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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

03.10.2016

Syrien im Oktober - Bei Waffenstillstand Angriff

Ouvertüre für den großen Krieg gegen Russland?

Klaus Wagener, VVN-BdA-Mitglied und Friedensaktivist aus Dortmund, analysiert den Ursprung und bisherigen Verlauf des Syrienkrieges. Er bringt Licht in das Dunkel und zeugt die großen drohenden Gefahren für den Weltfrieden auf. Die internationalen Qualitätsmedien haben das Sterben in der syrischen Stadt Aleppo entdeckt. Napalm, Cluster-Bomben, Bunkerbomber, Weißer Phosphor, gigantische Flammenwerfer, das ganze Programm moderner imperialistischer Kriegstechnik komme zum Einsatz. Es gibt schmerzliche Bilder der leidenden Menschen. Von dutzenden, je nach Quelle auch hunderten Toten ist die Rede. Bilder, wie sie seit dem Vietnam-Krieg kaum noch zu sehen waren.

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Was diesmal anders ist: Auf der medialen Anklagebank sitzen nicht Barack Obama, Recep Tayyip Erdoğan oder die Sauds, sondern Baschar al-Assad und Wladimir Putin. Die US-amerikanische UN-Botschafterin Samantha Power klagte sie im UN-Sicherheitsrat leidenschaftlich der Barbarei an. Was die freie Presse natürlich zu weiterer Anstrengung motivierte.

Gestorben wird in Syrien bekanntlich nicht erst seit letzter Woche. Fast eine halbe Million Menschen sind seit 2011 dem brutalen Krieg zum Opfer gefallen. Mehr als 11 Millionen sind auf der Flucht. In etwa so viele wie in Folge des II. Weltkriegs aus dem Osten kamen. Und das bei einem 20 Mio.-Bevölkerung.

Außer den Bildern zur Illustrierung des „Faßbombenmörders Assad“ schien das große Leiden und Sterben niemanden so recht zu interessieren, so lange die Halsabschneider von Daesh (IS), al-Nusra (al-Qaida), Ahrer asch Scham und den diversen anderen dschihadistischen Gruppierungen auf dem Vormarsch waren. Syrien war, wie selbst der britische Außenminister William Hague deutlich machte, „zur ersten Adresse“ für Dschihadisten aus der ganzen Welt geworden. Von „unseren“ Verbündeten Saudi-Arabien, den Golfstaaten und der Türkei massiv aufgerüstet und logistisch, personell und materiell bestens unterstützt. Nicht einmal als dann die Menschen aus den Kriegsgebieten Libyen und Syrien nach Europa flohen, kamen die Qualitätsmedien und die etablierte Politik auf die Idee, das das wohl etwas mit den „Menschenrechts“- und Regimechange-Projekten zu tun haben könnte, welche der „Freie Westen“ mit Hilfe seiner Lautsprecher vom Schlage eines Bernard-Henry Levy und einer Hillary Clinton so eingerührt haben. Aber als sich Ende September letzten Jahres mit dem Eingreifen der russischen Luftwaffe das Blatt zugunsten der Regierungstruppen wendete, kam Bewegung in die Propagandafront. Jetzt gab es verstärkt auch wieder Opfer. Opfer natürlich von „Putin“ und „Assad“. Al-Nusra & Co. haben damit nichts zu tun. Wenn eine authentische Stimme zur Lagebeschreibung gebraucht wird, dann ist es ihre.

Der US-Interventionismus hat in Verbindung mit der Türkei und den reich gewordenen Golfstaaten seit 1980 ein derartiges Konjunkturprogramm für den Dschihadismus aufgelegt, das dessen Einfluss nun von Westafrika bis zu den Philippinen reicht. Und Herr Gauck und Frau von der Leyen möchten als Hiwis doch zu gern dabei ein bisschen mehr behilflich sein. Und nun jammert man vor der UNO, dass dort, wo sich die Menschen gegen das Mittelalter wehren, Opfer zu beklagen sind.

Am 9. September sah es für einen Augenblick so aus, als kehre so etwas wie Vernunft zurück. Die Außenminister Lawrow und Kerry erreichten mit dem UN-Beauftragten de Mistura einen Waffenstillstand, der am 12. September begann. Doch schon einen Tag später griffen israelische Flugzeuge syrische Stellungen an. Obwohl Russland von zahlreichen Verstößen gegen die Waffenruhe berichtete, einigten sich die Unterhändler am 15. September auf eine Verlängerung des Waffenstillstands.

Zwei Tage später griff die US-Air Force, zum ersten Mal im Syrienkrieg, mit F16 und A10 Kampfjets bei Deir ez-Zor Stellungen der syrischen Armee an, und tötete bei vier Angriffen etwa 80 Soldaten. Nur 7 Minuten später überrannten al-Nusra-Einheiten die schwer getroffenen Regierungstruppen. US-Sprecher gaben zu die Angriffe geflogen zu haben. Auch britische und dänische Einheiten sollen mit Drohnen beteiligt gewesen sein. Der Angriff soll ein Versehen gewesen sein.

Der US-Angriff zugunsten der Dschihadisten, mitten im Waffenstillstand, deutet, neben den israelischen Extratouren, auf die schon zu Beginn des Krieges erkennbaren erheblichen Meinungsverschiedenheiten in der US-Administration hin. Das Pentagon ist ganz offensichtlich mit dem zögerlichen Kurs von Barack Obama und Außenminister Kerry nicht einverstanden (und setzt dabei voll auf Frau Clinton). Führende US-Generäle äußerten sich öffentlich skeptisch ablehnend. Kommentatoren haben Parallelen zur U2-Affäre von 1960 gezogen. Hier soll CIA-Chef Allan Dulles gegen eine Annäherung von Eisenhower und Chrustschow intrigiert haben.

Wenn Eskalation der Plan war, dann ist er aufgegangen. Zusammen mit der chronisch auf Krawall gebürsteten Samantha Power haben die Medien wahlweise den Russen oder den Regierungstruppen die Verantwortung für einen Angriff auf einen Hilfskonvoi des Roten Halbmondes zugeschoben. Ohne Beweis. Der Angriff erfolgte im Gebiet der Dschihadisten. Es ist nicht einmal klar, ob er überhaupt aus der Luft geführt wurde. Aber das Bild, die Russen überfallen einen Hilfskonvoi für die hungernde Bevölkerung einer von ihnen belagerten Stadt ist einfach zu kriegswichtig, als das man es dem Schicksal der Verifikation überlassen könnte.

Inzwischen hat die syrische Seite die Waffenruhe für gescheitert erklärt. Am 22. September gelang es den Regierungstruppen die letzten Stadteile von Homs zurückerobert. Mit einem Sieg in Aleppo würde sich die Lage der Dschihadisten drastisch verschlechtern. Das jedenfalls scheint in den „westlichen“ Kanzleien und Redaktionen Alarmstimmung auszulösen. Das gemeinsame Mantra zu Beginn des Krieges: „Assad muss gehen!“ ist ohne substantielles eigenes Engagement wohl nicht mehr zu erreichen. Entsprechend ist am Wochenende an der Propagandafront einen Gang höher geschaltet worden. Die Rufe nach einer Flugverbotszone, im Klartext, einer „westlichen“ Luftunterstützung, analog der libyschen Erfolgsgeschichte, zugunsten der Dschihadistenoperationen, werden lauter. In klarer Erkenntnis der Lage hat US-Generalstabschef Joseph Dunford erklärt, die Errichtung einer Flugverbotszone erfordere den Krieg gegen Russland und Syrien.

Auch die russische Seite hat die Zeichen der Zeit offenbar erkannt. Ein offenes Eingreifen des „Westens“ würde die Lage unhaltbar machen. Der US-Angriff auf die syrischen Stellungen zugunsten von al-Nusra, die offene Unterstützung der Dschihadisten, so wird gemeldet, führt auch hier zu einer Änderung der „Rules of Engagement“. Jedes Flugzeug, welches die syrische Armee angreift, werde in Zukunft abgeschossen. Die US-Jets waren schon am 17. September mit der Zielerfassung der S300 Flugabwehrraketen markiert worden. Beim nächsten Mal soll dann wirklich auf den Knopf gedrückt werden. Da im syrischen Luftraum eine Reihe uneingeladener Gäste unterwegs sind, außer der Air Force beispielsweise türkische, israelische, britische, französische und auch deutsche Flugzeuge hätte das weitreichende Konsequenzen. Wenn Russland wirklich ernst macht, dürfte man dem, was in den gemütlichen Schreibstuben so gern herbeigesehnt wird, dem offenen Krieg gegen die Atommacht Russland einen gehörigen Schritt näher gekommen sein. Die Auftritte im Sicherheitsrat jedenfalls, stellen schon einmal eine gelungene Ouvertüre dar.

27. Sep. 2016 Klaus Wagener

Zuerst erschienen in UNSERE ZEIT