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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

28.09.2016

Hauptgewinn und Trostpreise

Prof. Georg Fülberth gestattet uns, seine Wahleinschätzung (zuerst erschienen in Junge Welt) zu veröffentlichen. Er kommt darin zu dem Schluss; „dass es eben jetzt nicht mehr nur eine bürgerliche Massenpartei gibt, sondern zwei, von denen eine für Faschisten offen ist. Als auch internationales Phänomen entspricht dies der gegenwärtigen Entwicklungstendenz der hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften.“ Der Beitrag im Wortlaut:

Das zentrale Ereignis der deutschen Septemberwahlen 2016 ist der Einzug der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, in das Abgeordnetenhaus und in die Bezirksverordnetenversammlungen von Berlin sowie in zahlreiche niedersächsische Rathäuser. Das übliche Entsetzen darüber sollte inzwischen besser der Erkenntnis weichen, dass es eben jetzt nicht mehr nur eine bürgerliche Massenpartei gibt, sondern zwei, von denen eine für Faschisten offen ist. Als auch internationales Phänomen entspricht dies der gegenwärtigen Entwicklungstendenz der hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften.

Noch größer als der prozentuale ist der hegemoniale Erfolg der AfD. Er besteht darin, dass sie für die anderen Parteien das wichtigste Thema im Wahlkampf war. Dem waren deren inhaltlichen Programme und die Unterschiede zwischen ihnen untergeordnet. Ihre Genugtuung nach den ersten Hochrechnungen darüber, dass die AfD in Berlin etwas weniger gewonnen zu haben schien, als sie vorher befürchteten, zeigt ebenfalls ihre Fixierung auf diese.

Durchgehend verloren haben CDU, SPD und die Grünen, hinzu kommt die Partei „Die Linke“ in Mecklenburg-Vorpommern.

Die SPD freut sich darüber, dass sie in Schwerin und Berlin trotz ihrer hohen Einbußen weiter den Regierungschef stellen darf.

Der CDU bleibt dieser Trostpreis versagt. In Niedersachsen immerhin ist sie in den Kommunen stärker als die SPD. Rotgrüne Mehrheiten in mehreren Gemeinden werden großen Koalitionen weichen. Die Kanzlerin suchte wohl eine Chance, im unübersichtlichen Gelände von Kommunalwahlen so etwas wie eine Trendwende zu simulieren, als sie sich im Wahlkampf von Celle persönlich engagierte. Bis 2009 war diese Stadt eine CDU-Hochburg, dann verlor sie schon im ersten Wahlgang die Oberbürgermeister-Position an die SPD. Jetzt konnte ihr Kandidat den Amtsinhaber in die Stichwahl zwingen. Das wird nicht reichen, um die Kanzlerinnen-Krise zu beenden. Durch die Niederlagen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin wird sich diese verschärfen.

Anders als im März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt hat die Partei „Die Linke“ nicht nur verloren. (Bei den hessischen Kommunalwahlen im gleichen Monat stand sie übrigens besser da als 2011.)

Die Grünen haben in allen drei Wahlen Einbußen gehabt. Das ist zu relativieren angesichts der Tatsache, dass sie 2011 Auftrieb durch die Katastrophe von Fukushima erhielten.

Der Einbruch der Partei „Die Linke“ in Mecklenburg-Vorpommern ist ein starkes Stück, nicht nur wegen der Stimmen- und  Prozentverluste, sondern mehr noch durch ihre Reaktion darauf. Eine solche Niederlage hätte doch wohl als Aufforderung verstanden werden müssen, den bisherigen Kurs zu überprüfen. Stattdessen sollte er nicht nur fortgesetzt werden, sondern sogar in der Regierung. Man wüsste gern, ob es unterhalb der Führung eine zweite Linie gibt, aus der heraus sie abgelöst werden kann. Wenn das nicht der Fall ist, dann ist die Partei in dieser Region tot. Dem Vernehmen nach spricht man in ihrer Spitze davon, die SPD sei eine „Schwesterpartei“. Davon, wie es zwischen Geschwistern (insbesondere in sozialdemokratischen) oft zuzugehen pflegt, hat man da offenbar wenig Ahnung. Was die Asterixe und Obelixe im kleinen gallischen Dorf des ehemaligen Kreisverbandes Stralsund falsch oder richtig gemacht haben mögen, lässt sich aus der Ferne schlecht beurteilen. Wenn der Landesvorstand lediglich konstatiert, man habe dort eine Baustelle abgeräumt, stellt er sich ein schlechtes Zeugnis aus.

Dass alternativlose Festlegung der Partei „Die Linke“ aufs Mitregieren nicht unbedingt ins Verderben führen muss, zeigt ihr Erfolg in Berlin. Mit Blick auf ihr Gesamtprofil bestätigt sich, dass sie eine Perspektive in Großstädten hat, während ihre Zukunft in westlichen Flächenstaaten weiterhin unsicher ist. In Berlin hat sie von den Verlusten der Piraten profitiert, Ergebnis wohl auch einer frühen und klugen Öffnung zu Teilen dieser Partei hin. Innerparteilich mag dies eine Stärkung libertärer Tendenzen zulasten materieller Interessenvertretung bedeuten. Gegenwärtig setzen sich ökonomische und soziale Probleme nicht eins zu eins in Wahlergebnisse um, sondern artikulieren sich gleichsam oberhalb in der Symbolpolitik – auf der Rechten eine Erklärung für die Hochkonjunktur von Nationalismus und Rassismus. Links wird eine Entsprechung wohl noch gesucht.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, kann, wenn er will, ein bisschen damit pokern, dass er sich nicht unbedingt auf Rot-Rot-Grün einlassen muss, sondern dass er rechnerisch auch noch andere Koalitionsmöglichkeiten hätte. Politisch sind diese aber nicht sehr wahrscheinlich. Also letztlich doch wohl Rot-Rot-Grün.

„Die Linke“ behauptet, aus ihren Fehlern 2001-2011 gelernt zu haben. Wichtiger ist, ob dies auch für die SPD gilt. Gemeinsam haben beide einst öffentliches Eigentum verscherbelt. Jetzt haben sie Wahlkampf mit Mieten und Infrastrukturpolitik gemacht. Davon können sie wohl nicht mehr runter.

Georg Fülberth

Anmerkung:  Der alte Vorstand der MeckPom-Linken-Fraktion wurde abgewählt. Neue linke Fraktionsvorsitzende ist nun die Bildungsexpertin Simone Oldenburg