28.09.2016
Knüppel aus dem Sack – Keine Entschädigung für kommunistische Widerstandskämpfer
In „Ossietzky“ hat Kilian Stein
den Zusammenhang von Kommunistenverfolgung und Verweigerung von
Entschädigung für NS-Verfolgte im Kalten Krieg
aufgezeigt: Zum 60. Mal jährten sich dieses Jahr zwei für die
Geschichte der Bundesrepublik bedeutsame Ereignisse: Das Verbot der KPD
durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 und die
Verabschiedung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) am 14.
September 1956. Mit dem Verbot hatte die KPD das sogenannte
Parteienprivileg verloren. Damit war der Weg für eine breit
gestreute politische Repression auf der Grundlage des BEG geebnet.
In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es
keine politische Kraft, die in der Lage gewesen wäre,
antifaschistischen Widerstandskämpfern ihr Recht auf
Entschädigung zu nehmen. Ein derartiger Versuch wäre noch auf
den geschlossenen Widerstand der Gewerkschaften und beider
Arbeiterparteien gestoßen. Von vielen Menschen in den
Ländern der Anti-Hitler-Koalition wäre dieses Vorgehen gegen
Menschen, die gerade erst den faschistischen Konzentrationslagern
entkommen waren, zu Recht als eine Fortsetzung der Politik des
Nazistaates verstanden worden. So enthält keines der
Entschädigungsgesetze aus dieser Zeit eine Diskriminierung
irgendeiner Gruppe von Widerstandskämpfern – weder das von
der Militärregierung in der US-Zone, noch das Hamburger, noch das
in Westberlin im Jahre 1950 erlassene Entschädigungsgesetz.
Die Wende kam mit der Gründung der beiden deutschen
Staaten und der Herausbildung des feindlichen Gegensatzes zwischen den
beiden Systemen. Ausgerechnet in Berlin, dem organisatorischen und
geistigen Zentrum des Nazistaates, kam der erste Rückschlag, als
in das (Westberliner) Entschädigungsgesetz im Jahre 1951 die
Vorschrift aufgenommen wurde, dass »Personen, die als
Anhänger eines totalitären Systems die demokratische
Staatsform bekämpfen, von der Anerkennung als politisch Verfolgte
auszuschließen« sind. In der SPD gab es zunächst noch
Widerstand. Das beweist der Entwurf der SPD-Bundestagsfraktion für
ein Entschädigungsgesetz vom 18. Juni 1952. Mitten in einer Zeit,
in der die Gesetzgebungsmaschine Kommunisten bereits ausgeschlossen
hatte oder darauf hinarbeitete, konzipierte die SPD noch ein
Entschädigungsgesetz, das keinen Ausschlusstatbestand enthielt.
Dafür standen Politiker wie Adolf Arndt und Martin Hirsch. Das war
bis heute das letzte politische Aufbäumen der SPD in dieser
Angelegenheit. Drei Jahre später verabschiedete der Bundestag mit
den Stimmen der SPD das Bundesentschädigungsgesetz, nach dem von
der Entschädigung ausgeschlossen ist, »wer nach dem 23. Mai
1949 die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des
Grundgesetzes bekämpft hat«. Damit verloren viele Verfolgte
Rentenansprüche und Ansprüche auf Heilverfahren. Auch
Ansprüche von Hinterbliebenen wurden dadurch hinfällig. Den
Zweck des Gesetzes offen zum Ausdruck bringend, wurde als Dreingabe
bestimmt, dass Entschädigungsleistungen zurückzuzahlen sind,
wenn einem Widerstandskämpfer auf Grund seiner politischen
Aktivität nachträglich die Anerkennung wieder entzogen wird.
Mitte der 80er Jahre versuchten die Alternative Liste
Berlin und die Bundestagsfraktion der Grünen, jene Ächtung
politisch Verfolgter des Naziregimes rückgängig zu machen,
scheiterten aber am Widerstand der anderen Parteien. Hinter dieser
Initiative standen Leute wie Hilde Schramm und Christian Ströbele.
In der Praxis der Entschädigungsbehörden und
der Gerichte wurde der Ausschlusstatbestand des BEG auf das
Äußerste ausgereizt. Einige wenige Beispiele:
Heinz Schröder, seit frühester Kindheit in der
Arbeiterbewegung: 1924 Eintritt in die Sozialistische Arbeiter-Jugend,
in der SPD seit 1928; 1939 Eintritt in den Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold; illegale Arbeit für die SPD nach deren Verbot im
Juni 1933: von der Gestapo verhaftet, im Februar 1937 vom Kammergericht
zu zwei Jahren Zuchthaus und Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
verurteilt; in eine Militäreinheit für
»Wehrunwürdige« eingezogen; seit dem
Vereinigungsparteitag 1946 Mitglied der SED; aus dieser Partei 1950
ausgeschlossen; später Vorsitzender der VVN. Seine Ansprüche
wurden wegen politischer Tätigkeit für die SED abgelehnt.
Eine Berliner Jüdin – ihren Namen kenne ich
nicht – verliert 1943 den Schutz der »Mischehe«, als
ihr Mann, ein Schuhmacher, wegen seiner Tätigkeit für die KPD
verhaftet und ermordet wird. Sie wird nach Auschwitz deportiert. Sie
überlebt. Nach dem Krieg tritt sie dem Demokratischen Frauenbund
bei und wird dort Kassiererin. Damit verwirkt sie ihren Anspruch auf
Entschädigung.
Die Witwe des Kriminalsekretärs G. – dessen
voller Name ist nicht verzeichnet – verlangt Versorgung als
Hinterbliebene nach folgendem Tatbestand: Ihr Mann wurde zu einer in
Jugoslawien stationierten Einheit des Sicherheitsdienstes abgeordnet.
Aus politischer Überzeugung half er slowenischen Partisanen. Er
übergab ihnen eine Pistole mit Munition; erklärte sich
bereit, ihnen Informationen zu verschaffen; versuchte einen Partisanen
zu befreien. Er wurde vom obersten Gericht der SS zum Tode verurteilt
und in Dachau hingerichtet. Ein Oberlandesgericht gab der Witwe Recht.
Der Bundesgerichtshof hob diese Entscheidung auf (RzW 1959, S. 280). Es
stellte den Grundsatz auf, »dass Opfer und Erfolg objektiv in
einem nach allgemeiner Rechtsüberzeugung gebilligten
Verhältnis zueinander stehen müssen«. Dies sei im Falle
Gs zu verneinen. Es ließe sich nicht erkennen, dass »G.
durch die Unterstützung jugoslawischer Partisanen irgendeine
Aussicht hatte, die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus zu
beeinträchtigen oder den gegenüber dieser Herrschaft
bestehenden Widerstand zu stärken«. Deshalb sei es auch
nicht zu rechtfertigen gewesen, dass G. »unbeteiligte Soldaten
oder Polizeibeamte in Gefahr gebracht habe«. Womöglich
saß in diesem Senat des BGH auch so ein unbeteiligter deutscher
Soldat. Von damaligem Alltagsverstand ähnlichen Kalibers zeugt die
Bemerkung eines Richterkollegen mir gegenüber. Beim Rückzug
durch Polen habe er sich gesagt, arme Polen, jetzt haben wir beide den
Krieg verloren.
(Mit freundlicher Genehmigung aus Ossietzky 19/16; 24. September 2016 übernommen.)
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