06.09.2016
Warntafeln an den Tatorten
der Schuldigen
Nina Hager sprach mit Ulrich
Sander über die Spurensuche nach den Verbrechern aus der
ökonomischen Elite in der Zeit von Faschismus und Krieg.
UZ: Vor 25 Jahren startete der Kölner
Künstler Günter Demnig das Kunstprojekt
„Stolpersteine“. Dabei wird mit kleinen
Gedenkplatten im Boden vor dem letzten Wohnsitz der Opfer an diese
erinnert. Ihr führt nun etwas Ähnliches an den
Tatorten der Schuldigen durch?
Ulrich Sander: Mit solchen Aktionen haben vor 20
Jahren, ebenfalls in Köln, die Bezirksvertreter von
Köln-Lindenthal auf Antrag der SPD begonnen. Die VVN-BdA von
Nordrhein-Westfalen hat dies aufgegriffen. Wir machen nun seit dem 75.
Jahrestag des 4. Januar 1933 im ganzen Bundesland weiter.
UZ: Das ist ein wichtiger Jahrestag …
Ulrich Sander: Ja, an jenem Tag traf in der Villa
des Bankiers von Schröder die Spitze der NSDAP mit
Wirtschaftsvertretern und konservativen Spitzenleuten zusammen, um die
Machtübertragung an Adolf Hitler und seine Partei zu
vereinbaren. Und zur Erinnerung daran verlegte der SPD-Ortsverein
– er finanzierte die Aktion – vor 20 Jahren eine
Gedenkplatte vor der Villa am Stadtwaldgürtel 35, um vor einer
neuen faschistischen Entwicklung mit Hilfe der ökonomischen
Eliten zu warnen.
UZ: Von den Stolpersteinen für die Opfer
gibt es inzwischen 55000. Und von den Warntafeln?
Ulrich Sander: Wer weiß? Es gibt
Dutzende solche Tafeln in Herten, in anderen Orten Schilder an den
Stätten, wo Zwangsarbeiter litten. In Dortmund, Gelsenkirchen
und Duisburg gibt es Beschlüsse der Kommunalparlamente zur
Schaffung solcher Tafeln. Zum Beispiel zur warnenden Erinnerung an die
Hitlerförderer wie Thyssen und Kirdorf. Die Anträge
dazu hat die VVN-BdA gestellt.
UZ: Wie seid ihr vorgegangen?
Ulrich Sander: Wir begannen eine „Rallye
zur Spurensuche“ nach den „Verbrechen der
Wirtschaft an Rhein und Ruhr 1933–1945“. Das
heißt, wir haben zunächst den Weg genommen, den
Hitler und von Papen gegangen sind, um das umzusetzen, was am 4. Januar
1933 in Köln begann. Sie haben sich in Mülheim und
Dortmund mit anderen Industriellen getroffen, um diese für die
Förderung der Nazis als Regierungspartei zu gewinnen. Das
heißt: Sie versprachen eine Politik im Sinne des
Großkapitals und baten die Kapitalisten um Wahlkampfspenden.
Beides geschah ja bekanntlich, das Geld floss und die Ministerliste mit
Nazis und Konservativen wurde aufgestellt.
Wir haben dann beantragt, dass auch in Dortmund
und Mülheim und anderswo warnende Platten in den Boden
eingelassen werden wie in Köln.
Tafel bei der
Villa des Bankiers von Schröder. Hier trafen sich am 4.1.1933
die Spitzen der Nazi-Partei mit Wirtschaftsvertretern und konservativen
Spitzenleuten (Foto: UZ-Archiv)
UZ: Vereinzelt ist das ja gelungen, aber einen
großen Durchbruch gab es nicht?
Ulrich Sander: Gab es nicht, aber wir begannen in
die Öffentlichkeit zu gehen mit der Aufforderung: Gedenkt der
Toten, aber erinnert auch an die Täter, damit ihre Nachfahren
nie wieder Erfolg damit haben, mit verbrecherischen Methoden eine
rechte umstürzlerische Politik und Praxis zu betreiben. Es ist
ja zu begrüßen, dass mit der Aktion „Last
chance“ alte KZ-Wächter vor Gericht gestellt werden,
aber was ist mit den ökonomischen Eliten, den
Sklavenhalterfirmen? Da kauft sich in Köln eine
Goldhandelskette den Namen Degussa, das heißt Deutsche Gold-
und Silberscheideanstalt, und wirbt damit. Die Firma dieses Namens hat
das Zahngold der in Auschwitz Ermordeten vermarktet und zusammen mit IG
Farben die Firma Degesch betrieben, die das Zyklon B an die
Vernichtungslager lieferte.
UZ: Wie geht es nun weiter? Von der Zahl wie bei
den Stolpersteinen seid ihr ja noch weit entfernt.
Ulrich Sander: Wir unterstützen die
Stolpersteinbewegung und betreiben eine Art Warntafelbewegung. Das
geschieht nicht nur mit Bürgeranträgen für
die Warntafeln, das geschieht auch damit, dass Schüler die
Straßennamen von Naziökonomen überkleben,
die es ja immer noch zahlreich gibt, und dass
Straßenumbenennungen verlangt werden. Da hängen wir
provisorische Schilder an den Standort der Villa Springorum in Dortmund
und am Kirdorf-Sitz in Mülheim/Ruhr auf, um zu erinnern, wo
die Ruhrindustriellen sich trafen, um den Teufelspakt mit Hitler
umzusetzen. Oder wir veröffentlichen Texte für
antifaschistische und antikapitalistische Stadtrundgänge. Wir
kennzeichnen die Stätten, wo Zwangsarbeiter/innen litten. Mit
Aufklärungsschriften stellen wir uns der allgemeinen
Krupp-Verehrung entgegen. An der Wirkungsstätte des
Förderers der Aktion für die Adolf-Hitler-Spende der
Konzerne und Juden-Deporteurs Ernst Achenbach, er war später
Essener FDP-Landes- und Bundespolitiker, haben wir eine Kundgebung
durchgeführt und die Umbenennung der
FDP-Geschäftsstelle verlangt. In 35 Städten starteten
wir unsere Aktionen und dokumentierten sie im Internet. Alle unsere
Begründungen für unsere Forderungen und alle unsere
Aktionen stellten wir in einem Buch zusammen.
UZ: Ihr bewegt euch nur in Nordrhein-Westfalen mit
euren Aktionen?
Ulrich Sander: Wir gehen nun darüber
hinaus. Wenn man Flick und Krupp entlarven will, dann bieten sich hier
viele Schauplätze. So unterstützten wir die
Umbenennung des Flick-Gymnasiums in Südwestfalen, Kreuztal.
Wir müssen aber ran an die Quandts. Da gibt es einen Tatort in
Hagen, aber die schlimmsten Tatorte der Quandts waren in Hannover und
Berlin. In Gardelegen wurden 1945 über tausend Zwangsarbeiter
des Quandt-KZ Hannover-Stöcken in einer Scheune verbrannt. Mit
den Antifaschisten dort sind wir in Kontakt getreten. In Brandenburg
haben schleimende Ortspolitiker nach 1990 sogar eine Schule nach
Herbert Quandt benannt. Das ist doch widerlich, dagegen muss doch etwas
getan werden. Zudem hat ein außerordentlicher Bundeskongress
der VVN-BdA kürzlich in Bochum zur Geschichtspolitik getagt
und beschlossen, die Bewegung der Spurensuche nach den Verbrechern der
Wirtschaft 1933–1945 auf das ganze Land auszuweiten.
UZ: Wo gibt es Informationen?
Ulrich Sander: Auf der Webseite der VVN-BdA NRW
(www.nrw.vvn-bda.de), dort bitte die Sonderseite aufsuchen mit dem
Signet des Heartfield-Posters, auf dem der Milliardär Hitler
das Geld zuschiebt – „Millionen stehen hinter
mir“. Zudem bitte die Bücher beachten:
„Von Arisierung bis Zwangsarbeit. Verbrechen der Wirtschaft
an Rhein und Ruhr 1933–1945“ und „Der
Iwan kam bis Lüdenscheid“, Protokoll einer Recherche
zur Zwangsarbeit. Schließlich gibt es noch die Fotogalerie
von r-mediabase.eu, ein Fotoportal, das auch über
unsere Sonderseite erreichbar ist. Mit ihr arbeiten wir eng zusammen,
um reaktionäre Straßen-, Gebäude- und
Schulbezeichnungen anzuprangern, Aufklärungsaktionen bekannt
zu machen und auf gute Beispiele hinzuweisen.
UZ: Hitler als Kreatur des Finanzkapitals
– gab es da nicht „Ärger“ mit
dem Verfassungsschutz?
Ulrich Sander: Ja, in Verfassungsschutzberichten,
zuletzt in Bayern, wird behauptet, wir seien verfassungsfeindlich, weil
wir die bürgerliche kapitalistische Ordnung in jedem Fall als
Vorstufe zum Faschismus darstellen. Das ist aber gar nicht unsere
Position, wenn auch manche sehr linke Leute dem bayerischen
Verfassungsschutz ungewollt zustimmen. Wir sagen: Der Faschismus ist
nicht ohne Kapitalismus denkbar, aber die bürgerliche
kapitalistische Ordnung muss nicht zum Faschismus führen. Alle
antifaschistischen Kräfte müssen gemeinsam die
Demokratie verteidigen und die reaktionärsten Teile des
Finanzkapitals zurückdrängen. Wozu wir mit unserer
Spurensuche beitragen wollen.
Quelle: http://www.unsere-zeit.de/de/4835/theorie_geschichte/3457/Warntafeln-an-den-Tatorten-der-Schuldigen.htm
Leidenswege: Informationszentrum
Zwangsarbeit in Hamburg
Auf Initiative der Willi-Bredel-Gesellschaft
– Geschichtswerkstatt e. V. konnten 1998 zwei
Zwangsarbeiterbaracken der Firma Kowahl & Bruns in der
Nähe des Flughafens vor dem drohenden Abriss gerettet werden.
Der Verein hat diese weitgehend im Originalzustand erhaltenen und seit
2008 unter Denkmalschutz stehenden Gebäude für
Ausstellungszwecke hergerichtet.
Der niederländische Zwangsarbeiter Theo
Massuger erinnert sich: „Als die Deutschen merkten, dass ihre
Werbezettel, mit denen sie Arbeitskräfte nach Deutschland
locken wollten, nicht wirkten, dachten sie sich etwas anderes aus. Sie
nahmen meiner Familie die Stammkarte weg. Ohne Karte gab es
für meine Eltern und uns zehn Geschwister keine Lebensmittel.
Also ging ich gezwungenermaßen nach Deutschland zum Arbeiten.
Außer sonntags stand ich jeden Tag an einer Drehbank bei
Röntgenmüller und das bei kargem Essen, meist
bestehend aus einer Rübensuppe.“
Theo Massuger, der hier seine Erlebnisse in
Fuhlsbüttel schildert, war einer von insgesamt ca. 500000
Arbeitskräften, die zu unterschiedlichen Zeiten
während des Zweiten Weltkrieges aus den von Deutschland
besetzten Ländern nach Hamburg zur Arbeit verpflichtet wurden.
Die Zwangsarbeiter aus dem besetzten Polen und der Sowjetunion sowie
italienische Militärinternierte hatten deutlich
härtere Lebens- und Arbeitsbedingungen als die
„Fremdarbeiter“ aus Westeuropa. Besonders schlecht
wurden die KZ-Häftlinge behandelt, die unter schrecklichen
Umständen leben und Zwangsarbeit leisten mussten. In Hamburg,
einem Zentrum der Rüstungsindustrie, lebten bereits im
Frühjahr 1942 ca. 31000 „Fremdarbeiter“ in
280 Lagern, 1944 etwa 70000 Zwangsarbeiter in ca. 1500 Lagern. Allein
in Ohlsdorf und Fuhlsbüttel befanden sich 1943 elf Lager mit
über 1200 Menschen.
Eines dieser Lager wurde 1943 von der Landschafts-
und Gartenbaufirma Kowahl & Bruns als Wohnlager für
Zwangsarbeiter errichtet. Inhaber der Firma waren zwei aktive
Mitglieder der NSDAP: der Gartengestalter Fritz Kowahl und der Kaufmann
Emil Bruns. Hauptgeschäftszweck war die Tarnung des Hamburger
Flughafens und anderer Flughäfen in Deutschland, Polen und
Frankreich. Um diese Arbeiten und andere Aufträge wie die
Tarnung von Rüstungsbetrieben, die Produktion von Betonplatten
zum Bau von Behelfsheimen und Trümmerräumungen
durchführen zu können, stieg die Zahl der
Arbeitskräfte bis 1944 auf ca. 2000.
Dieses Firmenlager von Kowahl & Bruns war
auf die Unterbringung von 144 Arbeitern ausgelegt. Es bestand aus zwei
Wohnbaracken, einer Sanitärbaracke und einer
Verwaltungsbaracke, in der die Lagerleitung untergebracht war. Die
Gebäude wurden in Segmentbauweise aus Bauteilen von
Reichsarbeitsdienst-Baracken Typ IV errichtet. Jeweils 18
Zwangsarbeiter mussten in einem 12 Quadratmeter
großen, nicht isolierten Raum wohnen und in Doppelstockbetten
schlafen. Das Lager war überwiegend mit
niederländischen Zwangsarbeitern belegt, die sechs Tage pro
Woche bei Röntgenmüller (heute Teil des
Philips-Konzerns) zwölf Stunden in der
Rüstungsproduktion arbeiten mussten. Außerdem lebten
dort italienische Militärinternierte und u. a.
Zwangsarbeiter aus Frankreich und Belgien.
Ab 1944 beschäftigte die Firma
zusätzlich polnische Jüdinnen aus dem KZ Sasel, die
unter unmenschlichen Bedingungen Schwerstarbeit beim Plattenbau
für Behelfsheime und bei der Trümmerräumung
leisten mussten. In einem 1946 von der britischen Besatzungsmacht im
Curio-Haus durchgeführten Prozess gegen die Wachmannschaften
des KZ Sasel war Emil Bruns der einzige angeklagte Zivilist. Er wurde
wegen der Misshandlung mehrerer Häftlinge auf seinen
Baustellen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Wie anderen
Kriegsgewinnlern war es auch Emil Bruns vom Gefängnis aus
möglich, seine Geschäfte weiterzuführen, um
den von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen erwirtschafteten
Gewinn in den neuen Staat hinüber zu retten.
Informationszentrum Zwangsarbeit 1943 –
1945
Unsere Ausstellungen informieren über die
Lebens- und Arbeitsbedingungen der niederländischen
Zwangsarbeiter in diesem Lager und dokumentieren den Leidensweg der
polnischen Jüdin Matla Rozenberg, die als Häftling
des KZ Sasel für die Firma Kowahl& Bruns Zwangsarbeit
leisten musste. Eine weitere Ausstellung gibt einen Überblick
über das Ausmaß der Zwangsarbeit in Hamburg.
Informationszentrum
Zwangsarbeit 1943–1945: Wilhelm-Raabe-Weg 23,
22335 Hamburg, Nähe S-Bahnhof Flughafen,
Öffnungszeiten: Jeden 1.
Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr
Kontakt: willi-bredel-gesellschaft[at]t-online[dot]de
/ Web: http://www.bredelgesellschaft.de
Quelle: http://www.unsere-zeit.de/de/4835/theorie_geschichte/3415/Leidenswege.htm
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