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Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten

Landesvereinigung NRW

 

26.09.2016

Über die Strafbefreiung der im Ausland verurteilten NS-Kriegsverbrecher

Allein aus der Sowjetunion kamen 9628 Verurteilte heim und wurden auf freien Fuß gesetzt

Eine aufschlussreiche Diskussion über eine unbekannte Skandalgeschichte ergibt sich derzeit auf der Liste NS-Zwangsarbeit. Es war die Frage aufgeworfen worden: Mit den Abschluss der Deutschlandverträge 1955 war auch freundliche Begleitmusik verbunden, die etwa im Ergebnis in der Entlassung von alliierten Gerichten verurteilter Kriegsverbrecher bestanden, wer weiß darüber Näheres?

Hier Antworten von Ulrich Sander:

1. Beispielsweis Prof. Ernst Günther Schenck, SS-Arzt, Kriegsverbrecher.

Im milden Licht des Films "Der Untergang" (2004) im Führerbunker wird das nicht deutlich: Er wurde von Adenauer nebst den anderen Kriegsverbrechern und Kriegsgefangenen aus Moskau heimgeholt. Allerdings im Falle Schencks und ca. 500 anderer musste Adenauer versprechen, die Verurteilungen der Kriegsverbrecher nun in der BRD zu vollziehen. Adenauer brach diese Zusage. Über Schenck schreibt die JUNGE FREIHEIT u.a.

JF 46/97 07. November 1997

Ernst Günther Schenk: Nie mehr nach Hause? 10 Jahre in sowjetischer Gefangenschaft

Der Schwur von Friedland

von Claudia Wollner

(...) Insgesamt zehn Jahre verbrachte Ernst Günther Schenck als Wissenschaftler, als gewöhnlicher Sträfling und als Lagerarzt in verschiedenen sowjetischen Gefangenenlagern. Zehn Jahre Trostlosigkeit, Hunger, Ausgeliefert-sein. Dennoch Würde und Menschlichkeit bewahren? Schenck hat es versucht. (...)

Als Mitglied einer "verschlissenen und zu Fehlhandlungen geführten Generation" fühlt sich Schenck am Ende des Krieges "getäuscht, verkauft, im Stich gelassen. (...) Um so empfindlicher trifft ihn die Aussage des sowjetischen Ministerpräsidenten Bulganin anläßlich des Moskau-Besuches von Konrad Adenauer im September 1955: "Das sind Menschen, die ihr Menschenantlitz verloren haben. Das sind Gewalttäter, Brandstifter, Mörder von Frauen, Kindern und Greisen." Dennoch: "Rachegefühle überlassen wir den rückwärts gerichteten, unschöpferischen, eingleisigen Hassern und Organisationsdrohnen. Wir wollen positiv arbeiten, unser Leben aufbauen, unserem Volk nützen" – mit dieser Zusage brechen Schenck und seine Kameraden aus Rußland auf. Und beim Eintreffen im Lager Friedland ist Schenck es, der für die Angekommenen das Wort ergreift. "Da stand ich – und wurde in einem Augenblick vom Sprecher meiner Männer zu ihrem Munde; Mut flog mir zu, und ich wagte das Außergewöhnliche, den Schwur: ‘Vor dem deutschen Volk und bei den Toten der deutschen und sowjetischen Wehrmacht schwören wir, daß wir nicht gemordet, nicht geschändet und nicht geplündert haben.’ Ich schaute über alle hin; gleich mir hatten alle in diesem Augenblick, da wir uns bloß und nackt fühlten und nichts mehr verhehlten, die Schwurhand gehoben." (...)

Ernst Günther Schenck: Nie mehr nach Hause? Als Wissenschaftler, Sträfling und Arzt 10 Jahre in sowjetischer Gefangenschaft. Neuauflage von "Woina  Plenni" (1986), S. Bublies Verlag, Koblenz1997, 446 Seiten, 38 Mark

2. Betr. Straffreiheit für NS-Verbrecher und Fragen der internationalen Beziehungen

Es ist unmöglich, das aufgeworfene Problem zu behandeln, ohne auf Ernst Achenbach (FDP, vorher NSDAP) einzugehen. Ernst Achenbach (* 9. April 1909 in Siegen; † 2. Dezember 1991 in Essen) war ein deutscher Rechtsanwalt. Im Nationalsozialismus als Täter beteiligt an der Judenverfolgung, wurde er später Politiker (FDP).

Achenbach trat im März 1936 in den Auswärtigen Dienst ein und war von November 1936 bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs Attaché in der Deutschen Botschaft in Paris. Während der deutschen Besatzungszeit in Frankreich (1940–1944) war er von Juni 1940 bis Ende April 1943 (zunächst als Legationssekretär, dann als Gesandtschaftsrat) als Leiter der Politischen Abteilung der Botschaft ein enger Mitarbeiter des deutschen Botschafters Otto Abetz. Unter anderem war er befasst "mit Judenangelegenheiten". Im Rahmen dieser Tätigkeit war Achenbach auch für die Durchführung der Judendeportationen aus Frankreich mitverantwortlich. So war er nach einer Aktion des französischen Widerstands im Februar 1943 beteiligt an mit Vergeltung begründeten Deportationen einer vierstelligen Zahl von Juden ins KZ Auschwitz. Als 1970 Einzelheiten bekannt wurden, stellte ihm der damalige Bundeskanzler Willy Brandt einen „Persilschein“ aus und erklärte, er kenne Achenbach seit langem. Gestützt wurde Achenbach auch von seinem „Protektor Walter Scheel“.

Seit 1946 arbeitete Achenbach als Rechtsanwalt in Essen. Er war 1947/48 als Verteidiger im I.G.-Farben-Prozess tätig und verteidigte dort Fritz Gajewski. Im Wilhelmstraßen-Prozess verteidigte er Ernst Wilhelm Bohle. Auch in Entnazifizierungsverfahren war er als Rechtsvertreter tätig. Gemeinsam mit dem vormaligen SS-Obergruppenführer aus dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) und Generalleutnant in der Militärverwaltung in Frankreich Werner Best gehörte er Anfang der 1950er Jahre zu jenen, die eine Generalamnestie für NS-Täter durchsetzen wollten. Best und Achenbach nahmen erheblichen Einfluss auf das Zustandekommen des Straffreiheitsgesetzes von 1954. Der Plan, Achenbach 1970 zum Kommissar der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu machen, scheiterte aufgrund des öffentlichen Drucks. Achenbachs Blockadehaltung in der Frage einer Verurteilung der deutschen Kriegsverbrecher hatte zu einem Skandal geführt. Achenbach war als Berichterstatter des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (bis 1976) zuständig für das deutsch-französische Zusatzabkommen zum Überleitungsvertrag (unterzeichnet 1971), dessen Ratifizierung er bis 1974 erfolgreich verhinderte. Dieser Vertrag sollte es möglich machen, jenen deutschen NS-Verbrechern den Prozess zu machen, die bereits in Frankreich in Abwesenheit verurteilt worden waren. Es kam zu einem regelrechten Skandal, und Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte der französischen Regierung schließlich eine umgehende Ratifizierung des Vertrags zu; das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der französischen Regierung über die Verfolgung bestimmter Verbrechen wurde sodann am 30. Januar 1975 ratifiziert und trat am 15. April 1975 in Kraft. Wegen Achenbachs Blockaden konnten 1979 in Köln nur noch drei zentrale Akteure der Judenverfolgung in Frankreich, nämlich Kurt Lischka, Ernst Heinrichsohn und Herbert M. Hagen, vor Gericht gestellt werden.

(Quelle: Beate und Serge Klarsfelds Veröffentlichungen, die WIKIPEDIA zugrunde liegen)

Ul. S.

3. Am 22.09.2016 um 14:11 hatte USander geschrieben:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es trifft doch aber zu, dass niemand nach den Transporten aus der UdSSR, die bis 7. 10. 1955 in Friedland ankamen, verhaftet wurde. Am 13. Dezember 1955 kam eine weitere Gruppe in Friedland an, die ausdrücklich als in Haft zu nehmende Gefangene ausgewiesen worden war. Die noch im September 1955 (Zeitpunkt von Adenauers Verhandlungen in Moskau) in sowjetischer Haft festgehaltenen 9628 Männer galten dort nicht als Kriegsgefangene, sondern als Kriegsverbrecher. Erst später wurden einige der Eingetroffenen in Haft genommen. Sie waren von ihren Opfern auf der Straße erkannt worden, z.B. von Heinz Junge aus Dortmund, Ex-Sachsenhausener und VVN-Vertreter.

Zitat aus Welt am Sonntag:

„Nun verdient jedes Urteil, das ein stalinistisches Gericht gefällt hat, prinzipiell Skepsis; und tatsächlich war die große Mehrheit der Schuldsprüche pauschal, ohne Beweisaufnahme und -würdigung erfolgt.

Aber es gab eben auch Ausnahmen. Brauburger zeigt am Beispiel der beiden sadistischen SS-Männer aus dem KZ Sachsenhausen Wilhelm Schubert und Gustav Sorge, daß es unter den 9626 Spätheimkehrer eben auch Massenmörder gab - die beiden wurden einige Jahre später von einem Bonner Gericht nach 45 Verhandlungstagen wegen vielfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Diesen beiden Folterknechten hätte wohl niemand eine Träne nachgeweint, wenn sie in Sibirien geblieben wären.

Das Gleiche gilt auch für Ernst-Günther Schenck, den erst kürzlich verstorbenen ehemaligen "Ernährungsinspektor" der Waffen-SS, dem Bernd Eichinger aus Unwissen in seinem Film "Der Untergang" ein unverdientes Denkmal gesetzt hat. Schenck kam am 13. Dezember 1955 in Friedberg an und hatte die Unverfrorenheit, Männer aus seinem Transport den "Eid von Friedberg" schwören zu lassen: "Wenn wir Leid und Not über andere Menschen gebracht haben, so geschah das nach den Gesetzen des Krieges." Wahrscheinlich hatten die meisten der 596 Männer dieses Zuges tatsächlich keine Verbrechen begangen; Schenck jedoch war ein überführter Mörder, der Menschenversuche in KZs veranlaßt hatte und der im Februar 1945 den Hunger gelobt hatte, weil so der "Siegeswillen" der Wehrmachtssoldaten im "Endkampf"  gesteigert würde."  (aus: Welt am Sonntag vom 17. November 2005)

Zudem: Keiner sagte, dass Adenauer ein Nazi war; Globke war ja auch keiner. Er war Katholik "der das Schlimmste verhüten wollte". Dem ersten Kabinett Hitlers 1933 gehörten nur drei Nazis an, aber acht Konservative.