starb am 25. Dezember 1938 - »in tiefer Trauer und
Resignation über das Münchener Abkommen, mit dem die
Westmächte seine Heimat Hitler opferten«, weiß
Grochtmann.
Die Erinnerung an die Capeks wachzuhalten, hat sich die
Gesellschaft zur Verpflichtung gemacht, deren Mitbegründer und
Vorsitzender Grochtmann ist. Mit zwei Freunden aus Studienjahren hat er
sie 1983 ins Leben gerufen - »weil wir etwas tun wollten gegen
die neue Eiszeit zwischen Ost und West«. Der NATO-
Doppelbeschluss war gerade verabschiedet, Ronald Reagan nannte die
Sowjetunion ein »Reich des Bösen«; Ängste vor
einem dritten Weltkrieg kamen auf. »Zudem waren wir entsetzt
über die Hitler-Renaissance auf deutschem Buch- und
Trödelmarkt.«
Ulrich Grochtmann, Jg. 1943, hat osteuropäische
Geschichte, Slawistik und Germanistik in Köln studiert und an der
Karlsuniversität in Prag für seine Doktorarbeit recherchiert.
In der Moldaumetropole erwachte sein Interesse für die
Gebrüder Capek. Der
Name des älteren war ihm zwar schon als
siebenjähriger Knabe geläufig, hatte er doch begeistert im
Kinderfunk dessen »Geschichten vom Hund und der Katze«
gelauscht; Josefs Karikaturen und Gemälde kannte er damals
freilich noch nicht.
Seit 25 Jahren ist die Capek- Gesellschaft in Hagen
ansässig. Ziel des gemeinnützigen Vereins ist die
Förderung der Völkerverständigung und eines
aufgeklärten, humanistischen Geschichts- und
Gegenwartsverständnisses. Grochtmann und seine Mitstreiterinnen
und Mitstreiter haben auch eine Wanderausstellung und ein Buch
über das Münchener Abkommen und die Annexion Tschechiens
durch Hitlerdeutschland erarbeitet. »Das hat uns viel
Anfeindungen eingebracht, weil wir klare Position ebenso zu den
Benes-Dekreten und den unverschämten Forderungen der Vertriebenen-
verbände beziehen.« Grochtmann betont: »Wir Deutschen
haben viel gut zu machen am tschechischen Volk. Das erfordert vor allem
Aufklärung über die deutschen Verbrechen nach dem Einmarsch
der Wehrmacht in Prag im März 1939. Dazu gehört aber auch die
Entdeckung tschechischer Kunst und Kultur.«
Wurden in der DDR die Werke von Karel Capek gespielt und
gedruckt, so kamen sie in der Bundesrepublik erst in den 80er Jahren
auf die Bühnen und in den Buchhandel. Der Künstler Josef
Capek indes blieb in Ost wie West weithin unbekannt. »Kaum einer
weiß, dass er noch im KZ gezeichnet und gedichtet hat.«
Grochtmann ist es wichtig, die Unzertrennlichkeit der
Gebrüder zu unterstreichen. »Man kann keinen Kontrast
zwischen ihnen konstruieren. Einige Werke sind sogar unter beider
Namen erschienen.« Für die schöpferische
Symbiose der Capeks zeugt beispielsweise das 1921 uraufgeführte
Drama »R.U.R« (Rossum Universal Robots) von Karel,
»auf Grundideen meines Bruders fußend«, wie dieser
schrieb. In jener Dystopie tauchte erstmals das Wort
»Roboter« auf. »Robot bedeutet im Tschechischen Fron,
Sklavenarbeit«, informiert Grochtmann und referiert kurz den
Inhalt: Der US-amerikanische Unternehmer Rossum erfindet
künstliche Menschen, die weder physische noch psychische
Schwächen kennen, die idealen Arbeitskräfte; sie erheben sich
jedoch eines Tages gegen ihren Schöpfer ... Man ist an Rabbi
Löws Golem erinnert. Auch Karel Capeks drei Jahre später
erschienener Roman »Krakatit« entstand unter dem Einfluss
des Älteren und wurde von diesem illustriert. Darin geht es um
einen jungen Forscher, der einen Sprengstoff erfindet, mit dem die
ganze Welt vernichtet werden kann. »In beiden Werken«, so
Grochtmann, »wurde ein Thema angesprochen, das sich wie ein roter
Faden durch das gesamte Werk der Gebrüder zieht: die Gefahr, dass
sich die menschliche Zivilisation mit immer größeren
Waffenarsenalen und in blinder Fortschrittsgläubigkeit selbst
auslöscht.«
Die Capeks waren überzeugte Antimilitaristen.
Josefs erste Veröffentlichung, »Lelio«, klagte 1917
die Entmenschlichung des Individuums im Krieg an. Die Antikriegsprosa
wurde seinerzeit in der deutschen Zeitschrift »Die Aktion«
nachgedruckt. Eine Neuauflage von »Lelio« wäre in
heutiger unfriedlicher Zeit angebracht, meint Grochtmann.
Ȇberhaupt warten noch etliche Publikationen von Josef
Capek, vor allem seine Zeitungsartikel, auf eine
Übersetzung.« Grochtmann ist stolz auf das reiche Archiv
seiner Gesellschaft, »das leider noch in Kellern lagert«.
Der Schatz sollte gehoben werden. Dafür bedarf es aber Partner.
Außer den Wanderausstellungen können bei der
Gesellschaft Bilder von Josef Capek als Postkarten bestellt werden. Da
finden sich »Die Diktatorenstiefel« von 1937: Sie werden
größer und größer, der Bürger dagegen immer
kleiner, bis er unter den wuchtigen Sohlen zerquetscht wird. Frei nach
Goya malte Josef Capek auch eine nackte Maya - als Skelett. Eine
Anklage der Franco-Putschisten, die Volksfrontspanien in Blut
erstickten. Die meisten Zeichnungen befassen sich mit der Demagogie und
dem Terror des Hitlerfaschismus. Das Blatt »Deutschland
erwache« zeigt einen Friedhof unter der »Sonne des
Hakenkreuzes«, eine andere Karikatur kommentiert NS- Ideologie:
Ein Pimpf durchbohrt einen wehrlosen Arbeiter. »Der Marxismus
wird mit Stumpf und Stiel ausgerottet«, hatte Hitler getönt.
Auch Himmlers »Lebensborn« wurde von Josef Capek aufs Korn
genommen: Die »arische« Frau gebiert Sechslinge mit
Gasmasken. Am berühmtesten ist wohl die am Vorabend des
Münchener Abkommens entstandene Grafik, die eine von Bombern
verfolgte Friedenstaube zeigt. »Es verwundert nicht, dass die
Capeks auf den schwarzen Listen der Nazis obenan standen«, sagt
Grochtmann. »Schon von den böhmischen Hakenkreuzlern und
Henleins Schergen erhielten sie Morddrohungen.«
Die Ausstellung »Geschichte aus der
Nähe« wird zum 150. Mal gezeigt, war hierzulande in Schulen
und Hochschulen, Museen, Theatern und Bibliotheken, in Cafes und sogar
Justizvollzugsanstalten zu sehen, reiste nach Prag und St. Petersburg,
Warschau und Hiroshima - und natürlich ins ostböhmische
Hrnov, wo Josef Capek 1887 geboren wurde. Grochtmann könnte
zufrieden sein. Ist er aber nicht: »Wir stoßen in
Deutschland noch immer auf erschreckende Ignoranz und Arroganz. Einmal
wiegelte mich der Leiter einer Volkshochschule mit den Worten ab:
>Kapetsch? Das klingt nach Osteuropa. Was geht uns das an?<«
»Geschichte aus der
Nähe«, Mahn- und Gedenkstätte Steinwache,
Märkische Str. 14, 44122 Dortmund, vom 1.9. (19 Uhr
Eröffnung) bis 3. November Kontakt zur Capek-Gesellschaft: Dr.
Ulrich Grochtmann, Gerhart-Hauptmann- Str. 4, 58093 Hagen, Tel.: 02331/
54028, oder Rosemarie Pößnecker, Gerhart-Hauptmann-Str. 6,
58093 Hagen, Tel.: 02331/586131
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